Schatzsuche – aus bestehenden Assets digitale Geschäftsmodelle entwickeln

18. Oktober 2016, mit Joel KaczmarekKatja Nettesheim

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge Mediendigital bei Digital Kompakt. Natürlich wieder mit Katja Nettesheim. Hallo Katja.

Katja Nettesheim: Hallo, ciao.

Joel Kaczmarek: Und zwar, nachdem wir die letzten Male ja fleißig über Personal geredet haben, also einmal Team Spirit, was braucht man, ein bisschen Fehlerkulturgedanken und solche Geschichten durchdiskutiert haben und Recruiting, das heißt, wie finde ich diese Leute und was muss ich ihnen bieten, waren so unsere Ansätze. wollen wir heute auf Schatzsuche gehen. Und zwar ist so ein bisschen der Gedanke, wie kann man aus bestehenden Assets neue digitale Geschäftsmodelle machen? Sprich, es ist ja schon ein bisschen was da, gerade wenn man jetzt irgendwie in der Medienwelt schon aktiv ist und manchmal muss man das nur neu denken, um sie im neuen Kontext, diese Dinge wieder anbringen zu können. Darüber wollen wir so ein bisschen reden. Magst du vielleicht mal so aus deiner Praxiserfahrung so ein bisschen einordnen, wie muss man sich das vorstellen? Also worum geht es da eigentlich? Was sind so die Pain Points, die Herausforderungen und welches Ziel würdest du mit sowas immer attribuieren?

Katja Nettesheim: In der Medienindustrie, die Pain-Points sind ja inzwischen leider hinlänglich bekannt. Also Auflagen gehen zurück, dementsprechend gehen Vertriebserlöse zurück, Anzeigenerlöse gehen auch zurück, weil sehr, sehr viel Richtung digital wandert. Das heißt also Medienunternehmen haben gerade im Printbereich viele davon ein erhebliches Umsatzproblem verursacht. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber das sind tatsächlich Ausnahmen. Und diese rückläufigen Umsätze müssen irgendwie kompensiert werden. Und da ist man schon seit längerem auf der Suche. Und in der ersten Phase hat man tatsächlich Sachen gesucht, die genauso groß sind. wie Werbeerlöse oder Anzeigenerlöse. Das heißt also, man hat geschaut, gibt es irgendwas, was vielleicht nicht von jetzt auf gleich, aber in absehbarer Zeit irgendwie 40 Prozent meines Umsatzes ausmachen kann. Und das wurde dann doch irgendwann klar, dass es diese Silver Bullet nicht mehr gibt. Und inzwischen sind sehr viele Medienunternehmer tatsächlich so weit, dass sie sagen, okay, es gibt kein Silver Bullet, wir müssen jetzt eine Vielzahl von neuen, gegebenenfalls eben etwas kleineren Geschäftsmodellen finden und umsetzen, um die rückläufigen Umsätze zu kompensieren.

Joel Kaczmarek: Gut, also ich stelle mir das so ein bisschen vor wie so eine große Kanonenkugel, wie ich früher bei dem Piratenfilm, diese großen Kugeln, die geht dir irgendwie flöten und dann versuchst du es eigentlich so ein bisschen auszugleichen durch ein kleines Revolvermagazin mit kleineren Kugeln, aber immer noch Durchschlagskraft. Also das ist so ein bisschen der Gedanke.

Katja Nettesheim: Ja, gutes Gleichnis, werde ich mir merken.

Joel Kaczmarek: Was genau passiert denn da eigentlich in der Praxis? Also wie muss ich mir das vorstellen?

Katja Nettesheim: Also wir machen da am Anfang so Ideengenerierungsworkshops, wenn wir eben daran arbeiten, Umsätze digital zu transformieren. Das ist ein relativ langer und auch vielschichtiger Prozess, aber wenn wir uns jetzt nur mal den Bereich anschauen, digitale Transformation von Umsätzen, Das heißt also, die Umsätze sukzessive stärker digital zu machen durch neue digitale Geschäftsmodelle. Dann sind häufig in dem Bereich noch wenig Ideen vorhanden im Unternehmen. Und wir fangen dann mit einem sogenannten Wertschöpfungs-Innovations-Workshop an, so heißt das bei uns. Das basiert auf Design-Thinking-Methoden und verwendet ein Tool, was wir entwickelt haben in Anlehnung an den Business Model Canvas von Alexander Osterwalder, den glaube ich einige der Hörer auch kennen. Und dann fangen wir erstmal an, den Mitarbeiter, wir machen das sehr häufig in hierarchisch sehr heterogenen Workshops und mit möglichst wenig Führungskräften, das ist uns total wichtig. Und dann gehen wir mal die gesamte Wertschöpfungsstruktur des Unternehmens durch, um den Mitarbeitern, die da in diesem Workshop sind, auch erstmal eine Sprache zu geben, um über so etwas wie Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsstrukturen sich auszutauschen. Also es gibt dieses schöne Beispiel von einem Kollegen, der mal schrieb, er hätte vorgestellt, Führungskräfte von einem gelben Seitenverlag gefragt, was ist eigentlich ihre Value Proposition? Acht Führungskräfte gefragt, zehn verschiedene Meinungen bekommen. Und ganz ehrlich, wenn schon so eine Diskrepanz bezüglich der Kern Value Proposition des Unternehmens bei den Führungskräften besteht, wie soll das dann mit voller Kraft in die gleiche Richtung geschoben werden? Also das erste ist tatsächlich, dass wir in diesen Workshops ein Bewusstsein schaffen für die verschiedenen Bestandteile der Wertschöpfung und eine einheitliche Meinung darüber, was im aktuellen Stand die Kern-Value-Proposition ist.

Joel Kaczmarek: Bevor wir mal darüber reden, warum da bewusst keine Manager sozusagen oder Entscheider mit drin sind, ich habe so einen Verdacht, warum, das machen wir vielleicht mal ganz zum Schluss, was so die Hürden bei diesem ganzen Prozess sind. Lass uns doch mal so ein paar konkrete Beispiele durchreiten, weil ich glaube, das interessiert die Leute am meisten. Dann hat man ein Bild im Kopf und danach versteht man viel, viel besser, worüber wir reden. Im Vorgespräch mit dir ist mir ja ein Fall da irgendwie untergekommen, damit können wir vielleicht mal den Anfang machen. Da hätte ich jetzt gar nicht gedacht, Ikea war so dein Beispiel für sowas. Ich hätte immer gedacht, das ist relativ straight line, so Möbel verkaufen, online, offline. Food vielleicht noch, hätte ich gesagt. Vielleicht redest du von dem Essen, dass wir Hotdogs verkaufen, aber du meinst, das ist anders.

Katja Nettesheim: Nee, es ist tatsächlich anders. Also wenn wir nochmal ganz kurz einen halben Schritt zurückgehen, wenn wir die Value Proposition erstmal genau definiert haben, dann stellen wir wirklich die Frage, ob die gleiche Value Proposition vielleicht auch noch interessant wäre für andere Kundengruppen.

Joel Kaczmarek: Jetzt müssen wir vielleicht einmal, weil wir so ein bisschen im Beratersprech sind, für jemanden, der das vielleicht nicht so firm ist, was ist eine Value Proposition? erklären und dann machen wir einen Halbschutz.

Katja Nettesheim: Also wir definieren die Value Proposition oder das Nutzenversprechen eben tatsächlich so, dass das der Mehrwert ist, den das gesamte Unternehmen für den Kunden schafft, auf Basis der Konfiguration seiner Assets und Aktivitäten. Und dadurch, dass es wirklich einen Mehrwert für den Kunden schafft, schafft es reflexartig auch einen Mehrwert für sich selber, nämlich einen monetären Mehrwert. Wenn es ein echter Mehrwert für den Kunden ist, ist er auch bereit dafür zu zahlen und es gibt Umsätze dafür. In diesen Wertschöpfungs-Innovationsworkshops schaffen wir die Basis, diesen Kundenmehrwert erstmal in Worte zu fassen und fragen dann uns und auch die Teilnehmer, gibt es noch andere Kundengruppen, die mit genau dem gleichen Mehrwert was anfangen können. Da kommen häufig schon neue Geschäftsmodellideen bei hoch. Das ist so die eine Denkrichtung. Und die zweite Denkrichtung, da schaffen wir noch mal ein bisschen Basis, indem wir genau definieren, was sind eigentlich die bestehenden Kundengruppen und wie nutzen die aktuell das Produkt und die Dienstleistung? und fragen uns dann, gibt es noch andere Mehrwerte, die wir genau für diese bestehenden Kundengruppen schaffen können? Und das Dritte ist dann natürlich denklogisch irgendwie auszuprobieren. neue Mehrwerte für neue Kundengruppen. So, das sind so die Fragen, die wir da stellen, die wir strukturiert durchgehen. und es ist immer total toll zu sehen, wie Leute, die da häufig auch so ein bisschen blind und unlustig in diese Workshops reinkommen, plötzlich durch diese Art der Moderation sprudeln vor Ideen. Da kommt ganz viel raus. Und um auf das Ikea-Beispiel zurückzukommen, das hat mich auch extrem überrascht, als wir das alles erarbeitet haben, das war im Jahre 2011, 2012, bin ich auf Ikea gestoßen. Und bei Ikea denkt man ja immer, wie du sagst, Möbelverkauf. Aber Ikea ist wahnsinnig clever, die Dinge, die sie schon haben, auch anderweitig zu verarbeiten. Und das ist der zweite Aspekt. Wir versuchen bei diesen Wertschöpfungs-Innovationsgeschichten immer von Bestehendem auszugehen, damit noch genügend DNA drin ist, dafür, dass es auch funktionieren kann. Zurückkommend auf Ikea. Ikea hat ja ein wahnsinniges Know-how im Leiten von Besucherströmen, von Käuferströmen. Das haben sie über die Jahre eingesammelt. und dann haben sie sich irgendwann gedacht, warum machen wir das eigentlich nur für uns? Warum machen wir das nicht auch für andere? Und so ist Ikea zu einem der größten Einkaufszentrenbetreiber Europas geworden. Und inzwischen haben die 45 Einkaufszentren in elf verschiedenen Ländern auch schon über Europa hinaus. Zum Beispiel gibt es, glaube ich, 14 sogenannte Megamalls in Russland und auch schon einige in China. Die heißen dort anders, sie haben in jedem Land andere Namen. Und Ikea ist ja leider Gottes immer ein bisschen zugeknöpft, was die Zahlen anbetrifft. Aber ein paar Jahre her war über 50 Prozent des Profits von Ikea in Russland aus den Megamalls und nicht aus dem normalen Möbelverkaufsgeschäft.

Joel Kaczmarek: Aber die Denke ist ja eigentlich ganz interessant. Also wenn man das nochmal so ein bisschen rekapituliert, was du auch gerade gesagt hast, es geht darum, man nimmt schon seine Kern-DNA, also man versucht nicht in einem völlig neuen Feld etwas völlig Neues zu machen, sondern man nimmt das, was man gut kann, damit man sich noch mit identifizieren kann, damit die Prozesse klar sind und schaut dann eigentlich, wie kann ich das entweder auf neue Kundengruppen irgendwie übertragen, wie kann ich entweder meine Bestehenden nochmal neu bespaßen, also das nochmal neu ausrichten, dass ich neue Umsätze mache und Oder welche, die ich bisher komplett verpasst habe, eigentlich mit dem Asset, das ich schon da habe, ohne dass ich jetzt brutal was anfassen muss, mich dann nochmal neu ausrichten. Weil bei Ikea habe ich erst so gedacht, ach na gut, da kommt mir jetzt auch so der Gedanke, könnte auch so ein Russland-Thema sein. Russland ist ja so ein bisschen spezifisch, was irgendwie Transportwege angeht, was Post angeht, Lieferungen und so weiter, ob die das so ein bisschen aus der Not eine Tugend gemacht haben. Also wie du das erklärst, ist ja eigentlich ganz plausibel, dass man sagt, man hat eine bestimmte Kompetenz. löst sich vielleicht das ein oder andere operative Problem, was man da aufgrund von Postwegen hat oder Zufahrtswegen oder, oder, oder. Und kann das eigentlich auch nochmal sozusagen quer monetarisieren. Also ganz interessanter Weg. Jetzt lass uns doch mal versuchen, da auch nochmal so ein bisschen mehr, sagen wir mal, mediennahere, weil wir heißen ja Medien digital und nicht Verkäufer oder Handelsseite.

Katja Nettesheim: Ja, das stimmt.

Joel Kaczmarek: Fällt dir irgendwie ein Beispiel ein, was so ein bisschen, also gut, Amazon wäre so ein klassischer Case, wo ich gestaut habe, damals mit dem Hosting. Das ist ja, glaube ich, auch was, was du so auch gemacht hast.

Katja Nettesheim: Das ist eines meiner Lieblingsbeispiele, weil es einfach so auf der Hand liegt und inzwischen so immens groß ist. Also Amazon Web Services, dieses ganze Hosting und so weiter Angebot, ist entstanden als Zwischennutzung für auf Vorrat gekaufte Server. Die hatten einfach für ihre eigenen Zwecke eingekauft und hatten ein bisschen was übrig und haben das anderen zur Verfügung gestellt. Das war eine klassische Zwischennutzung. Ich meine, wir als Berliner kennen uns aus mit Zwischennutzung. Klammer auf, nee, nicht Klammer auf, Ausrufezeichen. Diese Zwischennutzung macht inzwischen einen Umsatz von 6 Milliarden Dollar. Es gibt auch genügend Leute, die sagen, dass das inzwischen der wichtigere Teil ist von Amazon im Verhältnis zum Handelsgeschäft. Und wir kennen alle genügend Unternehmen, die auf AWS laufen. Und ich glaube, AWS ist inzwischen mit seinem Umsatz so groß wie die vier nachfolgenden Wettbewerber.

Joel Kaczmarek: Ich wollte es gerade sagen, man muss den Leuten, die vielleicht nicht in Berlin sind, das mal bewusst machen. Also wenn du ein Internetunternehmen hast oder ein Digitalunternehmen, was hier startet, Also jeder zweite gefühlt setzt sich garantiert irgendwie mit Amazon-Webservices auseinander. und dann kommen so die ganzen üblichen anderen, wie Strato, Hetzner, 1&1 und so. Also die haben schon riesige Marktmacht bei einem Thema, was ja eigentlich jetzt nicht core ist, was du denkst. Also klar könntest du auch sagen, Amazon macht auch ganz viel so Geschäftsmodell-Zweitverwertung im Bereich Logistik.

Katja Nettesheim: Das ist genau.

Joel Kaczmarek: Was sie so machen mit diesem, da gibt es diese schönen Abkürzungen.

Katja Nettesheim: Marketplace.

Joel Kaczmarek: Ja, Marketplace ist das eine und da gibt es so dieses so und so bei Amazon, was ich jetzt mal vergessen habe.

Katja Nettesheim: Fulfillment.

Joel Kaczmarek: Fulfillment, genau, Dankeschön. Ja, also FBA haben die das benannt. Also das ist ja bei denen ein riesiger Geschäftszweig geworden und das wird sicherlich noch weitergehen, wenn die jetzt immer mehr in die Delivery reingehen, nach hinten raus. Also eigene Lieferdienste bauen sie ja schon auf, Prime und so, viel Erfahrung oder auch Produktaufbereitung. Also das ist so ein klassischer Fall für das, was du meinst, Schatzsuche im Unternehmen und dann….

Katja Nettesheim: Ja, Amazon ist da wirklich der Meister drin, weil die machen das quasi für all ihre Infrastruktur, ja. Die haben in den USA mal eine Plattform aufgebaut, die hieß Mechanical Turk. War eine Plattform zur Organisation von irgendwie 200.000 Heimarbeitern, die, ich weiß nicht, ob das jetzt noch nötig ist, damals war es noch nötig, dass man Produkteinträge, um manche Fehler zu finden, per Hand durchsuchen muss. Und da hatten die diese Heimarbeiter organisiert über eine Plattform. Also irgendwie, man sitzt zu Hause, hat gerade eine Stunde Zeit, kann sich da registrieren und dann, wenn man irgendwie fünf Dubletten oder Fehler findet, kriegt man dafür 3,50 Euro, 3,50 Dollar. Und auch diese Plattform haben sie dann geöffnet für andere Unternehmen, die auch diese Heimarbeiter brauchten. Von daher, also die machen das immer wieder. Und wenn du sagst, Medien näher, was total spannend ist, die Washington Post, die ja jetzt zu gewissen Anteilen Jeff Bezos gehört, fängt jetzt plötzlich auch anders zu machen. Und das fand ich ein ganz tolles und sehr mutmachendes Beispiel, weil das ist genau das, was ich mit meinen Kunden auch immer versuche herauszuarbeiten, Die Washington Post hat sich ein eigenes CMS programmiert, also ein Content Management System programmiert, was sehr, sehr gut ist. Wahrscheinlich kam da auch ein bisschen Amazon-DNA mit rein und lizenzieren das jetzt für andere Publisher. Das heißt also auch wieder eigene Infrastruktur für Dritte geöffnet als zusätzliches Geschäftsmodell.

Joel Kaczmarek: Ja, das ist spannend, weil als du eben bei Amazon schon gesagt hast, die haben eigentlich diese Monkeys sozusagen als Beiprodukt gebaut und dann merkst du, man kann Geschäft mitmachen. Ich habe mich, als wir damals Gründerszene gemacht haben, auch dabei ertappt. Wir haben ja auch sehr, sehr viel selber gebaut. So eine Jobbörse, wir haben einen Seminarbereich gebaut, eine Datenbank, wir haben irgendwie Tools für unser WordPress gebaut und stehe auch jetzt wieder vor dem Moment, dass ich darüber nachdenke. Dann dachte ich so, eigentlich deutsche Startups, wir partnern zusammen. Warum nehme ich nicht dessen Plattform? Ja, das ist eigentlich ein total naheliegender Gedanke. Aber was ich so beobachte in der Medienwelt, ist so schwer. Ja, weil du ja irgendwie potenziell Konkurrent bist. Du kämpfst ja irgendwie um Leser und am Ende des Tages wollen sie alle nicht teilen. Also meine Erfahrung ist, so einen gewissen Hochmut. Also ich merke immer, wenn Medien noch gerade ein bisschen besser funktionieren, dann denken die immer, wir brauchen euch nicht, so Einzelkämpfertum. Das ist relativ schwierig. Aber glaubst du, dass das oft im Medienbereich übertragbar ist?

Katja Nettesheim: Tatsächlich, das, wovon wir hier sprechen, ist ja für Digitalunternehmer nichts Besonderes, weil das ist klassisches White Labeling dann. Aber im traditionellen Medienumfeld ist das schon was sehr Besonderes. Die tun sich extrem schwer mit Zusammenarbeit und das selbst in Konstellationen, wo es keinerlei Konkurrenz gibt. Muss man ja sagen, also ein Regionalverleger aus dem Norden ist überhaupt nicht in Konkurrenz mit einem Regionalverleger aus dem Süden. oder ein Zeitschriftenverleger, der Frauenzeitschriften hat, hat auch inhaltlich eigentlich kein Problem mit einem, der Special Interest für Programmierung hat. Das ist also eigentlich kein Wettbewerb. Die Verleger tun sich da traditionell sehr schwer. hat was mit einem gewissen Selbstverständnis zu tun und hat in gewissem Maße, ehrlich gesagt, aber auch damit zu tun, dass es wettbewerbsrechtlich da eine Menge Hürden gibt, die eigentlich bei modernem Marktverständnis nicht mehr da sein sollten. Also es gibt ja jetzt Anfang nächsten Jahres die neunte GWB-Novelle, wo Kooperationen von Verlagen entstehen, deutlich vereinfacht werden. Davon erhoffe ich mir, dass tatsächlich dieses ganze Feld nochmal aufbricht. Wenn es das nicht tut, dann ist wirklich der Beweis erbracht, dass die wettbewerbsrechtliche Einschränkung nur eine Schutzbehauptung war.

Joel Kaczmarek: Wo du gerade White Labeling sagst, also vielleicht nochmal für die nicht so digitalbegriffaffin, ich finde das total gut. Ja, das ist gut, ich korrigiere mich immer.

Katja Nettesheim: Nein.

Joel Kaczmarek: Ich mache mal den Erklärbär dann. Also White Labeling bedeutet ja, man entwickelt etwas und verkauft es weiter, sodass es angepasst ist an den Service. Jetzt hast du schon gesagt, es gibt irgendwie diese wettbewerbsrechtlichen Dinge und dann hat man so eine gewisse Mindset-Sache. Ich habe die Erfahrung gemacht, Trägheit pur ist immer so ein Thema. Also man sieht ja auch seine Fälle sozusagen davon schwimmen und muss dann gucken, was mache ich zuerst. Ich gebe dir mal ein ganz konkretes Beispiel. Ich habe mit Verlagen darüber geredet. Wir haben diesen Digital-Ticker, in dem wir jede Woche oder jeden Tag sogar zusammenführen, was sind die spannendsten News des Tages, was sind lesenswerte Inhalte. Dann gehe ich zu denen hin und sage, hey, was haltet ihr davon? Ihr bildet das bei euch auch ein. Dann habt ihr mit einem Schlag spannende Inhalte zusammen und eure Redakteure können sich auch noch inspirieren lassen, über Texte sozusagen Themen zu finden, was zu schreiben. Reaktion eigentlich immer, ja, spannend, macht Sinn, finden wir gut, finden wir interessant. Und dann merkst du aber, wenn es in die Implementation geht, ist das immer schwierig. Also ich glaube, Abhängigkeit ist ja auch immer irgendwie so ein Thema. Dann hast du so ein Thema Marke, Absender, Botschaft. Das ist so meine Beobachtung, kann falsch sein. Du knickst gerade dein Gesicht ein.

Katja Nettesheim: Nö, nö, ich glaube, da hast du schon recht.

Joel Kaczmarek: Und deswegen frage ich mich so ein bisschen, wie realistisch ist das, dass das funktioniert? Weil nehmen wir mal ein Beispiel CMS, wenn jetzt irgendwie jemand ein Content-Management-System baut, auf dem ich dann auch laufe und es ist ein Medienkonkurrent und der sagt auch am nächsten Tag, dem drehe ich jetzt mal den Saft ab oder ich mache das nicht mehr, weil es für mich nicht mehr geschäftsrelevant ist, da hängen ja irgendwie sehr, sehr viele Assets dran. Witzigerweise, wo ich es beobachtet habe, wo es funktioniert hat, ist das ganze Thema so Cross-Vermarktung, als ein Plister ankam oder jetzt ein Outbrain. Also wenn man sich anzeigen lassen kann unter den Artikeln, weitere Artikel, die Sie interessieren können, dazwischen gemischt immer so ein bisschen anzeigen, dass man noch Geld verdient.

Katja Nettesheim: Das machen die alle.

Joel Kaczmarek: Da ist es so wie so ein neutraler Player oder das machen so viele.

Katja Nettesheim: Genau, das ist der Punkt. Das ist ein drittes Unternehmen.

Joel Kaczmarek: Das ist so meine Beobachtung, dass das anscheinend irgendwie, wenn das aus Verlags sozusagen aus sich herauskommt, eher schwierig ist.

Katja Nettesheim: Ja, und das stützt die These, die wir gerade hatten, dass es mit der Kollaboration schwierig ist. Es gibt ja tatsächlich in Deutschland momentan gerade im Bereich Online-CMS eine ganz ähnliche Initiative, nämlich Burda hat sein eigenes Online-CMS neu gebaut auf Basis von Drupal 8, also Open Source, und stellt das auch anderen Verlagen zur Verfügung. Und das ist eigentlich ein totaler No-Brainer, weil es noch nicht mal bei Burda abgeholt werden muss, sondern weil es eben auf Drupal.org abgeholt wird. Burda kriegt das noch nicht mal mit. Aber da sind auch einige Verlage sehr zurückhaltend. Die befürchten dann, dass Burda all die Daten kriegt oder dass auf jeder Webseite Burda unten draufsteht oder, oder, oder. Da ist noch einiges an Aufklärungsarbeit zu machen, aber es gibt tatsächlich schon welche, die da dem positiv gegenüberstehen und das einsetzen wollen.

Joel Kaczmarek: Hast du denn ein Beispiel, wo sowas schon mal funktioniert hat, dass man gesagt, meine Value Preposition ist X, ich leite daraus irgendwie ein By-Produkt ab und verkaufe das aus Verlagssicht? Gibt es da schon was Funktionierendes?

Katja Nettesheim: Also ein schönes Beispiel dafür, das ist jetzt gerade nicht Verlagssicht, sondern TV, ist letztendlich das, was ProSieben gemacht hat mit dem Media for Equity und Media for Revenue Share Geschäft. Die haben also ganz klar gesagt, hier unsere Value Preposition ist, keine Ahnung, wie die genaue Formulierung war, aber reichweitig Aufmerksamkeit schaffen, Umsatz treiben und haben gesagt, ja, das machen wir bisher für unsere klassischen Kunden. Warum sollen wir das nicht auch für junge Unternehmen machen und dann gleichzeitig auch nochmal einen doppelten Mehrwert für uns selber da rausholen? Es gibt so verschiedene Muster der Wertschöpfungsinnovation und das wäre so ein Muster, leichte Variation des Kernprodukts für eine etwas anders gelagerte Zielgruppe, nämlich die Startups. Die Variation des Kernproduktes war eigentlich vor allem in der Pricing-Struktur, dass es einfach nicht fix vorab vergütet wurde, sondern variabel nach Ablauf der Kampagne oder dass es in Shares geleistet wurde. Und damit haben sie sich eben eine neue Kundengruppe erschlossen.

Joel Kaczmarek: Ja, ich meine, die Evolution dessen ist ja auch ganz witzig zu betrachten.

Katja Nettesheim: Sensationell.

Joel Kaczmarek: Ja, dass man eigentlich sagt, ich verkaufe gegen Geld, dann verkaufe ich irgendwie gegen Anteile, dann verkaufe ich auch gegen Umsatz, weil ich anhand der Anteile, was ja eigentlich so ein Sicherheitsspiel ist, oder meistens ist es ja auch so eine Mixtur, Anteile und Umsatz, gemerkt habe, das funktioniert. Und dann ist man ja sogar hingegangen und hat gesagt, ich gründe jetzt eigene Unternehmen. Ich meine, der Accelerator ist kolossal gefloppt, aber ich glaube, aus anderen Gründen, als das jetzt irgendwie mit dem Geschäft zusammenhängt. Aber man geht da so hin und kauft. Ja, Stylite-Jungs zum Beispiel, dass man sagt so, hey, okay, virtuell ist gut, wir haben irgendwie Reichweite, Reichweite plus virtuelles Gut bringt Umsatz. Also man nimmt so ein bisschen Prozesskettenschritte mit dazu. Ich habe trotzdem so ein bisschen für mich bisher im Kopf, es ist schwierig, das aus Verlagen sozusagen herauszumachen, wenn das verlagsnah ist. Weil theoretisch ist ja auch wieder kein Beispiel, wo wir sagen, Verlag macht das bei Produkt X und ein anderer Verlag kauft es, sondern es ist ja eher so Medienanbieter. Da gibt es eigentlich so viele Ansätze, ja. Also nimm mal das ganze Paywall-Thema zum Beispiel an. Da habe ich so das Gefühl, ein Bild oder ein Spiegel haben sich da viel Gedanken drüber gemacht und viel experimentiert. Das wäre was, wo glaube ich viele andere Verlage zum Beispiel sagen würden, ja mit Handkuss wollen wir dieses Wissen haben, aber wir wollen nicht den bösen Spiegel oder nicht das böse Bild oder Springer oder oder oder.

Katja Nettesheim: Also tatsächlich, wir sind jetzt gleich zu den schwersten Beispielen gesprungen der Wertschöpfungsinnovation, nämlich ausgehend von dem Washington Post Beispiel sind wir gleich darauf gekommen, eben eine neue B2B-Kundengruppe aufzumachen auf Basis der eigenen Infrastruktur, die auch noch in der gleichen Industrie beheimatet ist. Ich meine, schwerer geht es nicht. Und um deinem Hinterkopf Gedanken nochmal ein bisschen Futter zu geben, tatsächlich war es ja auch so, Springer hatte sehr viel Zeit und Muße und Geld investiert in den Single Sign-On fürs Payment und das ist auch sehr gut, aber soweit ich weiß, waren da andere Verlage eher zurückhaltend, das selber einzubinden. Jetzt kann man natürlich sagen, naja, Payment Solution und Single Sign-On, da fließen so viele Daten und das ist so zentral, genauso wie du sagst. Aber nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass es nicht Möglichkeiten gegeben hätte, das wirklich siloartig zu trennen.

Joel Kaczmarek: Ja, am Ende des Tages kommt ein Later-Pay um die Ecke und macht ein ganz neues Geschäftsmodell auf oder einen Plister damals oder, oder, oder. Also das hätten alles, finde ich, Verlagsmodelle sein können, theoretisch. Ja.

Katja Nettesheim: Absolut, also Laterpay, Piano Media, Blende etc.

Joel Kaczmarek: Lass uns doch nochmal so ein bisschen tiefer eintauchen, dass wir diesen Prozess verstehen. Also wie kann ich jetzt zum Schatztaucher werden, wenn ich irgendwie im Verlagswesen bin? Vielleicht fangen wir mal so ein bisschen an mit den Faktoren eigentlich, weil du hast mich ja ganz richtig gerade zurechtgewiesen.

Katja Nettesheim: Würde ich nie machen.

Joel Kaczmarek: Das ist eine Spezialkategorie, über die ich da gesprochen habe. Das heißt, wenn wir über Value Proposition Betrachtung, die wir dann auf eine neue Kundengruppe übertragen wollen, reden, Was für Faktoren gibt es denn da eigentlich? Weil es geht ja jetzt nicht nur um Kernprodukt oder Kernprozesse, das greift ja so ein bisschen weiter, das haben wir ja gemerkt.

Katja Nettesheim: Also letztendlich, um nochmal zurückzugehen, wir denken primär in zwei Richtungen. Bestehende Value Proposition auf neue Kundengruppen anwenden oder die zweite Denkrichtung ist, ausgehend von bestehenden Assets im Unternehmen eine neue Value Proposition schaffen und die kann dann entweder für bestehende oder für neue Kunden sein.

Joel Kaczmarek: Also ein bisschen Upselling eigentlich.

Katja Nettesheim: Ich mache gleich ein paar Beispiele. Also man muss ja erstmal was Neues finden und dann, wenn man das absellen kann, natürlich umso schöner, weißt du, wie es ist mit Customer Acquisition Costs, die sind einfach geringer, wenn du die Kunden schon hast. Also erste Richtung nochmal, bestehende Value Proposition und die neuen Kundengruppen anzubieten. Da gibt es so vier, sag ich mal, Ansatzpunkte, wo man sehr häufig was findet, wenn man sich diese Gedanken macht. Also zum einen Variationen des Kernproduktes oder der Kerndienstleistung. Für eine etwas anders gelagerte Kundengruppe. Ein schönes Beispiel war da eben das Beispiel von ProSiebenSat.1 und die sind ja mega, mega erfolgreich damit. Die machen inzwischen, glaube ich, mit all dem, was sie aus dem Geschäft gemacht haben und zugekauft haben, an die Milliarde Umsatz. Dann zweite Richtung oder zweiten Punkt, wo man immer hingucken sollte, um da was zu finden, ist, dass man sich überlegt, sind eigentlich die Ausgabeformate für meine bestehende Kundengruppe eigentlich noch so, dass es auch die very sophisticated Kunden befriedigt oder dass es die Kunden befriedigt, die nur eine ganz einfache Lösung haben wollen. Dass man also da auch eine leichte Variation einführt, je nachdem, wie die Kunden das verwenden. Also da gibt es ein Beispiel, was wir selber mal gemacht haben tatsächlich mit der Dokumentation eines Verlages. Die hatten, also Dokumentation, Syndication und so weiter, das ist, was die Zahlung und die Rechteverwaltung anbetrifft, eigentlich traditionell ein ziemlich komplexes Geschäft. Und da haben wir überlegt, muss das eigentlich für alle potenziellen Kunden so komplex sein oder kann man das nicht einfach viel, viel leichter machen, um sich damit auch eine neue Kundengruppe zu erschließen, nämlich all diejenigen, die die Texte jetzt verwenden und einfach keinen Bock haben, dafür zu zahlen. Was man nämlich jetzt damit macht, ist, dass man dann große Searches im Internet laufen hat, um all die Schwarznutzer dann zur Kasse zu bitten und dann wird es automatisch streitig. Warum bin ich nicht viel früher dran und nutze die Assets und auch die Value Proposition, die ich sowieso schon habe und gestalte die so einfach, dass es auch für diese Kundengruppen was ist. Dann dritte Möglichkeit, die man immer mal durchspielen sollte, ist, können wir B2C zu B2B wandeln oder umgekehrt? Also gerade in contentbezogenen Unternehmen Die Frage, den Content, den wir hier haben, kann man den nochmal so paketieren, dass es für die jeweils andere Kundengruppe attraktiv ist? Und wie können wir es vertreiben? Und da ist auch wieder gut zu überlegen, bevor man jetzt diesen Vertriebskanal neu aufbaut, ob man es bei irgendjemandem mit in die Kanäle schicken kann. Und das letzte ist Vereinfachung, Pricing und Definition von speziellen Paketen. Das ist letztendlich auch sowas, was wir gerade eben schon mit diesem Dokumentationsbeispiel angesetzt haben.

Joel Kaczmarek: Ich habe gerade die ganze Zeit an so ein Restaurant gedacht. als Beispiel. Das wäre ein bisschen so, du hast ein erfolgreiches Restaurant, kannst gut kochen und dann überlegst du, was kannst du eigentlich machen, um noch Mehreinnahmen von bestehenden Kunden zu gewinnen oder auch Kunden, die du noch gar nicht hast, zu akquirieren. Wenn ich jetzt mal deine vier Beispiele dir durchgehe, also Variation des Kernprodukts wäre zum Beispiel, wenn ich sage, ich habe einen super guten Fischzugang. Auf dem Fischmarkt finde ich die besten Fische. Ich mache irgendwie noch einen Sushi-Ableger oder so. Eine komplett neue Erschließung.

Katja Nettesheim: Du, oder ich mache mir eine Frischfischtheke.

Joel Kaczmarek: Genau.

Katja Nettesheim: Für diejenigen, die halt daheim kochen wollen.

Joel Kaczmarek: Genau, das wäre vielleicht schon der zweite Faktor, sogar variiertes Ausgabeformat wäre dann die Fischtheke. Und dann überlege ich mir, ich muss ja nicht nur Privatkunden beliefern, sondern ich kann es ja auch Firmen anbieten, dass ich das nach Hause in die Firma liefere zum Mittagessen. Dann haben wir B2B. aus CP2C gemacht. Und wenn ich sage, ich mache jetzt noch irgendwie ein Mittagsmenü, ich vereinfache das Pricing, habe ich eigentlich auch noch irgendwie an der Front geredet. Also man kriegt so ein bisschen mit. Das hat so eigentlich eine Logik, die, glaube ich, vielen nahe liegt. Man muss nur sich mal trauen, das auf solche Modelle ein bisschen anzuwenden.

Katja Nettesheim: Absolut, absolut. Und ich habe da, also wenn wir jetzt mal anfangen, ich habe da ja mal tausend Ideen, ja. Du kannst dann aus dem Frischfisch auch fertiggepackte Lunchboxes machen und verkaufst die morgens zum Pendelverkehr, der hoffentlich bei dir an der Haustür vorbeifährt, von einem Stand aus quasi Drive-In.

Joel Kaczmarek: Genau, so ein Auto. Machst du Bento?

Katja Nettesheim: Genau, Bento-Boxen. Und schon sind wir wieder beim Journalistischen. Genau.

Joel Kaczmarek: Hervorragend. Ich glaube, das ist so eine der wertvollsten Einsichten, die man jetzt hier mal festhalten muss, weil ich so den Verdacht habe, das basiert bei dir auf viel Wissen und viel Anwendung in der Praxis. Also diese vier Hebel zu haben und da dann zu gucken, wie man das gedreht bekommt. Ganz spannender, ich bedanke eigentlich das, was man schon hat, jetzt neu zu verpacken in irgendeiner Form, also neu einzusetzen. Was ist denn, wenn ich das, was ich schon habe, die Assets, also zu deutsch mal irgendwie die Wirtschaftsgüter, die Werte, die in meinem Unternehmen schlummern, wenn ich die in ein komplett neues Wertschöpfungsangebot verfasse? Hast du da irgendwie einen Blick drauf, wie man Schatzsuche sozusagen in so einen Dreh da reinkriegt?

Katja Nettesheim: Ja, also das machen wir tatsächlich auch in diesen Workshops, wenn wir mal wirklich die Wertschöpfungsstruktur von Unternehmen aufnehmen. Das machen wir meistens am Anfang und das ist für die Mitarbeiter auch super, weil die erst mal sehen, was sie alles haben und auch was sie alles können. Und siehe das IKEA Beispiel, bestehendes Know-how bei Mitarbeitern ist häufig eine tolle Quelle für neue Geschäftsmodelle, also neue Value Proposition für bestehende oder neue Kunden. Da kann man auch manchmal ganz wild denken. Also wir haben auch tatsächlich schon mal im sehr speziellen Bereich eines Verlages das gemacht und da gab es erhebliches Know-how in der Verschlagwortung, strukturierten Erschließung von Texten. Und da haben wir überlegt und auch mal erste Markttests gemacht, ob und inwieweit das relevant ist für SEO.

Joel Kaczmarek: Also Suchmaschinenoptimierung?

Katja Nettesheim: Ja, genau. Und das ist jetzt an der Stelle wegen einem Managementwechsel nicht umgesetzt worden. Aber was wäre das für eine coole Wertschöpfungsinnovation gewesen? Also komplett neue Kundengruppen erschlossen und das auf Basis eines Know-hows, was die Mitarbeiter selber hatten. Und Sie können sich mal vorstellen, was das auch hier für die Motivation bedeutet, wenn die plötzlich so aufgewertet werden.

Joel Kaczmarek: Ja, ich meine, vielleicht ist es ja auch eine ganz gute Brücke. Was mir so als Gedanke kam, ist, wir haben jetzt viel darüber geredet, Value Proposition auf Produkten, auf Umsatzebene. Aber am Ende des Tages, die größte Value Proposition ist ja eigentlich das eigentliche Team. Also wir haben in der ersten Ausgabe darüber geredet, Fehlerkultur und Team ist das Wichtigste und ist so zentral, Generation Y. Also eigentlich muss doch auch so ein bisschen Gedanke sein, ob man es nicht schafft, so bei den, wie habe ich neulich von einem amerikanischen General gehört, conquer their minds and hearts. Also man hat Man hat Köpfe und Herzen. Also so eine Schatzsuche kann ja eigentlich auch intern gerichtet sein, dass man sagt, kann man Leute vielleicht neu einsetzen bzw. auch neu gewinnen für ein Thema.

Katja Nettesheim: Absolut. Das ist ja überhaupt eins unserer wesentlichsten Agendese der letzten Jahre. Wir haben am Anfang diese Wertschöpfungs-Innovations-Workshops gegründet. Wir machen sie immer noch in Bezug auf Produkt- und Geschäftsmodellinnovationen, weil wir halt inzwischen in einer Lage angekommen sind, wo bloße Prozessinnovationen einfach nicht mehr langen, sondern es müssen wirklich neue Angebote an den Markt her. Und dann haben wir immer gedacht, ja, aber irgendwie mit der Umsetzung, das funktioniert noch nicht so. Warum funktioniert das noch nicht so? Weil die Leute sind total motiviert in der Ideengenerierung, weil sie da eben aufgewertet werden und dann sitzen sie da und müssen es umsetzen und fallen dann in so eine Unsicherheit zurück. Und damit schneidet man diese ganze Energie, die man gerade freigesetzt hat, wieder ab. Das heißt, also wenn wir so einen Digitalschub, nennen wir das dann, machen, dann begleiten wir die Organisation weiter, indem wir den Leuten dann eben auch das passende Know-how dazu vermitteln und die durch Change-Management-Maßnahmen auch Veränderungsfreude erhöhen. Und dann hat man wirklich diese ganze Humankapitalis, in dem Zusammenhang jetzt mal ausnahmsweise das richtige Wort, hat man das optimal mit reingebracht in den Prozess und zwar nicht nur zugunsten des Unternehmens, sondern auch zugunsten der Leute. die sich eben teilweise auch zurückgelassen und abgehängt fühlen. Aber wir nehmen die in diesem ganzen Prozess mit und verschaffen ihnen neue Fähigkeiten und auch neues Selbstbewusstsein.

Joel Kaczmarek: Ich habe auch so überlegt, ob es nicht eigentlich auch sogar ein Hebel ist, wenn man das mal so aus dem Unternehmens- und Konzernumfeld sich anguckt, geht es ja oft darum, Arsch an die Wand bekommen, in Klammern. Ich will nach oben zeigen, was ich Tolles gemacht habe. Also beobachtest du, dass in der Praxis es manchmal auch so ein Hebel ist, dass du sagen kannst, gucken Sie mal, Herr so und so oder Frau so und so, damit können Sie sich doch auch bei sich in der Organisation ein bisschen profilieren und so. Ist das ein Motivationsfaktor für die Leute oder eher nicht? Klar.

Katja Nettesheim: Also das ist der Hauptmotivationsfaktor. Ja, erschreckend eigentlich. Ja, und deswegen ist es für uns auch häufig so schwierig durchzusetzen, dass wir diese Workshops ohne die Führungskräfte machen, weil die dann einen erheblich erhöhten Argumentationsaufwand haben, sich das wieder selbst ans Revier zu heften. Aber die Ergebnisse sind einfach so viel besser, wenn wir die Führungskräfte nicht mit drin haben.

Joel Kaczmarek: Woran liegt das? Also warum lässt du die so bewusst raus?

Katja Nettesheim: AB-Testing. Also letztendlich, die Mitarbeiter sagen halt einfach nicht so viel, wenn die Führungskräfte dabei sind, weil sie genau wissen, das wird entweder mental oder tatsächlich auch physisch notiert und wird ihnen irgendwann mal wieder aufs Brot geschmiert. Und wir reden hier über Kreativität, über neue Modelle, über nicht getestete Dinge. Das ist halt automatisch ein bisschen riskant. Und soweit es in den Firmen noch nicht gang und gäbe ist, dass Kreativität und das Generieren von neuen Ideen wirklich positiv gewertet wird, so lang ist das Vorbringen von neuen Ideen für jeden Mitarbeiter ein Risiko.

Joel Kaczmarek: Aber auch so, das ist wahrscheinlich nicht das einzige Problem, was ich mir irgendwie vorstelle, wenn man über Wertschöpfungsinnovation redet in einem etablierten Unternehmen im Medienumfeld. Also was hast du da sonst noch so, dass du beobachtest an begrenzenden Faktoren, an Mindset-Hürden auch?

Katja Nettesheim: Naja, also das erste ist schon mal, dass es wenig Geschäftsmodelldenke gibt. Also überleg mal, wer ist denn mit Geschäftsmodelldenke schon in Berührung gekommen? Das sind eigentlich nur diejenigen, die in den letzten fünf Jahren BWL studiert haben und die vielleicht das Glück hatten, dass sie dann mal auf eine Schulung geschickt worden sind. oder sich selber so eine gesucht haben. Von daher, das ist so der erste Punkt, aber der lässt sich ganz gut heilen in Anführungszeichen, weil wir eben in diesen Workshops am Anfang sehr viel Wert darauf legen, denen mal Geschäftsmodelle zu erklären. Wie hängt das alles miteinander zusammen? Wie wirkt sich das eine auf das andere aus, Kosten, Struktur, Umsätze und so weiter. Das heißt, das lässt sich ganz gut heilen. Das zweite ist, wir haben teilweise schon auch ein gewisses Kreativitätsdefizit. oder es ist kein ursprüngliches Kreativitätsdefizit, sondern Kreativität ist dann halt, irgendwie haben sich die Leute abgewöhnt. weil sie durch jahrelange Prozesse, wo sie immer wieder gesehen haben, dass neue Ideen versanden oder dass sie nicht belobigt worden sind für neue Ideen, sondern eher kritisiert worden sind, die haben sie die Kreativität abgewöhnt. Solche Prozesse, wie wir sie hier machen, wird ja von der Führung angestoßen. Wenn sie dann plötzlich wieder merken, oh, Kreativität wird belohnt jetzt, wird jetzt erwartet und ich soll da mitmachen, dann ist es wirklich bei vielen so, dass da auch viel aufbricht. Also das sind so Punkte, die schwierig sind. Dann natürlich fehlende Fehlerkultur, haben wir das letzte Mal ausführlich darüber gesprochen. Kommt hier auch wieder vor, dass sich die Leute eben nichts trauen. Und was wir auch häufig sehen, was ein bisschen schwierig ist, ist, dass so Innovationsinitiativen, also die Rückendeckung des Managements für Innovationsinitiativen ist häufig nicht lang genug, wie es das braucht, um sowas wirklich durchzuentwickeln. Das heißt, dann wird irgendwie den tagespolitischen Notwendigkeiten oder tagespolitischen Änderungen der Prioritäten wieder Raum gegeben und dann wird so eine Innovationsinitiative wieder abgewürgt und dann fühlen sich die Leute alle, mit Verlaub gesagt, echt verarscht.

Joel Kaczmarek: Ja, manchmal hat man so das Gefühl, da wird ein schnelles Pflaster rausgeholt, was man eigentlich auf einem gebrochenen Knochen liegt, ne? Ja.

Katja Nettesheim: Ja, und um in dem Gleichnis zu bleiben, wir sind halt die Ärzte und die Krankenschwestern, die sich eigentlich um diesen gebrochenen Knochen wirklich kümmern müssen und müssen dann aber in manchen Fällen diskutieren, warum wir jetzt einen echten, sauberen Gips und ein bisschen Ruhe brauchen und

Joel Kaczmarek: es das Pflaster nicht tut. Ich stelle mir das teilweise schwierig vor. Und was ich oft beobachte in solchen Strukturen, das ist jetzt aber glaube ich nicht medienspezifisch, ist, dass man solche Sachen immer gleich sehr begrenzt denkt. Also man denkt nicht daran, was ist das Potenzial und in welche Richtung kann ich gehen, sondern man denkt eigentlich, ah, da muss ich ja erstmal den Herrn Schmidt aus der Buchhaltung für abholen. Und dann haben wir ja eigentlich diesen Prozess, ne, sehen Sie, das geht schon wieder gar nicht. Wir haben ja den Prozess A, B, C, der das aus Verlagssicht in dem Bereich schon wieder völlig, ne, da müssen wir nochmal anders überlegen, oder? Ja.

Katja Nettesheim: Ja, genau so ein Telefonat hatte ich heute Morgen. Klar, ich meine, das ist aber dann auch mit unserer Aufgabe, mit der gebotenen Diplomatie die Leute von diesen Denkmustern runterzukriegen. Also das ist eine Mischung aus Energie, Diplomatie und Hartnäckigkeit, verbunden mit ein bisschen Scham. damit sie uns beim zweiten oder dritten oder vierten Mal immer noch zuhören, dass wir sie eben von den eigenen prozessualen und auch mentalen Beschränkungen da loslösen, damit sie eben diese Prozesse wirklich machen und durchziehen.

Joel Kaczmarek: Versuchst du dann eigentlich, wenn du sowas machst, in so einem Unternehmen so einen personellen Nukleus zu erzeugen, dass du versuchst, eine Person ranzuziehen, die das so ein bisschen als seinen persönlichen Streitkampf sieht und das dann in die Hand nimmt? oder läuft das nicht so?

Katja Nettesheim: Halb, halb ja. Wir versuchen ein Nukleus zu erzeugen, aber mit einer Person ist es selten getan. Wir versuchen tatsächlich Multiplikatoren oder Botschafter oder Evangelisten, je nachdem wie du sie nennen willst, heranzuziehen. um deren Kraft innerhalb der Organisation dann auch zu nutzen, deren Autorität zu nutzen, damit sie das weiter streuen. Und wenn ich sage Autorität, dann ist es uns ganz wichtig, dass es nicht nur formelle Autorität ist. Wir haben zum Beispiel extrem gute Erfahrungen gemacht mit Online-Redakteuren, die, wenn sie gut kommunizieren können, dann auch in anderen Abteilungen des Unternehmens so ein Innovationsprojekt voranbringen können, weil sie In dem Fall war es eine Frau, sehr angesehen war auf menschlicher Ebene im Gesamtunternehmen. Und die hat uns viel mehr gebracht als, jetzt mache ich mal ein hypothetisches Beispiel, der Anzeigenleiter.

Joel Kaczmarek: Ja, das wäre so ein bisschen meine nächste Frage auch gewesen, wo du es angerissen hast. Gerade wenn Cheffe nicht mehr drin sitzt oder Chefin. Wie schaffst du es denn dann, das zu implementieren? Weil was ich beobachte, ist ja oft so diese Schwierigkeit. Ja, erzählen Sie doch mal, was haben Sie denn da gemacht? Und erzählen, erzählen, erzählen. Das ist nicht von der Person, das gehört nicht ihr. So und Wenn man dann nicht damit dabei war, wie holt man die Gremien dann richtig ab, wenn man so einen Innovationsprozess angestoßen hat und jetzt jemand mit reinnehmen will?

Katja Nettesheim: Das ist eine Frage der Definition von Cheffe. Also solche Innovationsprozesse müssen natürlich von der obersten Unternehmensleitung angestoßen werden. Wir machen es ehrlich gesagt häufig auch so, dass wir zwei Wertschöpfungs-Innovationsworkshops machen. Einmal für die Führungskräfte und einmal für dieses heterogene Team, für ein interdisziplinäres Mitarbeiterteam. Dann wissen die Führungskräfte aus eigener Anschauung, was da gemacht wurde. Wir haben aber trotzdem die gesamte Kreativität der Mitarbeiter.

Joel Kaczmarek: Wie gehst du denn eigentlich mit einem anderen Problem um, was ich in solchen Umfeldern auch schon öfters gesehen habe, dass die Leute der Meinung sind, sie hätten das schon mal gemacht und es hat nicht funktioniert?

Katja Nettesheim: Eines meiner Lieblingsargumente habe ich vor allem häufiger gehört, als ich noch ein bisschen jünger war und der Altersabstand zwischen mir und meinen Gesprächspartnern dann halt nicht nur 10 oder 15, sondern auch mal 20 oder 25 Jahre war. »Ach, Frau Nettesheim, das haben wir schon versucht, das funktioniert nicht. Haben wir auch schon dreimal versucht.«. Da ist ganz ehrlich mein Argument inzwischen sehr, sehr deutlich, wie lang war das her. Und dann sagen die auf Basis ihrer gefühlten Überlegenheit, »Ach, schon zehn Jahre her, weil wir waren ja so früh dran.«. Da sage ich, ach so, und in zehn Jahren ist die Welt auch gleich geblieben, oder? Und dann ist in der Regel Ruhe.

Joel Kaczmarek: Das funktioniert wirklich?

Katja Nettesheim: Das funktioniert natürlich, weil was willst du denn da nachsetzen? Was für ein blödes Argument ist das überhaupt, wenn man mal wirklich darüber nachdenkt? Wir haben das vor zehn Jahren schon mal versucht, es hat nicht funktioniert.

Joel Kaczmarek: Wie bescheuert ist das denn? Ich bin ja noch nicht so überzeugt. Ich stehe mir da so einen alteingesessenen Regionalverleger vor, der seine Cookies auf den Tisch legt und sagt, das haben wir sogar auch vor fünf Jahren noch mal probiert, aber das geht immer noch nicht. Das ist einfach nicht der Markt. Das läuft nicht so wie in Berlin bei Ihnen da oben, wo es so modern ist.

Katja Nettesheim: Ja klar, das höre ich natürlich auch. Und dann, klar, ich kann dann auch nachsetzen im Notfall, je nachdem, was es für ein Geschäftsmodell ist. Also wenn wir zum Beispiel mal reden über Online-Jobsuche. Ja, haben wir vor fünf Jahren versucht, funktioniert bei uns in der Region nicht. Dann erkläre ich ihm, was in den letzten fünf Jahren eigentlich alles so passiert ist mit Mediennutzung, mit Jobs, wo welche gesucht werden, wo nicht, wie die neue Generation tickt, was es inzwischen alles für Angebote gibt. Und hoffentlich habe ich dann auch noch ein paar Userzahlen parat. Dann kann er sich natürlich immer noch verweigern, aber dann will er nicht.

Joel Kaczmarek: Ich glaube, wir hatten ein paar spannende Sachen dabei. Haben wir noch was Wichtiges vergessen? Ich glaube nicht. Ich danke dir ganz herzlich und bis zum nächsten Mal.

Katja Nettesheim: Bis zum nächsten Mal.

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Diese Episode dreht sich schwerpunktmäßig um Medien: Denn Modelle, die in der Vergangenheit viel Geld in die Kassen der großen Medien und Verlage gespült haben, tun heute mitunter gähnende Leere auf. Was also tun? Dazu haben wir regelmäßig mit Medienexpertin Katja Nettesheim gesprochen, um die Geschäftsmodelle der Verlagswelt in der digitalen Zukunft sowie die Herausforderungen auf dem Weg dorthin zu verstehen.