BVG: Deutschlands größtes Testlabor für Mobilitätskonzepte

25. August 2022, mit Joel KaczmarekAnja Hendel

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Intro: Digital Kompakt. Heute aus dem Bereich Mobility. Mit deinen Moderatoren Joel Kaczmarek und Anja Hendel. Los geht's!

Joel Kaczmarek: Hallo Leute, mein Name ist der Joel Kaczmarek, ich bin der Geschäftsführer von Digital Kompakt und heute mal wieder ein spannendes C-Level-Interview, in dem Fall an meiner Seite mit der lieben Anja Hendel. und ihr wisst, wenn die Anja von Dikonium dabei ist, dann wird's mobil, dann reden wir nämlich über Mobilität. Wir reden aber über Wandel, über Veränderung, über Digitalisierung. und wie läuft das aber eigentlich so im öffentlichen Nahverkehr? Das heißt, wir haben heute eine spannende Firma, nämlich die BVG, als Berliner kennt man die. Das sind die Berliner Verkehrsbetriebe. Manchmal sage ich auch gerne die Berliner Vielfältigkeitsbetriebe, weil in der BVG geht es voll ab. Wenn man im öffentlichen Nahverkehr in Berlin so unterwegs ist, dann weiß man, da ist Multikulti angesagt. Und mit dem lieben Henry Widera haben wir da den CIO, also den Chief Information Officer, mit dem wir mal drüber sprechen. Was tut sich eigentlich so auf der digitalen Schiene? Das heißt, als Unternehmen kann man hier, glaube ich, ganz viel für sich auch selbst mit abschöpfen, weil er bestimmt ganz viel auch darüber erzählen wird, wie sie eigentlich intern arbeiten, wie Wandel vonstatten geht und so weiter. Aber natürlich wollen wir auch wissen, wie gelingt denn eigentlich der Wandel im öffentlichen Nahverkehr? Das ist ja, was uns eigentlich alle insgesamt auf der Welt beschäftigt und da im Besonderen. So, und that being said, wenn Anja an Bord ist, dann müssen wir immer ein bisschen am Anfang mit dem Fragenhagel starten. Anja, schön, dass du da bist und leg los.

Anja Hendel: Hallo, ich freue mich, heute hier zu sein. Hallo Henry, hallo Joel. Und zum Warenwerden, Henry, starten wir gleich mal mit ein paar Fragen. Ich lege gleich los und freue mich auf deine Antworten. Teilen oder besitzen?

Henry Widera: Teilen.

Anja Hendel: Handeln oder Homeoffice?

Henry Widera: Beides.

Anja Hendel: Bus oder U-Bahn?

Henry Widera: Für mich die U-Bahn.

Anja Hendel: Ticket am Schalter oder über die App kaufen?

Henry Widera: Beides super, aber für mich gerne über die App.

Anja Hendel: Selbstfahren oder gefahren werden?

Henry Widera: Wenn es den Luxus gibt, gerne gefahren werden.

Anja Hendel: Gefahren werden oder autonomes Fahren?

Henry Widera: Ich freue mich auf Autonomes Fahren.

Anja Hendel: Super.

Joel Kaczmarek: Ich muss jetzt Berliner noch fragen, S-Bahn oder U-Bahn eigentlich?

Henry Widera: Dann U-Bahn bitte.

Joel Kaczmarek: Schwarzfahren oder bezahlen?

Henry Widera: Schon bezahlen.

Anja Hendel: Mit dem 9-Euro-Ticket ist das Bezahlen ja gerade auch nicht so schwierig, oder?

Joel Kaczmarek: Ja, stimmt. Da hat man gleich schon mal eins der gerade die Welt beschäftigenden Themen oder zumindest die deutsche Welt beschäftigen. Aber vielleicht fangen wir mal kurz eine Sekunde mit dir einen Schritt vorher an. Sag doch mal ganz kurz, lieber Henry, was macht man in deiner Rolle als CIO? Und dann gibt doch vielleicht unseren HörerInnen mal so ein Gefühl davon, wie tickt die BVG so als Mobilitätsunternehmen?

Henry Widera: Ja, sehr gerne. Also grundsätzlich verantworte ich die Bereiche Informations- und Vertriebstechnologie. Das heißt, erlaubt gesprochen sorgen wir dafür, dass die Technik funktioniert. Intern, dass sozusagen unsere 16.000 Kolleginnen und Kollegen die IT-Ausstattung haben, mit der sie arbeiten, aber draußen natürlich vor allem auch sozusagen, dass unser Verkehr funktioniert und dass die Fahrgäste alle Services in Anspruch nehmen. Das reicht von Dass Sie analoge oder digitale Tickets kaufen können, dass Sie auf dem U-Bahnhof sehen, wann die nächste U-Bahn kommt oder auch sich ganz einfach in unser Public WLAN einwählen können. Das sind so die Bereiche, die wir verantworten. Idealerweise würden wir gar nicht in Erscheinung treten, weil sozusagen dann funktioniert die IT und keiner bekommt es mit. Darüber hinaus, ich glaube, dann kommen wir zur Frage, was macht eigentlich so die Arbeit in einem Mobilitätsunternehmen aus, treiben wir natürlich die digitale Transformation. Also wir wollen sozusagen den ÖPNV weiterentwickeln und neue Angebote für die Berlinerinnen und Berliner zur Verfügung stellen.

Joel Kaczmarek: 16.000 Mitarbeitende, alter Schalter.

Henry Widera: Viertgrößter Arbeitgeber in Berlin.

Joel Kaczmarek: Alter, Schalter. Also ich meine, ist klar, wir bewegen Busse, S-Bahnen, U-Bahnen. Das, aber dann auch noch wahrscheinlich viel Tech-IT, Projektmanagement und so weiter. Also Wahnsinn. Und mal für den geneigten Laien. Seid ihr in irgendeiner Form in öffentlicher Hand oder habt ihr irgendwie sozusagen einen staatlichen Anteil oder ist es ein komplettes Privatunternehmen?

Henry Widera: Ne, genau. Wir sind so schön Anstalt öffentlichen Rechts. Also wir gehören zu 100 Prozent dem Land Berlin.

Joel Kaczmarek: Und was man von dir auch so weiß ist, dass du eigentlich vorher gar nicht so viel mit der Mobilitätsbranche zu tun hattest. Wie ist es, wenn man so einen Quereinstieg hat? Also da hast du ja auch so einen unverbrauchten Blick. Was sind so die Besonderheiten in eurem Segment?

Henry Widera: Man muss hier aber sagen, ich bin jetzt nicht ganz der Quereinsteiger. Ich hatte vorher schon klassischer Maschinenbauer in Deutschland, also viel mit der Automobilindustrie zu tun. Aber ja, öffentlicher Nahverkehr komplett neu. Und da muss man sich umstellen. Das ist sozusagen die Oberdevise im ÖPNV ist wirklich Daseinsvorsorge. Also es geht darum, so eine kritische Dienstleistung, die Menschen wirklich von A nach B täglich zu bringen. Und das ist schon eine ganz andere Denke. Und ich glaube, das Spannende, was man eben dann reinbringen kann, ist genau das, was mich auch ein bisschen ausmacht. Innovation, neue Angebote, also sozusagen gleich auch den Status Quo wirklich zu hinterfragen.

Anja Hendel: Da ist ja auch in letzter Zeit ganz viel passiert, was das neue Angebot angeht. Und ihr habt ja auch extrem viel gemacht. Aber vielleicht lassen wir uns erst mal kurz auf dieses 9-Euro-Ticket zurückkommen, was ich gerade schon genannt habe. War das technische große Herausforderung für euch? Der Anschwung war ja, glaube ich, groß oder war groß. War das für euch eine große Herausforderung, dem technologisch auch gerecht zu werden?

Henry Widera: Und das ist die größte Herausforderung. Also wir hatten ja ehrlicherweise kaum Zeit.

Anja Hendel: Genau, das meine ich.

Henry Widera: Genauso wie ihr überrascht worden seid, sind wir auch als BVG überrascht worden. Wir hatten das Glück, das muss man ganz offen sagen, dass wir die letzten Jahre die digitale Landschaft bei uns schon quasi auf Wachstum und Digitalisierung ausgerichtet hatten. Das heißt, diese Lastspitzen, die wir hatten, konnten wir gut abfangen und wir konnten die Zeit vor allem nutzen. Darum, das war uns auch ganz wichtig, dass man alle Verkaufskanäle, auch wirklich nutzen kann. Also die Berlinerinnen und Berliner konnten in die Verkaufsstelle gehen, die konnten in der U-Bahn das Ticket kaufen, über alle unsere Apps und da haben wir den Fokus drauf gelegt und das hat gut funktioniert. Nur mal so eine Orientierung, wir haben allein in den letzten paar Wochen zwei Millionen Tickets verkauft.

Anja Hendel: Wahnsinn. Was verkauft ihr sonst so an Volumen? Was ist da vergleichbar?

Henry Widera: Deutlich weniger. Das liegt nämlich daran, dass wir allein 800.000 Abos haben. Die verkaufen wir einmal im Jahr und die Leute nutzen das dann sozusagen einfach regelmäßig.

Anja Hendel: Das ist eigentlich verrückt, oder? Weil eigentlich sollte man ja denken, wenn man so ein 9-Euro-Ticket kauft, kauft man ja viel weniger Tickets. Also deswegen müsste das Volumen ja eigentlich theoretisch sinken, was ihr so an Tickets habt und wann es so angenommen wird.

Henry Widera: Genau, wenn man es über alle Tickets nimmt, geht es leicht runter, aber grundsätzlich hast du natürlich zum Start des Monats eine unglaubliche Spitzenlast.

Anja Hendel: Ich habe es auch rausgelassen, egal ob ich dann genug fahre oder nicht, es ist einfach so convenient. Das funktioniert.

Joel Kaczmarek: Entschuldigung, ich muss mal ganz doof mich outen. 9 Euro hieß auch Abo, ne? Das war nicht so eine Fahrt jetzt mit der Bahn, also im Bahnbereich, sondern war wirklich komplett im ganzen

Anja Hendel: und auch mit allen Zügen, ausgenommen ist, glaube ich, der ICE. Ich bin nicht sicher, ob der IC auch, aber fahren kannst. Also kannst du mit dem Ticket wirklich durch ganz Deutschland und auch mit allen Öffentlichen fahren, was natürlich ein super Angebot ist. Ich meine, allein Dass du nicht drüber nachdenken musst, wenn du in Hamburg landest, wie du jetzt dann, also im Zug natürlich landest, wie du dann irgendwie weiterkommst. Also echt tolles Paket.

Joel Kaczmarek: Aber sag mal, Henry, bei mir ist ja so, ich bin ja Monatskartenabonnent und ich erinnere mich, eine Zeit lang war mein, wie war das, ich bin umgezogen, glaube ich, in Berlin. Und man kriegt ja dann Also ich habe immer so eine Karte bekommen von euch und wenn dann hier die Kollegen kommen, die sind ja in Berlin immer so hardcore anonym, also da kommen irgendwelche jugendlichen Coolen rein mit Jeans und dann sagen die, Lieferkarten bitte, zack und holen so einen Scanner raus. Dann halten die die immer an diese Karte und dann wird gescannt. Und ich weiß, ich bin immer mal umgezogen und ich habe mein Ticket, glaube ich, gekündigt und wieder aktiviert. Irgendwie so eine Geschichte. Long story short, ich habe dann echt ein komplett neues Ticket zugeschickt bekommen, wo ich so völlig verwundert da saß, weil ich dachte, auf dem Ding ist doch ein QR-Code drauf und was ich hinter dem QR-Code hänge, müsste ich doch jederzeit irgendwie einstellen können. Wie ist denn mittlerweile so die Ticketsituation, also wie durchdigitalisiert ist denn das? Ich hatte immer den Eindruck, früher war das noch so halb analog.

Henry Widera: Ja, also ich glaube, da müssen wir ganz transparent sein. Das ist eine unserer großen Herausforderungen, das wirklich auch alles zu digitalisieren komplett. Aber du kannst davon ausgehen, dass du im nächsten Jahr dann dein Abo auch komplett bei uns in die App bringen kannst. Wird alles gut über die Zeit.

Anja Hendel: Und ihr hattet noch ganz viele andere tolle Angebote. Ich war ja ein riesen Fan von eurem On-Demand-Projekt Berlkönig. Aber ich glaube, soweit ich gehört habe, ist es schon Geschichte wieder. Ist das eine Corona-Folge? Ich meine, es ist ja nicht nur ein tolles Mittel gewesen, sondern ich weiß auch, dass es ein ganz inklusives Mittel war, weil ja auch für Rollstuhlfahrer und sowas komplett alle Möglichkeiten wurden. Willst du vielleicht kurz ein bisschen erklären, was sich hinter Berlkönig versteckt hat oder ist und warum ihr das jetzt beendet habt oder wie es damit weitergeht?

Henry Widera: Sehr gerne. Also das Bergkönig war wirklich das erste neue Mobilitätsangebot, was wir seit Jahrzehnten eigentlich wirklich auf die Straße gebracht haben. Und die Idee beim Bergkönig ist, Das ist quasi eben kein angebotsorientiertes, sondern ein nachfrageorientiertes Angebot. Das heißt, über die App kann man seinen Bedarf melden, wo man gerade ist und wo man hin möchte. Und das System erkennt halt automatisch, wo es andere Fahrgäste gibt, die dieselbe Richtung fahren will und matcht die dann halt dynamisch zusammen in einen kleinen Minibus. Das heißt, ähnlich wie bei uns auch in der Core DMA, packen wir halt mehrere Menschen gemeinsam in ein Fahrzeug und bringen sie dann halt zu ihrem Zielort. Das war sozusagen das neue Innovative daran und das war für uns halt ein Riesenerfolg, weil wir einfach gemerkt haben, dass wir a in der Lage sind, so ein Angebot auf die Straße zu bringen, aber b wir auch gesehen haben, die Menschen in Berlin wollen flexible, digitale Angebote haben und auch nutzen.

Joel Kaczmarek: Ich war im schönen Jahr 1996 in Ägypten, als wir Europameister wurden. Ich erinnere mich noch, da saß ich in der Sonne. Und als man dann in diesem typischen Touristenort Hurghada war, dann gab es immer so eine Art Sammeltaxis. Das heißt, du hast so die Medina gehabt und dann fuhren die immer durch die Straßen und die Arabs waren dann immer so die Hubniger und mepp, mepp, mepp, mepp, mepp, mepp, mepp, mepp, mepp, mepp. Dadurch wusstest du, dass sie noch Kapazitäten haben und es war so die Logik immer, es gab so drei, vier, fünf Jump-Off-Punkte, wo halt die meisten Touris halt immer lang getourt sind. Also Hotel, Innenstadt, Strand, so in der Logik. Ist es bei euch so, ich meine, es ist Berlin riesig großer Scale, aber es ist ja ein bisschen ein vergleichbares Momentum, also so eine Art Jump-On, Jump-Off und man poolt quasi Nachfrage. Wie werdet ihr das denn in Zukunft machen? Und wäre es vielleicht auch denkbar, dass man so spezifische Strecken, in Berlin ist ja zum Beispiel, weiß ich nicht, Friedrichstraße-Kudamm vielleicht so ein Eck oder Brandenburger Tor nach, keine Ahnung was. Was ist denn so die nächste Stufe, die dann kommt, wenn das jetzt eingestellt wird?

Henry Widera: Also eingestellt wird es jetzt nicht, weil es nicht erfolgreich war, sondern es war von Anfang an halt ausgelegt für einen bestimmten Bereich sozusagen es auszuprobieren. Unsere Erfahrung daraus, eben gerade, dass es angenommen wird, und ich kann jetzt noch nichts vorwegnehmen, aber es geht ja weiter, sozusagen das Projekt in dem Bereich endet, aber all die Erfahrungen, die wir aufgenommen haben, starten wir jetzt halt sozusagen nochmal in einem Bereich, der auch deutlich größer ist nochmal, und rollen es da eben aus. Das Spannende ist hier eben, wir wollen es ja gerade verstehen als Ergänzung zum ÖPNV. Also die Beispiele, so typische Beispiele sagen, da haben wir ein super Angebot, da fahren U-Bahn oder auch die Kollegen von der S-Bahn, Es geht ja vor allem um mehr Flexibilität, also wie komme ich, so die letzte Meile von wo wohne ich gerade oder wo arbeite ich, wie komme ich eigentlich zum nächsten Angebot, also Hochleistungs-OPV, wo ist die nächste S-Bahn, U-Bahn? und für solche Querfahrten durch die Stadt glauben wir, dass natürlich U-Bahn, Straßenbahn, S-Bahn auch von den Kollegen von der Deutschen Bahn die deutlich bessere Lösung ist.

Joel Kaczmarek: Aber sag mal, was ist denn generell so die Perspektive? Ich weiß nicht mehr wo leider, aber ich habe irgendwo die Tage aufgeschnappt, wenn die BVG diesen 9-Euro-Ansturm so bewältigen wollen würde, dass es zum Dauerzustand wird, also dass eigentlich quasi ganz Berlin den ÖPNV nutzen könnte, würde es bis 2050, glaube ich, brauchen, bis die ganze Infrastruktur steht. Du müsstest irgendwie eine Unmenge an neuen Wartungshöfen bauen, du müsstest viel mehr neue Fahrzeuge holen und allein das Recruiting der Leute wäre eine tierische Mammutaufgabe, die in den nächsten 10 Jahren gar nicht zu bewältigen ist. Also Es ist so eine völlige Utopie, kam für mich raus, dass man irgendwie in einem überschaubaren Zeitraum ganz Berlin zum irgendwie ÖPNV-Nutzer macht. Was sind denn so eure Zahlen, Number Crunching, weil ich das gerade so aus dem Gedächtnis wahrscheinlich sehr halb korrekt wiedergebe.

Henry Widera: Ja genau, erstmal ist es natürlich ein wahnsinnig langer Zeitraum bis 2050. Ich würde mal kurz darauf denken, was bringt denn das aktuelle 9-Euro-Ticket eigentlich? Und seitdem das eingeführt worden ist, sehen wir ein Wachstum bei uns um 20 Prozent der Fahrgäste. Und das ist erstmal super, weil wir in Corona wahnsinnig viele Fahrgäste leider verloren haben. Und wenn wir jetzt Klimakrise, Mobilitätswende denken, dann ist der ÖPNV halt das Rücker. Das 9-Euro-Ticket hilft uns gerade immens. nach vorne gerichtet. Das ist, glaube ich, klar. Müssen wir darüber nachdenken, wie wir Investitionen heben und sozusagen das Angebot ausbauen. Ich würde da mal ganz gerne einen anderen Punkt reinbringen. Es geht ja nicht immer darum, nur das System, wie es heute ist, weiter auszubauen, sondern es gibt ja ganz viele Möglichkeiten. Wir haben gerade über Bergkönig gesprochen. Also es gibt flexible Möglichkeiten, wie wir auch Verkehr umleiten und zuleiten können. Und wir müssen uns natürlich auch in Deutschland und auch in Berlin fragen, was ist denn das richtige Setup? Das System ist ja grundsätzlich aufgestellt für viel Transport. Wir haben aber bestimmte Spitzenlasten. Morgens, wenn die ganzen Kinder in die Schule müssen und am Abend in der Waschauer. Vielleicht gibt es ja auch Möglichkeiten, wie wir die Nachfrage auch besser verteilen können. Ich glaube, dann können wir deutlich mehr Leute in unser System bringen.

Joel Kaczmarek: Aber da merkt man mal, wenn man sich darüber Gedanken macht, was das eigentlich für ein Rattenschwanz ist, der da dranhängt, weil Anja und ich hatten in unserem letzten Podcast, den wir gemeinsam gemacht haben, hatten wir irgendwie den Raoul Krauthausen da, der die Glasknochenkrankheit und sitzt in so einem großen Rollstuhl und mit dem haben wir uns halt darüber unterhalten, was das Thema Menschen mit Behinderung angeht und der sagte halt auch, also das ist sehr eindrücklich, wenn man, das war einer der Podcasts mit der höchsten Lernkurve für mich und ich glaube Anja ging es ähnlich, weil wenn man auf einmal so in fremden Schulen mal mitläuft und merkt so, okay, wow, Der muss teilweise eine Station der S-Bahn mit dem Rollstuhl über die Straße fahren, weil da wieder der nächste Fahrstuhl ist. Was ist denn da bei euch so? Das gehört ja irgendwie auch zur Digitalisierung und Innovation dazu, dass sich das Ganze barrierefreier wird.

Henry Widera: Total. Und ich glaube, das ist wirklich das Spannende, weil du mich ja vorhin gefragt hast, was irgendwie so der Aha-Moment, wenn man in so eine BVB reinkommt, wenn man vorher nicht drin ist. Das Thema Barrierefreiheit spielt ja im öffentlichen Nahverkehr eine viel größere Rolle, als du es aus der Privatwirtschaft kennst. Und Anja hat es schon genannt beim Thema Bergkönig zum Beispiel. Also Raoul war von Anfang an mit dabei, als wir dieses neue Produkt entwickelt haben. Und wir haben gemeinsam geschaut, ja, es ist ein neues Mobilitätsangebot, wie können wir das gleich für alle Berlinerinnen und Berliner halt auch zugänglich machen. Ich glaube, er hat es auch in eurem Podcast ja gesagt, es ist unglaublich, er musste vorher. oder jemand, eine mobilitätseingeschränkte Person, also gerade mit Rollstuhl, muss in Berlin drei Wochen im Voraus irgendwie buchen, bis er eine Fahrt bekommt oder sie. Beim Bergkönig war es durchschnittlich 15 Minuten. 15 Minuten. Und ich bin mir ganz sicher, dass sozusagen auch diese BVG-DNA war, die da sozusagen von Anfang an mitgeholfen hat, das von Anfang an inklusiv zu gestalten. Darauf bin ich und unser Team schon sehr, sehr stolz.

Joel Kaczmarek: Gehört in dein Arbeitsmetier eigentlich auch, ich sag mal, so die Kommunikation auf der zwischenmenschlichen Ebene mit rein? Weil ich finde Digitalisierung, da denken alle immer mit, welche Tools, welche Software führe ich ein? Aber Digitalisierung ist auch sehr, sehr stark eigentlich so Mindset-Shaping, wie man arbeitet, Prozesse und so weiter. Und ich habe so Customer-Facing bei der BVG mal das Problem, das Marketing ist total genial, da sind immer die geilsten Sprüche auf den Bussen drauf. Und wenn du einsteigst, wirst du behandelt wie der letzte Penner teilweise. Also ich finde, Berliner Ruppigkeit fairerweise ist auch ein bisschen unsere DNA, ja?

Henry Widera: Unsere Tonalität, ja.

Joel Kaczmarek: Aber was macht ihr denn auch, sage ich mal, auf der Ebene des zwischenmenschlichen Zusammenarbeitens, wie man miteinander umgeht und wie man arbeitet, sowohl jetzt intern als auch Customer-Facing?

Henry Widera: Ich kann ja mal intern anfangen, sozusagen. Das ist sozusagen auch der Bereich, in den ich mich jetzt viel kümmere. Natürlich, ich glaube, dass die IT gerade im Rahmen digitaler Transformation immer vorangeht. Also wir haben uns auch klassisch in so eine Produktorganisation agile Arbeitsweisen gebracht. Das Duo ist bei uns ganz normal. Das ist, glaube ich, sonst in öffentlichen Anstalten irgendwie jetzt nicht die Regel. Und das tut viel zum Thema Kultur. Wie gehen wir miteinander um? Übernehmen wir auch Risiken schrittweise, simplifizieren ist, glaube ich, ein wichtiger Schritt. Und die andere Perspektive ist natürlich die zu unseren Kundinnen und Kunden. Also genau dasselbe merkst du eigentlich auf den Digitalkanälen auch. Also Berghain, König, Jelby, du wirst auch automatisch geduzt. Es gibt ein direktes Feedback auch sozusagen, wie ist der Service angekommen. Ich glaube, wo man ein bisschen die Herausforderung schon sehen muss, ist, wenn du halt in so einen Bus einsteigst, das ist halt wirklich Querschnitt der Gesellschaft. unsere Kolleginnen und Kollegen da vor Ort haben echt einen schwierigen Job. Und das muss man sich immer sagen. Es ist, glaube ich, etwas einfacher, eine App zu vertreiben und das Kundenfeedback im App-Kanal aufzunehmen und zu erwidern, als sozusagen auch im direkten Austausch zu sein. Also ich persönlich kann nur sagen, ich finde, das machen die echt klasse da vor Ort.

Anja Hendel: Henry, du hast gerade schon ein bisschen als Beispiel Yelby genannt. Und das ist natürlich eine total spannende Geschichte, Joel. Und ich hatte auch schon ein paar Gespräche über Mars, also Mobility as a Service-Applikation. Vielleicht möchtest du ein bisschen was dazu erzählen, wie es zu Yelby kam, wie es nutzt. Joel zeigt gerade schon ganz stolz an der Yelby-App im Bildschirm rein hier. Weil ich glaube, es ist einfach auch nochmal ein ganz tolles Produkt, wie man auch sieht, wie sich öffentlicher Nachverkehr verändert und wie sehr ihr auch kollaborieren müsst und zusammenarbeiten müsst.

Henry Widera: Bei Yelby geht es darum, dass es letztendlich eigentlich eine Mobilitätsplattform ist. Das heißt sozusagen alle Mobilitätsangebote, die in Berlin verfügbar sind, egal ob sie in der öffentlichen Hand liegen oder bei jungen Startups oder bei etablierten Mobilitätsanbietern, kann man halt über diese eine App buchen. Also man kann sie sehen, man kann sie öffnen, man kann sie buchen und bezahlen. Also quasi so ein bisschen alles aus einer Hand mit dem Smartphone. Die Idee, die dahinter liegt, ist eigentlich, dass wir als BVG festgestellt haben, ja, wir sind zwar der größte Mobilitätsanbieter in Berlin, aber es gibt halt dank der digitalen Transformation super coole neue Angebote. E-Scooter, Mietwagenfirmen und alle letztendlich ja mit demselben Ziel, irgendwie Menschen von A nach B zu bringen. Und die Idee war eben, die quasi alle zusammenzubringen in dieser Yelby-Plattform, um aus Kundensicht einfach das beste Angebot zu haben. Am Ende des Tages gibt es halt unterschiedliche Anlässe. Wo will ich hin? Wie schnell will ich hin? Wie ist das Wetter draußen? Und wir hoffen natürlich immer, dass die BVG so die erste Wahl ist. Aber es gibt halt genug Anlässe, wo auch andere Angebote sehr, sehr gut ist. Und die wollen wir unseren Kunden natürlich nicht vorenthalten. Ganz im Gegenteil, sie eigentlich aktiv auch bewerben und anzeigen.

Joel Kaczmarek: Ist es eigentlich auch unternehmensoptimiert? Weil ich bin voll am Kotzen. Ich fahre ganz oft mal mit Tier, mal mit Leim, dann mit Void, dann mit dem, dann mit dem. Und unsere Buchhaltung muss dann immer mein Handy nehmen, sich die ganzen Rechnungen raussuchen. Deswegen, ich suche schon total lange einen Dienst, der mal alles sozusagen mit einer Rechnung einheitlich zusammenführt. Macht ihr das auch bei Yelby?

Henry Widera: Nein, noch nicht. Aktuell hast du ja schon mal den Vorteil, du siehst zumindest mal, was gibst du im Monat für Mobilität aus an einer Stelle. Das ist jetzt der aktuelle Vorteil. Ab nächstem Jahr werden wir, was du heute kennst, ein klassisches Firmenticket, wird ab nächstem Jahr dann wirklich auch erweitert um Jelbi, sodass dann quasi deine Firma das ganz einfach verbuchen kann, abbrechen kann als Dienstreise oder den Mitarbeitenden vielleicht sogar ein Budget zur Verfügung stellen kann zur Nutzung. Das ist quasi das Äquivalent zum Dienstwagen.

Joel Kaczmarek: Also das würde ich mir auf jeden Fall wünschen, dass da Rechnungslegung zentralisiert ist.

Henry Widera: Das glaube ich sofort.

Anja Hendel: Hendrik, kannst du ein paar Sätze so sagen, wie so diese neuen Dienste entstehen? Du hast ja vorher schon angedeutet, dass beim Bergkönig auch Menschen wie Raoul mit dabei waren, die dann mitentwickelt haben, wie so ein Produkt aussieht. Kannst du ein bisschen was erzählen, wie so ein Entstehungsprozess ist? Wie kommt ihr dazu, dass von der Idee oder vielleicht auch wie entsteht die Idee bis hin zu, wie das Produkt dann wirklich auf der Straße, auf der Schiene, auf dem Bürgersteig ist und vor allem auch in unseren Hosentaschen, Grundsätzlich

Henry Widera: läuft es bei uns eigentlich so ein bisschen über so Inkubationszellen. Also wir versuchen Teams, die sozusagen auch bunt gemischt sind, vor allem lange BVG-Erfahrung, aber auch ganz frisch aus anderen Industrien kommt, sozusagen diesen Freiraum zu geben, Ideen zu entwickeln. Und wenn wir gemeinsam daran glauben, das könnte etwas werden, sie dann eben zu unterstützen und sozusagen bis zur Marktreife zu bringen, aber sie vor allem auch besonders zu schützen, sozusagen in dieser Entstehungsphase, weil wir eben wissen, Es gibt viele Unsicherheiten, es gibt Risiken und so ein klassischer großer Betrieb wie wir, der täglich halt über zwei Millionen Menschen befördert, der achtet halt sehr stark auf Sicherheit. Und gerade eben bei diesen neuen Produkten dann eben auch zu sagen, das ist okay, wenn da am Anfang was schief geht, wenn wir merken, dass vielleicht der Buchungsflow noch nicht super war oder auch mit der Rechnungslegung, das können wir alles nachziehen und das wird halt aktiv von uns unterstützt aus dem Management heraus.

Anja Hendel: Wie ist es mit eurer Mitarbeit? Ist es ein großer transformativer Wandel? Also fällt es Ihnen schwer, auch diese neuen Mobilitätsangebote im Portfolio mitzusehen und zu haben und damit zu arbeiten, hat es große Auswirkungen und das sind wir eigentlich eher stolz drauf, so tolle Produkte wie Dark König oder Yelby haben zu können.

Henry Widera: Ich würde das teilen in zwei Momente. Also ich glaube, zum Start des Bergkönigs, das war ja das erste Produkt, da gab es eine unglaublich große Skepsis im Unternehmen und auch sehr große Vorbehalte. Und damit der Einführung und das man dann gesehen hat nach zwei, drei Monaten, okay, es fährt nicht gegen die Wand, sondern Menschen nutzen das wirklich. Die kleinen Busse, die behindern auch nicht die großen Busse, die blockieren auch nicht die Haltestellen. Dann ist es zu so einer Akzeptanz gekommen und jetzt ist es eher gerade mit Jelbi auch so ein Stolz darauf. Jaby ist ja nicht nur eine Mobilitätsplattform, sondern wir haben ja auch diese Stationen, wo die ganzen Fahrzeuge dann abgestellt werden. Also da gab es einen ganz großen Ruf aus unserer Belegschaft, hey, könnt ihr diese Station bitte auch bei uns an den Betriebshöfen bauen? Und mittlerweile sind die auch an diesen Betriebshöfen. Also man merkt auf einmal eine extrem hohe Identifikation mit diesen neuen Angeboten. Und ich glaube, das ist das, was wir so in den letzten fünf Jahren geschafft haben, was uns jetzt auch hilft, sozusagen neue Angebote zu entwickeln.

Joel Kaczmarek: Und sag mal, wie macht ihr darauf aufmerksam? Weil bei mir war es zum Beispiel so, ich habe mir dann irgendwie so einen Motorroller irgendwie da mal gebucht und dann war da so ein gelber Aufkleber drauf. Ja, Jelbi. Ich habe erst gedacht, da hätte irgendein Jugendlicher, als er sich das Ding gemietet hat, so, weißt du, so wie Graffiti einfach so raufgeballert. Und irgendwann habe ich dann realisiert, ah nee, okay, das scheint irgendein Dienst zu sein. Die hängen irgendwie miteinander zusammen, ja. Also es ist peinlich, aber ich, der echt digital affin ist, hat sich gerade während wir hier reden das Ding eingerichtet. Wie macht ihr denn eigentlich darauf aufmerksam? Was sind so eure Strategien, um die Produkte doch zu vermarkten?

Henry Widera: Also grundsätzlich, das ist überraschend erstmal, aber finde ich schade, das nehme ich auch nur mal als Feedback mit. Also gerade dich hätten wir eigentlich gewinnen sollten als Early Adopter. Aber grundsätzlich fahren wir auch die typischen Kanäle, klassische Image-Kampagne für die Produkte, also über YouTube-Kanale und dann vor allem Performance-Marketing. Also eigentlich dachten wir, wir treffen die Zielgruppe.

Joel Kaczmarek: Ich dachte, du sagst jetzt zu mir, in jedem unserer Busse hängt ein Poster oder in der S-Bahn oder in der U-Bahn machen wir es hier in dem Berliner Fenster, in diesen Monitoren, die da sind oder so. Ich meine, macht ihr bestimmt auch, nehme ich mal an.

Henry Widera: Ja, klar, das machen wir neben beides. So lange im Grundrauschen, aber grundsätzlich glauben wir schon, dass wenn du jetzt über Bergkönig redest oder Jaby, dass auch die Zielgruppe eher digital affiner ist.

Joel Kaczmarek: Und was du eben gesagt hast am Anfang, große Skepsis, als ihr das erste Projekt gestartet habt. Viele Menschen, die jetzt hier zuhören, die sind ja selbst in unternehmerischen Kontexten tätig und müssen da auch schaffen, dass man Menschen für Sachen gewinnt, dass man sie mitnimmt. Wie ist es bei euch gelungen?

Henry Widera: Wie gesagt, also ich kann nur wieder sagen, es ist ja am Anfang gerade nicht gelungen. Also ich glaube, es war ein großes Risiko, was wir im Eingang sind und wir hatten große interne Diskussionen. Ist das überhaupt ein Produkt? Ist das überhaupt Teil von der BVG? Das war so ein bisschen Fremdkörper am Anfang. Also ich will das nicht schöner reden, als es war. Es war eine verdammt anstrengende Zeit am Anfang und geholfen hat uns letztlich dann wirklich viel unterwegs zu sein und darüber zu sprechen. Auch sozusagen den Diskurs zu suchen und zu verstehen, okay, warum siehst du das nicht als Kerngeschäft von uns? Warum sollten wir da nicht was ausprobieren? Aber ganz offen gesprochen auch, der Erfolg des Produktes hat das Ganze dann deutlich vereinfacht. Das muss man auch ganz offen sagen, wäre das vielleicht nicht so erfolgreich gewesen, wäre ich in die Zeiten sicherlich schwerer geworden.

Joel Kaczmarek: Wie tickt ihr denn eigentlich insgesamt so kommunikativ als Organisation? Benutzt ihr sowas wie Slack oder Asana oder habt ihr irgendwelche eigenen Mobillösungen, wo ihr sagt, wir haben eine eigene Umgebung? Wie kommuniziert ein Verkehrsunternehmen mit 15.000 Menschen eigentlich intern?

Henry Widera: Also ganz klassisch über Microsoft Teams erst mal. Und dazu, was wir vor allem sehr stark nutzen, ist, wir haben eine Mitarbeiter-App. Also quasi alle Mitarbeiter haben Zugriff auf diese App und dort pushen wir die Nachrichten rein. Es gibt ein bisschen wie eine Social-Plattform, man kann kommentieren, diskutieren. Das nutzen wir eigentlich als primäres Informationsmittel, um alle Kolleginnen und Kollegen zu erreichen.

Joel Kaczmarek: Und wenn du jetzt mal so deine Zeit Revue passieren lässt, was würdest du sagen, was war ein Projekt oder eine Entwicklung, eine Strömung, die du als extrem innovativ oder als extrem bereichernd für dich wahrgenommen hast?

Henry Widera: Also als ich in die BVG kam, fand ich das total beeindruckend. Ich bin ja damals als CBO reingekommen, also mit dem Auftrag Digitalisierung vor uns. Und es gab so ein agiles Kernteam. Es hatten sich also Menschen so übergreifend aus den verschiedensten Abteilungen gefunden und sich mit dem ganzen Thema Agilisierung beschäftigt. Und haben sozusagen von sich aus heraus so eine kleine Keimzelle begründet. Und die hat extrem viel Vorarbeit geleistet für danach die komplette Agilisierung der Gesamtorganisation. Also heute ist mein gesamter IT-Bereich mit über 400 Leuten ist komplett agil aufgestellt. Ich glaube, dass diese Keimzelle am Anfang einfach etwas sehr, sehr Wertvolles war und wirklich so aus der Belegschaft heraus initiiert wurde. Darauf bin ich extrem stolz. Das war auch vor meiner Zeit und ich bin sehr happy, dass das da war.

Joel Kaczmarek: Und jetzt müssen wir über einen rosa Elefanten im Raum reden. Wenn man sich mit Digitalisierung beschäftigt, ist es manchmal nicht fern, dass Menschen auch wegrationalisiert werden, also die Berufe derer Menschen. Und jetzt könnte man ja auch irgendwie so ganz kritisch sagen, naja, aber Henry, ich bin ja irgendwie S-Bahn-Fahrer, ist es vielleicht so, dass das übermorgen alles autonom ist und ihr braucht mich gar nicht mehr? Wie gehst du mit solchen Ängsten um? Und ich will natürlich mit dir so einen spannenden Bogen Richtung irgendwie autonomes Fahren hier machen.

Henry Widera: Also die Angst ist glaube ich da wie in jeder Industrie. Automatisierung bedeutet immer, dass bestimmte wiederkehrende Tätigkeiten halt wegfallen. Ich glaube der Riesenvorteil und die Geschichte, die wir auch sozusagen auch unseren Kollegen immer wieder erzählen, an die wir auch persönlich glauben ist, Wir glauben, dass es zu einer Automatisierung kommen wird. Das wird eine Weile dauern, im ÖPNV sowieso. Autonomes Fahren reden wir ja gleich. Aber der große Vorteil, was wir sehen, ist, dass wir nach wie vor ein Betrieb sind, der Menschen befördert von A nach B. Und ganz im Gegenteil, wir investieren gerade wieder stark darin, wieder Menschen auf die U-Bahnhöfe zu bringen. Und ich glaube auch perspektivisch, meine persönliche Meinung, dass selbst wenn eine U-Bahn dann autonom fahren sollte, wird es Bedarf vor Ort geben, um unsere Fahrgäste zu betreuen, Notsituationen und so weiter. Also Eins ist klar, wir sind auf einem Wachstumspfad, nicht auf einem Rationalisierungsgruß.

Joel Kaczmarek: Wenn du mal euren Betrieb als so eine Landkarte siehst und du machst dir über Digitalisierung Gedanken, was sind eigentlich so die Compartments, die du hast? Also gibt es sowas wie Fahrgastkommunikation oder Mitarbeiterführung oder Streckennavigation, Optimierung? Also weißt du, was ich meine? In welchen Bereichen seht ihr eigentlich die verschiedenen Digitalisierungspotenziale?

Henry Widera: Also wir sehen sie im Wesentlichen in dem ganzen, wie wir Betrieb machen. Also die Frage ist wirklich, wie kommt der Busfahrer morgen, wo er weiß, welchen Dienst er hat, wo steigt er ein, wo wechselt er ab, wie meldet er letztendlich, wenn er irgendwie einen Defekt am Fahrzeug hat, wie wird dieser Defekt dann in die Werkstatt gegeben. Also diese ganze Digitalisierung des heutigen Betriebes sehen wir als eigentlich größte Chance, um sozusagen da noch mehr Kapazität auf die Straße zu bringen. Das ist so der eine Block. Und der andere ist wirklich das ganze Thema Fahrgäste. Also am Ende des Tages sind wir überzeugt davon, dass wir ein gutes Angebot haben mit BMW. Wir müssen aber die Hürden halt senken. Das heißt, für dich muss es ganz einfach zu wissen sein, wann kommt der Zug oder der Bus, wo muss ich umsteigen, wie komme ich ans Ticket, wie kriege ich das richtige Ticket. Und das eigentlich so weit zu vereinfachen, dass du dir gar keine Gedanken mehr machen musst, sondern dass du eigentlich nur noch einspringen musst, dann sozusagen informiert wirst, wenn du wieder aussteigen musst und am Ende des Monats den besten Preis bekommst. Ich glaube, dann haben wir die Hürden so weit gesenkt, dass es halt ganz einfach ist, und komfortabel wirklich mit dem ÖPNV zu fahren.

Anja Hendel: Du hast ja, wir haben vorher schon angefangen, ein bisschen über autonomes Fahren zu sprechen. Wo siehst du denn in diesem Zusammenhang die Einsatzpunkte und worauf guckt ihr es konkret auch schon? Ich weiß ja, dass ihr auch da schon unterwegs seid.

Henry Widera: Also wir glauben halt vor allem daran, dass es um die Außenbezirke geht, also die sogenannte letzte Meile. Das ist immer wieder die Frage, wir verlieren die Leute, wenn sie morgens aufstehen und sich überlegen, wie komme ich in die Stadt? Und wenn sie dann wissen, oh Gott, ich muss jetzt irgendwie 20 Minuten auf den Bus warten, der mich halt zur S-Bahn bringt. In der Regel steigen Leute in ihr eigenes Auto ein und dann haben wir sie verloren als Kunde. Wo wir jetzt glauben, ist eben, in diese ganzen Randbezirke kommen wir nicht mit den großen Bussen. Das ist einfach nicht effizient, das ist nicht wirtschaftlich. Aber da kleine autonome Shuttles zu haben, die regelmäßig oder auch nachfragebasiert die Fahrgäste abholen und zur S-Bahn oder U-Bahn bringen, da sind wir überzeugt worden, dass das ein super Riesenpotenzial ist für den ÖPNV.

Joel Kaczmarek: Was ist mit sowas wie der S-Bahn? Also ich meine, die fährt immer von links nach rechts hin und her auf Schienen. Kann man sowas irgendwie auch automatisieren, also autonom machen?

Henry Widera: Ja, na klar. Also S-Bahn gehört ja nicht zur BVG, aber grundsätzlich zur Deutschen Bahn und die sind ja schon dran. In Hamburg gibt es ein tolles Projekt, wo eben genau darum geht, das Thema zu automatisieren. Ein Riesenpotenzial. Sehen wir auch für die U-Bahn und sind wir auch persönlich, also sind wir auch selber dran für die U-Bahn.

Joel Kaczmarek: Und wie weit weg sind wir da von irgendeiner Form von Marktreife? Also man hat ja, ich fand, der Anfangsbetrachtung war immer hier Elon Musk und Tesla, dann kam irgendwie Daimler mit den LKWs und dann ist man irgendwie immer schnell bei der Debatte, ja, das funktioniert nur, wenn du auf einem flachen Land in den USA, im Mittleren Westen bist und die Dinger fahren nur geradeaus. Wie ist das so in so einem großen Stadtverkehr? Für wie realistisch hältst du das, dass dann in den nächsten fünf Jahren was passiert?

Henry Widera: Ja gut, also wir sind mal gestartet vor drei, vier Jahren, das was Anja angesprochen hat und sind wirklich auf öffentlicher Straße in Tegel auch gefahren. Das hat ganz gut funktioniert, aber noch nicht autonom. Also es war maximal hochautomatisiert. Das heißt, wir hatten damals auch so einen Hype-Cycle und dachten, so jetzt kommt es und mussten lernen, dass die Technologie noch nicht so weit ist. Ich glaube, dass es jetzt einen riesen Sprung gegeben hat und persönlich, da gibt es Experten, die wissen das sicherlich besser als ich oder können es besser einschätzen. Ich glaube schon, dass wir ab 2025 auch durchaus mehr Angebote im öffentlichen Straßenraum sehen werden, die auch wirklich autonom fahren werden.

Joel Kaczmarek: Und gib uns mal so ein Feeling, also alle Welt redet über Nachhaltigkeit, alle Welt redet über Klima. Wenn bei euch jetzt sich von heute auf morgen irgendwie 40 Prozent mehr Leute ein Fahrticket holen würden, da geht es ja. also, ah, wäre nicht mal interessant, bringen euch mehr Menschen mehr Leverage beim Einsparen in Sachen Klima? Und die zweite Frage ist ja, wie kriegst du die besser verteilt? Weil ich habe gerade so Friedrichstraße-Bahnhöfe im Kopf, wo du irgendwie ein bisschen wie die Sardine in der Dose steckst und dann hast du auch nichts davon, wenn du mit der Bahn fahren willst, aber die ist so voll. Also was du gesagt hast, diese Peak-Zeiten müsst ihr ja auch abfangen. Wie kriegt ihr diese beiden Sachen so gehandelt?

Henry Widera: Ich glaube, das Spannendste ist ja erstmal, der ÖPNV ist ja überwiegend schon elektrifiziert. Also Straßenbahn und U-Bahn funktionieren ja heute schon elektrisch. Das Einzige ist noch unsere Busflotte, die wirklich mit Diesel funktioniert. Und selbst die wird ja gerade massiv umgestellt auf Elektrobusse. Und wenn du dir dann vorstellst, dass du oder ich oder Anja, wer auch immer, den privaten Pkw zu Hause stehen lässt und in so eine U-Bahn einsteigt, die fährt ja eh. Jeder zusätzliche Fahrgast ist nur minimal an zusätzlichen Energiebelastungen. Und ich glaube, da liegt das große Potenzial. Das System in sich ist eigentlich groß genug oder ist sehr, sehr groß. Was wir halt schaffen müssen, das können wir aber als BVG nicht alleine, ist die Frage, wie können wir halt Spitzenzeiten reduzieren. Da sind wir wieder beim Thema, müssen alle zur gleichen Zeit zur Schule gehen, müssen alle Arbeitgeber zur selben Zeit beenden und wenn wir das schaffen, besser zu verteilen, dann ist ja ein System da, was super viel aufnehmen kann.

Joel Kaczmarek: Was ist denn so deine Hypothese? Ich muss grad so dran denken, wenn man mal in Paris zum Beispiel unterwegs ist, da ist es ja so, du kaufst dir ein Ticket und musst durch so eine Art Schranke erst durch, damit du überhaupt reinkommst. Berlin ist ja eher so das Mittel, man kann überall rein und dann muss halt irgendein Hansel mal den Leuten hinterherfischen und sagen, ja, machst du überhaupt ein Ticket, wie sieht's denn aus? So, oder ein anderes Bild, wenn ich an Paris denke, war, die haben, ich glaub, da ist das so, dass die so eine Plastikscheiben vor den U-Bahnen haben. Das heißt, wenn die einfahren, kannst du gar nicht einsteigen, sondern die schieben sich erst beiseite, was den Hintergrund hat, dass sich Leute halt nicht so leicht vor die Bahn stürzen können. Also was ich sagen will, ist Ticketing und Überprüfung, wenn Ticket hat, plus irgendwie die Steuerung von Menschen auf so Bahnhöfen. Was glaubst du, wird da noch sich tun bei euch?

Henry Widera: Ich glaube weder noch persönlich. Ich glaube nicht, dass wir das nachrüsten werden. Wir haben ja über 180 U-Bahnhöfe. Das ist eine Riesenkomplexität, sowas nachzurüsten. Wir wollen eigentlich viel lieber hin in so ein Best-Pricing-Modell. Also idealerweise, heute gibt es ja die Technologie, Du steigst mit deinem Smartphone halt ein, checkst dich ein, checkst dich aus und am Ende des Monats kriegst du halt einfach den besten Preis berechnet für dein Mobilitätsverhalten. Ich glaube, dass das wirklich da der Trend ist. Also keine Investition in Infrastruktur.

Joel Kaczmarek: Bisschen wie bei Napster, dass es sozusagen so unattraktiv wird, runterzuladen, weil du ein Abo hast.

Henry Widera: Das wäre die Idealfall, ja.

Anja Hendel: Wir haben jetzt gerade schon den Blick in die Glaskugel geworfen. Es gibt da so eine Theorie, dass man eigentlich immer überschätzt, was man im Jahr schaffen kann und unterschätzt, was man in zehn Jahren schaffen kann. Deswegen würde ich dich gerne jetzt so ein bisschen was dazwischen befragen. Und zwar, wenn du auf die BVG guckst, was glaubst du denn, wo steht die denn in fünf Jahren?

Henry Widera: Ich glaube, dass wir dann wirklich voll in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Also wir erleben jetzt gerade durch die ganze Klimakrise, dass ÖPNV nicht mehr dieses schmuddelige ist, was es mal hatte vor einigen Jahren, so ein bisschen dieses Schliefkind, was sozusagen in den Kriegen gelaufen ist, sondern ich glaube wirklich, dass wir dann in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und gerade in Berlin, dass es deutlich mehr ÖPNV-Nutzung geben wird. und ich glaube auch, dass sozusagen die Stadt deutlich reduziert sein wird vom privaten PKW-Verkehr.

Anja Hendel: Und welche Rolle spielt, wenn ich nochmal nachhaken darf, das ganze Thema Digitalisierung? und was sind da die Dinge, die du denkst, die in den nächsten fünf Jahren kommen werden, worüber du zumindest jetzt schon reden kannst?

Henry Widera: Genau, also das ist ja immer so. das Schöne, wir können ja alle nur vermuten, weil keiner weiß ganz genau, wie die Zukunft aussieht. Also ich persönlich bin wirklich zutiefst davon überzeugt, dass Digitalisierung dieser Schlüssel dafür ist. Wir werden die Angebote halt so einfach machen, dass wirklich jeder in der Lage ist, ganz einfach den ÖPNV zu nutzen. Und Digitalisierung wird uns eben ermöglichen, mehr Leistung aus unserem System zu bringen, also es deutlich effizienter zu betreiben, mehr Kapazität zur Verfügung zu stellen und damit halt die Voraussetzungen zu schaffen, wirklich.

Anja Hendel: Super. Eine letzte Frage für dich und würde ich bitten, den folgenden Satz zu vervollständigen. Mobilität bedeutet für mich.

Henry Widera: Mobilität bedeutet für mich Freiheit und Spaß.

Anja Hendel: Vielen Dank.

Joel Kaczmarek: Guck mal, kurz und knackig. Hey, dann drücken wir dir die Daumen und sind echt gespannt, was da noch so kommt. Ihr seid ja echt innovativ unterwegs. Vielen Dank auch dir, liebe Anja.

Anja Hendel: Dankeschön.

Outro: Danke fürs Zuhören beim Digital Kompakt Podcast. Du merkst, hier ziehst du massig Wissen für dich und dein Unternehmen heraus. Wenn du mit uns noch erfolgreicher werden möchtest, abonniere uns auf den gängigen Podcast Plattformen. Und hey, je größer wir werden, desto mehr Menschen können wir helfen. Also erzähl doch auch deinen Kolleginnen und Kollegen von uns. Bis zum nächsten Mal.