Der richtige Umgang mit Konflikten

29. November 2017, mit Joel KaczmarekStefan Lammers

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen High-Performance-Leadership-Podcast von Digital Kompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und ich bin wieder mit dem Führungscoach schlechthin unterwegs: dem guten Stefan Lammers. Hallo Stefan!

Stefan Lammers: Hallo Joel!

Joel Kaczmarek: Hast du einmal ein kleines Update von der Front? Was tut sich bei dir? Du bist ja mit dem Thema, was wir hier haben Leadership tagtäglich aktiv. Hast du irgendwie ein spannendes neues Update?

Stefan Lammers: Ich kann nur sagen: Ich war jetzt gerade wieder mit zwei Start-ups in Workshops unterwegs und es macht einfach riesig Spaß, mit Menschen zu arbeiten, die so ihre eigene Entwicklung vorantreiben wollen und Ideen wie ein Schwamm aufsaugen. Das ist einfach großartig und macht ganz viel Spaß.

Joel Kaczmarek: Wir haben heute so ein Thema, wo der Spaß vielleicht manchmal leidet – wir haben ja in der Vergangenheit schon darüber gesprochen – denn manchmal gibt es Dissens in Teams. Das kann konstruktiv sein. Ich erinnere mich zum Beispiel an einige meiner Investorensitzungen damals, da war man unterschiedlicher Meinung. Da wurde stundenlang diskutiert und das war tierisch kräftezehrend, aber hinterher stand man irgendwie besser da als vorher. Das gibt es durchaus im konstruktiven Sinne, dass man unterschiedlicher Meinung ist und dann hinterher die Summe der Einzelteile mehr ist als das Gesamte, dass man sich zusammen weiterentwickelt. Es gibt aber auch destruktiven Dissens aka, also known as Konflikt. Konflikte in Teams sind ja etwas, was eigentlich an der Tagesordnung ist. Umso mehr, wenn man in einem Start-up-Umfeld ist, also in einem Umfeld, was sich sehr schnell ändert.

Da wollen wir heute einmal ein bisschen eintauchen und wir versuchen herauszuschälen und herauszuarbeiten, welche Dynamiken es eigentlich im Konfliktbereich gibt. Wie gehe ich damit um? Wie komme ich aus so etwas heraus? Was sollte ich tun? Woran erkenne ich die Dinge? Muss ich meinen Gegenüber immer überzeugen? Wie kann ich es schaffen, dass so etwas gar nicht erst in einen destruktiven Dissens läuft, sondern wieder konstruktiv wird? Das ist so grob das Raster, was wir heute abreiten wollen. Ich glaube, es macht Sinn, dass wir einmal ganz allgemein beginnen zu sagen: Was ist eigentlich die typische Konfliktdynamik? Wir hatten auch schon einmal so etwas wie fünf Phasen der Angst. So etwas gibt es sicherlich auch bei Streits, so ungefähr in der Logik: Man sagt, es gibt mehrere Phasen, die man durchläuft, und die werden vermutlich immer destruktiver, je weiter man nach unten kommt. Was ist denn das Denkmodell, mit dem du arbeitest, wenn es um Konfliktdynamiken geht?

Stefan Lammers: Erst einmal bin ich völlig dabei und möchte da noch einmal einhaken. Ich bin ja der große Verfechter von konstruktivem Dissens und halte den auch für extrem wichtig im Sinne von verbessern und von challengen. Darüber unterhalten wir uns heute nicht, sondern ganz bewusst eben über die Konfliktdynamiken. Mein favorisierter Hero in diesem Bereich ist Friedrich Glasel. Ich durfte ihn vor ein paar Wochen auch wieder auf einer Tagung erleben: großartiger, erfahrener Mann. Er hat ein Neun-Stufen-Modell der Konfliktdynamik aufgestellt. Das werden wir auch sicherlich hinterher wieder auf der Webseite von Digital Kompakt posten, damit ihr euch das noch einmal anschauen könnt. Wer den Film Der Rosenkrieg von Danny DeVito kennt, der weiß auch genau, wie diese unterschiedlichen Konfliktphasen ablaufen. Das ist für alle, die sich für das ganze Thema Konflikte interessieren, tatsächlich der Paradefilm, um ihn sich einmal auszuleihen oder zu streamen und sich anzuschauen. Es ist einfach spannend, wie sich zwischen einem sich eigentlich liebenden Paar innerhalb kürzester Zeit die ganzen Stufen von vorne bis hinten eskalieren lassen.

Joel Kaczmarek: Ich kann übrigens jetzt hier ein kleines Behind-the-Scenes-Feedback geben: Ich kann bezeugen, dass Stefan Verfechter des konstruktiven Dissens ist. Ich habe schon einmal ein paar Nächte bei ihm übernachtet. Wenn man Workshops macht, macht er die zu Hause. Das erste, wo man staunt, ist, wenn man dich in deinem Umfeld erlebt, wie – giftig will ich gar nicht sagen – aber wie konfliktbereit du in deinem Umfeld bist. Man merkt aber dann irgendwann, wenn man sich länger damit auseinandersetzt, dass es gar nicht in einer destruktiven Art ist, sondern eigentlich eher konstruktiv – der Grat zwischen klar sagen, was man möchte und sachliche Kritik äußern. Ich fand diesen Satz von dir schön – dazu werden wir bestimmt später auch kommen: „Hart in der Sache, sanft im Umgang.“ Das trifft es ganz gut. Du lebst das wirklich. Ein kleines Beispiel heute: Er hat heute, als wir das Thema vorbereitet haben, länger gebraucht, sich zu finden, wo dann seine Frau kommt und knallhart sagte: „Das ist unprofessionell, Stefan! Hänge dich einmal herein!“ Dich spornt das an und du hängst dich dann rein, ja? Also so soll es eigentlich sein.

Stefan Lammers: Ja, um das noch einmal als Beispiel zu nennen: Meine Frau ist, glaube ich, meine größte Kritikerin. Auch in Workshops, wenn wir zusammen arbeiten, steht sie dann plötzlich irgendwo mit einem Chart und hält das hoch, wo „Ähm" daraufsteht oder Ähnliches, um mich daran zu erinnern, dass ich das nicht machen soll. Da sind wir völlig klar in dem Austausch im Sinne der Professionalität und der Klarheit.

Joel Kaczmarek: Da kommen wir bestimmt später auch noch einmal zu, ob bei High Performance Leadership Teams – die ja diese Energie haben, wenn sie in Konflikt gehen – das noch einmal um so destruktiver ist, weil eigentlich dieses Wir-Gefühl da ist. Rosenkrieg ist auch so das Thema, wenn Liebe auf einmal in Hass umschwingt, ob das irgendwie sich darauf auswirkt. Aber zurück zu deinem Glasel und den neun Schritten der Konfliktdynamik: Das fängt vermutlich immer mit einer gewissen Verhärtung an, mit einem Dissens über eine Fragestellung. Was ist denn da die erste Phase?

Stefan Lammers: Die erste Phase ist die Verhärtung. Es gibt in irgendeiner Form Spannungen. Es gibt ein Aufeinanderprallen von Meinungen, die am Anfang möglicherweise sogar nicht als Konflikt wahrgenommen werden. Das ist also noch so eine ganz leichte Ebene. Sobald dann irgendwo die Meinungen fundamentaler werden, sodass man nicht mehr nach einer Gemeinsamkeit sucht, sondern eher das Trennende im Vordergrund steht, dann fängt es eigentlich an, in die nächste Stufe rein zu gehen. Im Übrigen: Die ersten drei Stufen, über die wir reden, die werden alle immer noch von Glasel unter Win-Win beschrieben, weil es immer noch Möglichkeiten gibt, hier auch tatsächlich für eine Win-Win-Situation für beide Seiten zu sorgen – eigentlich mit Leichtigkeit.

Joel Kaczmarek: Das ist vielleicht ein ganz schönes Bild. Es gibt im Prinzip drei Ebenen: win-win, win-lose, lose-lose. Irgendwann kippt das Ganze dahingehend, dass erst der eine verliert und am Ende des Tages eigentlich immer beide. Das passt ja ganz gut: drei Schritte pro Phase.

Stefan Lammers: Entschuldigung, dass ich da gleich noch einmal hereingrätsche! Ich persönlich bin da ein bisschen im Dissens mit Glasel an dieser Stelle. Ich erkläre auch genau, warum: Für mich gibt es kein win-lose. Für mich gibt es tatsächlich letztendlich nur win-win oder lose-lose, weil auch in einer Win-lose-Situation – das wird oftmals unterschätzt – ich auf Dauer letztendlich in einer Lose-lose-Situation ende. Ich habe vermeintlich gerade einen Sieg über den anderen erzielt, aber auf Dauer wird derjenige, der gerade verloren hat, dafür sorgen, dass er sein Ego oder sein Ich wieder obenstehen hat. Insofern wird er dafür sorgen, dass ich das nächste Mal verliere. Das sind halt unfruchtbare Verhaltensweisen und führen dazu, dass beide auf Dauer verlieren.

Joel Kaczmarek: Ich habe mich das beim Erzählen auch gerade gefragt, ob das nicht so einen Sog entfaltet, sobald ich in win-lose komme, dass das eigentlich automatisch bis zum lose-lose durchdekliniert werden muss. Beim nächsten Mal schwillt dem anderen der Kamm. Man hat so einen Rucksack an Erfahrungen dabei und dann wischt man einem einmal eines aus und so weiter. Das kann ich mir gut vorstellen. Zurück aber zur erstes Phase: noch win-win. Eigentlich ist jeder noch ein Gewinner am Tisch. Es kommt trotzdem zur Verhärtung der Fronten. Man geht irgendwie in das Thema und diskutiert. Klassischerweise würde man dann eigentlich diskutieren und debattieren.

Stefan Lammers: Das ist dann auch schon die zweite Stufe, wo man sich überlegt: Was ist denn meine Strategie: Den anderen von seiner Meinung entweder herunterzubekommen oder aber meine Meinung so zu erhöhen, dass der andere meinen Gedanken folgt? Ich versuche eben, mit meinen Argumenten zu überzeugen. Ich versuche möglicherweise, immer mehr Argumentationsketten aufzubauen. Man fängt an, auf den anderen Druck auszuüben. Das ist schon so die Debatte letztendlich. Da geht es in so einen Schlagabtausch herein, wo die Argumente hin und her fliegen. Was passiert aber eigentlich, wenn Argumente hin und her fliegen? Meistens ist dann jeder mit sich selbst beschäftigt und nicht an dem anderen interessiert.

Joel Kaczmarek: Da merkt man ja schon, dass es da auch destruktiv wird, wenn es gar nicht mehr um die Sache geht. Wenn du sagst – Druck aufbauen – das ist dann schon ein Überzeugungsmuster. Da geht es ja darum, jemanden eigentlich von einer Sache zu überzeugen.

Stefan Lammers: Ganz genau.

Joel Kaczmarek: Du hast gesagt, es gibt drei Phasen, die irgendwie noch win-win sind: Wir haben Verhärtung, Debatte. Was folgt?

Stefan Lammers: Das sind Taten statt Worte. Es geht dann schon los, dass der Druck noch weiter erhöht wird, dass dann Gespräche beispielsweise abgebrochen werden. Es findet keine Kommunikation mehr statt. Jeder fängt an, sich ein Stück weit auch zurückzuziehen. Es gibt nicht mehr den Dialog im Sinne einer gemeinsamen Lösungsfindung, sondern es wird sich auf einmal zurückgenommen. Das ist schon die Vorstufe im Prinzip zur nächsten Ebene: zur Win-lose-Ebene. Da gibt es die Stufe vier, die Koalition. Das ist die Vorbereitung bei Taten statt Worten, nämlich, dass die einzelnen Protagonisten anfangen, Sympathisanten zu finden. Sie suchen also Menschen, die ihrer eigenen Meinung folgen. Je mehr Menschen man findet, die der eigenen Meinung folgen, umso mehr fühlt man sich in diesem Moment im Recht. Wenn man sich im Recht fühlt, kommt es oftmals schon dazu, dass man anfängt, den Gegner zu denunzieren: Der hat ja keine Ahnung. Der kennt nicht das volle Bild und ähnliche Sachen. Es geht dann eben nicht mehr um die Sache, sondern es geht um das Gewinnen des Konfliktes und um das Wollen, dass der Gegner eben verliert. Da merkst du jetzt schon, Joel, es geht eigentlich immer weniger in dem Moment um die Sache oder um das eigentliche Thema. Jetzt wird es immer mehr persönlich.

Joel Kaczmarek: Erst ein bisschen soziale Sanktionierung durch Schweigen. Wer einmal irgendwie – Stichwort Rosenkrieg – in einer Ehe gelebt hat, wo man angeschwiegen wird, ist das eigentlich schon eine harte Eskalationsschiene. Dann geht es schon in die Allianzenbildung. Da merkt man, dass es wirklich nicht mehr um die Sache geht. Da geht es eigentlich mehr um Macht, gefühlt, als um was anderes.

Stefan Lammers: Genau. Da vielleicht noch einmal einen Einschub an dieser Ecke: Was ich oft feststelle, ist, dass Menschen glauben, wenn sie kritisiert werden, dass der andere ihn nicht mag. Meine Beobachtung ist, wenn jemand kritisiert wird, dann mag der andere einen sehr oft und möchte eigentlich, dass derjenige besser wird. Das Schlimmere, aus meiner Beobachtung heraus, ist, wenn der andere nichts mehr sagt. Wenn man kein Feedback mehr kriegt, dann ist oftmals schon die Hoffnung weg, dass sich überhaupt noch etwas verändert. Das empfinde ich oftmals als viel schlimmer, als wenn jemand Kritik übt.

Joel Kaczmarek: Das ist aber ein ganz wichtiger Punkt. Das muss man noch einmal herausschälen. Eines meiner Lieblingsbücher, das ich hier habe, ist von Dale Carnegie: „Wie man Freunde gewinnt.“ Da ist es so, dass er auch ein bisschen proklamiert, man solle Leute eigentlich nicht angreifen, nicht direkt hart kritisieren, weil es dann immer so um das Thema Ego-Image geht. Die Person, der man am nächsten ist, ist immer man selbst. Man macht sich Gedanken und legt da eine Wertung herein. Du sagst eigentlich nicht das Gegenteil, aber mit einer ganz anderen Sichtweise, sodass das vielmehr ein Geschenk ist – dass das gar nicht eine Antihaltung ist oder eine Antireaktion gegen etwas, gegen eine Person, sondern vielmehr das Geschenk, dass sich jemand Zeit nimmt und Energie aufwendet, sich so sehr mit einer Sache auseinanderzusetzen, dass er dich weiterbringen kann.

Stefan Lammers: Absolut! So betrachte ich das wirklich. Ich sage aber auch gleichzeitig: „Das ist nicht immer einfach.“ Das ist auch für mich nicht immer einfach, wenn ich kritisiert werde. Ich habe da wirklich zwei, drei Beispiele vor Augen, die mir im ersten Moment brutal wehgetan haben, und wo das auch für mich eine Zeit gedauert hat, zu erkennen, was da letztendlich für ein wertvoller Schatz für mich darin gelegen hat, dass die Person mir gegenüber total ehrlich gewesen ist und mir die Meinung gesagt hat. Ich konnte mich in diesem Moment entwickeln. Da kann ich den Menschen einfach in diesem Moment nur sehr dankbar dafür sein, dass sie sich die Zeit nehmen und diesen Mut aufbringen, mich mit den Dingen, mit der brutalen Ehrlichkeit in dem Moment zu konfrontieren.

Joel Kaczmarek: Also können wir uns einmal als Mindset festhalten: Ehrlichkeit, ehrliches Feedback, gedacht als konstruktiver Dissens ist eigentlich etwas, was einen voranbringen soll, was einen nicht angreift, sondern eher im Gegenteil, stärkt. Das muss man sich einmal wirklich als Bild klar machen: wie ein Schutzschild, der zunimmt.

Stefan Lammers: Es kann aber auch missbräuchlich eingesetzt werden, um mich zu diskreditieren. Wenn ich in der Öffentlichkeit keine Kritik von der Haltung: „Der andere kann sich entwickeln.“ Aufbringe, sondern wenn ich auf einmal loslege, den anderen im Prinzip nicht kritisiere, sondern schlechtmache. Da ist manchmal ein schmaler Grat dazwischen. Es sollte sich jeder hinterfragen, was er auch gerade will, ob er dem anderen helfen will und unterstützen will, damit er besser wird oder ob man den gerade – wir kommen später dazu – vernichten möchte.

Joel Kaczmarek: Das ist ein valider Punkt. Ich habe es auch schon erlebt, dass Leute diese Sorge um einen – dieses eigentlich will man recht haben – sogar so verpacken: „Ey, ich will doch nur dein Bestes! Du kannst das und das halt nicht! Lass mir dir da einmal helfen!“ Das ist gar nicht so ein einfaches Fahrwasser, in dem man sich bewegt. Darüber können wir später einmal reden, wie man das eigentlich löst. Muss so ein Konflikt begleitet werden? Wie gehe ich damit um? Jetzt haben wir aber gesagt, drei Phasen: win-win, win-lose, lose-lose. Die erste Phase war Verhärtung, Debatte, Taten statt Worte, sprich die sozialen Sanktionen: „Ich ignoriere dich und so weiter.“ Es wird immer mehr auseinandergegangen. Jetzt sind wir schon mittendrin in dem, wo das Lose beginnt, nämlich in den Koalitionen. Ich fange schon an, Fronten zu bilden, ein bisschen wie ein Heer: Wir gegen die. Man macht mobil. Wie geht es weiter?

Stefan Lammers: Dann kommt auf der Stufe fünf der Gesichtsverlust. Da geht es dann darum, den anderen wirklich zu diskreditieren, was ich eben schon angedeutet habe. Da werden Unterstellungen gemacht. Da soll also die Identität von jemandem geschwächt werden, beispielsweise, dass der gar nicht fähig ist, einen bestimmten Job auszuüben oder ein bestimmtes Projekt zu übernehmen oder was auch immer. Hier wird wirklich Vertrauen untergraben und da wird einfach versucht, die moralische Glaubwürdigkeit abzusprechen, dass jemand in der Lage ist, etwas zu beurteilen.

Hier geht es schon sehr stark um das Persönliche und das hat dann meistens eine Wirkung. Das bezieht sich dann nicht nur noch auf diesen einen Fall, in dem man dann gestartet ist, sondern man fängt an, den anderen insgesamt als Person schlecht dastehen zu lassen. Das hat auch noch möglicherweise Auswirkungen auf ganz andere Themen. Der Kriegsschauplatz wird jetzt im Moment größer und auch die Auswirkungen verlassen jetzt unsere Eins-zu-eins-Beziehung, die wir eigentlich miteinander haben, wo wir einen Dissens in bestimmten Sachen haben. Hier nimmt es jetzt auf einmal größere Ausmaße an und kann einem wirklich massiv auch in einem Unternehmen schaden.

Joel Kaczmarek: Ist das eigentlich noch rational? Tun Menschen das mit Absicht und mit voller Kalkulation? Oder ist das etwas, was auf der Beziehungsebene passiert, wofür man gar nicht so das Bewusstsein hat? Aus der Erfahrung heraus kann man es sicherlich nicht völlig verallgemeinern, aber: Macht man das mit Absicht?

Stefan Lammers: Es gibt Menschen, die machen das mit Absicht. Da will ich nicht pauschal urteilen. Manchmal ist das nicht gesund, wenn sie das mit Absicht machen, vor allen Dingen, wenn wir gleich noch auf die nächsten Ebenen kommen. Das sind aber oftmals einfach Verläufe, die passieren, wo sich Dynamiken immer mehr hochschaukeln und man selbst nachher so unter Druck kommt. Je höher die Messlatte gelegt wird, je höher das Konfliktpotenzial ist, umso mehr kommt man unter diesen eigenen Druck, dass man am Ende verlieren könnte. Das ist an diesen Stellen total schwierig, wo wir jetzt gerade schon sind – Gesichtsverlust oder als nächstes bei den Drohstrategien – da wieder herauszukommen, weil ich jetzt hier echt einen Kotau machen muss oder zugeben muss, dass das nicht richtig gewesen ist, was ich gemacht habe, um da wieder herauszukommen. Das schaffe ich meistens nicht mehr alleine.

Joel Kaczmarek: Du hast ja schon angedeutet: Drohstrategien wäre das nächste. Das klingt schon wie: Es geht in die Tat.

Stefan Lammers: Ich versuche dann in dem Moment wirklich die komplette Situation zu kontrollieren, indem ich tatsächlich Drohungen ausspreche: Ich werde dafür sorgen, dass du deinen Job verlierst. Ich werde den anderen Leuten zeigen, was du für eine Niete bist oder was auch immer. Das sind so Drohungen, die dann ausgesprochen werden. Das kann auch darüber hinausgehen. Da entscheidet tatsächlich dann hinterher auch darüber: Was habe ich möglicherweise für eine Macht? Auf der anderen Seite, bei der anderen Person, geht es dann auch da hin: Was habe ich für Befürchtungen? Habe ich beispielsweise in dem Moment die Befürchtung, meinen Job zu verlieren? Gebe ich dann möglicherweise klein bei und lege diesen Konflikt an die Seite, damit der andere bloß nicht seine Drohung wahr macht? Das ist schon ein hammerhartes Mittel, aber auch teilweise sehr wirksam, muss man leider sagen.

Joel Kaczmarek: Ich habe so etwas am eigenen Leibe schon erlebt, also wirklich in einer Eskalationsstufe, die man sich gar nicht so vorstellen mag. Ich kenne es auch, dass man dann in so ein Aktions-Reaktions-Muster hereinkommt. Ich habe zum Beispiel Sätze zu hören bekommen wie: Dir wird der Krieg erklärt. Wir sorgen dafür, dass dies, wir sorgen dafür, dass das. Dann bist du automatisch in der Dynamik drin. Da kommst du eigentlich sehr schwer wieder heraus. Dann ist es eigentlich ganz natürlich zu sagen, dass man den nächsten Schritt nimmt. Bei mir war es dann auch so: Dann machst du ein, zwei Anrufe. Dann baust du sozusagen Gegendruck auf. In dem Fall ist dann derjenige darunter zusammengebrochen oder hat auch wieder doch noch eine Schippe daraufgelegt. Das heißt, da geht eigentlich schon die Vernichtung los, so wie du angedeutet hast.

Stefan Lammers: Ja, absolut! Die fängt jetzt gerade an dieser Stelle an: die begrenzte Vernichtung als Stufe sieben. Da sind wir letztendlich in der Ebene drei, lose-lose, drin. Hier soll dem Gegner echt geschadet werden. Da werden Tricks angewandt. Da werden möglicherweise Unwahrheiten ausgetauscht oder Ähnliches, um dem anderen zu schaden. Man ist selbst sogar bereit, an dieser Stufe dann auch selbst Schaden zu nehmen. Wenn man mir zum Beispiel zurückspiegelt: „Das, was du machst, ist nicht mehr okay, dadurch wirst du möglicherweise ein Problem in der Firma bekommen.“ Dann nehme ich das in Kauf, wenn ich das Gefühl habe, dass der andere ein noch größeres Problem als ich dadurch bekommt.

Da fange ich jetzt echt an, in diesen Vernichtungskrieg hereinzugehen und das ist schon sehr brutal und das geht dann in die Stufe acht: Zersplitterung. Da soll dann tatsächlich der Kollege oder die Kollegin mit brutalen Aktionen vernichtet werden. Das können wirklich Desinformationskampagnen sein oder Aggressionen, die ausgetauscht werden. Das kann Bloßstellen mit Fragen sein, es kann aber auch teilweise sogar schon persönlich werden – dass ich an jemandem vorbeigehe und ihm den Kaffee über die Hose schütte oder was auch immer. Das können alle möglichen Sachen sein, die da schon in diesem Moment eine Rolle spielen. Das wird dann schon sehr intensiv und endet dann in der Stufe neun: Gemeinsam in den Abgrund. Dann ist man so sehr verrannt, dass es einem egal ist, ob man im Grunde genommen selbst dabei draufgeht, nur noch in der Hoffnung, den Gegner auch dabei zu besiegen. Selbst, wenn ich dann hier irgendwie herausgeschmissen werde, solange der andere auch herausgeschmissen wird, ist das für mich noch okay. Das ist natürlich ein Extremfall – eine Situation, die ein Einzelner für sich auch überhaupt nicht mehr in den Griff bekommt.

Joel Kaczmarek: Wir reden hier über eine Modellbildung von Konflikten. Das ist erst einmal ein Stück weit antiseptisch. Das ist ja theoretisiert. Ich kann mir vorstellen, dass man in der Praxis vielleicht einmal zwei, drei Stufen mit einem Mal nimmt oder eine überspringt. Vielleicht geben wir einmal so ein bisschen Gefühl von der Front, in Anführungsstrichen, wie sich so etwas entwickelt, plus was eigentlich die Hintergründe dessen sind. Wenn ich jetzt noch einmal aus meiner eigenen Geschichte erzähle – da kann man gerne immer seine eigene Idiotie mit ins Spiel bringen... Wir hatten auch einen Fall, dass sich das irgendwann bei einer meiner Firmen so hochgeschaukelt hat. Dann kam genau so etwas, was du gesagt hast: Irgendwann fangen die Leute an, in so einen begrenzten Vernichtungsschlag zu gehen. Das ist so, wie ich es dann beschrieben habe: Du wähnst dich dann in der Abwehrhaltung und denkst: Der macht ja, ich muss also auch. Da kann man sehr schwer heraus.

Bei uns hat am Ende des Tages ein Mediator geholfen, das Ganze aufzulösen. Ich habe mich dann hinterher hingesetzt und versucht zu verstehen: Wie ist das eigentlich passiert? Ich hatte so das Gefühl: Wenn ein Konflikt eigentlich rational nicht mehr zu greifen ist, also wenn ich an einem Punkt bin, wo mein Gegenüber so destruktive Maßnahmen ergreift, dass er das Bewusstsein hat, dass sie ihm selbst schaden und ihn selbst miterwischen, dann muss das etwas sein, was sich mit reiner Logik, Ratio, nicht mehr erfassen lässt.

Ich bin dann relativ schnell dazu übergegangen, dass das manchmal einfach wirklich so ein ... Ich überlege, was für ein Bild das sein könnte: innere Haltung, Emotion. Vielleicht können wir auch dafür den Golden Circle noch einmal herausholen, den wir beim Thema Vision hatten: Dass man eigentlich über ein unterschiedliches Why redet, was sich dann in diese Misswahrnehmung weiterspinnt, in ein verletztes Ego, gekränkten Stolz, wo es dann an dieses Persönliche geht. Was du gesagt hast: Sobald es ein Lose auf einer Seite gibt, kippt die Waage auch wieder zurück. Vielleicht versuchen wir einmal auf dem Weg da hereinzutauchen, dass wir noch einmal unseren Golden Circle herausholen und auf der Basis ein bisschen klarmachen, worum es da geht.

Stefan Lammers: Darf ich noch eimal ganz kurz etwas zu den unterschiedlichen Phasen sagen? Da gibt es Ideen, was man in diesen Phasen als Begleitung machen kann. Man sagt so, dass in den Phasen eins bis drei ein Moderator noch helfen kann. Das könnte ein Kollege beispielsweise sein, der bei den beiden hilft. Bei den Phasen drei bis fünf wäre es Prozessbegleitung. Das wäre schon möglicherweise eher jemand, der sehr erfahren ist, intern oder auch möglicherweise schon eine externe Begleitung. Vier bis sechs ist soziotherapeutische Prozessbegleitung. Da wäre schon einer, der mit therapeutischer Erfahrung unterwegs ist, wichtig. Dann kommen wir bei Stufen fünf bis sieben zur Vermittlung und Mediation. Da hast du gerade darüber gesprochen. Bei sechs bis acht geht es schon tatsächlich in Schiedsverfahren, gerichtliches Verfahren herein. Stufen sieben bis neun ist Machteingriff. Das ist jetzt tatsächlich das Thema, wo es dann um diesen Vernichtungskrieg geht. Das kann man in einem Unternehmen nicht dulden. Da braucht es dann eben von draußen den Eingriff.

Das kann aber auch in einer Beziehung sein, dass eine der Personen geschützt werden muss, dass es auch da gerichtliche Kontaktverbote oder sonst irgendwelche Dinge gibt, um Menschen zu schützen. Jetzt nehme ich das, was du gerade mit dem Golden Circle gesagt hast, auf. Das ist für mich nach wie vor das einfachste Modell. Es gibt da verschiedene. Wen es interessiert, dem kann ich auch einmal empfehlen, im Internet nach den logischen Ebenen von Dilts zu suchen. Das ist vielleicht noch einmal so ein Lösungsmodell, mit dem ich teilweise ganz gerne in komplexeren Konfliktsituationen arbeite, um die zu lösen. Wir können das aber auch ganz einfach mit dem Golden Circle machen, weil das ja unser Standardmodell ist, was sich jetzt auch hier durch unseren High Performance Leadership Podcast durchzieht.

Wenn ich weiß, worum es geht, ist es meistens einfacher. Dann sind die Gedanken der einzelnen Protagonisten auch sehr zielgerichtet. Oftmals ist aber kein klares Why da und oftmals halten wir uns in den Unternehmen – auch gerade dadurch, dass wir in den Unternehmen sehr viel Arbeitslast haben – auf der Ebene des What auf. Das heißt also, wenn ich auf der What-Ebene eine Idee habe und der andere auch auf der What-Ebene eine Idee hat, es dann oftmals gar nicht mehr um die Idee geht, sondern: Wer hat recht? Das ist jetzt ganz einfach zu beantworten: Wenn einer von den beiden Recht hat, hat der andere schon sein Gesicht verloren. Das ist der erste Anflug eines Konfliktes. Jetzt gibt es normalerweise keine gesichtswahrende Konfliktklärung auf der gleichen Ebene. Denn selbst, wenn jetzt einer – Entschuldigung – den Schwanz einzieht und sagt: „Ich bin mit deiner Lösung einverstanden.” Dann stellt er seine eigene Idee hintenan. Eine Lösung wäre möglicherweise noch, wenn sich aus diesen beiden Ideen noch etwas Gemeinschaftliches kreieren lässt.

Wie bekommt man das aber hin? Eine der Möglichkeiten ist, sich damit danach noch einmal auseinanderzusetzen: „Was ist denn eigentlich unser Why, weswegen wir uns hier überhaupt gerade unterhalten? Was wollen wir denn eigentlich tatsächlich erreichen?“ Dann die Frage danach stellen: „Was ist denn die beste Lösung, die wir jetzt finden können, um dieses Why zu verwirklichen?“ Jetzt geht es in diesem Moment nicht mehr um: „Du hast Recht oder ich habe Recht.“ Sondern es geht darum: „Was ist das Beste, was wir für das Unternehmen, für das Team, für die Abteilung, den Kunden oder was auch immer in diesem Moment tun können?“ Das steht im Vordergrund. Es steht dann eben nicht mehr das eigene Ego und der eigene Status im Vordergrund, sondern das höhere Ziel und das Resultat. Das hilft uns, ganz schnell wieder aus dieser Konfliktebene wegzukommen und lösungsorientiert über die beste Lösung nachzudenken. Das ist eine der einfachsten Varianten, gerade eben, wenn wir auf der ersten Ebene sind, der Win-Win-Ebene, um ganz schnell nach vorne zu schauen und gemeinschaftlich nach der besten Lösung zu suchen.

Joel Kaczmarek: Vielleicht sagen wir noch einmal ganz kurz einen Satz zum Golden Circle. Grundgedanke war ja: Im Zentrum steht das Why. „Warum tue ich etwas?“ Die nächste Zwiebelschale ist das How?: „Wie setze ich dieses Why um?“ What: „Mit welchen Elementen konkret?“ Dann haben wir schon in einer unserer ersten Folgen, wo es um die Vision ging, gesagt: „Ganz viele Unternehmen starten fälschlicherweise außen und gehen nach innen. Die fangen erst einmal mit What? an. Was bilde ich eigentlich?“ Und dann fragen sie sich: „Wie und warum? Wenn man jetzt auf so einer Konfliktebene ist und sich eigentlich über das What austauscht?“ Und dann in Disput gerät, weil, wie du sagst, einer A und der andere B sagt, und nicht beide Recht haben können, und es einen Verlierer geben muss, dann kann dieser Rückgriff auf die Sinnhaftigkeit des ganzen Unterfangens ein guter Weg sein.

Wir tauchen hier schon in erste Lösungsmodelle ein, um so einen Konflikt beizulegen: Dass man eigentlich nur einmal darauf referiert, warum man das tut. Das hat auch schon in der Praxis wahrscheinlich einmal fast jeder von uns erlebt, dass man sich manchmal verhärtet und dann gibt es so einen, der sagt: Ich erkläre einmal ganz kurz, warum ich das eigentlich mache – der so ein bisschen diese Ego-Komponente herausnimmt und das höhere Gut, das höhere Ziel, dahinter auftut. Ist das etwas, was irgendwie über alle diese neun Phasen des Konfliktes hinweg hilft? Oder ist das ein Patentrezept, was jetzt vielleicht eher nur am Anfang wirkt?

Stefan Lammers: Ich würde sagen, dass das ein Rezept ist, was letztendlich am Anfang wirkt. Da gehe ich noch einmal darauf ein, was ich vorhin gesagt habe: Irgendwann wird es einfach nötig, dass ich eine externe Begleitung dazu brauche. Da komme ich selbst nicht mehr heraus. Da brauche ich eben den Mediator oder den Prozessbegleiter oder Schärferes, um dann tatsächlich zu einer Lösung zu kommen. Eine Situation, die ich ganz oft erlebe, ist folgende: Da möchte ich alle, die eine neue Führungsposition übernehmen, noch einmal vor ihrem eigenen Mut und vor ihrem eigenen Ego ein Stück weit schützen. Deswegen komme ich gerade schnell noch einmal mit diesem Beispiel. Ich erlebe es ganz oft, dass es in Teams ungeklärte Personalien gibt.

Jetzt gibt es einen Führungskräftewechsel und die alte Führungskraft bietet an, die alte Personalie noch zu klären. Ich erlebe es ganz oft, dass dann die neuen Führungskräfte sagen: Nein, das mache ich schon alles selbst. Die wollen damit zeigen, wie stark sie sind, dass sie das auch alles selbst können und so weiter. Ich kann an jeden nur appellieren: Wenn euer Vorgänger noch etwas klären kann, lasst es vom Vorgänger klären! Ihr macht es euch viel einfacher in der neuen Situation, wenn ihr hier unbelasteter hereingehen könnt, als wenn ihr als erste Tat sozusagen noch eine uralte Kamelle klären müsst, wo vorher die Vorgänger daran gescheitert sind.

Joel Kaczmarek: Jetzt hast du eben trotzdem schon einmal den Robert Dilts mit den logischen Ebenen angerissen. Das stammt, wenn ich mich nicht ganz täusche, aus dem NLP Bereich: Neurolinguistisches Programmieren. Eigentlich sind das Mechanismen, die dazu gedacht sind, Verständigung zu fördern. Ich finde es trotzdem ganz spannend, wenn wir das einmal so grob anreißen. Das ist ja pyramidenförmig. Ich glaube, dass das uns ganz sinnhaft auch in ein anderes Lösungsmodell hinüberführt. Kannst du dazu ein, zwei Sätze sagen, was genau diese logischen Ebenen ausmachen?

Stefan Lammers: Die klassischen logischen Ebenen von Dilts sagen letztendlich… So beschreibe ich das immer schön: Wenn man als Mensch von oben durchgeschnitten ist, dann sieht man sich wie eine Zwiebel. Das Äußerste von uns ist die Umwelt. Wenn jemand bei mir hier hereinkommt in das Büro, dann sehen wir uns von außen als erstes und wir sehen, wie wir angezogen sind und wie das Umfeld aussieht. Dadurch nehmen wir schon eine Einschätzung vor. Das Zweite, was wir von uns erleben, ist die Verhaltensebene. Können wir uns die Hand geben? Wie begrüßen wir uns? Haben wir Höflichkeitsformen oder Ähnliches? Das ist so die zweite Ebene, die wir wahrnehmen. Die dritte Ebene ist dann auch noch eine Ebene, die wir auch so im Kontext vom Beruflichen wahrnehmen: Welche Fähigkeiten hat jemand? Ist er in der Lage, analytisch zu denken oder was auch immer? Dann kommen wir in den unbewussten Bereich herein. Die ersten drei Ebenen, die ich beschrieben habe, sind im bewussten Bereich und da kommen wir in das Unbewusste herein. Klassisch – jetzt bleibe ich einmal gerade bei Dilts – käme dann die Werte-Ebene: Was ist mir wichtig im Leben?

Die nächsttiefere Ebene wäre: Welche Rolle habe ich eigentlich? Welche Identität oder Rolle habe ich? Welche Rolle habe ich gerade im Beruflichen? Bin ich als Chef unterwegs? Bin ich als Kollege unterwegs? Was ist meine Rolle, die ich sehe? Das Tiefste, was uns betrifft, ist dann die Ebene der Zugehörigkeit. Wem fühlen wir uns zugehörig? Es geht vielleicht sogar noch darüber hinaus: Wo fühlen wir uns spirituell angedockt? Ich habe ja vorhin schon einmal in einem anderen Kontext gesagt, dass die meisten Konflikte eben auf dieser Verhaltensebene stattfinden und dass wenn man auf der gleichen Ebene – entweder auf der What-Ebene, bei dem Golden Circle oder auf der Verhaltensebene bei Dilts – einen Konflikt miteinander hat, man das auf der gleichen Ebene in der Regel nicht wird lösen können, ohne dass einer einen Gesichtsverlust hat. Da will ich vielleicht noch einmal ganz kurz hereingehen. Ich habe das oftmals in Teams, gerade, wenn es da verhärtete Fronten gibt, dass ich ein paar Lösungsalternativen habe.

Nehmen wir einmal an, in einem Team gibt es zwei Fronten auf der Verhaltensebene. Die einen sagen: „Das ist richtig, wie wir es machen.“ Die anderen sagen: „Das ist falsch, wie ihr es macht. Wir würden das so und so machen.“ Es gibt jetzt keine Lösung dafür. Dann gibt es jetzt entweder nur noch den Gesichtsverlust, sodass ein Team sagt: „Okay, wir geben euch recht.“ Es gibt die Möglichkeit, dass der Chef hereinkommt und seine höhere Macht ausspielt, und sagt: „Qua Hierarchie entscheide ich, es ist so und so.“ Es gibt noch eine dritte Möglichkeit, die ich dann tatsächlich auch manchmal miteinbringe. Wenn es richtig verhärtet ist, funktioniert die ganz gut.

Das ist das Glück miteinzubauen. Warum? Das hört sich jetzt erst mal schräg ein. Ich biete dann beispielsweise einen Münzwurf oder Streichhölzchenziehen an und in dem Moment gibt es in der Regel zwei Reaktionen darauf, erst einmal totale Verwunderung und die Leute halten mich gerade für blöd, was ich da für einen Vorschlag mache. Das ist schließlich schon etwas, wo die schon ganz lange darum ringen. Jetzt kommt aber folgende Komponente herein: Wenn die Münze entscheidet oder das Hölzchen entscheidet, dann hat im Prinzip keiner von den beiden verloren, sondern das Glück hat entschieden. Es wird also auf eine ganz andere Ebene in diesem Moment angelegt.

Es gibt tatsächlich Situationen, wo Gruppen darauf eingegangen sind, und wir das tatsächlich mit einem Münzwurf gelöst haben. Ich habe es aber auch schon erlebt, dass ich den Münzwurf gar nicht mehr gebraucht habe, weil die Gruppen gesagt haben: „Das ist ja so eine spinnerte Idee, mit der Sie da kommen. Sie glauben doch jetzt nicht wirklich, dass unser Problem, was wir jetzt so lange vor uns hertragen, mit einem Münzwurf oder mit einem Streichholz zu lösen ist! Dann finden wir lieber selbst eine Lösung!“ Sie waren auf einmal plötzlich wieder kompromissbereit und haben dann auch eine Lösung erarbeitet.

Das ist auch eine ganz spannende Methodik, die ich hier einfach einmal mitgeben will, was man auch in solchen verfahrenen Situation möglicherweise machen kann. Das Klassische ist aber beispielsweise: Wenn ich feststelle, dass sich zwei Leute auf der Verhaltensweise beharken, dann ist die Frage danach zu stellen: Hat die andere Seite überhaupt die Fähigkeiten, es anders zu machen? Oder aber auch die Frage danach zu stellen: Welche Werte sind der anderen Personen wichtig? Im Gegensatz zu Dilts habe ich das für mich auch mit den Steven Reiss-Profilen, Motivanalyse, erweitert, wo ich sage: Welche Motive hat denn eigentlich der Einzelne? Welche Emotionen spielen eine Rolle? Welche Glaubenssätze spielen eine Rolle? Welche Rolle haben die jeweiligen Protagonisten? Um herauszufinden: Was ist der eigentliche Grund? Was ist das eigentliche Motiv, wie es dazu kommt, dass es so ist, wie es gerade ist? Um darüber dann auf einer ganz anderen Ebene nach einer Lösung zu suchen. Dann geht es nicht mehr darum: Du hast recht, dich so zu verhalten oder hast Unrecht, dich so zu verhalten, sondern es geht dann um ganz andere Dinge.

Joel Kaczmarek: Was ich bisher so mitnehme, ist, dass sich Konflikte am besten zum Teil mit Empathie lösen lassen. Das ist zumindest ein Element, was da sehr zentral ist. Wir haben mit diesem Gedanken – dass wir einerseits diesen Golden Circle mit „Warum tue ich das eigentlich?“ Aus der Tasche holen und auch auf der anderen Seite diese logischen Ebenen nach Dilts – zwei Sachen gemacht: Das eine ist ja, dass man das bisschen von der reinen Sache entkoppelt, eher auf das höhere Ganze geht und dass man versucht, die Ego-Komponente herauszunehmen. Das zweite ist – wenn man jetzt an Reiss denkt – dass es eigentlich um Motivation geht und dass man versucht zu verstehen: In welcher Rolle ist der andere gerade? In welcher Situation? Was prägt sein Denken? Warum ist der so, wie er ist? Ich erinnere mich noch an ein schönes Wort von dir, das ich seitdem unfassbar gerne benutze: Derailer.

Das gehört jetzt meiner Erinnerung nach nicht zu Reiss, aber es ist in einem ähnlichen Denkmuster unterwegs, dass man halt versucht, den anderen möglichst gut zu kennen, um zu wissen: Was treibt ihn an? Was sind seine Derailer? Also was provoziert ihn zu aggressiven, dissonanten oder destruktiven Reaktionen? Das einmal so als Eröffnung, dass wir in Lösungsmodelle herein wollen. Ich finde, dass diese eine Geschichte, die du mir schon einmal erzählt hast, die wir aber meines Wissens nach noch nicht aufgezeichnet haben – rund um das Harvard-Modell - eigentlich eine ganz schöne Brücke dafür ist, dass man einmal dieses „Why? How? What?" von dem Golden Circle, den ersten Teil, den wir gerade gesagt haben, ein bisschen bildlich macht, wie man dieses heranziehen kann, um so eine Konfliktbewältigung zu lösen. Magst du die einmal erzählen?

Stefan Lammers: Das ist so ein Klassiker, sage ich jetzt mal. Das Harvard-Modell ist ja ein Verhandlungsmodell. Da gibt es einen Klassiker, da geht es um eine Orange: die Orangengeschichte. Die läuft folgendermaßen: Regula, die Mutter zweier Kinder, hat noch eine einzige Orange in der Früchteschale. Dann kommen plötzlich die Töchter angerannt und beide rufen: Ich will die Orange unbedingt haben. Jetzt steht die Mutter natürlich da und hat ein Riesenproblem. Was soll sie tun? Soll sie jetzt die Frucht durchschneiden? Soll sie eben das machen, was ich vorhin gesagt habe, eine Münze werfen? Soll sie die beiden um die Orange kämpfen lassen, Argumente austauschen lassen oder was auch immer? Die Regula, die Mutter, die tut jetzt intuitiv das Richtige und stellt jetzt die Why-Frage: Warum wollt ihr denn die Orange eigentlich unbedingt haben? Sie geht weg vom Bewertenden. Sie geht weg davon, hier jetzt direkt nach Lösungen zu suchen, sondern sie versucht erst einmal, empathisch Anteil zu nehmen und zu erfragen: Worum geht es hier in diesem Moment überhaupt?

Das ist das, was ich auch vorhin mit dem integrativen Modell oder den logischen Ebenen beschrieben habe: Es geht um das Nachfragen, das Herausfinden. Was ist eigentlich das Motiv? Worum geht es? Jetzt gibt es die Antwort: Die Anna, die will einen Kuchen backen und braucht dazu nur die Schale, und die Lea, die hat Durst und möchte nur frisch gepressten Orangensaft trinken. Die Orange ohne Schale genügt ihr. Jetzt ist plötzlich die Lösung ganz einfach auf der Hand: Ist doch klar, die unterschiedlichen Interessen lassen sich gerade berücksichtigen. Anna kriegt die Schale und Lea die geschälte Orange und kann die auspressen und kann die trinken.

Jetzt ist es eben genau das, was hier passiert: Bevor es überhaupt in diese Lösung hereingeht, wird noch einmal nachgefragt: „Worum geht es hier eigentlich? Was wollen wir denn damit überhaupt erreichen?“ Was wäre denn gewesen, wenn die Mutter das nicht getan hätte? Dann hätte sie möglicherweise die Orange zerschnitten und hätte jeder eine halbe gegeben und beide wären unzufrieden und unglücklich gewesen und wären damit abgezogen, obwohl es eben eine gute Möglichkeit der Lösung gegeben hätte. Das ist etwas, was wir oft genug nicht tun. Wir schauen oft nicht hin: Worum geht es hier eigentlich wirklich? Wir trauen uns oftmals nicht, noch einmal nachzufragen. Wir denken, aha, die haben da ja schon darüber gesprochen. Die Situation ist sowieso klar. Das ist dann möglicherweise auch die große Chance für Dritte, wenn sie feststellen, dass zwei gerade aneinander vorbeireden oder sich die Dinge zwischen ihnen verfestigt haben, hinzugehen, hinzuschauen und so früh wie möglich nachzufragen: Worum geht es hier eigentlich wirklich? Was wollt ihr damit erreichen? – und eben tatsächlich Klarheit hereinzubringen und den Fall noch einmal genau zu klären: Was ist eigentlich das, worum es hier geht?

Joel Kaczmarek: Es ist auch ganz naheliegend, dass wenn man sich irgendwie streitet, man sich noch einmal rückversichert: „Wollen wir eigentlich nicht dasselbe?" Weil oft genug hat man wirklich den Fall, dass man das Gleiche will und man denkt, dass der eigene Weg einen dahinführt. Jetzt gibt es noch eine andere Komponente, die wir gerade schon angerissen haben: das ganze Thema Empathie. Da geht es ein bisschen darum: Wo steht der Mensch eigentlich gerade? Mir sind da aus der Kommunikationswissenschaft noch ganz viele Alltagsbilder in Erinnerung.

Ich erinnere mich, dass eine meiner Linguistik-Professorin einmal von einer Geschichte erzählt hatte, wo der Mann seine Frau fragt: Hast du heute schon einmal in den Spiegel geschaut? Die Frau ist unfassbar beleidigt und fragt sich erst einmal völlig verunsichert: Sitzen meine Haare nicht richtig? Habe ich etwas zwischen den Zähnen? Was ist denn da los? Der Mann meinte die Zeitschrift Der Spiegel: „Hast du heute schon einmal in den Spiegel geschaut? Da ist ein Artikel darin über was weiß ich – also wo eigentlich eine Aussage komplett unterschiedlich gedeutet wird.“ Ein ganz bekanntes Beispiel ist das, was man, glaube ich, von Schulz von Thun kennt: Die vier Seiten einer Nachricht, hieß das, glaube ich, wo der Vater am Tisch fragt, ob man ihm das Salz reichen könne. Jeder hört irgendwie etwas anderes heraus.

Der eine fragt sich: „Sitze ich nah genug daran, um es ihm zu reichen?“ Die Mutter fragt sich: „Ah, schmeckt es ihm wohl nicht? Ist wohl zu fade, das Essen.“ Ich glaube, das ist eine ganz charmante Brücke als Bild, um einmal zu diesem Gedanken der Empathie hinzukommen. Am Ende des Tages geht es, glaube ich, um Erfahrungen, die man gemacht hat, mit denen man dann seine Umwelt interpretiert. Ich bereite mich auf so einen Podcast vor und weiß, dass du da ein noch besseres Modell hast oder dass das noch einmal tiefer führt – das sei hier mal dein Stichwort!

Stefan Lammers: Danke! Ich arbeite gerne mit einem Kommunikationsmodell. Also Schulz von Thun spielt auch immer wieder eine Rolle, gar keine Frage, vier Seiten einer Nachricht oder Vier-Ohren-Modell oder Ähnliches. Auch darüber findet sich ganz viel im Web. Das kann ich euch nur empfehlen. Da gibt es auch tolle Bücher darüber, die lohnens- und lesenswert sind. Ich kann euch auch nur empfehlen, die zu lesen. Schulz von Thun ist da sicherlich einer der ganz Großen in der Kommunikation. Aus der systemischen Konfliktberatung heraus gibt es ein Modell, was für mich immer wieder augenöffnend ist. Das ist dieses Modell, wo es darum geht, sich klar darüber zu sein, dass es in keiner Kommunikation jemals eine Wahrheit gibt. Das muss man für jeden vielleicht einfach noch einmal nachklingen lassen: Egal, mit wem ihr euch unterhaltet, wo ihr denkt, dass alles klar mit dem anderen ist und dass ihr den so gut einschätzen könnt: Letztendlich gibt es keine eindeutige Klarheit in der Kommunikation.

Wieso ist das so? Also stellt euch vor, es gibt einen Kommunikationsraum, den ihr füllen wollt. Das heißt, ihr wollt letztendlich mit jemand anderem sprechen. Da gibt es in der systemischen Konfliktberatung im Prinzip das Bild davon, dass es uns in drei verschiedenen Leben gleichzeitig gibt. Es gibt einmal, wenn ich jetzt hier gerade mit dem Joel zusammensitze und an diesem Podcast arbeite, das sogenannte gelebte Leben. Das gelebte Leben sind die ganzen Fakten. Das heißt also, wir haben heute den 5.10. Es ist gerade 16:21 Uhr. Das sind alles Fakten, die wir hier beide kennen. Wir wissen beide gerade genau, wo wir sitzen. Wir wissen, wie das Wetter ist, wie die Umstände hier sind. Das ist für uns beide alles genau das Gleiche. Das ist das gelebte Leben. Das kommt jetzt gleichzeitig in diesem Moment, wo ich spreche, wo der Joel mir gerade zuhört, in Verbindung mit Joels und mit meinem sogenannten erlebten Leben. Das heißt also, jeder Einzelne von uns hat unzählige unterschiedliche Erfahrungen in seinem Leben gemacht. Die haben für uns eine Bedeutung zu jeder Zeit – ganz unterschiedlich, aber sie werden immer wieder zu allem in Kontext gesetzt, was wir neu erfahren.

Das heißt, dass wir gleichzeitig, während wir genau die Fakten unserer Umstände hier kennen, die genau gleiche Situation vollkommen unterschiedlich wahrnehmen, weil wir es immer mit dem in Verbindung bringen, wer wir sind, was uns ausmacht und was wir in unserem Leben an Erfahrung gesammelt haben. Das alleine ist ja schon komplex genug und sorgt dafür, dass wir eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung von dem gleichen Thema haben. Jetzt kommt das sogenannte erzählte Leben dazu. Das heißt, dass wenn ich dem Joel etwas sage, dann Joel mit in das Spiel kommt, und dass ich mir Gedanken mache: Was ist denn Joel für ein Typ? Was kann ich ihm denn zumuten? Was kann ich ihm nicht zumuten? Auf welche Art und Weise spreche ich möglicherweise mit ihm, damit er es gut aufnimmt? Das heißt, dass ich aus diesem gelebten Leben, aus den Fakten, wo wir hier gleichzeitig sind, mit dem erlebten Leben, was ich erlebt habe, eine Geschichte daraus mache, die, so denke ich, für Joel interessant, aufnahmefähig, zustimmungsfähig und so weiter ist.

Gleichzeitig habe ich es in diesem Moment mit Joel zu tun, der auch sein gelebtes Leben hat. Da sind die Fakten wieder für uns beide gleich, aber er hat sein erlebtes Erleben, was komplett unterschiedlich ist. Ich nenne das dann in diesem Moment so, dass er jetzt noch ein gehörtes Leben hat, nämlich das, was er von mir aufnimmt und was er hören will, was er ablehnt, was er gut findet, was er vielleicht mit eigenen Gedanken und mit seinen eigenen Erfahrungen wieder in Verbindung bringt. Das heißt, wenn er jetzt über diese Situation jemand anderem berichtet, dann wird er möglicherweise etwas ganz anderes darüber erzählen als ich. Wir werden vor allen Dingen nicht die gleichen Worte benutzen. Wenn ich mit dieser Grundhaltung in die Kommunikation hereingehe, dann ist es immer mein Bestreben, nicht von Anfang an einfach so zu den Knowern zu gehören und zu sagen: „Ich weiß alles. Aha, ich weiß, wie der Joel tickt. Ich weiß, was der Joel jetzt denkt und so weiter und so fort.“ Sondern dass ich sage: „Ah, ich bin neugierig darauf, was der Joel gerade daraus macht, was er darüber erzählt.“ Dann bin ich offen, auch Lösungen zu finden und auch mit Konflikten konstruktiv umzugehen.

Joel Kaczmarek: Das erinnert mich so ein bisschen an dieses amerikanische Sprichwort: „To walk in someone else's shoes“ – so sagen sie, glaube ich.

Stefan Lammers: Absolut! Also dieser Perspektivwechsel, sich in die Schuhe des anderen zu begeben, sich Gedanken darüber zu machen – Wie könnte er das denken? – ist gut, aber zu guter Letzt habe ich nicht die Wahrheit, dass das so ist. Das, was ich empfinde, und was ich denke, was der andere denkt, ist nicht das, was der andere denkt.

Joel Kaczmarek: Es gibt ja auch bei einigen afrikanischen Völkern diesen Brauch, dass wenn ein Paar heiratet, dass der Mann eine Woche lang die Kleider und Schuhe der Frau tragen muss, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist, in ihrer Haut zu stecken, wie sie den Alltag wahrnimmt. Das verändert noch nicht das, was du gerade gesagt hast. Also das erlebte Leben des Anderen, seine individuellen Wahrnehmung hat er dadurch nur zum Teil oder er bildet sich sozusagen wieder ein eigenes erlebtes Leben der De-facto-Situation des anderen. Es ist aber ein ganz schönes Beispiel, wie man vielleicht manchmal diese Denke ein bisschen switchen kann. Wenn wir es jetzt wieder auf unser Thema Konflikt zurückführen, ist ja eigentlich die Kernaussage, dass man sich bewusst machen sollte, dass jeder anders ist, einen anderen Rucksack an Erfahrungen mit sich hat und deswegen die Dinge ganz anders sieht.

Das heißt, dass es nicht die eine Wahrheit gibt. Ich ertappe mich auch dabei. Man ist ja in Konflikten und Streits schnell dabei, dass man ein bisschen den Imperialisten heraushängen lässt oder den Missionar: Dass man der Meinung ist, dass das Set, was ich jetzt gerade gebildet habe aus gelebtem Leben, erlebtem Leben und erzähltem Leben – also diese Trias, die du da gerade beschrieben hast – die Wahrheit sein muss, weil das ja die Fakten sind. Ich habe das ganz oft erlebt, dass wenn man auf einmal anfängt, sich darauf einzulassen, das erlebte Leben des anderen kennenzulernen und zu versuchen, zu verstehen, was mit ihm passiert, so eine Konfliktlösung immer um ein Vielfaches einfacher ist, weil man ganz anders versteht, was die Motivation des Ganzen ist.

Stefan Lammers: Ganz genau. Das ist eben unabdingbar, diese Offenheit sich zu behalten, um tatsächlich dann auch auf den anderen Ebenen, die ich eben beschrieben habe – Fähigkeiten, Werte, Motive, Identität, Zugehörigkeit – überhaupt einen Zugang zu finden und ein Gefühl dafür zu kriegen: Was könnten denn überhaupt jetzt in diesem Moment Lösungsmöglichkeiten sein?

Joel Kaczmarek: Ansonsten haben wir viele Bilder in unserer Folge, das merke ich. Ich habe mal ein Buch über NLP gelesen. Ich habe es zu meiner Schande mal wieder nicht geschafft, es durchzulesen, aber da war eine schöne Geschichte darin, die mir in Erinnerung geblieben ist. Da ging es um einen Imbiss, wo sich jemand etwas bestellt und er fragt dann immer nach den Preisen und sagt: „Ich hätte gerne die Currywurst, was kostet die denn?“ Dann sagt er: „2,40 Euro.“ „Und eine Bulette?“ „Auch 2,40 Euro, das steht doch auch da oben.“ „Und wenn ich Ketchup mit dazu nehme?„ „0,40 Euro extra. Das steht doch dort oben.“ „Und wie ist es mit Pommes?“ Und dann wird der Mensch immer aggressiver: „Das steht doch da oben, was fällt Ihnen ein? So eine Frechheit!“

Also der ist ganz schnell in so einem Thema, wo es dann die rationale Ebene verlässt, es in die emotionale geht und er sich irgendwie verhöhnt fühlt und er denkt, er will ihn irgendwie verarschen, ihn nicht ernst nehmen, bis ihm dann ein anderer Gast sagt: „Du, ich glaube, der kann nicht lesen.“ Es kann sein, dass ich einmal die Geschichte auch schon erzählt habe, aber das Lustige ist ja – das habe ich in der Praxis auch schon erlebt – dass in der Sekunde die Wahrnehmung um 180 Grad switcht. Er merkt: „Die Umstände unseres Konfliktes sind ganz anders als ich gedacht hätte.“ Und man kalibriert sich dann irgendwie komplett neu und für mich geht das, was du erzählt hast und wie wir so einen Lösungsweg aus Konflikten herauszubauen versuchen, genau in diese Richtung. Dass man eigentlich versucht zu verstehen, was der Kontext des anderen ist. Warum tut er das, was er tut? Ein Weg ist, sich dieses gemeinsame Why noch einmal zu versichern und das andere ist, sich bewusst zu machen – das läuft eigentlich aufs Gleiche hinaus: In welcher Situation ist der andere gerade? Was bringt er eigentlich mit an den Tisch?

Stefan Lammers: Und da möchte ich jetzt gleich den Kreis von unserem Beginn schließen, wo du was von mir erzählt hast, als du bei mir warst, mit meiner Frau und so weiter. Das ist eben genau dieser Punkt, wenn ich diese Eigenschaft habe, diese Klärung sofort zu Anfang zu betreiben, dort, wo es noch einfacher ist, wo ich noch im Win-Win Bereich bin und eben diese Fragen stelle – nicht im Sinne davon, den anderen vorzuführen, sondern davon, zu Klären und über den anderen was zu erfahren, seine Motive zu ergründen, eine Lösung zu finden – komme ich ganz schnell zu tollen Lösungen und zu neuen Erkenntnissen, die ganz was Neues erwachsen lassen können. Das ist etwas, wovor sich viele Leute scheuen, und solange warten, bis der Konflikt eskaliert ist.

Dann versuchen sie beispielsweise auf der nächsten Ebene Chefs oder ähnliches einzuschalten, was dann auch erforderlich ist, weil man es dann selbst schon gar nicht mehr in der Lage ist, hinzukriegen. Deswegen kann ich nur appellieren: Traut euch von Anfang an, klar zu sein. Traut euch, Fragen zu stellen. Traut euch, neugierig zu sein und von dem anderen zu erfahren, was dahinter steckt. Da könnt ihr wahnsinnig viel lernen und da findet Entwicklung statt und traut euch auch mal hinzugehen und zu sagen: „Wow, ich hatte eine fantastische Idee, aber es war gerade nicht die beste. Es gab da einen, der hatte eine noch bessere Idee als ich.“

Joel Kaczmarek: Was sind denn ansonsten so deine Top drei Schritte, die du unternimmst, wenn du in ein Team kommst, was dich anfordert, in Anführungsstrichen, um den Konflikt zu lösen?

Stefan Lammers: Tatsächlich, dass ich mit den einzelnen Protagonisten zuerst Interviews führe. Also, dass ich da hereinschaue. Dann baue ich Hypothesen auf, was das Thema ist und dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich konfrontiere sie mit den Hypothesen oder ich habe dann einen Vorgehensweg aufgebaut, wie ich das Ganze machen will, und habe auch entschieden, ob es jetzt eher eine Mediation ist oder ob es jetzt irgendwo tatsächlich ein Workshop ist, wo man sich noch austauschen kann. Das ist eine Frage, auf welcher Konfliktebene wir uns gerade bewegen. Ganz wichtig sind dabei an der Stelle zwei Dinge – das vielleicht noch mal auch für Führungskräfte: Das erste ist, dass viele Führungskräfte versuchen, die Dinge bilateral zu besprechen und zu klären. Das funktioniert meistens nicht, weil jeder natürlich versucht, in seinem Sinne zu argumentieren und die Führungskraft für sich einzunehmen. Also die Empfehlung da an der Stelle: Versucht gemeinsam mit den Protagonisten zu sprechen.

Jetzt kommt auch noch die nächste Ebene. Schickt sie als Führungskraft erst mal noch mal zurück, dass sie es selbst miteinander klären sollen, dass sie ehrlich miteinander sein sollen. Gebt den Rahmen vor in irgendeiner Form, dass sie die Dinge klar benennen sollen, dass sie nach einer gemeinsamen Lösung suchen sollen und dass sie gemeinsam diese Lösung dem Chef präsentieren. Passt auf! Führungskräfte sind viel zu schnell dazu geneigt, eine Lösung für die Mitarbeiter zu suchen und sind zum Schluss die Gelackmeierten, weil beide Mitarbeiter auf einmal unzufrieden sind. Das ist so ähnlich wie mit der Orange eben. Schlimmstenfalls schneidet der Chef jetzt die Orange in zwei Hälften und beide Mitarbeiter sind stinksauer auf den Chef und das passiert gar nicht so selten. Insofern würde ich immer schauen, dass ich versuchen würde, dass die Mitarbeiter selbst für Lösungen suchen.

Joel Kaczmarek: Man ist ja immer geneigt, wenn man in so einem Konflikt ist, den anderen zu überzeugen. Ist das überhaupt ein Lösungsweg, der nach dem gangbar ist, was wir jetzt schon referiert haben?

Stefan Lammers: Das kommt wirklich drauf an. Also manchmal wird das vielleicht funktionieren, aber grundsätzlich würde ich es jetzt nicht pauschalisieren, dass das immer funktioniert.

Joel Kaczmarek: Dann lass uns doch abschließend noch mal vielleicht drei Impfstoffe gegen Konflikte sagen. Eigentlich haben wir es ja schon relativ breit gefächert, dass wir gesagt haben: Sich auf das Why versichern, offen für die Ideen des anderen sein. Hast du noch so ein, zwei Sachen vielleicht, die da irgendwie auch helfen könnten, sowas von vornherein zu vermeiden, dass man in Konflikt geht?

Stefan Lammers: Also tatsächlich sofort Klartext reden, höflich Klartext reden. Man kann über alles reden. Ton macht die Musik. An dieser Stelle versuche ich mit Ich-Botschaften zu arbeiten. Sprecht darüber, was ihr in dem Moment fühlt. Sprecht das aus: „Ich fühle mich gerade…“ Vermeiden von Du-Botschaften. Und auch ruhig die Emotionen mit rein bringen. Also dieses Gefühl: „Hey, ich fühle mich gerade nicht gut.“ Oder: „Ich fühle mich gerade sauer, ich bin angefressen.“ Oder was auch immer. Diese Dinge in diesem Moment auch wirklich mit auf den Tisch zu legen und sich nicht davor scheuen, auch die Gefühle zu benennen, ist leider Gottes etwas, was wir uns immer wieder abtrainiert haben, auch gerade im betrieblichen Kontext. Es ist aber eine wahnsinnig wichtige Information für die andere Seite, dass es sich eben nicht nur um eine rationale Geschichte handelt, sondern dass da auch gerade emotional was passiert.

Joel Kaczmarek: Hast du eigentlich noch so Symptome, an denen ich erkenne, dass ich auf einen Konflikt zusteuere? Wie ich es ja auch am Anfang oder in der Mitte mal gesagt habe: Manchmal ist man in so einem Konflikt drinnen und hat den Beginn gar nicht gemerkt. Gibt es da irgendwie Elemente, wie man das irgendwie schnell spüren kann?

Stefan Lammers: Tatsächlich ist es eine Gefühlssache, dass ich mich unwohl fühle, dass ich möglicherweise das Gefühl habe, dass ich gerade die Kontrolle verloren habe. Oder ich habe das Gefühl, ich habe etwas aus meiner Sicht klar gesagt, aber es ist nicht so angekommen. Habe ich eine ganz andere Response als die, die ich erwartet habe? Das sind schon alles kleine Hinweise. Und jetzt kann man mit einer wohlwollend guten Haltung hingehen, kann jetzt möglicherweise einen Dritten, der dabei war, noch mal befragen, kann sagen: „Wie hast du das in diesem Moment empfunden? War ich da klar, was hast du darunter verstanden und wie kann ich da gegebenenfalls auch nochmal drauf eingehen? Was kann ich da vielleicht noch mal klar ziehen?“ Also, dass man sehr achtsam mit sich selbst ist, wenn man selbst auch schon so eine kleine Störung spürt und sich noch mal vergewissert und noch mal nachfragt: „Was ist auf der anderen Seite eigentlich wirklich angekommen?“

Joel Kaczmarek: Sehr gut. Ich glaube, das war ein schöner Ritt. Wir haben am Anfang sicherlich ein bisschen vielleicht abstrakt, verkopft, geredet, aber ich glaube, so im Bogen nach hinten heraus kriegt man schon ein Gefühl dafür, wie man diese Rückversicherung – in welcher Situation man gerade ist, das Why, und so weiter – sehr schön nutzen kann, um Konflikte aufzulösen. Letzter Satz vielleicht: Würdest du sagen, dass es immer Sinn macht, über dritte Personen als Mediatoren nachzudenken, seien sie jetzt betriebsintern oder ein externer Profi wie du?

Stefan Lammers: Das kann eine gute Hilfe sein, aber es muss nicht an jeder Stufe sein. Wenn ich von Anfang an achtsam mit mir und mit der Kommunikation bin, denke ich, dass ich es auf so einem kleinen Level halten kann, dass ich die Dinge auch selbst klären kann. Aber wenn es verfahren ist, würde ich auch rechtzeitig dafür sorgen, dass jemand Drittes mit drin ist. Das können eben auch anfangs Kollegen oder Vorgesetzte sein, aber an einer bestimmten Stelle ist auf jeden Fall ratsam, auch externe Beratung da mitzuzuziehen. Für Führungskräfte halte ich es einfach für total wichtig, Konfliktkompetenz zu erweben. Das wird eigentlich unterschätzt, wie viele Konflikte in Unternehmen da sind und die kosten einfach sehr viel Geld. Insofern macht es Sinn, eben immer wieder in diese Achtsamkeit hereinzugehen, auch als Führungskraft, wenn ich feststelle, dass da scheinbar irgendetwas brodelt. Nicht wegschauen, sondern hereingehen, die Dinge offen machen. Und es sind aus meiner Erfahrung mehr Konflikte da, als sich Teammitglieder oft zugestehen.

Joel Kaczmarek: Hervorragend! Dann danke ich dir ganz herzlich, dass du wieder heute mein externer Experte warst und ich hoffe, wir haben hinterher keinen Konflikt, dass ich hier erzähle, was bei euch zu Hause abgeht.

Stefan Lammers:: Nein, überhaupt nicht. Du weißt, ich bin ein sehr offener Mensch.

Joel Kaczmarek: In der Tat. Und dass du das auch heute wieder warst, dafür danke ich dir ganz herzlich und freue mich schon auf das nächste Mal.

Stefan Lammers: Ich mich auch. Bis bald, Joel.

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