Wir wir uns in Krisenzeiten selbst retten mit Paul Kohtes

26. April 2020, mit Marina Löwe

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Marina Löwe: Hallo und herzlich willkommen zu Make it Mindful bei digital kompakt. Sehr passend zu den aktuellen Umwälzungen, die der Coronavirus gerade weltweit anstößt, tausche ich mich heute mit Paul Kohtes darüber aus, wie wir mit Achtsamkeit unser Wirtschaftssystem retten können.

Wir haben zwei Folgen, die ihr euch gerne auch zusammenhängend anhören könnt, denn ich habe gerade mit Paul überlegt, okay, worauf wollen wir gucken?

Das Thema könnte ein bisschen größer sein. Und wir haben gesagt, okay, warum nicht? Die Frage, wie kann ich mich retten? Und die Frage, wie kann ich das System retten? Und da ich gerade den Dr. Otto Schama lese nochmal, die You-Theory, habe ich ja gelernt, jede Veränderung hängt davon ab, wie das Bewusstsein des Verändernden beschaffen ist. Von daher, Paul, wäre ja die Frage, ob wir anfangen mit, wie kann ich mich retten? Aber bevor wir da einsteigen, was sollten die Hörer eigentlich über dich wissen? Also was bringt dich zum Thema Achtsamkeit und zum Thema die Wirtschaft retten? Wie kommst du dazu?

Paul Kohtes: Ja, das ist eine lange Geschichte, weil ich mich ja schon seit vielen Jahren mit Achtsamkeit, Mindfulness, Meditation und solchen Dingen beschäftige. Schon in meiner Firma habe ich damit angefangen, vor vielen Jahren. Da war das allerdings noch nicht so resonant wie das jetzt. Da war das eher exotisch und immer auf der Grenze zum Esoterischen. Und wenn ich diese Entwicklung verfolge in den letzten Jahren, finde ich das ein erstaunliches Phänomen, wie sich da so das Setting und das Bewusstsein geändert hat. Heute kann man über solche Themen völlig unkompliziert sprechen, sogar mit Vorstandsvorsitzenden. Die zucken nicht zusammen, wenn sie das Wort Meditation hören. Und ja, das ist eine große Veränderung. Da kommen wir gleich nochmal drauf zurück, weil das hat natürlich viele Auswirkungen.

Marina Löwe: Ja, und was ich bei dir spannend finde, ist, du kommst ja aus diesem absoluten Leistungsbereich auch. Also Paul gehört zu den Innovatoren der Kommunikationsbranche, hat nämlich die PR-Agentur Pleon Clevis Cotis damals gegründet, die anschließend auch Marktführer in Deutschland wurde. Du hast von Aldi bis zur katholischen Kirche sehr diverse Unternehmen auch beraten. Und ich habe gelesen in einem anderen Interview, dass du jahrelang, wie du selber gesagt hast, auch undercover gelaufen bist. Also Zen-Meditation ist eher Privatsache gewesen. Was war denn ein eigener Zugang von, ich leite hier eine sehr erfolgreiche PR-Agentur, zu, ich fokussiere mich jetzt auch beruflich mehr auf das Thema Zen und Achtsamkeit?

Paul Kohtes: So etwas kommt ja immer von zwei Seiten. Eine Seite ist der Druck. Also wenn es unangenehm ist, dann versuchen wir, das irgendwie zu ändern. Und auf der anderen Seite ist es die Sogwirkung. Also wenn ich irgendeine Idee habe, was vielleicht gut sein könnte für mich oder was besser sein könnte, Dann kommt daraus eine Sogwirkung. Und so ist das von beiden Seiten gekommen. Einerseits der Stress und andererseits das Bewusstsein, da muss doch noch was anderes sein. Und zwar was erfüllender ist und was jetzt nicht nur einfach aufhören heißt, sondern in einer besseren Weise weitermachen können.

Marina Löwe: Das finde ich eine schöne Formulierung. Nicht aufhören, sondern in einer schöneren, anderen Weise weitermachen. Weil das ist ja das, was bei vielen Führungskräften die größte Herausforderung zu sein scheint. Also mir begegnet das schon, dass auch Geschäftsführer sagen, irgendwas passt hier für mich nicht mehr und für sich selber auf der Suche sind. Aber du hast das, glaube ich, auch schon mal beschrieben, auch in einem Interview. Da ist ja gleichzeitig auch eine unheimlich große Angst. Also das ist ja das System und das Spiel, was ich kenne. Und da weiß ich auch, darin bin ich gut. Ich habe ja gelernt, wie ich in dem System nach oben komme und wie ich da die Regeln mitspiele. und Wie komme ich denn jetzt dahin, aus diesem Spiel auszusteigen oder dieses neue, schönere zu finden? Wie hat das für dich funktioniert?

Paul Kohtes: Ja, das ist eine einfache Spielregel. Man muss es nur wollen wollen. Das klingt simpel, aber es ist auch simpel letztlich. Aber wir sind es nicht gewohnt, sowas überhaupt zuzulassen. Und deswegen brauchen wir leider manchmal einen Tritt oder einen Schubs oder eine größere Krise. So wie jetzt im Moment, um Veränderungen zu ermöglichen. Und das ist schade, aber mir geht das auch so. Es ist nicht so, dass ich mich ständig neu verändere und neu erfinde, ohne dass da Druck ist. Es sind eben beide Seiten. Und das Wichtigste ist, Meister Eckart hat das mal gesagt, du brauchst die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dem, was wirklich für dich wichtig ist. Dann helfen dir beide Seiten, die Druckseite und die Sogseite. Ja, ich kenne das ja auch, wenn Führungskräfte in den Seminaren sind und sie zum ersten Mal bei sich selbst angekommen sind und dann sagen die, oh, das ist ja toll, dass es sowas gibt. Und dann fahren sie zurück in die Firma und sind total frustriert und sagen, das mache ich nicht mehr mit, da steige ich aus. Und das ist super schade, weil dadurch gewinnen wir da überhaupt keine Transformation, sondern…. Da gehen die einfach sozusagen mit sich alleine weiter. Und da haben wir den Konflikt zwischen deiner Einführung, nämlich wie weit ist es für mich gut und wie weit ist es für das System gut. Das ist auch immer ein Konflikt, weil ich natürlich auch selber jahrelang erfahren habe, ich fange mal bei mir an, was mir gut tut. Das war nicht immer gut für das System.

Marina Löwe: Also wenn das, was dir gut tut, am Anfang noch nicht gut ist für das System, wie kommst du denn dann Von diesem Punkt, ich tue mir was Gutes, aber für das System ist es noch nicht gut zu, am Ende ist es doch für das System gut.

Paul Kohtes: Ja, das ist die zentrale Frage. Wie ändere ich das System? Und dann gibt es eben zwei Wege. Das ist auch wieder, dass ich mich ändere. Und das sagen auch viele Führungskräfte. Die kommen dann zurück und kriegen dann von ihren Mitarbeitern das Feedback. Hey, sagen Sie mal, Sie haben sich irgendwie verändert. Sie sind einfach offener, freundlicher. Ja, und solche Sachen hören die dann. Das ist der eine Schritt. Ja, und die andere Seite ist natürlich, dass ich auch, ich sage mal, das System selber mit einer anderen Differenziertheit mir ansehen darf. Und nicht im Sinne eines, das ist so vorgegeben und das mache ich jetzt oder ich lasse es. Sondern wenn ich da meinen Gestaltungswillen, und das weiß ich aus eigener Erfahrung, dass das geht, wenn ich den nutze, und das meinte ich mit dem Willen, dann kann da viel passieren. Aber das ist eben ein anderer Wille als den, den ich normalerweise als Führungskraft drauf habe. Das ist dieser Macherwille. Ich muss das irgendwie hinkriegen. Und das ist wieder Stress und Druck. Sondern dieser Wille, um den es hier geht, ist sozusagen eine Einladung. Ja, das ist eine andere, das sind wir bei Scharner. Ja, das ist sozusagen aus der Zukunft heraus die Dinge sich entwickeln lassen. Da entsteht auch ein Sog.

Marina Löwe: Ja, das finde ich spannend, weil du eigentlich gerade differenzierst zwischen diesem Macher und dem Gestalter. dann bin ich ja auch immer noch jemand, der eine Wirkung hat auf sein Umfeld. Aber du hast das Wort auch schon fallen lassen, es hat eher was auch von Zulassen zu tun. Und was ich früher schwer beschreiben konnte für Leute, die diesen Beruf nicht machen, was heißt das, den Raum zu halten für eine Gruppe oder den Raum zu halten für den Coachee? Das ist ja sehr Und für jemanden, der damit nichts anfangen kann, habe ich mich immer gefragt, wie kann man das erklären, was das heißt, den Raum zu halten, damit Veränderung passieren kann?

Paul Kohtes: Am besten ist natürlich eine direkte Erfahrung. Und da gibt es eine ganz simple Methode, die schon vielfach erprobt ist und die heißt, vor einem Meeting eine kurze Stille. Ob man das nun Meditation nennt oder Einstimmung oder Vorbereitung, ist gleich. Aber alle, die das mitmachen, bestätigen, dass das Meeting, das dann folgt nach so einem Inhalten, bevor das losgeht, das läuft völlig anders. Und da sind wir bei dem Raum, von dem du gerade gesprochen hast, da entsteht Ob wir das wollen oder nicht, entsteht ein Raum, in dem mehr Gemeinsamkeit möglich wird. Und das ist anders, als wenn sich da zwölf Egos zusammensetzen und jeder will da gewinnen.

Marina Löwe: Ja, obwohl das Spiel ja auch eine Zeit lang ganz interessant ist.

Paul Kohtes: Nein, das ist nicht interessant, weil das Krieg ist. Und das andere ist Spiel. Das ist ein großer Unterschied.

Marina Löwe: Ja, und es gibt ja irgendein Irgendwozu hat es ja gedient. Also wir machen die Dinge ja, weil sie einem Zweck dienen und wir noch einen gewissen Nutzen oder Vorteil daraus haben. Und das, was du sagst, da bin ich völlig bei dir, dieses hier treffen nur Egos aufeinander und ich versuche meinen Punkt durchzubringen. Ich bin in der Debatte anstatt im Dialog. Das ist ja aber durchaus was, wo wir mit aufgewachsen sind oder wo wir eine Zeit lang gesagt bekommen haben, wenn du das machst, dann kommst du hier durch. Das ist dein Überlebensziel.

Paul Kohtes: Kulturbedingter Bewusstseinsstatus ist das. Wir haben das so drauf und deswegen ist uns das nicht mehr bewusst, dass das vielleicht nicht okay ist oder dass da eine Änderung möglich ist. Ich bringe mal ein drastisches Beispiel. Vor vielen hundert Jahren, die Sklavenhändler, die hatten nicht das Bewusstsein, dass sie da irgendetwas Schlimmes tun. Das war, wie wir heute mit Tieren umgehen. Wir werden das in Zukunft auch mal sehen, dass wir heute mit den Tieren umgehen, wie damals die Menschen mit den Sklaven. Und da hatte man kein Bewusstsein für. Das war einfach so. Das war Tradition und das war auch in Ordnung. Und so ist vieles, was heute im Business geschieht, ist natürlich in den letzten 200 Jahren entstanden oder 150 Jahren. Und aus der autoritären Grundhaltung, die dieses Jahrhundert ja geprägt hat, ist das sozusagen da hineingewachsen. Und so sind Unternehmen eben tendenziell und je größer, desto mehr autoritär strukturiert und geführt. Was auch sehr erfolgreich ist. Will ich ja gar nicht sagen. Aber irgendwann ist sozusagen die Phase dieses Vorgehens irgendwann zu Ende. Und da stehen wir vor. Und das müssen viele Leute leidhaft erfahren. Naja, wir werden sehen. Dann sind wir wieder bei der Krise. Ist auch eine Chance.

Marina Löwe: Was für eine Chance siehst du gerade? Weil du hast ja gesagt, oh, das Thema ist gerade auch so ernst. Es sieht aus, als ob man darüber nicht lachen kann. Was ist das, wo du sagst, da dürfen wir auch gerne unseren Humor beibehalten oder da dürfen wir auch gerne eine positive Perspektive auf diese Situation gerade behalten?

Paul Kohtes: Das mit dem Humor passiert ja automatisch, weil das ein dringendes Bedürfnis ist, um Entlastung zu finden. Ja, wenn ich angespannt bin, ist Lachen eine tolle Entlastungsstrategie. Und deswegen diese unendliche Fülle von verrückten Videoclips, die jetzt durch die Gegend geistern rund um Corona, die sind der Beleg dafür, wie wichtig das ist, dass wir in so einer Situation nicht nur Trübsal blasen oder uns Sorgen machen. Ja, die brauche ich auch, kann ich auch machen. Aber wenn ich nur noch Sorgen habe, nur noch Trübsal blase, naja. Dann kann ich ja gleich aussteigen.

Marina Löwe: Ja, da bist du wieder beim Bewusstsein. Also genau die Frage, in was für einem Bewusstseinszustand müsste ich mich bringen, damit ich jetzt gerade mit dieser Situation konstruktiv umgehe und auch kreativ.

Paul Kohtes: Ja, auch da gibt es ein sehr einfaches Rezept. Das passt jetzt wunderbar. Das heißt nämlich Abstand halten.

Marina Löwe: So, was meinst du denn mit dem Abstand?

Paul Kohtes: Auf der praktischen physischen Ebene probieren wir das ja gerade aus, um uns nicht zu infizieren, halten wir Abstand physisch. So, und das gleiche Grundprinzip gilt auch für unser Bewusstsein. Solange wir in unserem Bewusstsein keinen Abstand haben, sondern darin verwickelt sind, laufen wir dem Programm, das sich das Bewusstsein da selbst gebastelt hat, laufen wir dem immer hinterher, sind wir Gefangener dieses Bewusstseins. Erst in dem Moment, wo ich den Abstand habe, dass ich sehe, was ich denke, was für Gefühle ich habe, was mein Körper so alles treibt. Erst wenn ich den Abstand so habe, bin ich in der Lage, auch eine Entscheidung zu treffen. Das kann ich nur machen, wenn ich sage, lass ich so oder so. Dann kann ich entscheiden, mache ich mir jetzt Sorgen, was berechtigt sein kann. Oder ich kann entscheiden, wozu soll ich mir jetzt Sorgen machen, lass es laufen. Aber wenn ich das nicht mehr entscheiden kann, bin ich natürlich ein armes Schwein.

Marina Löwe: Und da erlebe ich eine sehr große Diversität gerade. Ich weiß nicht, wie es dir geht. Also ich habe Geschäftsführer, die sagen, mein Laden ist dicht. Jetzt schon. Aber es geht mir erstaunlich gut. Ich habe eine unglaubliche Ruhe gerade in mir. Also mit dem Vertrauen auf Ich brauche mir gerade keine Angst und keine Sorgen machen bis hin zu den Geschäftsführern, die natürlich auch noch versuchen, alles zusammenzuhalten, die einen Umgang finden müssen mit den ganzen Ängsten, die ihnen natürlich auch entgegenschlagen von ihrem Umfeld und von ihren Mitarbeitern. Also es ist ja gerade ein sehr, sehr großes Spannungsfeld und die eigenen.

Paul Kohtes: Die eigenen darf man nicht unterschätzen. Sie sind ja auch Weltmeister im Verdrängen. dann ist das auch ein Punkt. Wenn ich Abstand habe, kann ich meine Ängste erkennen. Und wenn ich die erkennen kann, ist das eine andere Umgehensweise damit, als wenn die sozusagen subversiv da wühlen und sich austoben.

Marina Löwe: Ja, und es ist verdammt unangenehm. Also es ist ja nicht so, dass ich mich seit gestern damit beschäftige, aber auch im Begleiten bist du doch sehr konfrontiert noch mit, wie finde ich jetzt meinen Umgang? Also ich coache ja jetzt gerade auch die Führungskräfte, bekomme ja auch deren Ängste mit. Und auch da hast du recht, ich brauche gerade ganz extrem diese Auszeiten mit Abstand, um wieder zu sortieren und zu sagen, Moment, was sind deine Ängste? Was sind meine? Was mache ich jetzt damit? Okay, ich nehme das wahr, aber schmeiße ich mich da rein und bleibe da hängen?

Paul Kohtes: Genau.

Marina Löwe: Also es ist schon Training.

Paul Kohtes: Ja, genau. Und das ist der Punkt. Wir haben in unserer Kultur für diese Form des Bewusstseins, sage ich einmal, keine Strukturen, auch keine Erfahrungen und es bringt uns auch keiner bei. Wenn wir wissen, dass wir Zähne putzen, haben wir das irgendwann gelernt und dann tun wir das, weil das Sinn macht. Aber wie wir unser Bewusstsein trainieren und schulen, wer sagt uns, wie das geht? Nun ist Meditation eine der zentralen Methoden, um das zu erkennen und zu sehen, diese Zusammenhänge, die da sind. Und das Spannende ist eigentlich, wenn man das jetzt mal aus unserer Situation heute überträgt, wir machen ja gerade alle gemeinsam eine riesige Meditationsrunde. Ja. Das stimmt. Das ist doch interessant. Und es tauchen die gleichen Dinge auf, die auch in einer etwas intensiveren, strengeren Meditation auftauchen. Alle die gleichen Aspekte, nämlich das Grübeln, das Gedankenkarussell, die Ängste, die Entspannung. Das Schöne, also das ganze Bandbreite taucht auf, wenn ich auf einmal abgekoppelt bin von dem rasenden Zug, an dem ich hänge.

Marina Löwe: Ja, das stimmt. Und es ist ein ganz feiner Balanceakt, gerade mit Humor und respektvollem Umgang. Es geht in dieser Situation natürlich auch um Menschenleben und es geht natürlich um viele Schicksale. Auf der anderen Seite, du hast es schon gesagt, brauchen wir manchmal einfach Humor, um damit umzugehen. Und das siehst du ja auch in den sozialen Medien. Es wird ja humorvoll viel Wahrheit rausgepackt, wo viele sagen, das wird jetzt sehr interessant, wenn die Ehepartner sich nicht mehr mit den Geliebten treffen können, wenn sie plötzlich in der Wohnung zusammenhängen über Wochen und sich jetzt nicht aus dem Weg gehen können mit Sport und Überstunden, sondern sich auch mal angucken und miteinander auseinandersetzen müssen. Und das war so eine Mischung aus Da werden natürlich flapsige Sprüche drüber gemacht, aber es ist ja durchaus sehr ernst. Und der allererste Punkt, gerade auch für die vielen Singles, die es weltweit gibt oder die Alleinstehenden, auch Verwitweten, Ja, jetzt sitzt du da und bist gezwungen, bei dir erstmal Hausaufgaben zu machen und aufzuräumen. Weil wie willst du dich die nächsten Wochen nonstop beschäftigen? Du kannst ja nicht nur Nachrichten gucken.

Paul Kohtes: Also da gibt es, glaube ich, auch eine interessante Erfahrung, die jeder machen kann. Es ist genauso, wie du das geschildert hast, dass ich auf einmal da auf mich selbst zurückgeworfen bin. Und das bin ich nicht gewohnt und fühle mich total allein. Aber das Phänomen, was jetzt auftaucht, ist ja genauso interessant. Nämlich, dass auf einmal alle von der Verbundenheit reden. Erstaunlicherweise gerade jetzt, wo wir alle nicht verbunden sind, außer elektronisch. Und dass wir bewundern, wie die Italien auf dem Balkon singen und tönen und dass die vielen Solidaritätsadressen, die überall durch die Welt gehen. Das ist ein Phänomen, wie eng diese Einsamkeit, von der du gesprochen hast, und die Verbundenheit aneinander gekoppelt sind. Und wenn ich das einmal erfahren habe, kriegt da auch meine Einsamkeit, die so ist und die ist manchmal brutal, bekommt auf einmal auch eine andere Komponente wieder. Und das wäre mir wichtig, dass wir uns offen halten für solche Erfahrungen.

Marina Löwe: Für die Erfahrung ein anderes Gefühl für diese Einsamkeit und den Abstand zu entwickeln? Oder was meinst du mit offen?

Paul Kohtes: Ja, die Einsamkeit ist ja schon schwer genug zu ertragen. Und wenn ich mich darin verfange und dann sozusagen mich selbst bemitleide oder in Schmerz vergehe wegen meiner Einsamkeit oder in Wut und Enttäuschung, was alles folgen kann, dann ist das tragisch genug. Wenn ich aber weiß, diese Einsamkeit hat eine andere Seite, wie eine Münze zwei Seiten hat, und das ist die Verbundenheit, die finde ich dann nur nicht in diesem Moment. Solange ich auf mich und mein Elend konzentriert bin, fällt es sehr schwer, Verbundenheit zu erfahren. Aber die vielen Kontakte, die jetzt über die sozialen Medien möglich sind, sind auch eine Form der Verbundenheit. Und Und diese beiden Aspekte zu würdigen, hilft dabei, dass wir nicht einseitig abrutschen. Auch nicht einseitig abrutschen auf die andere Seite, in die Verbundenheit. Dass ich mich auflöse und sage, ich bin jetzt nur noch für die Welt.

Marina Löwe: Ja, und ich hatte gestern, das hat mich sehr gerührt, ein Gespräch mit einer Freundin aus Kanada, die mir beschrieben hat, dass sie in einem Apartmentgebäude wohnt und irgendwann sich überlegt hat, ich schreibe kleine Zettel und schiebe die unter den Türen durch und da schreibe ich drauf, hey, liebe

Paul Kohtes: Nachbarn,

Marina Löwe: wir kennen uns zwar nicht, aber wenn ihr mögt, dann lasst uns doch am Sonntagabend um 8 alle einmal kurz die Tür aufmachen und den Kopf rausstrecken. Wir kommen uns nicht näher, aber wir sehen einander zumindest mal. Und Am Sonntagabend um 8 ging wirklich alle Türen auf, alle haben den Kopf rausgestreckt und sagte, ich wusste gar nicht, dass meine Nachbarin im achten Monat schwanger ist. Und wenn die nach der Geburt aus dem Krankenhaus kommt, muss sie zwei Wochen in Quarantäne. Und dann haben wir die Nummern ausgetauscht, Handynummern, haben eine WhatsApp-Gruppe gemacht und ich habe denen über den Flur zugerufen, hey, und wenn ihr einkaufen müsst, wenn ihr irgendwas braucht, ihr dürft nicht raus, aber wir dürfen, bitte einkaufen. sagt Bescheid und sie sagt, die beiden haben angefangen zu weinen, weil sie so eine Angst hatten, jetzt alleine damit dazustehen. und das hat sie so gerührt. und das Fazit von meiner Freundin Laura war, alles, was ich tun musste, war die Tür zu öffnen und obwohl ich nicht nah sein konnte, konnte ich da sein.

Paul Kohtes: Genau, das ist ein schönes Beispiel von dem, was ich versucht habe, etwas abstrakt zu sagen.

Marina Löwe: Das hat gerade sehr angedockt an diese Geschichte von gestern, weil das hat wirklich, ja darüber sprechen wir auch, dieses Fühlen. Also können wir zulassen, dass die Geschichten uns nicht nur kognitiv erreichen, sondern das fällt mir in den letzten Tagen noch mehr auf, dass man mehr fühlt.

Paul Kohtes: Ja, das ist, finde ich, auch ein wichtiges Stichwort. Das ist auch die große Chance jetzt und damit auch gerade für Führungskräfte. oft so unangenehm, dass mit diesem Für-sich-Sein auf einmal auch eine höhere Sensibilität einhergeht. Ja. die ich vorher nicht so gespürt habe, weil ich mit anderen wichtigeren Dingen beschäftigt war. Und auf einmal kommen solche Faktoren, emotionale Betroffenheit, Einsamkeit, Traurigkeit, Ängste, Freude, Schönheit, die tauchen auf einmal auf. Und das ist für viele Menschen, und ich weiß das aus eigener Erfahrung, wenn man so richtig drin ist, eingespannt, hat man da keinen Sinn für. Das ist wörtlich zu nehmen. Es ist ohne Sinn. Und die Sinnlichkeit, die wir jetzt im Moment erfahren können, das ist ein großes, ich nenne das ein sekundärer Krankheitsgewinn.

Marina Löwe: Das finde ich total schön, diese Sinnlichkeit. Ja, so habe ich das Wort noch nicht im Zusammenhang gebracht. Es ist eine Sinnlichkeit, die diese Einsamkeit irgendwo auch wieder ermöglicht, verrückterweise.

Paul Kohtes: Ja, genau, das sagen ja auch viele, dass sie auf einmal merken, da steht eine Blume in meinem Zimmer, die habe ich vorher nie wahrgenommen. Oder es sind viele kleine Beispiele. Ja, da könnte man sagen, früher hätte man gesagt, ach, das ist doch alles Quatsch, das ist banal. Ja, und plötzlich bekommt man das eine Wichtigkeit, dass wir merken, nein, die Welt besteht eben nicht nur aus dem Machen, dem Tun, dem Gewinnen, sondern die Welt besteht auch immer aus den anderen Seiten, die ich als Führungskraft oder als Normalo überhaupt nicht gelernt habe, in irgendeiner Form zu würdigen. Vielleicht ein bisschen mal während der Urlaubszeit, wo ich sage, ah ja, schön, jetzt ist es entspannend, jetzt genieße ich das Meer oder die Berge. Ja, aber dann muss es auch wieder gut sein.

Marina Löwe: Ja, eine kurze Auszeit, aber bitte absehbar mit Ende und am besten in der Auszeit aktiv was machen, irgendwas Extremes. Auf einen hohen Berg, Parachuting, keine Ahnung, irgendwas mit Adrenalin am besten, weil dann bleibe ich ja im System. Wenn du den Hörern einen Tipp geben könntest, also einer ist natürlich, dass sie mit Seven Mind mit dir gemeinsam meditieren können, denn du bist ja die Stimme von Seven Mind, von der App, eine der Stimmen. Aber das heißt, man kann sich dich aufs Handy holen und dir folgen in den Meditationen. Also du hast ja schon gesagt, gemeinsam eine Pause vor den Meetings, bevor man losgeht. Aber wenn wir jetzt dann denken, wie kann ich mich retten? Also ich bin Führungskraft oder Mitarbeiter oder jetzt auch gerade ohne Job, Wo kann ich bei mir selber am besten anfangen? Was wäre dein praktischer Tipp, was man jetzt gerade für sich machen kann, um vielleicht auch mit dem Thema Einsamkeit umzugehen?

Paul Kohtes: Ich glaube, es ist immer wieder die gleiche Frage, wenn ich mich schlecht fühle, dass ich immer wieder versuche, nochmal zu schauen. Was ist die andere Seite davon? Das klingt ein bisschen naiv, aber was ist das Gute darin? Und das gilt jetzt auch für die ganze Krise. Und das gilt auch für das jetzt, was wir erfahren, das Alleinsein, das mit sich selbst sich beschäftigen müssen. Das ist erst einmal unangenehm. Aber wir haben auch eben schon darüber gesprochen, das hat eben auch andere Aspekte und die sind sehr, sehr positiv. Die sind sehr, sehr gut. Die haben wir vorher nicht erlebt und erleben können, weil wir beschäftigt waren mit anderen Sachen. Also immer wieder hereinzuspüren und da brauche ich, da sind wir wieder bei Otto Schama, da brauche ich eine längere Perspektive in meiner Sicht. Und das erlebe ich ja, und das müsste ja auch so gehen, denke ich, bei Führungskräften in Krisenzeiten, dann ist natürlich erst mal das große Elend. Kein Geld, Familienprobleme und alles, was dazukommt. Und irgendwann ist die Krise ja überwunden. Und was sagen nach vielleicht ein paar Monaten oder vielleicht sogar erst nach ein paar Jahren, sagen nahezu alle, soweit ich das beobachten konnte, sagen hinterher, das war ganz wichtig, dass ich in diese Krise geraten bin. Das hat mir erst einen neuen Weg eröffnet. Das ist im Moment in der Krise, das zu sagen, ist ein bedingter Trost, weil ich es nicht hören will, wenn ich da mittendrin sitze. Aber trotzdem sich das immer wieder bewusst machen zu sagen, es ist für irgendetwas gut. Ich kann es nur im Moment noch nicht herausfinden. So wie jetzt dieses ganze Corona-Elend. Es ist für irgendetwas gut. Mit Sicherheit. Ich kann es im Moment noch nicht sagen, wofür. Aber das wird sich zeigen. Warten wir es mal ab.

Marina Löwe: Warten wir es mal ab.

Paul Kohtes: Ja, eben. Und das ist die zweite Schlussfolgerung daraus, dass ich den Dingen öfter mal ihren Lauf geben lassen kann. Das heißt ja nicht, dass ich mein Leben in laissez-faire verbringe, sondern, wie das im Zen heißt, das zu tun, was dran ist. Und ich ergänze dazu, und das zu lassen, was nicht dran ist. Und woher weiß ich, was nicht dran ist? Ja, das ist immer eine wichtige Frage. Woher weiß ich, was nicht dran ist? Und da zeigt sich oft, wenn kein Flow drauf ist, dann weiß ich, das ist nicht dran. Ja, hier wie mit der Technik heute, die wir jetzt hier zusammengebastelt haben. Ja, das hätte ja auch nicht funktionieren können. Aber es war dran, es hat einigermaßen funktioniert. Ist vielleicht nicht optimal, aber es hat funktioniert. So, es ist jetzt dran.

Marina Löwe: Ja, und wenn wir nicht zusammengekommen wären technisch, dann wäre das das Zeichen gewesen. Sich selber retten ist noch nicht dran. Ja.

Paul Kohtes: Genau, wir haben ja zwei Peritamine vorher versucht hinzubekommen, hat nicht geklappt, war nicht dran.

Marina Löwe: Du hast recht.

Paul Kohtes: Irgendwann versucht man irgendwas hinzubekommen und man merkt, das klappt nicht, das will nicht. Was machen wir als Normalo, als normale Führungskraft? Das setze ich immer durch und wende Gewalt an. Also jetzt nicht physische Gewalt, sondern gegen mich selbst letztlich. So, meine Idee ist, sensibler zu werden, dafür herauszufinden, was ist dran, was läuft, wo setze ich sozusagen mit dem Fluss und wo schwimme ich unnötigerweise, versuche ich gegen den Fluss zu schwimmen. Das meine ich nicht opportunistisch, wie es vielleicht so klingt, sondern im Gegenteil, das meine ich klug, clever.

Marina Löwe: Mit dem Fluss zu gehen und nicht dagegen.

Paul Kohtes: Ja, und ich spare viel Energie dabei. Natürlich ist es manchmal unangenehm, mit dem Fluss zu gehen, weil ich nicht weiß, wo der hingeht. Und der fällt vielleicht nicht über den Wasserfall. Das ist dann für den Fluss nicht so angenehm. Das finde ich als Schömer auch nicht. Aber das ist eben dann dran. Sorry, es tut mir leid. Und wenn ich das überlebt habe, wenn ich das überlebt habe, jetzt mal bildhaft, war das eine ganz wichtige Erfahrung. Das ist das, was du eben geschildert hast, von Menschen, die auf den hohen Berg steigen müssen. Das ist mörderisch anstrengend. Aber die sagen hinterher alle, Das war eine tolle Erfahrung.

Marina Löwe: Ja, vielleicht ist das gerade unser à la Mount Everest. Oder unser Flug zum Mond.

Paul Kohtes: Ja, oder unsere Stromschnelle, wo wir durch müssen.

Marina Löwe: Ja, wir werden das rückblickend wahrscheinlich wissen, wie Steve Jobs so schön gesagt hat, you will know looking back how the dots connect. Also erst rückblickend werden wir sehen, wie sich die Punkte miteinander verbinden. Und das finde ich einen schönen Abschluss für unsere Hörer zum Mitnehmen aus dieser Folge. Wir werden ja auch noch gucken, wie wir das Wirtschaftssystem retten. Aber wenn ihr erstmal gucken wollt, wie ihr euch selber retten könnt, dann ist die erste Frage

Paul Kohtes: Also wer sich selbst gerettet hat, kann die zweite Folge dann hören.

Marina Löwe: Genau. Fangt an, euch selber zu retten, dann seid ihr bereit für den Rest der Welt. Und dazu drei konkrete Tipps von Paul. Was ist die andere Seite? Also bei allem, was gerade passiert, auch damit zu sein, also nicht zu machen, sondern damit zu sein, was ist die andere Seite von dem, was gerade ist. Das Zweite, wie kannst du den Dingen ihren Lauf lassen und nur das tun, was gerade dran ist. Und dazu braucht es eben den Zugang zum Gefühl und auch mal aushalten, dass das Handy in einem anderen Zimmer liegt oder aus ist, den Fernseher ausmachen und gucken, wie kannst du dich mal nicht ablenken und genau diese Dinge tun, die Paul uns gerade ganz konkret mitgegeben hat. Ich danke dir schon mal ganz herzlich. Genau, wie kannst du mehr lassen? Sorry, ich hänge auch noch mal in meinem alten Muster und denke, man muss ganz viel tun.

Paul Kohtes: Aha, wir machen ja noch eine zweite Folge.

Marina Löwe: Ich lerne ja auch noch dazu von Folge zu Folge. Ganz herzlichen Dank schon mal, Paul, dafür.

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Diese Episode dreht sich schwerpunktmäßig um Achtsamkeit: Tief durchatmen und in den Bauch horchen! Auf deinem Weg in ein achtsameres Arbeitsleben begleitete dich bei uns regelmäßig Marina Löwe. Von ihr erfährst du in verschiedenen Folgen, welche Potenziale in dir stecken, wenn du Achtsamkeit als Haltung in deinen Berufsalltag integrierst.