Gregor Gysi: Ist Politik eigentlich Kunst?
1. Juli 2020, mit Joel Kaczmarek, Sebastian Krumbiegel
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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Kunst-Drift-Digital-Podcast von digitalkompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und heute habe ich nicht nur einen Pop-Prinzen hier, sondern auch noch einen Polit-Papst. Herzlich willkommen an meinen Co-Moderator, den lieben Sebastian. Schön, dass du wieder dabei bist.
Sebastian Krumbiegel: Moin, ich freue mich.
Joel Kaczmarek: Das ist mir ein Vergnügen. Guck mal, ich habe hier richtig schöne Alliterationen gebaut mit P's, ne? Pop-Prinz.
Sebastian Krumbiegel: Politik-Papst.
Joel Kaczmarek: Ja, normalerweise sage ich Podcast-Papst, aber was Drittes fällt mir nicht ein. Prinz, Papst, was gibt es noch mit P?
Gregor Gysi: Paul. Paul.
Joel Kaczmarek: Politik-Paul, okay.
Sebastian Krumbiegel: Aber er heißt nicht Paul, sondern er heißt Gregor.
Joel Kaczmarek: Genau. Und man merkt schon, er hat sozusagen das sprachlich in die Wiege gelegt. Mein Vater meinte zu mir, als er mich fragte, wer kommt denn demnächst so zu dir, habe ich gesagt, Gregor Gysi. Er meinte, okay, da musst du dich anstrengen. Der redet dich schwindelig, hat er gesagt. Da hast selbst du keine Chance, du alte Lavabacke. Aber Spaß beiseite, Ernst, komm raus. Herzlich willkommen, lieber Gregor. Schön, dass du da bist.
Gregor Gysi: Ja, ich freue mich auch auf euch beide.
Joel Kaczmarek: Also der Name hier ist ja Kunst trifft digital und Politik ist sozusagen deine Kunst. Das heißt, wir wollten heute mal sagen, dass wir Politik auch als eine Kunstform verstehen. Und bei Kunst finde ich als erstes immer spannend, mal zu lernen, wie bist du denn zu deiner Kunst gekommen in die Welt der Politik?
Gregor Gysi: Ja, ob Politik wirklich Kunst ist, da darf ich wenigstens Zweifel anmessen, weil ja letztlich alle Menschen, selbst die, die denken, dass sie völlig unpolitisch sind, Politik treiben, ohne es zu merken.
Sebastian Krumbiegel: Aber auch jeder ist ein Künstler, hat Andy Warhol gesagt, für fünf Minuten wenigstens.
Gregor Gysi: Ja, das stimmt. Zum Beispiel schon bei der Geburt. Da rauszukommen ist schwer. Da musst du schon eine Kunst beherrschen. In Wirklichkeit ist es so, dass ich natürlich vier Berufe gleichzeitig ausübe. Ich bin Politiker, ich bin Rechtsanwalt, Moderator und Autor. Und die Mischung macht es, weil ich dadurch andere Erfahrungen sammeln kann, anders reagieren kann. Aber wie bin ich dazu gekommen? Ich war in der DDR ausschließlich Rechtsanwalt und habe dann den entscheidenden Fehler meines Lebens begangen, nämlich Ja gesagt zum Vorsitz der Partei. Das war ja noch die SED, die wir dann reformieren wollten. Warum habe ich das gemacht? dass es zur Einheit kommt. Ich wusste noch nicht wann und wie, aber das war ja alles abzusehen. Und ich wusste, dass ich dann die Interessen vieler Ostdeutscher vertreten muss, die ja kein anderer vertritt. Wir hatten ja auch Millionen, Staats- und Parteifunktionäre und alles Mögliche. Und keine Partei wäre bereit gewesen, deren Interessen zu vertreten. Aber die mussten ja auch einen Weg in die deutsche Einheit finden. Und ich glaube, dass wir da Hilfe geleistet haben. Dann kam es allerdings alles ein bisschen anders. weil nämlich zum Beispiel die Eliten ja auch nicht vereinigt wurden. Und dann hatten wir so viele Arbeitslose, die Interessenvertretung mussten wir dann auch übernehmen. Insofern hat sich das dann schon dramatisch erweitert. Der zweite Grund bestand darin, dass sich die Partei sehr gründlich reformieren wollte, aber sie auch nicht untergehen lassen wollte. Das hat wieder was mit der Geschichte meiner Eltern zu tun. Und das letzte war folgendes. Ich war das erste Mal im Fernsehen am 6. November und habe gesagt, dass der Reisegesetzentwurf der Regierung halbherzig ist und wenn, dann muss man das Reisen schon richtig gestatten. Da war ich plötzlich sehr beliebt. Ich bekam sogar Urkunden von Brigaden. Und da ich Beliebtheit nicht aushalte, habe ich mich dann entschlossen, SED-Vorsitzender zu werden. Und dann war ich sofort grenzenlos unbeliebt. Aber das war natürlich kein wirkliches Motiv, sondern ich habe danach ja sehr vehement um Akzeptanz gerungen. Und zwar sowohl für meine Partei als auch für mich persönlich.
Joel Kaczmarek: Ist das so ein bisschen, dass Anwälte sich gerne streiten, dass sie Harmonie nicht aushalten können?
Gregor Gysi: Auf der anderen Seite gelte ich wieder als harmoniesüchtig. Also bei mir ist das immer so ein Punkt. Ich versuche immer einen Vergleich auch im Recht und sage, geben Sie doch ein Stück nach und Sie ein Stück nach etc. Aber wenn der nicht gelingt oder wenn ich hart angegangen werde, dann kann bei mir auch das Gegenteil passieren. Dann sage ich so, jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht und dann kann ich zum Beispiel so eine Rede halten wie auf dem Parteitag, die als Hassrede, eingegangen ist, weil ich die ganze Situation knallhart geschildert habe. Und dann ist mir auch egal, was passiert. Also das ist auch interessant. Ich weiß noch, bei der Verteidigung meiner Dissertation, das war genauso. Alle stellten Fragen, ich habe immer alles lieb beantwortet, harmoniesüchtig saß ich da rum und ein Professor, der konnte mich nicht ausstehen. Und er stellte immer wieder Fragen und immer wieder Fragen. Und dann sagte er zu mir, was glauben Sie denn, wird sich in der Gesellschaft dank Ihrer Dissertation verändern? Und jetzt war der Punkt bei mir überschritten. Und dann sagte ich, ja, Herr Professor, wenn Sie von mir wissen wollen, ob die Welt nach meiner Dissertation anders aussieht als vor meiner Dissertation, dann muss ich Ihnen recht geben, die sieht nicht anders aus. Aber darf ich daran erinnern, dass das für die gesamte Rechtswissenschaft der DDR gilt? Ach, da war er. Und das war mir egal. Dann kam einer raus und sagt, Mensch, die können dich auch durchfallen lassen. Sag ich, ist mir jetzt völlig wurscht. Können Sie machen, was Sie wollen. Ist auch interessant. Und ich bin gar nicht so unzufrieden mit mir, dass ich mal so einen Punkt erreiche, wo ich sage, jetzt ist Sense, jetzt ist es mir auch wurscht, das kann mir auch schaden, jetzt reagiere ich eben auf meine Art und Weise.
Sebastian Krumbiegel: Ich glaube, das gehört auch dazu. Also du hast vorhin gesagt, was ich dir ja nicht so ganz abnehme, du kannst Beliebtheit nicht leiden. Da wollte ich gerade fragen, wie kommst du denn mit dir und deinem sozialen Umfeld zurecht?
Gregor Gysi: Nein, natürlich kann ich die gut leiden. Das war eher eine ironische Bemerkung. Es hat mich aber nicht geschreckt. Ich wusste, dass ich unbeliebt werde. Es hat vielleicht eine Verzögerungssekunde gegeben, aber dann habe ich mir gesagt, nee, du musst das machen und gut.
Sebastian Krumbiegel: Also ich glaube ja, dass es durchaus verschiedene Parallelen gibt zwischen deinem Job und meinem Job. Die Charts der Popmusiker sind eure Prozente, die ihr habt sozusagen. Und natürlich wollen wir alle gemocht werden. Natürlich haben wir es lieber, wenn uns Leute sagen, hey, was bist denn du eigentlich für ein toller, eloquenter, gutaussehender Typ? Und wir wollen nicht beschimpft werden. Und trotzdem, und da gehe ich, glaube ich, das ist das, was du meintest, Ich lasse mich ehrlich gesagt wirklich gern beschimpfen von Leuten, von denen ich mich nicht loben lassen will, weil die auf einer völlig anderen Seite stehen. Und wenn wir heute über Shitstorms reden und so, ich bin da auch ganz gut erprobt und ich glaube, du bist da auch ganz gut erprobt, dir Sachen sagen zu lassen, dich beschimpfen zu lassen. Und das, denke ich, in letzter Zeit manchmal ist, glaube ich, dann doch eher eine Art Ritterschlag, wenn du von den richtigen Leuten auch beschimpft wirst.
Gregor Gysi: Aber es ist so, dass ich eine breite Toleranz habe, weil ich ja begriffen habe, dass es in der Gesellschaft unterschiedliche Interessen gibt. Deshalb ist es ja auch wichtig, dass es eine konservative Partei gibt und eine grüne Partei gibt. Aber auch unsere Partei und natürlich auch die Sozialdemokratie und auch die FDP, das halte ich alles aus. Man muss nur lernen zu wissen, dass es die gibt und dass es auch berechtigt ist, andere Interessen zu vertreten. Man selbst nach seiner Überzeugung vertritt eben die Interessen bestimmter Leute und die Interessen anderer Leute nicht. Was nicht geht in der Politik ist, zu denken, du kannst es allen recht machen. Das ist nicht erfunden.
Sebastian Krumbiegel: Everybody's darling.
Gregor Gysi: Ja, das ist nicht erfunden. Das Rechtsaußen, was wir jetzt bei der AfD erleben, das finde ich natürlich überflüssig. Und es ist interessant, wie die mich beschimpfen, jedes Mal, wenn ich im Bundestag spreche, da man es nicht versteht, wenn sie auch nicht zur Ordnung rufen. Aber nachher im Protokoll kann ich es ja lesen. Und das finde ich ganz gut. Also wenn die mir zuklatschen, würde ich schwer über mich nachdenken müssen.
Sebastian Krumbiegel: Das meinte ich, ja.
Joel Kaczmarek: Ja, ich überlege so ein bisschen, also ich meine, vielleicht kannst du es ja auch mal mit in deinen Alltag nehmen. Wie ist eigentlich so das Leben als Politiker generell gestaffelt? Ist ja auch ganz interessant, wenn wir nachher mal eine Reise in die Vergangenheit machen, wie das früher war und wie es jetzt ist. Aber wie muss ich mir so einen Alltag als Politiker eigentlich vorstellen?
Gregor Gysi: Ich kann kein einheitliches Bild bieten. Als ich Parteivorsitzender war und Fraktionsvorsitzender war, war es gekennzeichnet von Reden, von Sitzungen, von Kundgebungen, von Rundfunk- und Fernsehauftritten, von Zeitungsinterviews. Es gab fast nichts anderes. Und ich musste immer mir Zeit erkämpfen, um mich darauf vorzubereiten. Du musst ja auch dein Wissen erweitern, wenn du das alles machen willst. Und dann hörte ich auf als Fraktionsvorsitzender und da habe ich andere Aufgaben gefunden. Also dann zum Beispiel habe ich in Bücher geschrieben, habe ich meine Autobiografie geschrieben. Dann wurde ich ganz viel zu Veranstaltungen eingeladen. Ich habe gesprochen, natürlich vor Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern, vor Betriebsräten, aber auch vor Unternehmerinnen und Unternehmern, sogar vor Bankern. Also die laden mich auch ein, weil sie gerne mit mir streiten und vieles andere mehr. Da hat sich mein Leben völlig geändert. Dann habe ich eben Bücher geschrieben und dann wurde ich immer mehr auch zum Moderator. Das heißt, ich habe Gäste im Deutschen Theater in Berlin und Gäste in der Diesle in Berlin.
Sebastian Krumbiegel: Wo ich zu Gast war auch mal, was ich in echt guter Erinnerung habe.
Gregor Gysi: Und auch in Neuzelle. Und da unterscheide ich mich wieder von dem Menschen, den man eigentlich kennt. Weil von der gesamten Zeit nehme ich nicht mehr als 10 bis 15 Prozent Redezeit in Anspruch, weil ich Fragen stelle und ich will ja die Sicht des anderen hören, nicht meine Sicht. Und wenn du das nicht kannst, wenn du nicht zuhören kannst, kannst du auch nicht reden. Du musst beides können. Und ich lerne ja auch daraus. Die erzählen mir dann Umstände aus dem Leben, auf die ich wieder gar nicht gekommen bin. Und das war wieder ein ganz anderes Leben. Jetzt erlebe ich ein drittes Leben, das ich so überhaupt noch nicht kannte. Und zwar wegen der Corona-Krise. Alle Veranstaltungen sind abgesagt. Alle. Das heißt, ich gehe ins Rechtsanwaltsbüro, klar. Und ich gehe in den Bundestag. Nicht nur an Sitzungswochen, sondern einmal in der Woche, auch in den anderen Wochen. Aber ansonsten habe ich abends frei. Jetzt nehmen natürlich wieder Interviewtermine zu und so weiter. Aber das ist auch ganz egal. Das ist für mich interessant, weil ich Angst davor hatte. Da ich geschieden bin und alleine wohne, habe ich gedacht, das wird ja furchtbar. Was machst du denn da abends? Und ich stelle fest, ich habe überhaupt keine Zeit. Und es wird mir auch gar nicht langweilig. Also diese Angst ist weg, sodass ich inzwischen weiß, doch, ich könnte mich auch gegebenenfalls zur Ruhe setzen und das fällt mir gar nicht schwer. Da war ich vorher viel unsicherer. Und ich lade jetzt natürlich Besuch ein und das macht mir auch Spaß. Wir haben Zeit, uns zu unterhalten und ich kann ja oft auch am nächsten Morgen ausschlafen. Also alles, was ich nicht kannte. Deshalb natürlich weiß ich, dass für viele Menschen Corona schlimm ist und alle Maßnahmen, die sie erleben müssen. Aber ich habe für mich auch dazugelernt.
Joel Kaczmarek: Bist du ein Mensch, der Schwierigkeiten damit hat, alleine zu sein oder geht es dir mehr damit, dass du immer Input brauchst und Beschäftigung quasi?
Gregor Gysi: Nein, ich habe dann festgestellt, ich kann doch sehr gut lesen, ich kann sehr gut Musik hören. Ich mache die ganze Hausarbeit alleine. Ich war übrigens schon immer dafür, Hausarbeit zu bezahlen, aber jetzt bin ich leidenschaftlich dafür. Das ist ja derart anstrengend. Boah.
Sebastian Krumbiegel: Ich habe dein Taz-Interview gelesen, da habe ich mich gefreut.
Gregor Gysi: Ich kann fast alles außer bügeln. Bügeln kann ich nicht. Das sieht hinterher schlimmer aus als vorher.
Joel Kaczmarek: Weißt du, was ich mich bei Politikern immer gefragt habe, was ich so komisch finde, ist, du hast teilweise Politiker, die sind in der einen Legislaturperiode Minister für Gesundheit und in der nächsten für die Bundeswehr und in der übernächsten vielleicht für Wirtschaft, wo ich so denke, wo ist denn die Fähigkeit, also wo kommt die Befähigung denn überhaupt her, diese unterschiedlichen Ressorts zu verantworten?
Gregor Gysi: Ja, das ist ein interessanter Unterschied. In der DDR wurden Minister aber ausgewählt danach, ob sie von dem Fach etwas verstehen. Die war auch völlig anders strukturiert. Das ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht üblich. Und zwar, die Bundesministerin oder der Bundesminister trägt eine politische Verantwortung und hat auch die Funktion, die Verantwortung der Beamten zu mindern. Der Minister muss zurücktreten, nicht die, die es wirklich angerichtet haben. Also sie haben den Vorteil, sie stehen in der Öffentlichkeit, sie müssen sich mit dem Thema beschäftigen, können Ideen einbringen, können versuchen, die zu verwirklichen, aber sie haften. Und sie haften unabhängig von persönlicher Schuld. Das ist auch ein Stück Täuschung. Weil du sagst, ich habe ja einen Beamtenstaatssekretär, der versteht ja von allem was, der macht das Entscheidende, der berät dann auch die Ministerin und die Minister und deshalb können die auch die Gebiete so wechseln.
Sebastian Krumbiegel: Aber es geht doch auch darum, Führungsstärke zu haben und rein verwalterisch den Laden im Griff zu haben und sozusagen deine Leute im Griff zu haben. Und dann natürlich, wenn du sie nicht im Griff hast, dann hast du Versagen, dann trittst du zurück. Also ich verstehe das übrigens. Also ich habe mich das früher auch immer gefragt, Joel, was du gerade fragtest. Wie kann auf einmal irgendwie jetzt der Verteidigungsminister oder die Verteidigungsministerin ein völlig anderes Ressort haben? Aber ich glaube doch, dass es eher um Verwaltungsapparat geht.
Gregor Gysi: Ja, aber da passiert ein großes Unglück. Damit hast du ja an sich nichts zu tun. Aber einer muss für die Bevölkerung haften. Und das ist dann die Bundesministerin oder der Bundesminister. Und wenn die dann zurücktreten muss oder er, dann hat man so das Gefühl, es ist demokratisch etwas passiert. Und die unteren Strukturen, da kommst du gar nicht ran. Da gibt es natürlich auch gelegentlich Verfahren, aber die sind dann nicht öffentlich. Das läuft auf einer völlig anderen Ebene. Aber du hast eine politische Verantwortung und die musst du dann auch wahrnehmen. Und die kann man eben auch wechseln. Nun gibt es noch was. Es gibt, wie überall, Experten und Generalisten. Experten sind Typen, die von einer Sache so viel verstehen, dass sie sie nie erklären können. Und zwar schon deshalb, weil sie beim Erklären keine Nebensächlichkeit auslassen können und dadurch bist du völlig wirr.
Sebastian Krumbiegel: Und Fachchinesisch gebrauchen und sozusagen das nicht so reden, dass wir es verstehen. Die Sprache kommt noch hinzu.
Gregor Gysi: Und Generalisten sind Leute, die von nichts etwas verstehen, aber über alles reden können. Das bin ich. Und da habe ich einen Zeugen, nämlich Jauch. Und zwar war das, als er die Sonntagssendung hatte, war ich da Gast und bevor die Sendung ausgestrahlt wird, spricht er kurz mit dem anwesenden Publikum und dann hat er sich entschuldigt, dass sie ganz andere Leute gelesen haben und ein ganz anderes Thema. Und das hätte ihm leid, aber aus aktuellen Gründen mussten sie das Thema wechseln und deshalb auch die Gäste wechseln. Und dann sagte einer, aber der Gysi stand schon vorher da. Und dann sagte er, naja, bei Gysi ist ja auch das Thema, egal. Also insofern habe ich einen Zeugen für meine These.
Joel Kaczmarek: Wird man da nicht paranoid? Also wenn ich jetzt Minister werden würde, es geht wahrscheinlich gar nicht, so ein Apparat auszuwechseln, oder? Weil wenn ich da die erste, zweite, dritte, vierte Ebene von so einem Mysterium habe, da würde ich doch denken, die hat doch meinen Vorgänger alle eingesetzt. Das wäre noch dann eher, wenn ich jetzt einen CDUler beerbe und ich bin eher ein Linker, würde ich doch sagen, hm.
Gregor Gysi: Ich erzähle dir zwei Sachen. Also erstens, du hast natürlich immer einen persönlichen Referenten und so. Also so zwei, drei, vier Leute kannst du schon mitbringen und auch deinen Pressesprecher. Aber ansonsten musst du den Apparat so übernehmen. Und die haben ja auch ihre Rechte, die wirst du ja gar nicht los. Dann würdest du vor Gericht verlieren etc. Aber ich habe Folgendes gemacht, als ich für kurze Zeit Senator in Berlin wurde, für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Da gab es eine Übergabe an mich von der vorhergehenden Senatorin und da standen da 1100 Leute, natürlich ganz überwiegend aus West-Berlin, nicht aus Ost-Berlin.
Sebastian Krumbiegel: Was damals noch viel mehr Welten waren, als es heute ist, die uns da getrennt haben.
Gregor Gysi: Ja klar. Und daraufhin habe ich folgendes gesagt. Ich habe gesagt, also wissen Sie, wenn ich in West-Berlin aufgewachsen wäre, die Verletzten und auch die Toten an der Mauer miterlebt hätte, den ganzen Kalten Krieg miterlebt hätte, vielleicht würde ich ja noch akzeptieren, dass die SED versucht, sich zu reformieren, zu wandeln, eine andere Partei zu werden. Vielleicht könnte ich auch noch akzeptieren, dass sie im Abgeordnetenhaus von Berlin sitzt als Oppositionskraft. Aber ob ich verkraftete, dass sie zum Senat, zur Regierung gehört, da habe ich schon meine Zweifel. Aber der absolute Höhepunkt ist natürlich, dass so ein ehemaliges Mitglied mein Chef und dann noch in Schöneberg gegenüber dem Rathaus wird, wo John F. Kennedy gerufen hat, ich bin ein Berliner. Ich kann das verstehen, wenn Sie so denken. Deshalb mache ich Ihnen ein Angebot. Wenn Sie nicht loyal zu mir sein können aufgrund dieser Umstände, kommen Sie bitte in der nächsten Woche zu mir und sagen mir das. Ich sorge dafür, dass Sie irgendwo in der Senatsverwaltung einen gleichwertigen, gleich bezahlten Job bekommen. Wenn Sie sich aber nicht melden innerhalb der Woche, anschließend verlange ich Loyalität. Und das ist interessant, es sind auch vier oder fünf gekommen, zum Glück nicht mehr. Die konnte ich auch alle unterbringen. Wenn es natürlich viel mehr geworden wäre, hätte ich auch nicht gewusst, was ich machen soll. Aber dieser Beginn war entscheidend. Dadurch habe ich ein Vertrauensverhältnis hergestellt. Weil sie gesagt haben, der versteht, wenn wir es nicht haben. Er akzeptiert das sogar. Aber wir haben ja eine Woche Zeit. Wenn wir uns sehr zeitlich melden, dann verlangt er Loyalität. Und das ist meine Herangehensweise. Ich würde bei so einem Bundesministerium sagen, ich weiß, viele von Ihnen sind Mitglieder der CDU, viele sind in der FDP, einige auch in der SPD. Ich glaube, in der Linken ist keiner. Also so würde ich schon anfangen, da würden Sie alle lachen. Dann würde ich sagen, aber das ist für mich nicht entscheidend. Natürlich bin ich jetzt der Chef. Das heißt, ich mache politische Vorgaben. Ich muss von Ihnen beraten werden. Ich bin auf Sie angewiesen, das wissen Sie. Und zugleich bin ich Ihnen gegenüber vertrauensvoll. Und loyal, ich hoffe, sie sind es mir gegenüber aus. Bis zum Beweis des Gegenteils. Wenn ich aber dann das Gegenteil erlebe, dann muss ich auch entsprechend durchgreifen. Ansonsten spielt das für mich gar keine Rolle, wo sie, warum, wie politisch organisiert sind. Wenn du so anfängst, hast du eine Chance. Wenn du natürlich gleich besserwisserisch auftrittst und sagst, ich verstehe gar nicht, warum sie da organisiert sind, da hast du keine Chance. Das ist falsch. Und das machen Politikerinnen und Politiker logischerweise unterschiedlich. Es gibt auch solche, die können mit so einem Apparat umgehen und es gibt auch Leute, die haben größte Schwierigkeiten, mit so einem Apparat umzugehen. Der bleibt ihnen fremd.
Joel Kaczmarek: Und wie ist es dir in der Langzeitperspektive damit gegangen? Also du warst ja, glaube ich, nicht so lange Senator, wenn ich mich richtig entsinne. Wie war das für dich?
Gregor Gysi: Also für mich war das schon eine spannende Zeit. Ich war fleißig wie verrückt. Ich habe, worüber sich die Zeitungen sehr geärgert haben, die Interviews verweigert und habe ihnen auch erklärt, warum. Ich habe gesagt, ich muss mich erst einarbeiten. Sie fragen mich was, ich sage Ihnen eine These und die muss ich sechs Wochen später zurücknehmen und das geht nicht. Also ich möchte sicherer sein, bevor ich antworte etc. Naja, und dann gab es eben diese Bonusmalen-Erfahrung, wo ich falsche Auskünfte bekommen habe, mich falsch verhalten habe. Und da habe ich mir auch wieder was überlegt. Ich habe gesagt, jetzt hast du einen Fehler begangen. Du musst jetzt den Leuten beweisen, dass du dann auch Konsequenzen ziehst. Ich hätte ja sagen können, ich höre nur als Bürgermeister auf, bleibe aber Senator. Oder ich höre auch als Senator auf, bleibe aber im Abgeordnetenhaus. Da hätten die Leute gesagt, ja, aber die Diäten will er weiter kassieren. Da hätte ich gesagt, geht nicht. Schluss. Dann legst du alles hin.
Sebastian Krumbiegel: als linken Politiker in der Opposition zu sein und immer schön zu stänkern, ist ja eigentlich easy. Da kannst du ja irgendwie immer alles sagen und hast eben keine Verantwortung. Warst du heimlich irgendwie dann doch vielleicht auch froh, dass du diese Rolle, das war ja die einzige Zeit, in der du wirklich in Regierungsverantwortung warst, dass du dann sagen konntest, Okay, hier Bonus-Mail-Affäre und ich gehe jetzt sozusagen erhoben in Hauptes, trete ich hier ab und bin eigentlich unterm Strich doch ganz froh, dass ich diese Verantwortung los bin. Ist vielleicht ein bisschen zu easy gesagt.
Gregor Gysi: Ja, ja, nein, ich verstehe das schon. Ich habe auch darüber nachgedacht, aber es stimmt nicht. Ich war ja zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Das allerdings bedeutete, dass ich mir das Vertrauen der Unternehmerinnen und Unternehmer erarbeiten musste. Das war schwer, aber auch interessant. Ich musste mit der Bundesagentur für Arbeit etc. zusammenarbeiten, weil ich ja logischerweise mich auch um die Arbeitslosen zu kümmern hatte. Und bei den Frauen ging es um die Gleichstellung und interessanterweise natürlich auch um den ganzen Feminismus und all den Prozessen, die da stattfinden. Und das Spannende war, dass die Frauenabteilung mich natürlich überhaupt nicht wollte. Also die waren ja entsetzt, so ein Macho-Typ da etc., Und dann gibt es eine Auszeichnung in Berlin. Da wird immer eine Frau ausgezeichnet und die kriegt, glaube ich, 2.000 Euro. Und dann sagte mir meine Abteilung, ja, die 2.000 Euro, die müssen Sie von der Senatsverwaltung holen. Dann war ich bei der Senatsverwaltung und sagte, nee, das ist Ihre Abteilung zuständig. Dann sagte meine Abteilung, dann nehmen Sie doch von ihr Privatgeld. Also so war die Atmosphäre. Dann habe ich beim Senat wirklich auf den Tisch gehauen und bekam natürlich die 2.000 Euro für die Frau. Und dann hielt ich eine Rede. So einen vollen Saal kann man sich nicht vorstellen. Der größte im Roten Rathaus. Die wollten sehen, ob ich mich blamiere. Es waren ganz viele Frauen da, die mich nicht mochten. Und ich habe noch nie so lange an einer Rede gesessen wie an der, weil ich musste ja so aufpassen, dass keine falsche Formulierung dabei ist. Und sie konnten mir nichts vorwerfen. Und dann passierten zwei Dinge, wie ich das Vertrauen dieser Abteilung gewonnen habe. Das eine war beim Haushalt. Der Finanzsenator, reden wir nicht weiter drüber, hieß Sarrazin. Und es war ja beschlossen worden, dass wir überall zehn Prozent kürzen. In der Wirtschaft haben wir lange diskutiert, da ging es um Milliarden. In der Arbeit haben wir lange diskutiert, da ging es auch um Milliarden. Und für den gesamten Frauensektor hatte ich 15 Millionen. Und da strich er 1,5 Millionen. Das hätte bedeutet, dass ich drei Projekte streichen muss, habe ich zu mir gesagt. Das glauben Sie doch nicht im Ernst, dass ich das mitmache. Ich fange doch hier nicht an als Frauensenator. Und das Erste, was ich mache, ist, dass ich drei Projekte starte. Wir haben gerade über Milliarden diskutiert und dieser im Vergleich dazu lächerliche Betrag von 15 Millionen. Und dann sagt er, ja, Herr Gysi, aber wenn wir nichts einsparen, wissen alle, das liegt nur daran, dass ein Mann Frauensenator geworden ist. Was auch stimmt. Und dann haben wir uns geeinigt, statt auf 1,5 Millionen auf 150.000 Euro, die ich reduzieren muss. Nicht mehr. Das war deshalb spannend, weil die Abteilungsleiterin saß ja neben mir und die hatte sich auf die 1,5 Millionen eingestellt. Und war ganz erstaunt, dass sie die Projekte bis auf eins aufrechterhalten konnte. Das eine hat mir noch viel Ärger eingebracht, aber das macht nichts. Und dann bin ich zu meiner Abteilungsleiterin gegangen und habe ihr Folgendes gesagt. Ich habe ihr gesagt, wissen Sie, was ich heute festgestellt habe? Immer wenn ich mit einem Wirtschaftsproblem bekomme, kriege ich die Zustimmung. Wenn ich mit einem Arbeitsproblem komme, kriege ich die Zustimmung. Wenn ich mit einem Gleichstellungsproblem der Geschlechter komme, muss ich zickig werden. Mit einem sachlichen Argument erreiche ich gar nichts. Jetzt verstehe ich, warum Frauen oft anders reagieren, weil sie sich anders nicht durchsetzen können. Und seitdem mochte mich die Abteilung. Und als ich ging, schickte sie mir eine kleine Holzziege. Ist ja nicht süß, die habe ich immer noch.
Sebastian Krumbiegel: Also das heißt sozusagen, die Erfolge, die du da verbucht hast, wo du gemerkt hast, die haben dich eigentlich dazu bewogen, nicht zu sagen, ein Glück, dass hier Schluss ist.
Gregor Gysi: Und guck mal, ich übernehme jetzt eine neue Verantwortung in der Bundestagsfraktion, weil…. die Möglichkeit besteht, wenn SPD, Grüne und Linke nach der nächsten Wahl tatsächlich eine Mehrheit haben sollten, dass sie sie auch nutzen. Und ich will ja, dass sie sie auch nutzen. Das heißt, dann trage ich ja ein Stück Mitverantwortung, falls wir tatsächlich eine neue Regierung bekommen, die dann natürlich auch Veränderungen in der Gesellschaft herbeiführen muss.
Sebastian Krumbiegel: Aber nicht als Minister, sondern nur als Berater?
Gregor Gysi: Nein, ich würde dann schon meine Rolle spielen, aber bei der nächsten Wahl bin ich 73. Wir wollen auch die Kirche im Dorf lassen. Wobei ich natürlich sagen muss, dass Konrad Adenauer 73 war, als er Kanzler wurde. Insofern habe ich natürlich noch alles vor mir.
Joel Kaczmarek: Ich sage, Herr Trump ist doch auch um die 75.
Gregor Gysi: Vor allen Dingen, der Biden ist auch ziemlich alt, sein Gegenkandidat.
Joel Kaczmarek: Das ist immer ein bisschen so ein Ding, wenn weise alte Männer regieren, ist schon
Gregor Gysi: Es gibt auch bei alten Männern Unterschiede, ja? Es gibt weise und bekloppte. Es gibt immer beides.
Sebastian Krumbiegel: Mir fällt jetzt gerade ein, ich habe vorhin gesagt, die Schnittmenge zwischen Pop und Politik ist am Ende eben dann, haha, Wortspiel, Populismus. Und natürlich funktioniert Populismus in irgendeiner Weise und wir merken das ja immer wieder und es befremdet uns alle irgendwie, die wir zugucken, dass wirklich Fake News erzählt werden, Halbwahrheiten, Alternative Facts werden irgendwie rausgeballert und Die Medien unterstützen das dann auch noch. Also Fox News, ich denke jetzt wirklich da gerade eben an Trump. Bei uns funktioniert es ja genauso, dass irgendwelche Sachen einfach behauptet werden, die, wenn sie wirklich einem Faktencheck unterliegen müssten, das nicht hinkriegen würden. Und trotzdem funktioniert das. Meine Frage wäre jetzt einfach die, inwieweit ist denn Populismus die Waffe, die sozusagen jetzt gerade die Rechten, ich will gar nicht sagen die Konservativen, die Reaktionären gebrauchen, inwieweit ist diese Waffe sozusagen legitim, sie auch zu übernehmen. Also dir ist ja Populismus, und das meine ich jetzt nicht despektierlich, auch nicht fremd. Natürlich weißt du genau, oder jeder Politiker oder jeder Mensch, der auf einer Bühne steht, der eine Rede hält oder der von mir aus auch Musik macht, der weiß erstmal, hey, wie kriege ich die Leute? und ich weiß natürlich genau, wenn ich eine Rede mir anhöre, Und da macht erst mal einer ein Scherzchen am Anfang und entertaint die Leute eben im besten Sinne, hat er bessere Chancen, dass die Leute ihm zuhören und hat bessere Chancen, dass er seine Ideen, seine Ideale, seine Grundwerte durchbringt, als wenn er trocken irgendwelches Zeug erzählt, bei dem die Leute gähnen und einschlafen. Inwiefern ist die Waffe Populismus sozusagen legitim, sie zu benutzen? Inwiefern heiligt da der Zweck die Mittel?
Gregor Gysi: Nein, es ist völlig berechtigt für dich und auch für mich, den Versuch zu unternehmen, populär zu sein. Das ist aber nicht populistisch. Populistisch bist du erst, wenn du die Wahrheiten kennst, die du aber verschweigst und etwas anderes sagst, weil du weißt, dass du damit besser ankommst.
Sebastian Krumbiegel: Die Grenzen sind fließend, würde ich sagen.
Gregor Gysi: Ja, trotzdem. Dafür musst du auch einen sicheren Instinkt haben. Ich mache was ganz anderes. Erstens natürlich versuche ich immer auch den Humor nicht zu kurz kommen zu lassen. Dazu gehört mein Hang, ja nicht nur ironisch zu sein, sondern selbstironisch.
Sebastian Krumbiegel: Kenne ich.
Gregor Gysi: Es gibt nicht wenige in der Politik, die ironisch sind, aber nur ganz wenige, die selbstironisch sind. Ich sage immer, das wirkt bescheiden, wenn ich sage, nochmal ganz langsam, damit das einer wie ich auch versteht. In Wirklichkeit ist es natürlich die höchste Form der Arroganz, weil ich ja heimlich hoffe, dass alle denken, er wird es schon verstanden haben. Trotzdem, das sind völlig zulässige Argumente und man muss vereinfachen dürfen. Das ist auch wichtig. Und wenn du nicht vereinfachst, dann bist du auch gar nicht verständlich. Und du musst die Sprache anwenden, die die Menschen verstehen. Ich kann mich an eine Debatte im Bundestag erinnern, da ging es um die Veräußerungserlös-Gewinnsteuer. Ja, wer soll denn mit so einem blöden Begriff was anfangen können? Und so, da fing ich eben meine Rede an und sagte, also nochmal ganz langsam, damit das einer wie ich auch versteht. Und dann habe ich es übersetzt, worum es geht. Und ich glaube, das ist legitim. Das kann auch populär sein, weil die Leute sagen, ach, darum geht es etc. Aber es ist nicht populistisch. Populistisch ist, wenn ich sage, ich habe das Gefühl, die Band X wird überhaupt nicht gemocht. Die Leute finden die alle furchtbar. Ich finde die eigentlich schön. Und dann sage ich, die ist ja furchtbar, die ist ja furchtbar, weil ich den Beifall der Leute erreiche. Das würde ich nun wieder nie machen. Das Maximum ist auslassen. Aber wenn ich etwas sage, dann sage ich, mir gefallen sie, dann gefallen sie euch eben nicht. Also Punkt. Und das unterscheidet sich. Aber es gibt eine ganz andere Tendenz, die mir viel größere Sorgen macht. Wenn ich mal an die Demonstrationen denke, wo ja auch viel kariertes Zeug erzählt wird, wofür ist denn das Ausdruck? Es ist dafür Ausdruck, dass diese Leute den Regierungspolitikerinnen und Politikern nicht glauben. Die können sagen, was sie wollen. Also Verschwörungstheorie, Verstrickungstheorien, alles was es da so gibt, heißt immer, es gibt ein tiefes Misstrauen gegen die etablierte Politik. Und die machen sich viel zu wenig Gedanken darüber, wie sie sozusagen erreichen, dass sie wieder ein Vertrauensverhältnis herstellen. Und das Zweite ist, wir haben weltweit eine Tendenz zu autoritären Regimen. Und ich meine nicht die Regime, die schon immer autoritär waren. sondern ich meine die, die schon demokratischer waren und versuchen, Schritt für Schritt autoritärer zu werden. Trump ist ein klassisches Beispiel in den USA, Erdogan in der Türkei, Orban in Ungarn und natürlich auch die polnische Regierungspartei. Die haben ja wirklich versucht, die Präsidentenwahl als reine Briefwahl durchzusetzen. Also die wissen ganz genau, wer da nicht teilnehmen kann. So und das macht mir große Sorgen, weil das Autoritäre gilt als effizient. Also müssen wir nachweisen, dass die Demokratie, selbst wenn sie weniger effizient wäre, wertvoller ist. Und ich sage denen immer, passt auf, wenn ihr einen Diktator habt, der macht drei Sachen, die findet ihr fantastisch. Deshalb wählt er ihn ja. Aber danach macht er zehn Sachen, die sind schrecklich. Ihr werdet ihn nie wieder los. Der Vorteil einer Demokratie besteht ja nicht nur daran, dass ich wählen kann, sondern dass ich auch abwählen kann. Richtig. Das ist ja ein ganz wichtiger Vorgang, was immer vergessen bleibt.
Sebastian Krumbiegel: Das ist wirklich gut. Entschuldige, Joel, dass ich jetzt hier wieder so steil gehe. Natürlich ist das richtig, aber da sind wir dann wieder beim Populismus. Weil natürlich geht es darum, nicht dem Volk aufs Maul zu schauen, sondern am Ende eben auch ein bisschen dem Volk, ist auch nicht desbezüglich gemeint, nach dem Munde zu reden. Sozusagen, dass du wiedergewählt wirst. Weil das hat ja keinen Sinn, wenn du große Wahrheiten aussprichst, die am Ende keiner hören will. Also ein Beispiel jetzt von mir. Damals Wiedervereinigung, Kohl hat gesagt, hey Leute, geil, D-Mark, Banane, alles kommt sofort. Und Lafontaine hat gesagt, oh, wird alles sehr schwierig, wollte keiner hören im Osten. Die Leute wollten das nicht wissen. War das ein Fehler rückblickend, dass Lafontaine sozusagen die Wahrheit gesagt hat und dass Kohl eigentlich, der es bestimmt auch richtig ernsthaft und auch ehrlich gemeint hat, aber der eben den Leuten sozusagen die blühenden Landschaften versprochen hat, das gesagt hat, was sie hören wollten?
Gregor Gysi: Na ja, es kommen noch zwei Dinge hinzu. Kohl ist eine andere Generation als Lafontaine. Er hat ja als Jugendlicher noch den Krieg erlebt und für ihn hatte die deutsche Einheit eine andere Bedeutung. Weil die nächste Generation in der Bundesrepublik hat ja nie was anderes kennengelernt. Der zweite Unterschied ist der Regierungschef. Und damals waren unsere Leute so gestrickt, dass man in erster Linie die wählt, die was zu sagen haben. Weil die anderen können ja viel erzählen, aber es passiert ja nicht. Trotzdem war Lafontaine, was die Wirtschaft betrifft, natürlich ehrlicher, völlig klar. Aber nun kam noch das Attentat dazu, das hat ihn ja, also das Attentatsversuch dazu, das hat ihn auch ein bisschen aus dem Gleis geworfen, darf man alles dabei nicht vergessen. Trotzdem, das stimmt natürlich, in gewisser Hinsicht trat Kohl dann auch populistisch aus. Aber wenn du in einer Regierung bist, sind dir immer Grenzen gesetzt, weil du ja Sachen machen musst. Und wenn sie eben wirklich meinen, die Renten müssen gekürzt werden, dann machen sie es, obwohl es nicht populär ist. Was geht nicht mehr ein Geschwätz von gestern an? Richtig. Naja, zum Beispiel Schröder hat ja im Wahlkampf gesagt, eine Rentenkürzung wird es mit ihm nicht geben und dann hat er sie durchgeführt. Und das wird dann auch zu wenig vorgehalten. Also Trump hat ja gesagt, der ganze Coronavirus ist eine Erfindung der Demokraten, eine Lüge der Demokraten. Ich meine, wieso wird der jetzt nicht jeden Tag gefragt? Entschuldigen Sie sich doch mal bei den Demokraten. Es gibt ja zu und zu viele Tote etc. Aber das passiert dann eben auch nicht.
Sebastian Krumbiegel: Weil die Leute vergesslich sind oder warum?
Gregor Gysi: Nein, weil sie sich nicht trauen. Du musst ja Zugang haben zu der Pressekonferenz des Präsidenten. Und wenn du ihm dreimal so eine Frage stellst, kriegst du ihm keine Zulassung.
Sebastian Krumbiegel: Vor Hause eine Gehorsam von Journalisten, meinst du jetzt?
Gregor Gysi: Na klar, gibt es auch. Ist bei uns anders, weil du bei uns nicht den Einfluss hast. Zum Beispiel das Geniale an der Bundespressekonferenz ist, dass das keine Regierungseinrichtung ist. Das ist ein eigener Verein. Und der lädt ein. Deshalb kann die Regierung nicht sagen, den will ich da nicht sehen und den will ich da nicht sehen.
Sebastian Krumbiegel: Weil das Thilo Jung immer schön seine kickigen Fragen stellen kann.
Gregor Gysi: Zum Beispiel. Das ist wirklich ein interessanter Unterschied. Zum Beispiel ist auch in der Bundesrepublik etwas gelungen, was ich für ganz erstaunlich halte, der Bundesrechnungshof. Das ist ja nun eigentlich eine Regierungseinrichtung. Die haben die aber so unabhängig gemacht, dass die die Bundesministerium rauf und runter kritisieren wegen falscher Ausgaben. Eigentlich funktioniert sowas gar nicht. Und die ärgern sich ja auch, die Bundesministerinnen und Bundesminister. Krieg ist nicht geändert. Viel schwieriger ist es bei den Medien, bei den Öffentlich-Rechtlichen. Da hat mir zum Beispiel ein sehr guter Journalist erzählt, dass er sich beim ZDF war, der damals, hat er sich kritisch zu Kohl geäußert. Dann hat Kohl den Intendanten angerufen und gesagt, er will den dann nicht mehr sehen. Und dann erzählt er, hat der Intendant ihn angerufen und gefragt, ob er sich nicht aufhören will, mit Politikern zu beschäftigen. Er könnte sich ja mit den Ehefrauen der Politiker beschäftigen. Und da war der sauer und sagte, und noch saurer bin ich darüber, wenn ich das erzähle, dass wir alle lachen, aber sich keiner wirklich aufregt. Ich rege mich richtig darüber auf, weil das ja eine Einmischung in die Pressefreiheit war.
Sebastian Krumbiegel: Das ist ja heute der Vorwurf vieler, ich möchte jetzt mal das böse Wort Verschwörungstheoretiker sagen, dass die Medien Marionetten sind und dass die Politiker den Medien vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben.
Gregor Gysi: Ja, es ist so. In der DDR wusste man ja, dass man gleichgeschaltete Medien hatte. Und du hast so ein Instinkt entwickelt, was stimmte und was nicht stimmte. Jetzt kamen wir aus dem Osten in eine Gesellschaft, wo völlige Medienfreiheit herrschen sollte. Und plötzlich stellst du dann beim Coronavirus fest, dass sie fast alle das Gleiche schreiben. Nun kommt aber noch was hinzu. Alle haben Journalistinnen und Journalisten entlassen. die eine eigene Recherche durchführen können. Dadurch haben die Agenturen so ein Gewicht. Eine Agentur schreibt was, das übernehmen dann alle Zeitungen, dann klingt es auch in jeder Zeitung gleich, weil sie ja die gleiche Nachricht übernehmen. Was ärgerlich ist, das liegt aber an einer falschen Personalpolitik. Trotzdem habe ich eins gesagt, das liegt auch immer an den gesellschaftlichen Vorgängen. Als die strikten Maßnahmen durchgeführt wurden bei der Pandemie, gab es ja auch eine Übereinstimmung in der Bevölkerung bis zu 95 Prozent. In der Sekunde, wo die Lockerungen beginnen, ist alles vorbei. Und zwar, weil die Logik verletzt wird, die Gerechtigkeit verletzt wird etc. Warum? Also dann sagen die Läden, bis 800 Quadratmeter dürfen geöffnet werden. Da gibt es zwei Elektroläden, einer hat 800 Quadratmeter, der andere 900. Der mit den 900 darf nicht öffnen. In Berlin haben sie es ein bisschen anders gemacht, aber in vielen Bundesländern war das so. Ja, da regen sich die Leute auf. Oder die Friseure dürfen wieder arbeiten, aber die Kosmetikerin nicht. Da regt sich die Kosmetikerin auf. Jetzt darf die auch arbeiten, aber noch nicht die Fitnessstudios. Jetzt regen sich die Inhaber der Fitnessstudios auf. Das heißt, es ist hochinteressant in der Gesellschaft zu beobachten, wie etwas striktes akzeptiert wird, Und wie bei Lockerungen das Unrechtsbewusstsein zunimmt, weil die Logik plötzlich nicht mehr stimmt und weil du nicht verstehst, warum A erlaubt ist und B nicht erlaubt ist.
Joel Kaczmarek: Aber da können wir mal eine schöne Brücke nochmal zurück machen. Du hast vorhin gesagt, autoritäre Regime haben den Ruf, effizienter zu sein. Und ich habe auch mal gedacht, wenn ich jetzt irgendwie russischer Staatschef wäre, würde ich mich fragen, ob ich das nicht auch ein bisschen putinesk halten würde, wenn ich irgendwie in Transsibirien da hinten noch irgendwas geregelt kriegen muss. Gleichzeitig weiß man als Westeuropäer, dass Demokratie schon viele Werte hat. Was ist denn für dich, oder hast du manchmal Gedanken gemacht, wie ein Politsystem aussehen müsste, was die Effizienzen von eher autoritären Richtungen hat und trotzdem aber irgendwie die Vielfalt eines demokratischen Systems?
Gregor Gysi: Das ist nicht leicht. Weil wenn du unterschiedliche Interessen ausgleichst, eine autoritäre Struktur besteht ja darin, dass es einen gibt oder wenige gibt, die die Interessen artikulieren, die sich für bestimmte entscheiden und die durchsetzen. In einer Demokratie soll es ja einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen geben. Das dauert immer länger. Natürlich reden wir viel zu lange über bestimmte Dinge. In der Not übrigens nicht. Mit der Pandemie war es Möglichkeit, in einem Tempo Gesetze zu beschließen, die sonst nie funktionieren würde. Aber was sage ich? Ganz wichtig, alle die in der Not, in der ersten Zeit. Beschlossene Gesetze müssen wieder zurückgenommen werden. Und zwar, auch wenn mir eins gefällt. Ich darf nicht danach gehen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Ich war immer gegen die schwarze Null, weil wir einen ungeheuren Investitionsrückstand haben. Nun ist ja die schwarze Null ausgesetzt worden. Aber ja nur in der Not, damit sie an mehr Geld herankommen. Obwohl ich eigentlich dafür bin, sage ich, es muss wieder zurückgenommen werden. Und dann müssen wir nochmal demokratisch darüber diskutieren und dann muss es eine Mehrheit beschließen, weil sie meine Überzeugung teilt, dass wir Investitionen brauchen. Wenn ich jetzt aber sage, das soll bleiben und jenes muss zurückgenommen werden, dann ermuntere ich auch Regierungspolitiker, dazu überzugehen und zu sagen, das hat sich doch bewährt, dass jetzt diese Einschränkung ist und jene Einschränkung ist. Und genau das darf nicht passieren.
Sebastian Krumbiegel: Geht in die Richtung der Freiheit des Andersdenkenden sozusagen.
Gregor Gysi: Also Meinungsfreiheit hast du erst begriffen, wenn du weißt, dass die Meinung, die gegen dich gerichtet ist, genauso legitim ist wie deine eigene. Und wenn du das nicht begreifst, und das regt mich ja bei der AfD auf, die sagen, schreien immer Meinungsfreiheit. Dabei können Sie alles sagen. Niemand hindert Sie. Sie quatschen dummes Zeug im Bundestag. Wenn ich rede, quatschen Sie sogar besonders dummes Zeug. Niemand hindert Sie daran. Aber was Sie verwechseln ist, man darf Ihnen widersprechen. Und das ist für Sie keine Meinungsfreiheit? Nein, das ist aber Ausdruck der Meinungsfreiheit. Sie können Ihre Meinung sagen und ich meine.
Joel Kaczmarek: Ich bin ja ein bisschen Unternehmer und ich versuche dann auch manchmal so Parallelen zu ziehen. Also das, was dafür gilt, dass ich ein ganzes Land steuere, kann ich theoretisch auch übertragen auf jede Form von menschlicher Zusammenkunft, Organisation. Und ich frage mich das schon manchmal auch. Muss man jede Meinung bis ins Detail hören zu jedem Thema? Es ist so wichtig, dass ich selbst die kleinsten Minderheiten sozusagen mit einbeziehe in eine Entscheidung. Weil du hast ja selber auch gesagt, du kannst es nie allen recht machen.
Gregor Gysi: Na pass auf, das kommt immer darauf an, wie stark Interessen sind und worum es geht. Wenn es um Minderheiten geht und deren Rechte, musst du sie anhören, anders geht es gar nicht. Wenn du natürlich die Kernkraftwerke schließt, da musst du nur die anhören, die dafür sind und die, die dagegen sind. Und irgendwelche Argumente müssen sich dann letztlich überzeugen, sodass du deine Entscheidung triffst. Aber ich will euch was sagen, woran das liegt, dass das Vertrauen so abnimmt. Einmal in der falschen Sprache. Ich sage ja, Veräußerungserlös, Gewinnsteuer statt Übersetzung. Der zweite Grund ist, die Motive werden nicht ehrlich genannt. Und das wissen die Leute, das spüren sie. Ich sage euch mal ein Beispiel außerhalb unseres Landes. Also es gibt ja das Paris-Abkommen, um den Klimawandel zu stoppen. Nun ist doch Trump ausgetreten mit den USA. Und was sagt er als Motiv? Er sagt, es gibt gar keinen Klimawandel. Nun ist er doch wirklich auf dem Gebiet ein Experte. Er hat 20 Jahre Meteorologie studiert, war dann nochmal zehn Jahre am Nordpol und zehn Jahre am Südpol, also kennt sich aus. Er hat doch in Wirklichkeit von Tuten und Blasen keine Ahnung. Warum sagt er ein falsches Motiv? Ehrlich wäre, wenn er sagt, es ist mir völlig wurscht, ob es einen Klimawandel gibt oder nicht. Ich habe die und die und die Wirtschaftskonzerne, die dann an ihrer Wirtschaft, an ihrem Profit gehindert werden. Das kann sogar noch Arbeitsplätze kosten und deshalb mache ich das. Dann wäre es ehrlich. Macht er nicht. Weil er sagt, es ist mir alles viel zu kompliziert, das zu erklären. Ich will ja auch gar nicht sagen, dass ich deren Interessen vertrete. Also sage ich, der Klimawandel findet gar nicht statt. Und das spüren immer mehr Leute, dass dir ein falsches Motiv genannt wird. Bei jeder Entscheidung wird immer ein edles Motiv genannt. Oder du lässt die Alternativen aus. Also ich sage mal ein Beispiel. Die Regierung unter Kohl und dann die unter Schröder hat das Rentenniveau gesenkt und so weiter. Lauter Schritte gemacht, die dazu führen, dass wir Altersarmut bekommen. Also haben sie gesagt, das ist aber nötig, weil sonst die junge Generation zu stark belastet wird, denn die muss ja die Renten und viel finanzieren. Kannst du machen, kannst du alles sagen. Aber sie hätten dazu sagen müssen, es gibt natürlich auch noch die Idee von anderen, zum Beispiel auch von mir, zu sagen, nee, wir machen das ganz anders. Wir sorgen dafür, dass ab jetzt alle mit Erwerbseinkommen einzahlen müssen in die gesetzliche Rentenversicherung. Also auch Abgeordnete, auch Rechtsanwälte, auch Beamtinnen und Beamte, alle müssen einzahlen. Ja. Und zwar ohne Beitragsbegrenzung. Das heißt, das hört ja jetzt im Osten bei 6.500, im Westen bei 7.500 auf im Monat. Wenn er mehr verdient, muss er für den Mehrbetrag nichts bezahlen. Also wenn einer eine Million verdient, muss er seinen Beitrag von einer Million bezahlen. Und als drittes musst du dafür sorgen, dass der Rentenanstieg bei den Spitzenverdienern abgeflacht wird, dass die Rente nicht so wahnsinnig steigt. Wenn du jetzt ehrlich wärst, würdest du sagen, das ist unsere Vorstellung, wir senken das Rentenniveau und so weiter aus den und den Gründen. Es gibt auch die zweite Variante. Dann musst du die zweite Variante vorstellen und versuchen, die Leute davon zu überzeugen, dass die zweite Variante falsch ist. Oder ich versuche zu überzeugen, dass die erste Variante falsch ist. Wenn du das aber auslässt, und Schröder sagt immer, es gibt keine Alternative, da habe ich zu ihm gesagt, Dann können wir den Bundestag schließen und die Opposition rausschmeißen. Wenn es sowieso keine Alternative gibt, kann man ja nicht alles machen. Seitdem hat er gesagt, es gibt keine vernünftige Alternative. Das ist eine andere Aussage. Aber du musst dich dann damit auseinandersetzen. Genau das findet nie statt. Du hast eine Linie, eine Meinung, eine Begründung und lässt die Alternativen weg. Und das führt dazu, dass die Leute immer mehr Politikerinnen und Politiker nicht wirklich trauen. Und daraus wiederum erklären sich dann Verschwörungstheorien aller Art.
Joel Kaczmarek: Und warum ist das so, dass man als Politiker nicht ehrlich sein kann? Weil es zahlt so ein bisschen auf den zweiten Gedanken ein, den ich immer habe, wenn ich Politik betrachte. Das ist die Tabuisierung von Fehlern. Also wenn ich mir mal so eine Folge irgendwie Lanz angucke oder Maischberger, dann sitzt da einer von Partei X, einer von Partei Y und dann schlägt der eine was vor und dann sagt der andere, ja, aber ihre Partei hat ja, als sie damals in dem und dem Land an der Macht war, das und das gemacht, sie konterkarieren sich ja hier so völlig. Da würde ich irre werden, wenn ich sozusagen die ganzen Altlasten meiner Partei jedes Mal mit ins Feld bringe. Das heißt, ich sitze mal so da und frage mich, warum kann ich nicht ehrlich zu Motiven, zu Fehlern sein und warum muss ich immer so rückwärtsgewandt sein, wenn ich Politik war?
Gregor Gysi: Also ich habe mal zu einem Journalisten auf seine Frage gesagt, weiß ich nicht. Da hat er zu mir gesagt, das ist die einzig unzulässige Antwort, Sie müssen irgendwas sagen. Ja wieso denn, wenn ich es nicht weiß? Kann ich doch sagen, weiß ich nicht. Das ist nicht üblich.
Sebastian Krumbiegel: Mir geht das ähnlich, muss ich ehrlich sagen. Ich kriege oft so eine Keule hingehalten, Mikrofon, Sachen was dazu, wo ich dann sage, was soll ich denn jetzt dazu sagen? Nö, ist nicht mein Thema, ich habe davon keine Ahnung. Wenn ich dir jetzt irgendwas erzähle, es wäre nur gequälter Quatsch.
Gregor Gysi: Aber die Politikerinnen und Politiker leiden natürlich unter dem Druck, in Sendungen eigentlich Fehler nicht zuzugeben, sondern immer eine Erklärung zu finden. Also ich habe einen sozialdemokratischen Politiker gefragt, ob er denn inzwischen einsieht, dass das Entsenden der Bundeswehr nach Afghanistan ein Fehler war. Und er sagte, also das liebt er gar nicht, dass einem hinterher immer alle schlauer sind. Damals wurde ihm gesagt, das ist ihm unbedingt nötig. Und da habe ich gesagt, nein, nicht alle haben das gesagt. Ich habe zum Beispiel das Gegenteil gesagt. Sie müssen ja nicht auf mich hören. Aber er versucht dann, die Verantwortung dafür loszuwerden. Weil es ja vier, fünf Stimmen gab, die ihm gesagt haben, der Weg ist richtig. Und man konnte sich ausrechnen, dass er nicht richtig ist. Und jetzt wiederum muss ich meinen Linken Folgendes sagen. Also wenn ihr eure Fantasie mal dolle anstrengt, stellt euch mal vor, am Sonntag würde ich jetzt Kanzler werden. Wir haben ja gesagt, sofort abziehen. Ich hätte sie ja gar nicht hingeschickt, dann hätten wir das Problem nicht. Aber jetzt sind sie da. Und das Problem ist, dass die Taliban alle umbringen werden, alle Afghanen, die der Bundeswehr geholfen haben. So, was nun? Was mache ich mit denen? Ich sage, ist mir egal, sollen sie doch hingerichtet werden. Das heißt, ich komme von A nicht auf Null zurück, wo ich mal stand, sondern ich muss eine Lösung bei B finden. Ich bin für den schnellstmöglichen Abzug, aber ich muss sichern, dass den Leuten, die der Bundeswehr geholfen haben, egal wie ich zu dem Krieg stand, dass sie nicht hingerichtet werden.
Sebastian Krumbiegel: Das finde ich ganz spannend, weil dieses Thema wollte ich unbedingt auch noch ansprechen. Natürlich diese Grunddomäne der Linken sozusagen prinzipiell gegen Militäreinsätze zu sein, Was natürlich jeder Mensch irgendwie im tiefsten seines Herzens unterschreibt, weil wir sind alle gegen Krieg, wir sind alle für Frieden, wir wollen nicht, dass Konflikte militärisch gelöst werden. Meine Frage ist dann irgendwie ein bisschen, ob nicht diese Idee des Pazifismus in dieser Welt, die uns umgibt, in der wir leben, die ja wirklich eine schräge Welt ist mit vielen wirklich auch verrückten oder mit bösen Politikern oder bösen Diktatoren, die wirklich irgendwie, was weiß ich, ob das jetzt Assad ist, der sein eigenes Volk beschießt oder So viele Sachen, die es immer wieder gegeben hat. Ob wir jetzt über Ruanda nachdenken, Totschlagargument. Ob wir über Srebrenica nachdenken, genauso ein Totschlagargument. Wie geht die Linke damit um? Also ist Pazifismus, dieser Grundpazifismus, dieser prinzipielle Pazifismus, ist das nicht eigentlich auch ein bisschen feige? Ist es nicht eigentlich auch ein bisschen verstecken? Und natürlich bezeichne ich mich eigentlich auch als Pazifist. Aber wenn mich jemand angreift, erstens mal, dann wehre ich mich. Obwohl ich es noch nie wirklich machen musste. Ich habe mich immer nur versucht zu schützen, wenn ich wirklich angegriffen worden bin, körperlich. Aber wenn ich jetzt mir die Welt angucke, ist es nicht irgendwie, also jetzt auch natürlich Rüstung, wir können jetzt zu sonst was kommen, wo wir alle sagen, wir wollen nicht, dass unser Geld, wir möchten lieber unser Geld, unsere Steuern sollen lieber für Kindergärten ausgegeben werden als für Panzer. Logisch, richtiger Satz, völlig klar, würde garantiert jeder vernünftige Mensch unterschreiben, aber trotzdem ist es doch so. Also sagt das mal Israel, um jetzt mal ganz hart drauf zu kommen. Sag mal Israel, schafft mal eure Armee ab. Hört mal auf, irgendwie Geld für Rüstung auszugeben. Die werden sich an den Kopf greifen, weil die genau wissen, dass sie irgendwie umgeben sind von Ländern und das natürlich auch die Erfahrung gemacht haben als jüdisches Volk, dass sie sich schützen müssen und dass sie nicht nochmal so einen Scheiß erleben dürfen und können und dass sie da was dagegen machen müssen.
Gregor Gysi: Also ich weiß gar nicht, ob ich in dem engeren Sinne ein Pazifist bin, weil ich ja dafür bin, dass man sich verteidigt, wenn man angegriffen wird. Was ich nicht akzeptiere, ist, Deutschland steht an fünfter Stelle bei Waffenexporten. Wir verkaufen Waffen an Saudi-Arabien. Die führen gerade gegen den Iran um den Jemen einen Krieg. Ich weiß gar nicht, ob wir heimlich auch noch Waffen an den Iran verkaufen. Das geht alles so nicht. Und wir verdienen an Kriegen. Und das ist abenteuerlich. Und ich sage mal, der Staatschef von Saudi-Arabien war eben doch zuständig, festgestellt, für die Ermordung eines kritischen Journalisten in der Botschaft in der Türkei. Also es ist schon ziemlich absurd. Davon müssen wir weg. Zweitens müssen wir wirklich die Rolle des Weltpolizisten übernehmen. Wäre es nicht besser gewesen, nach Herstellung der Deutschen Einheit zu sagen, wir werden zu dem entscheidenden Vermittler? Das kann man sogar als NATO-Mitglied sein. Wir schicken nicht immer unsere Soldaten nach Afghanistan oder sonst wohin, sondern wir versuchen immer die Vermittlerrolle zu spielen. Das haben früher die neutralen Staaten gemacht im Kalten Krieg. Die machen es nicht mehr. Die haben für sich neue Funktionen und Rollen gefunden. Das ist auch eine prinzipielle Frage. Und das Letzte ist, dass wir im Augenblick nicht das Problem in der Welt haben, dass zu wenig über Sicherheit und Militär nachgedacht wird, sondern zu viel. Zum Beispiel die israelische Regierung denkt ja fast nur noch militärisch. Und deshalb fallen politische Lösungen aus. Übrigens eine linke These, dass so eine einzelne Persönlichkeit keine Rolle spielt, weil ja immer so alles zusammen und im Kollektiv der richtige Weg gegangen wird, Die kann ich durch Israel widerlegen. Wäre Rabin nicht umgebracht worden, hätten wir wahrscheinlich schon einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Aber jetzt unter Netanjahu können wir das vergessen. Und wenn die jetzt wirklich anfangen, die Siedlungsgebiete zu annektieren, das ist ja das Gegenteil einer Siedlung. politischen Lösung. Dann verstehe ich sehr, welche Wut da entsteht. Es gab jetzt einen sehr schönen Artikel, ich glaube in der FAZ, von Daniel Barenboim, der ja selbst Israeli ist, der Jude ist und der auch durchaus sieht, dass die Palästinenser Israel nicht wirklich anerkennen, schon gar nicht die unter Hamas und so. Und der trotzdem beschreibt, welche politischen Fehler begangen wurden und begangen werden, wenn man dann eine politische Lösung will. Kurzum, Ich will ja Militär nicht ausschließen. Ich bin ja auch dafür, dass wir eine Bundeswehr haben, die uns verteidigen kann.
Sebastian Krumbiegel: Und Weltpolizist in Srebrenica oder in Ruanda, war das nicht richtig?
Gregor Gysi: Nein, da ist ja gar keiner hingegangen nach Ruanda. Da ist ja keiner hingegangen, das ist doch das Problem. Selbst wenn sie diese Rolle spielen könnten, dann geht ja keiner hin. Es ist immer von den eigenen politischen Interessen abhängig und den wirtschaftlichen. Und das ist das, was mich am meisten stört. Wir verdienen eben an den Kriegen und das muss wirklich nicht sein. Aber noch was zu Ruanda etc. Das Völkerrecht dürfen wir eben auch nicht vergessen. Das verbietet ja die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes. Das ist sehr kompliziert, weil die Welt immer globaler wird. Also was müssen wir sein? Wir brauchen Vorbildfunktion. Wenn es immer mehr autoritäre Regime gibt, dann müssen wir beweisen, dass die Demokratie letztlich erfolgreicher und vielleicht sogar effizienter ist. Dann musst du eben bestimmte Dinge kannst du schneller machen. Es muss nicht alles so bürokratisch sein. Ich sage mal ein ganz kleines Beispiel. In der DDR gab es viel Unvernünftiges, aber es gab ja auch ein paar vernünftige Dinge. Zum Beispiel Diebstahl, Sachbeschädigung bis 50 Mark waren keine Straftat, sondern eine Verfehlung. Das führte dazu, die Polizei, hast du glaube ich den dreifachen Betrag oder vierfachen als Strafe bekommen und musstest das natürlich noch bezahlen. Und wenn du gegen diese polizeiliche Verfügung kein Rechtsmittel eingelegen hast, war es so. Es hat sich kein ausgebildeter Jurist damit beschäftigt. Nur in den wenigen Fällen, wo die Leute Rechtsmittel eingeladen haben, musste sich das Gericht damit wehren. Über jeden Scheiß muss bei uns die Justiz verhandeln. So was gibt es gar nicht. Also gut bezahlte, gut ausgebildete Staatsanwälte und Staatsanwälte, Richterinnen und Richter, warum können wir nicht mal eine Bagatellgrenze einführen, wo wir sagen, wir machen das viel leichter und viel einfacher. Nee, also das geht mir wirklich auf die Nerven. Oder ich habe zum Beispiel im Recht, wenn wir euch was zur Effizienz sagen, Es ist doch immer so, du musst eine Genehmigung beantragen bei einer Behörde. Dann kriegst du nach dreiviertel Jahr immer noch keine Antwort. Dann hast du folgendes Recht. Du kannst nach sechs Monaten eine Untätigkeitsklage erheben, weil die Behörde nicht arbeitet. Aber vom Verwaltungsgericht kriegst du nach zwei Jahren einen Termin, dann kannst du auch deine Untätigkeitsklage vergessen. Daraufhin habe ich gesagt, lasst uns doch das Recht umdrehen. Mit Ausnahmen. Aber im Kern umdrehen. Ihr stellt einen Antrag bei der Behörde oder ein Unternehmen stellt einen Antrag bei der Behörde und dann regeln wir eine Frist und sagen, nach fünf Wochen gilt der Antrag als genehmigt, wenn ihm nicht schriftlich begründet widersprochen wird. Also nicht die Postkarte, sonst geht die gleich raus, sondern eine schriftliche Begründung. Dann hat ein Senator zu mir gesagt, ja, aber dann kriegen wir ja weniger Geld. Nein, sag ich, wir kriegen das gleiche Geld, müssen aber nichts mehr dafür tun. Das leuchtete ihm ein. Dann hat ein anderer Senator gesagt, da kommen doch Fehlentscheidungen zustande. Ja, sag ich, heute auch. Das ist kein Unterschied. Aber plötzlich wäre die Behörde in der Situation, schnell zu prüfen, schnell zu entscheiden, weil es nach fünf Wochen eben genehmigt ist. Die Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen müssen sich gar nicht mehr kümmern. Die müssen bloß den Nachweis haben, dann habe ich den Antrag gestellt. Und die Behörde muss nachweisen, dass sie dir innerhalb der Frist einen schriftlich begründeten Widerspruch zugeleitet hat. Und wenn nicht, ist es eben genehmigt. Ich sage mal ein Beispiel. Du musst immer beantragen, auch in Berlin, wenn du deine Stühle bei deinem Restaurant auf die Straße stellen willst. Das ist nicht nötig. Du kannst Vorschriften machen. So und so viel muss immer für Fußgänger bleiben und so weiter. Und die müssen eingehalten werden. Und dann ist es ganz einfach, der stellt den Antrag und der ist genehmigt, muss nichts machen. Die Ausnahme ist, wenn daneben eine Kinderpsychiatrie liegt, weil das nicht geht, weil die schlafen müssen zu der Zeit etc. So, dann erhebst du einen Widerspruch und sagst, das geht leider aus dem und dem Grund nicht. Also die Arbeit würde sich sogar vereinfachen. Sie würde effizienter werden. Aber was glaubt ihr, auf wie viele Widerstände man mit einer solchen Idee stößt, weil man es nicht kennt?
Sebastian Krumbiegel: Ja, das ist schon schräg, dass wir immer so schimpfen sozusagen über die Bürokratie. Andererseits muss ich jetzt sagen, weil wir ja nun gerade diese ganze Corona-Diskussion haben, ich bin zurzeit irgendwie so froh, also wenn ich gerade gucke, wenn ich in der Welt rumgucke, diese ganzen Zocker, ob das jetzt Trump ist oder Bolsonaro oder auch Boris Johnson, ich bin so froh, wenn ich unsere langweiligen, drögen Politiker sehe, die so ihren Job machen. Und da muss ich, also so jemand wie Olaf Scholz oder auch wie Hubertus Heil, Da denke ich irgendwie, hey, ist doch eigentlich auch mal ganz cool, dass wir irgendwie wirklich, wir Deutsche, eben diese langweiligen, drögen Politiker haben.
Gregor Gysi: Ja, ich werde jetzt als Oppositionspolitiker in deine Lobeshymnen auf Bundesminister selbstverständlich nicht einsteigen, aber ich nehme sie zur Kenntnis.
Sebastian Krumbiegel: Du weißt ja, wo ich politisch stehe. Ich hab mich ja selbst ertappt, dass ich Markus Söder irgendwann mal gut fand.
Gregor Gysi: Das kann ich dir auch erklären, woran das liegt. In einer Krise lieben die Leute die Macher. Und Söder ist ein typischer Macher. Und das ändert sich, sobald die Lockerungen beginnen und so weiter, weil dann sind die Macher nicht mehr gefragt. Dann geht es wieder um einen anderen Typen.
Sebastian Krumbiegel: Herr Schröder hat damals die Wahl gewonnen, weil er sich in Gummistiefeln am Deichert fotografieren lassen, um es mal verkürzt zu sagen.
Joel Kaczmarek: Aber weißt du, was mich bei dem Thema immer beschäftigt? Ich habe manchmal den Eindruck, so von außen, dass in der Berufspolitik auch ein bisschen zu viele Anwälte sind. Also wenn man mal so guckt, was ist so deren Background, sind das oft Anwälte. Und ich habe Anwälte so kennengelernt, man denkt von außen immer, das sind Leute, die sich gerne streiten, die sich kloppen, die Risiken eingehen und irgendwie Sachen durchboxen. Das ist in der Praxis, glaube ich, gar nicht so. Im Gegenteil, das sind eher Risikovermeider. Also was ich so erlebe, ist zwei Tendenzen. Das eine ist, das sind Menschen, die sehr zeitorientiert sind. Wenn ich pro Stunde bezahlt werde, ist das meine Ressource, die ich monetarisiere. Und das zweite Element ist, ich versuche eigentlich möglichst jeden wirtschaftlichen Schaden fernzuhalten.
Gregor Gysi: Und ich
Joel Kaczmarek: frage mich immer, ist es irgendwie so günstig, dass Menschen, die immer risikoavers sind, die immer sozusagen schadensorientiert denken, und da sind wir bei deinem Beispiel, du sagst, warum nicht mal Pragmatismus, sagen, okay, wir drehen das um, das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, wir haben weniger zu tun und wir haben vielleicht ein paar Fehler, die sind vorher aber auch da, na gut, die können wir ausmerzen. Also liegt das manchmal auch ein Stück weit daran, dass quasi die Macher, diejenigen, die die Regeln bauen, so einen Background haben?
Gregor Gysi: Also, die Politik verbeamtet. Und das hat Gründe. Nach einem Umbruch erlebst du immer auch interessante Politikerinnen und Politiker. Nach 1945 in der Bundesrepublik Leute wie Adenauer, wie Strauß, wie Willy Brandt, wie Wehner, Die kannte man ja, also über Jahrzehnte, die waren ja geprägt auch durch ihre Art des Umgangs mit der Geschichte. Und sie hatten ja eine ganz unterschiedliche Geschichte, schon in der Nazizeit und mussten irgendwie versuchen, das alles zu gestalten. Und dann verbeamtet die Politik, weil die Beamtinnen und die Beamten die einzigen sind, wenn sie in den Bundestag gewählt werden und danach nicht wieder gewählt werden, die einen verbindlichen Rechtsanspruch auf den gleichen Job in gleicher Bezahlung haben, den sie hatten, als sie hineingewählt wurden. Hat kein anderer. Nur die Beamtinnen und Beamte. Deshalb, ich sage jetzt mal, einen guten Rechtsanwalt wirst du nicht überzeugen, für den Bundestag zu kandidieren, weil der sagt, meine Praxis ist ja tot und nach vier Jahren fange ich dann wieder von vorne an.
Sebastian Krumbiegel: Ja, warst du ein schlechter Rechtsanwalt oder bist du ein schlechter Rechtsanwalt?
Gregor Gysi: Aber auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sagen mir auch, ja Gregor, wenn ich dann nicht wieder gewählt werde, kriege ich denn wieder einen Job oder nicht? Hochinteressant. Also Demokratie hat doch immer seine Konsequenzen, über die man nachdenken muss. Bei mir war es insofern etwas Besonderes, weil ich erstens Rechtsarbeiter in der DDR war und ich glaube, dass ich das Recht dort wirklich, doch kann man sagen, beherrscht habe und habe mich natürlich auch entwickelt. Aber jetzt war ich ja in der Politik in der Wendezeit gegangen. Und wiederum durch die Wende hat der Osten ein paar besondere Politikerinnen und Politiker vorgebracht. Also ich sage jetzt mal wieder unabhängig von der Anschauung, Lothar de Maizière, aber auch Angela Merkel. Regine Hildebrandt. Auch Gauck, auch Regine Hildebrandt, auch Stolpe, auch mich. Also das waren so ein paar Typen, jetzt egal wie du einzeln zu ihnen stehst, Aber das hört auch auf. Auch aus dem Osten wird sich die Politik jetzt verbeamten. Und es gibt übrigens noch eine Schwäche in der Politik, die habe ich auch erst begriffen. Ich will euch auch ein Beispiel nennen, das ist hochinteressant. Politik ist nicht prophylaktisch. Und ich werde euch erklären warum. Lange vor 2015, weiß aber nicht mehr genau wann, war ich im Irak. Und dann war ich im Nordirak, wo die Kurdinnen und Kurden leben, und da habe ich mir ein Flüchtlingslager angesehen, und zwar zusammen mit dem Generalkonsul. Und die Jungs spielten etwas Fußball und die Mädchen standen am Rande. Und dann habe ich die Mädchen gefragt, wie es ihnen geht, und die fingen kollektiv an zu weinen. Der Generalkonsul erschreckte, ich erschreckte mich und sage, ja, warum weint ihr denn? Und dann haben sie mir erzählt, dass sie bis zwei Tage zuvor einen Lehrer hatten, einen einzigen, der sie sehr gut unterrichtet hat. Und der hat ihnen mitgeteilt, dass die UNO nicht mehr die 50 Dollar pro Woche für ihn hat und deshalb könnten sie ihn nicht mehr bezahlen. Und da hat er gesagt, ohne Bezahlung kann er nicht bleiben, ist gegangen, hat keinen Lehrer mehr. Der Generalkonsul hat sich darüber aufgeregt, ich habe mich darüber aufgeregt. Er hat mit Sicherheit an seinen Außenminister geschrieben und ich habe natürlich an die Bundeskanzlerin geschrieben. Sie haben nichts gemacht. Erstens, wenn ich der Vater eines solchen Mädchens wäre und sie bekommt dort keinen Unterricht, würde ich mir überlegen, wohin ich fliehe, damit sie wenigstens Schulunterricht bekommt. Warum haben Sie nichts gemacht? Das kann ich euch schildern. Wenn sie was gemacht hätten, hätte eine stark bebilderte Zeitung geschrieben, dass unsere Kanzlerin unser ganzes Geld im Ausland verplempert. Da muss sie ja jedem helfen. Und dann hätten sie dazu geschrieben, dabei fehlt uns A, B, C, D, E, F, was auch alles stimmt, was sie geschrieben hätten, was uns fehlt. Und deshalb sind Politikerinnen und Politiker wegen dieses Verhältnisses zu Medien nicht prophylaktisch, nicht vorbeugend tätig. Und das stört mich. Ich überlege immer, wie man das verändern kann. Ich wäre, wenn ich in ihrer Rolle wäre, prophylaktisch tätig. Ich hätte gleich was gemacht, würde allerdings wissen, welche negative Presse ich bekomme. Und entweder habe ich mir ein solches Vertrauensverhältnis in der Bevölkerung gearbeitet, dass sie sagen, wenn er uns sagt, so ist das und sonst passiert das, dann vertrauen wir ihm, dann werde ich wieder gewählt und wenn nicht, werde ich nicht gewählt, aber ich habe meinen Eid nicht verletzt.
Sebastian Krumbiegel: Weil du gerade die Flüchtlingssituation angesprochen hast, das ist ja auch noch ein Thema, das uns alle umtreibt. Was passiert da zurzeit auf unsere Welt. und wie können wir dieses Dilemma auflösen, dass wir einerseits sagen, wir kümmern uns um ein starkes, friedliches Europa und andererseits aber eben nicht auf Kosten von anderen Gegenden auf dieser schönen Welt?
Gregor Gysi: Man muss die neue Situation sehen. Wir haben ja eine Globalisierung. Viele Unternehmen gehen ja dorthin, wo sie billigere Arbeitsplätze finden etc. Und das wiederum verlangt eine Angleichung. Also wenn ich in allen Ländern Löhne hätte wie in Deutschland, wäre der Lohn kein Grund mehr, das Land zu wechseln. Ganz einfach. Zweiter Punkt. Wir haben in Europa gelebt, wie wir in Europa gelebt haben, weil es auch viele Menschen in Afrika gab, die gar nicht wussten, wie wir leben. Nun ist aber das Handy erfunden worden. Nun gibt es das Internet. Das heißt, was neu ist, ist der weltweite Lebensstandardvergleich. Und darauf hat sich keine Regierung vorbereitet. Das Einzige, worüber sie nachdenken, ist, wie man sich abschotten kann. Und das Problem ist, was du wirklich machen musst, und das ist nicht so eine Langzeitvision, da musst du gleich Beginn die Ursachen für die Flucht überwinden. Ich sage nur drei Beispiele. Also wenn wir so viel an Rüstung verdienen und an Kriegen, sind wir auch selbst schuld an Flüchtlingen. Denn ein Krieg führt immer dazu, dass die Menschen fliehen. Zweiter Punkt. Hunger. Wir haben weltweit eine Landwirtschaft, die die Menschheit zweimal ernähren kann. Jedes Jahr sterben laut UN-Statistik 17 bis 18 Millionen an Hunger. Warum? Hätten wir nicht schon längst Weichen stellen müssen, damit diese Lebensmittel dorthin kommen? Drittens wird ja auch etwas hochinteressantes erzählt, dass die Menschheit zu schnell wächst. Also gerade von rechts kommt ja die Sorge, dass, also weiß ich nicht, wir können ja nicht auf den Mars ziehen. und wie soll das alles werden? Und da sage ich immer, es gibt zwei verschiedene Varianten, das Wachstum der Weltbevölkerung zu stoppen. Das erste ist der Atomkrieg, weil dann sterben so viele Menschen, dass erstmal von Wachstum nicht mehr die Rede sein kann. Da wir drei und ich hoffe weit über 99 Prozent der Menschheit das gerne ausschließen wollen, ist die Variante, also hoffentlich wird sie nie real. Jetzt gibt es die zweite Variante. Die zweite Variante ist ganz einfach. Du musst Armut überwinden und die Gleichstellung der Geschlechter. Ich sage euch auch warum. Armut erzeugt immer viele Kinder. Guckt nach Deutschland. Im Mittelalter waren sieben bis elf Kinder völlig normal. Wenn du arm bist, sagst du, Ach, das ist ja nur real, ich habe eh nichts zu verteilen. Und du hoffst immer, ein Kind ist dabei, dass die ganze Familie rausreißt, weil dieses Kind erfolgreich ist. Und so sind wir Menschen. Ich sage es jetzt ganz ehrlich. Wenn wir etwas besitzen, überlegen wir uns, wie oft wir teilen. Und dann kommen die typischen Ehen von zwei Kindern, drei Kindern, ein Kind oder auch kinderlose Ehen. Also wie wir das heute in Deutschland kennen. Es gibt natürlich immer ein paar Ausnahmen, ist klar. Also wenn du Armut überwindest, reduzierst du das Wachstum der Menschheit. Vielleicht gibt es dann gar kein Wachstum mehr. Und jetzt die Gleichstellung. Warum? Es gibt so viele Gesellschaften, wo den Frauen gesagt wird, dein Platz ist die Küche und die Kinder. Und dann sagen die Frauen, wenn sie das akzeptieren, sagen sie ja, vier oder sechs Kinder ist mir auch egal, die erziehen sich untereinander und wurschteln darum, ist ja ihre einzige Aufgabe. In dem Moment, wo wir weltweit durchsetzen, dass die Frauen das gleiche Recht auf Ausbildung, auf Bildung, ganz wichtig, auf berufliche Tätigkeit und auf berufliche Karriere haben wie die Männer, sagen sie mehr als zwei oder drei Kinder. Schaffe ich nicht.
Joel Kaczmarek: Was mich die ganze Zeit beschäftigt, wenn ich dir zuhöre, ist, und da kommen wir vielleicht mal ein bisschen in die Richtung digital, also dass wir unser Eck da mal vervollständigen. Woher weißt du eigentlich, wenn man dir zuhört, klingt das immer so, als wenn du weißt, was richtig und was falsch ist. Und ich finde das heutzutage unfassbar schwer, mir da eine Meinung zu bilden. oder einfach auch, weißt du, die Sachen sind auch so vielschichtig. Also es ist ja gar nicht mal nur so, dass die Informationslage schwer ist. Und da können wir uns jetzt auch mal rüberrobben, so zu Social Media, zu Informationsquellen. Aber die Welt ist ja so komplex geworden. Du ziehst an einem Strang und an fünf Ecken, wie Mikado so ein bisschen. Wie schaffst du das, dir eine Meinung zu bilden? mit sozialen Medien, mit Journalismus, mit irgendwie Austausch?
Gregor Gysi: Ich habe ja zunächst gedacht bei dem Internet, dass das einen demokratischen Vorteil bringt. Und zwar, weil es Herrschaftswissen abbaut. Eine Diktatur funktioniert nur, wenn du bestimmen kannst, was die Leute wissen sollen und was sie nicht wissen sollen. Wenn du das nicht bestimmen kannst, funktioniert die Diktatur nicht. Und da dachte ich, das Internet steht dagegen. Nun bin ich aber auch eines Besseren belehrt worden, weil das Internet auch schlimme Dinge anrichten kann über diese ganzen berühmten Fake News. Nun habe ich mir überlegt, könnte man etwas schaffen, wo du fragen kannst, ob die Nachricht wahr oder nicht wahr ist. Aber dann denke ich wieder, wenn du so eine Einrichtung schaffst, steht die ja auch schon wieder unter Einfluss. Und dann sagen die eben mal das Gegenteil von der Wahrheit und mal nicht. Das ist ungeheuer schwer, dafür habe ich noch keine Lösung. Aber eins kann ich sagen, was ich vorhin gesagt habe, wenn die herrschende Politik es nicht schafft, das Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen, wird das zunehmen, was du gerade beschrieben hast. Dann glauben sie den Nachrichten nicht, sie glauben den Zeitungen nicht, sie glauben eben auch der Politik nicht. Und deshalb müssen wir diese Fehler überwinden, nicht ehrlich die Motive zu sagen, nicht auf die Alternativen hinzuweisen. Also wenn wir ehrlicher agieren und in einer Sprache, die die Bevölkerung versteht, dann haben wir auch eine Chance, dass der etablierten Politik, ich nenne sie jetzt mal so, mehr geglaubt wird, als das gegenwärtig der Fall ist. Weißt du, es gibt immer Leute, die dir nicht glauben. Das ist nicht der Punkt. Aber es werden mir zu viele. Es werden mir zu viele.
Joel Kaczmarek: Wie machst du das denn aber als Politiker, wenn du gar kein eigenes Medium hast? Weil wir hatten, neulich hatten wir hier einen Fußballer sitzen, den Dennis Aogo. Da haben wir irgendwie über Luxus geredet, weil er sich irgendwie auch als Influencer viel betätigt. Und da meinte er, ja, ich liebe Luxus, ich stehe dazu, aber ich brauche ihn nicht. So, dann haben wir so diskutiert und diskutiert. Und hinterher meinte ich zu ihm, ich sage, Dennis, Da wäre ich an deiner Stelle vorsichtig, wenn ich jetzt irgendwie ein Mainstream-Medium wäre, du kannst sicher sein, die Überschrift des Artikels wäre gewesen, Dennis Aogo, Doppelpunkt, ich liebe Luxus. Und dann hätten die dich voll gegen die Wand genagelt mit irgendwelchen Sachen. Ja stimmt, hast du absolut recht, habe ich auch schon oft erlebt, vor allem oft kommt so dieses, ich mache die Überschrift nicht, da haben wir jemand anderen im Verlag, ich kann das leider gar nicht beeinflussen. So und als Politiker bist du diesem Gutdünken ja noch stärker ausgesetzt. Also du hast gesagt, die böse bebilderte Zeitung, da gibt es auch noch ein paar andere, also ich finde manchmal auch, Einige der Konservativeren finde ich kolossal schlecht. So ein Trump macht das ja als erster Mal, dass der sagt, ich habe Millionen von Follower auf Twitter, ich schalte hier alles dazwischen aus und wenn ich doch dazwischen zulassen muss, dann bestimme ich, wer da sitzt. Also nicht, dass das richtig ist, aber du hast ja gar keine Öffentlichkeit als Politiker durch dich.
Gregor Gysi: Es ist unterschiedlich. In dem Moment, wo du die Regierung stellst, hast du über die Bundespressekonferenzen, über die Berichte davon, in Zeitungen, im Fernsehen, natürlich viel mehr Öffentlichkeit als in der Opposition. Aber über eins kann ich mich nicht beschweren. Ich hatte ja nur eine Chance, mir Schritt für Schritt die Akzeptanz Natürlich nicht bei allen, aber in einem wachsenden Teil der Bevölkerung zu arbeiten, weil die Journalistinnen und Journalisten mich so häufig eingeladen haben. Wenn sie mich nicht eingeladen hätten in die Talkshows, die ich gar nicht liebe, aber ich hatte ja keine andere Chance, wenn sie mich nicht eingeladen hätten, dann hätte ich die Chance nicht gehabt. Das stimmt. Das heißt, die Medien sind auch verpflichtet, wirklich unterschiedliche Seiten zur Sprache kommen zu lassen. Und das Gute an einer Talkshow ist, dass sie ja nicht eine einheitliche Meinung brauchen, dann funktioniert die ja nicht. Das ist ja kurz langweilig, wenn alle dasselbe sagen. Deshalb sind sie dann gezwungen, auch andere Meinungen einzuladen, weil sonst das Ganze gar nicht funktioniert.
Joel Kaczmarek: Aber ich meine, wenn ich jetzt mal hier gucke auf meinen Spickzettel, den mein Team mir geschrieben hat, twitter.com slash Gregor Gysi, 363.209 Follower, Facebook 460.000 Follower. Du bist ja auch auf Social Media aktiv. Wie beeinflusst das denn dein Leben? Also wie benutzt du das als Werkzeug? Hilft dir das denn, diese Einzelgespräche sozusagen one-to-many herzustellen?
Gregor Gysi: Also erstens habe ich natürlich einen Mitarbeiter, der das hauptsächlich macht. Ich beantworte alle E-Mails, wo mein Name drunter steht, sind immer von mir diktiert. Dort nicht, weil ich das nicht schaffen würde.
Sebastian Krumbiegel: Per Spracherkennung, wie ich vorhin mitgekriegt habe. Wenn du irgendwie Nachrichten machst, nutzt du dein Handy, um mit Spracherkennung die Texte zu machen. Richtig.
Gregor Gysi: Aber Sachen, die sie nicht wissen oder die sie nicht anzeigen, die werden mir vorgelegt und die beantworte ich dann auch. Das nimmt mit die Hauptzeit ein. Da ich ja viel durch Deutschland gefahren werde, entweder fahre ich mit dem Zug oder ich werde auch mit dem Auto gefahren, dann arbeite ich die ganze Zeit. Ich kriege dann immer die E-Mails mit oder die Fragen zu Twitter-Nachrichten etc. Und das mache ich hintereinander stundenlang, sodass meine armen Fahrer kaum Musik hören können und so weiter, weil ich ja die ganze Zeit quatsche.
Sebastian Krumbiegel: Also du pflegst sozusagen auch deine Community? Ja. Okay.
Gregor Gysi: Ja, das muss auch sein. Übrigens, auch richtig böse Briefe antworte ich ja auch gerne. Aber natürlich in meinem Stil. Und das ist hochinteressant, wenn du völlig sachlich darauf reagierst, gibt es einige, also ganz unterschiedlich, einige melden sich gar nicht mehr, manche reagieren noch giftiger, aber andere entschuldigen sich. Und sagen, ich wusste gar nicht, dass sie das selbst zu lesen bekommen, es tut mir leid, ich war so wütend aus dem und dem Grund, warum ich das gerade an ihnen ausgelassen habe und so. Also erlebst du auch. Das heißt, selbst da kann man Erfolgserlebnisse haben. Muss man aber nicht.
Joel Kaczmarek: Nützt es dir was? Also zahlt es auf irgendetwas ein, was du tust, dass du diese Zeit da investierst?
Gregor Gysi: Ich weiß es nicht genau. Er hat ja vorhin gesagt, man hat keine Verantwortung als Oppositionspolitiker. Das stimmt nicht.
Sebastian Krumbiegel: So ganz hart habe ich es nicht gesagt.
Gregor Gysi: Nein, die Verantwortung besteht darin, zu versuchen, den Zeitkreis zu verändern. Ich war, glaube ich, der Erste, der auf einer Bundespressekonferenz einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn vorgeschlagen hat. Da war die Union dagegen, dann die FDP strikt dagegen, die SPD dagegen, die Grünen dagegen, die meisten Gewerkschaften dagegen. Nur drei von unseren Einzelgewerkschaften waren dafür. So, es liegt nicht an mir, dass er inzwischen mit den Stimmen der CSU beschlossen worden ist, aber auch, Das heißt, es ist gelungen, über eine lange Zeit den Zeitgeist so zu verändern, bis auch Parteien, die das vorher strikt abgelehnt haben, sagen, ja okay, das machen wir. Und das Interessante daran ist Folgendes, wenn ich damals gesagt hätte, das war Anfang der 90er Jahre, im Jahre 2000 so und so wird die CSU den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn beschließen, hättet ihr mir beide empfohlen, mich doch direkt in die geschlossene Psychiatrie zu begeben, weil es so unglaublich geklungen hätte. Habe ich auch nicht gesagt, habe ich auch selber nicht gewusst, auch gar nicht gedacht. Weil das ist die Aufgabe der Opposition.
Joel Kaczmarek: Hast du denn so Mittel und Wege, die du deiner Partei mit an die Hand gibst, wenn du zum Beispiel sagst, okay, guck mal, AfD macht hier diese ganze Populär versus Populismus, glaube ich war die.
Gregor Gysi: Es gibt einen Unterschied zwischen populär und populistisch, das stimmt, ja.
Joel Kaczmarek: Was für Handwerkszeug gibst du denn deiner Partei an die Hand?
Gregor Gysi: Ach, das ist ganz unterschiedlich. Ich sage zum Beispiel, man darf der AfD nicht entgegenkommen. Das ist immer falsch. der versucht, die Leute zu gewinnen, indem du sagst, sie haben ja zur Hälfte recht und so weiter. Nein, man muss sie widerlegen und versuchen, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen. Das ist sehr viel anstrengender. Aber das musst du machen. Bei Flüchtlingen vertrete ich natürlich Positionen, wo ich weiß, es gibt viele, die die überhaupt nicht teilen. Aber ich trenne mich nicht davon. Es entspricht meinem Gefühl und es entspricht meiner Vernunft und Logik. Das ist auch wichtig. Wenn du dich davon entfernst, das ist eben das Populistische, weil du sagst, ich möchte ja den Leuten gerne nach dem Mund reden. Die merken das. Die sind nie doof. Die merken genau, das meint der gar nicht ehrlich. Der quatscht jetzt nur so, um mir zu gefallen. Letztlich hast du damit gar keinen Erfolg.
Joel Kaczmarek: So, dann können wir ja vielleicht mal mit einem kleinen Blick in die Zukunft schließen. Ich habe meinem Schwiegervater nämlich versprochen, dich mal zu fragen, für wie realistisch du es eigentlich hältst, dass wir hier Rot-Rot-Grün etablieren könnten oder ob da nicht ganz viel emotional dagegen spricht auf allen Seiten.
Gregor Gysi: Das hängt davon ab, ob es mehrheitlich in der Bevölkerung eine Stimmung für einen Regierungswechsel gibt. Gegen eine Stimmung zu regieren, ist immer falsch. Und ich kann das heute noch nicht sagen, weil der Zeitgeist zu schnelllebig ist. Im Augenblick hätten sie gar keine Mehrheit. Das kann aber in anderthalb Jahren, also im September nächsten Jahres werden wir ja wahrscheinlich wählen, also nicht mal ganz anderthalb, ganz anders aussehen. Früher waren die Bindungen der Leute an Parteien viel größer als heute. Deshalb kann es dort sehr schnell einen Wechsel geben. Wenn es eine Stimmung dafür gibt, halte ich das für 2021 für möglich. Ob es sie gibt, kann ich heute noch nicht sagen. Aber nach der Krise sieht Deutschland anders aus als vorher.
Joel Kaczmarek: Gut, also ich glaube, heute sind wir mal exotisch geworden, was unser Format angeht und man hat auch, glaube ich, gemerkt, gerade Sebastian, du hast da ja echt viel Steak drin, also nicht Steak wie das zum Braten, sondern der Anteil, ja, aber es hat ja viel Spaß gemacht und den Horizont erweitert, deswegen ganz herzlichen Dank, dass du da warst und vielleicht können wir dich ja nochmal überzeugen, mal eine Fortsetzung machen, oder?
Sebastian Krumbiegel: Wenn wir Rot-Rot-Grün haben in anderthalb Jahren.
Gregor Gysi: Ja, dann komme ich schweißgebadet vorbei und muss die ganze Scheiße erklären, die gerade gemacht wird. Ich werde mir große Mühe geben.
Diese Episode dreht sich schwerpunktmäßig um Kunst: Denn mal ehrlich, ein bisschen Fame will doch jeder, oder? Unser Podcast-Papst Joel hat sich deshalb Pop-Prinz Sebastian Krumbiegel ins Boot geholt. Gemeinsam löchern sie Musiker, Schauspieler, Models, Comedians und Sportler zu den Veränderungen ihrer Berufe in der digitalisierten Medienlandschaft.