Achtsamkeit als Werkzeug von Führungskräften

4. April 2019, mit Joel KaczmarekStefan Lammers

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen High-Performance-Leadership-Podcast von digital kompakt. Mein Name ist Joel Kaczmarek und heute bin ich wie immer in kompetenter Begleitung durch den guten Stefan Lammers. Hallo Stefan.

Stefan Lammers: Hallo Joel.

Joel Kaczmarek: Wir haben ja ein neues Jahr, also jetzt ist die erste Folge im Jahr 2019. Was war denn so dein Recap aus dem letzten Jahr? Was hast du besonders mitgenommen, vielleicht mal als kleinen Start?

Stefan Lammers: Also es war das erfolgreichste Jahr unseres Firmendaseins, also insofern war das großartig. Auf der anderen Seite habe ich so für mich diesen Entschluss gefasst, also das war besonders nach dem September, da bin ich zurückgekommen und habe meinen Mitarbeitern gesagt, das, was ich in diesem Monat gemacht habe, will ich nie, nie wieder in meinem Leben machen, das war einfach zu viel. Im Prinzip habe ich irgendwie gefühlt das ganze Jahr durchgearbeitet, sieben Tage die Woche und das muss nicht unbedingt sein. Also wir schaffen hier gerade neue Strukturen, stellen uns auch ein Stück weit anders auf, um zum einen mich ein Stück weit zu entlasten, zum anderen aber auch für unsere Kunden nochmal andere Dinge anzubieten. Gerade auch inspiriert durch die vielen Rückmeldungen über den Podcast und die Vorträge, die wir machen, kriegen wir tolle Anregungen, um aus dem, was wir hier besprechen, eben auch tatsächlich Produkte zu machen, die wir unseren Kunden anbieten können.

Joel Kaczmarek: Guck mal, da machst du in so einem Jahresrecap schon eine Überführung zu unserem Thema heute. Besser könnte ich das ja gar nicht hinkriegen. Also bald brauchst du mich hier nicht mehr. Es soll heute nämlich um Achtsamkeit gehen. Ja, also wir haben ja zuletzt viel über agile Führung gesprochen. Da werden wir auch versuchen, eine Brücke zu schlagen. Also wie verträgt sich agile Führung und Führung generell mit Achtsamkeit? Aber heute mal wirklich auf dieses Thema, was du auch gerne so als Mindful Leadership bezeichnest. Und es kommt noch besser. Du bist heute in Begleitung ein Kompetenter. Wie ich lernen durfte, arbeitet ihr schon sehr, sehr lange zusammen. Und die gute Marina ist heute mit dabei. Stell dich doch mal ganz kurz vor und erzähl, was du so bisher gemacht hast und was du in der Gegenwart gerade tust.

Marina Löwe: Okay, danke Joel. Ja, schön, dass das geklappt hat. Wie immer hat alles seine Gründe und wir wollten ja eigentlich schon früher zusammenkommen. Jetzt starten wir dieses Jahr ganz neu und ich merke über die letzten Wochen, wie präsent das Thema Achtsamkeit gerade ist in den ganzen Bereichen, in denen ich unterwegs bin. Stefan und ich arbeiten seit 2006 zusammen tatsächlich schon. was eine ganze Weile ist. Und was ich mache, ist Talent, Team und Unternehmensentwicklung. Das heißt, auf allen Ebenen kannst du es bezeichnen als Entwicklungshilfe quasi. Worum geht es? Es geht ganz viel um Beziehungsmanagement, um Führungskräfteentwicklung und um High-Performance-Teams. Das ist das, was Stefan und mich in den ganzen Jahren stark miteinander verbindet. Wie kriegen wir das hin, dass die Teams ihre PS auf die Straße bringen und sich selbst aus dem Weg gehen, wo sie sich im Weg stehen?

Joel Kaczmarek: Und wie bist du dazu gekommen?

Marina Löwe: Ich bin von Haus aus Psychologin und nachdem ich gelernt habe, dass man damit nicht nur Therapeutin sein kann, sondern eben auch in der Wirtschaft unterstützen kann, war für mich klar, das ist definitiv das, was mich schon immer umtreibt. Wie ticken wir? Wie ist der Umgang miteinander? Wie lässt sich das verändern? Und zusätzlich habe ich damals auch BWL mit im Studium gehabt, weil mir klar war, das eine ist der Umgang miteinander, aber das ist kein Selbstzweck. Also es geht nicht darum, dass man eine Kuschelkultur hat und alle sind sich nah und eng, sondern du willst gemeinsam was erreichen. Und wie kriegst du es hin, da die richtigen Maßnahmen zu finden?

Joel Kaczmarek: Wenn man Psychologie sagt, dass man das studiert hat, dann ist man bei allen gleich so, gehen die Scheuklappen immer runter oder hier so die Panik. Oh Gott, die kann mich durchleuchten. Ein menschlicher Röntgenapparat sozusagen.

Marina Löwe: Das wäre so schön. Dann müssten wir noch mehr Geld verdienen, ehrlich gesagt.

Stefan Lammers: Ja, die Einstellung gefällt mir.

Marina Löwe: Mehr als Finanzler und BWLer in der Regel oder Juristen.

Joel Kaczmarek: Ich würde gerade sagen, da merkt man den BWL-Einschlag. Gut, aber starten wir nochmal direkt ins Thema. Achtsamkeit. Was ist das eigentlich?

Marina Löwe: Achtsamkeit ist zwei Sachen. Das eine ist eine Haltung und das andere ist eine Praxis. Und die beiden Dinge gehen sehr nah miteinander. Das heißt, wie achtsam bin ich, wie sehr bin ich im Moment? Wenn du auf die Haltung guckst, ist die Frage, wenn ich zum Beispiel mit Stefan zusammensitze oder jetzt mit dir im Gespräch, wie sehr bin ich jetzt in diesem Gespräch bei dir und Und parallel auf der zweiten Ebene auch noch mit dem, was bei mir gerade los ist. Und das zweite ist die Praxis. Wie oft praktiziere ich eigentlich diese achtsamen Momente oder wie oft trainiere ich das? Und das wird deshalb so präsent, weil wir gerade eine Zeit haben, wo du merkst, der neue Faktor für Leistung und für Erfolg ist Aufmerksamkeit. Und Aufmerksamkeit ist was, was bei uns wahnsinnig unter Druck steht. Du kannst den sozialen Medien folgen ohne Ende, du sitzt im Büro, sobald du reinkommst, hast du den Schreibtisch voll, die E-Mail-Postfächer laufen voll, permanent gibt es neue Systeme. Und Achtsamkeit bedeutet für sich, eine Haltung zu haben und zu sagen, wie oft bin ich mit mehreren Sachen gleichzeitig beschäftigt und unachtsam mache Sachen nebenbei. und wo wähle ich bewusst Momente, wo ich achtsam genau in dem Moment mit den Gedanken oder auch den Emotionen, die vielleicht mal da sind, bin.

Joel Kaczmarek: Okay, also kann ich schon mal als erstes Take-away sozusagen festhalten. Achtsamkeit ist, was sich auf einen selbst bezieht, aber auch auf andere. Also man hat im Prinzip so mehrere Ebenen, könnte man sagen, oder mehrere Typen. Also du hast ja auch gerade gesagt, Praxis und Haltung. Und es ist ja in der Tat so, ja, sowas wie Facebook und Konsorten, die versuchen ja irgendwie möglichst viel von unserer Airtime zu kriegen, also dass ich möglichst viel Aufmerksamkeit dort verbringe. Also es ist ja im digitalen Zeitalter ein echtes Gut geworden. Was beobachtest du so? Ist das was, wo Menschen sich aktiv mit auseinandersetzen dieser Tage? Also ich Ich finde, bei Achtsamkeit denkt man mal schnell an Meditation. Und Meditation heißt bei vielen immer Entschleunigung. Das ist gefühlt für ganz, ganz viele Menschen so das Gegenteil von irgendwie Führung, Agilität, im Team halt Performance bauen. Ist das trotzdem was, was immer mit Menschen beschäftigt?

Marina Löwe: Sehr. Also wenn du mal guckst rein von den Statistiken oder in den Medien, Achtsamkeit ist ein Wahnsinns-Hype. Also parallel zu der Agilität, die immer mehr um sich greift, hast du immer mehr Unternehmen, die auch wirklich globale Programme ausrollen von Google über Microsoft, IBM, SAP und auch Firmen wie Bayer oder Covestro haben alle irgendwo Mindful Leadership im Angebot. Und die Frage ist, woher kommt das? Das hast du nicht, wenn es keinen Bedarf danach gibt.

Stefan Lammers: Also für mich ist es auch nochmal eine Beobachtung, wie wichtig das ist. Ich habe in den letzten Tagen einige CEOs interviewt, zu ihrer Art zu arbeiten und in diesem Zusammenhang hat mir ein CEO gesagt, das fand ich sehr prägnant, als es darum ging, wie ist dein Tagesablauf? und er sagte, eigentlich sitze ich zwölf Stunden in Meetings und ich habe zwei Stunden Zeit zum Nachdenken. Allerdings sind diese zwei Stunden Zeit zum Nachdenken in 120, 30 Sekunden Sessions aufgeteilt, weil ich immer wieder einfach nur zwischenzeitlich dazu komme, auf die Schnelle irgendwas zu überlegen und sofort dann auch wieder eine Entscheidung treffen muss. Mit einem anderen CEO habe ich das Feedback gekriegt, naja, dass wir uns alle zwei Monate unterhalten, das ist für mich meine Reflexionszeit, die ich habe. Und was braucht es eigentlich alles, um gute Entscheidungen zu treffen? Wie viel Zeit brauche ich da eigentlich, um die Informationen zu sammeln, um mir einen Gedanken dazu zu machen? Was ist meine Haltung dazu? Was ist meine Perspektive dazu? Das ist jetzt mal nur der Beispiel jetzt bezogen aufs Business, aber auch für mich selbst. Wie viel Zeit nehme ich mir eigentlich, um in mich reinzuschauen und zu schauen, was für mich gut ist in dem Moment? Ich glaube, das bekommt eine immer größere Wichtigkeit, weil unsere Tage extrem dicht sind.

Joel Kaczmarek: Das ist ja ein geiles Zitat, die Anzahl an Meetings und wie viel man nachdenkt und wie sich das verteilt. Das wird bestimmt bei uns hier so auf Instagram irgendwie so eine Textbox, total gut. Lass uns das mal sezieren ein Stück weit. Also wir haben jetzt gesagt Praxis und Haltung, Innensicht und Außensicht. Fangen wir mal mit dem Thema an, man will quasi bei seinen Mitarbeitern sein, bei seinen Kollegen, bei seinem Team. Man will die Konzentration auf eine Sache lenken. Bin ich dann schon achtsam, wenn ich einfach mein Handy während des Meetings in den Flugmodus irgendwie stelle und mein Laptop zuklappe? oder gehört da doch noch mehr zu?

Marina Löwe: Es ist auf jeden Fall ein guter Start. Und ich kann dir ein gutes Beispiel aus der letzten Woche sagen. Da haben wir einen Teamworkshop gehabt und da waren Italiener, Inire, Schweden, Deutsche zusammen am Tisch. Und du hast neben einer nach wie vor Herausforderung in der Sprache, Die Herausforderung, dass sich irgendwann eine gewisse Kultur etabliert. Je höher du auf den Führungsebenen guckst, desto normaler ist es, dass alle reinkommen, Laptop hoch, die E-Mail-Programme laufen parallel, das Handy liegt da noch. Vielleicht ist der Ton ausgeschaltet, aber man sieht, es kommt was rein. Und das ist ein kleiner erster Schritt zu sagen, bitte lasst uns für die Zeit, wo wir jetzt hier sitzen, die Laptops an die Seite legen und die Handys auch. Aber was ist, wenn wir Notizen machen müssen? Wenn ihr Notizen machen müsst, dann schreibt es auf. Weil ganz ehrlich, wie viel machst du hinterher mit den Sachen? Und es gibt ohne Ende Studien, die das nachweisen. Sobald ein Handy auf dem Tisch liegt, selbst wenn es umgedreht ist, selbst wenn du den Bildschirm nicht siehst, ist die Qualität des Gesprächs signifikant schlechter. Das Ding lenkt uns ab, weil es im Unterbewusstsein triggert. Du hast es im Blick und somit ist es auch im Kopf. Und es macht einen wahnsinnigen Unterschied, weil ich merke, dass die Produktivität drastisch zunimmt in dem Moment, wo die Geräte weg sind. Warum sind Workshops und Coaching so wirksam? Weil du völlig konzentriert deine Aufmerksamkeit auf den Austausch miteinander lenkst und diese ganzen Multitasking-Sachen rausnimmst aus der Agenda. Und plötzlich hast du Manager, die merken, dass, wo sie sonst drei Stunden zusammensitzen, sie in einer halben Stunde die Themen geklärt haben, die sonst immer noch am Ende offen waren, weil parallel E-Mails beantwortet wurden oder jemand schon im nächsten Thema unterwegs war.

Joel Kaczmarek: Okay, ich wäre nämlich gerade im Begriff gewesen, dich nach so konkreten ROIs zu fragen, weil man muss ja den Leuten, wenn die irgendwie geschäftlich getrimmt sind, gefühlt immer verkaufen, warum es jetzt wirtschaftlich sinnvoll ist, sowas zu tun. Also kannst du schon mal feststellen, man hat eine erhöhte Effizienz, man schafft mehr in kürzerer Zeit, wenn man seine Aufmerksamkeit voll fokussiert. Gibt es noch weitere Punkte, an denen du merkst, es ist irgendwie sinnhaft, miteinander aufmerksam zu sein?

Marina Löwe: Du hast andere Lösungsansätze. Also in dem Moment, wo Konflikte hochkommen, auch da gab es einen Workshop, wo wir gemerkt haben, das ist ein heißes Thema. Da kochen die Emotionen hoch und die Positionen sahen sehr konträr aus, sehr festgefahren. Also haben wir einen Cut gemacht und Achtsamkeitsübungen. Was ist das? Das ist ganz banal. tiefes Atmen zum Beispiel. Der Atem taucht in allen Achtsamkeitsübungen in irgendeiner Form wieder auf. Warum? Weil er ganz stark uns damit verbindet, das Nervensystem wieder runterzufahren. Du kannst entweder eine entspannte Haltung haben und dein Körper zeigt dir das oder du fährst deinen Körper so runter von der Entspannung her, dass dein Gehirn denkt, aha, dann sind wir wohl entspannt, wenn wir so tief atmen. Wenn du das machst, schaffst du es aus dem Tunnelblick wieder rauszukommen, den du unter Konflikten oder Stress normalerweise hast und dann sind dir auch andere Lösungszugänge wieder möglich. Und das ist der zweite Effekt, den ich bemerke. Du hast deutlich kürzere Meetings und du hast wieder ganz andere Lösungen, die vorher nicht sichtbar waren.

Joel Kaczmarek: Stefan, du hast ja ganz viel mit Führungskräften zu tun. Ist es wirklich so, dass wenn du jetzt bei einer Bank, bei einer Versicherung, bei einem Autobauer, bei was weiß ich wem in der Chefetage sitzt, dass die dann irgendwie dafür offen sind, sich hinzusetzen und mal irgendwie zehn Minuten ruhig zu atmen?

Stefan Lammers: Zu Anfang nicht. Das ist immer wieder das. Und es gibt vor allen Dingen natürlich auch so eine Sozialparalyse, dass keiner den Anfang da machen will. Also dieses Thema muss man wirklich selber mit einer hohen Glaubwürdigkeit nach vorne tragen, damit die Führungskräfte den Mut haben, und die Sicherheit haben, sich darauf einzulassen. Wenn sie sich darauf eingelassen haben, kriege ich regelmäßig das Feedback, dass es ihnen total gut getan hat und dass sie ganz anders mit sich selbst in diesem Moment in Kontakt gekommen sind. Und das kriegt dann eben eine andere Qualität. Und was oft hilft in solchen Momenten, ist auch einfach Analogien herbeizuziehen. Und da passt einfach hervorragend der Spitzensport dazu. Wenn du dir das anguckst, gibt es ja drei verschiedene Zonen, in denen wir im Spitzensport in der Regel unterwegs sind. Die übermotivierte Zone, die untermotivierte Zone und der Flow. Wenn ich lange in der übermotivierten Zone, also in der Top-Leistungszone gewesen bin, dann brauche ich auch eine extrem tiefe Entspannung, um wieder das ausgleichen zu können. Und am besten bist du eigentlich, wenn du in dieser Flow-Zone bist, Ideal Performance State nennt man das im Sportmentalbereich, dass du eigentlich permanent investierst. in diesem Wechsel bis von Anspannung und Entspannung. Aber ein Mensch kann eigentlich nie permanent Spitzenleistung bringen, wenn er die ganze Zeit hochgradig angespannt ist. Also die Frage ist, wo schafft eine Führungskraft, die sich ja eben auch genauso wie ein Spitzenprofi begreift, wie ein Spitzensportler, wie schafft eine Führungskraft das, sich die Inseln zu nehmen, um dann immer wieder zwischendurch auch zu tanken? Und ganz ehrlich, wer uns das vormacht, sind die Chinesen beispielsweise. In vielen chinesischen Unternehmen ist es beispielsweise erlaubt, auch während der Arbeitszeit eben zu schlafen. Und das kennen wir ja auch immer mehr, dass das auch in Studien nachgewiesen wird, dass eben diese Kurzschlafphasen oder ähnliches tatsächlich auch die Performance erhöhen. Und ich glaube einfach, dass es oft darum geht, Bilder in Unternehmen zu schaffen, die das auch virtualisieren und diesen Erlaubnisrahmen geben, dass das auch okay ist, das zu machen und dann anzufangen damit. Und dann muss es irgendwann einen Ritus geben, dafür das zu tun. Und dann ist es ein Selbstläufer.

Joel Kaczmarek: Jetzt hat Stefan ja quasi schon die zweite Komponente von Achtsamkeit aufgegriffen, also gar nicht mal nur gegenüber den anderen, sondern auch gegenüber einem selbst. Kannst du uns nochmal zusammenfassen, Marina, was so die Benefits dessen sind und was sozusagen für Konzepte sich damit verbinden, warum das sinnvoll ist?

Marina Löwe: Was ich ganz spannend finde, Spannend finde ich in dem Zusammenhang, es gab eine Studie, in der man die Leistungen oder die Ergebnisse von CEOs untersucht hat und die Hälfte hat ein MBA gehabt. Und die CEOs mit dem MBA haben deutlich schlechter abgeschnitten im Vergleich zu der Gruppe, die unterschiedliche Hintergründe mitgebracht hat. Warum ist das so? Ein MBA ist wahnsinnig hilfreich und es ist sinnvoll, aus der Richtung auf ein Unternehmen zu gucken. Wenn das allerdings die einzige Richtung ist, ist es beschränkt, dann fehlt eine ganz wichtige Komponente. Weil wir auch gesellschaftlich erleben, dass ein immer stärkerer Drang danach ist, sich mit dem Sinn zu beschäftigen. Wozu bin ich eigentlich jeden Tag hier? Und dann vielleicht auch noch viele Stunden. Ich verbringe einen Großteil meines Lebens hier. Wozu? Was mache ich hier eigentlich? Und wenn ich dann auch noch einen Mangel an Beziehungen und an Wertschätzung habe, dann stelle ich mir die Frage zurecht. Und dann hast du auch die Erklärung, woher diese hohe Anzahl von stressbezogenen Krankheiten auch teilweise kommt. Wenn ich als Führungskraft gute Beziehungen haben will, ich will präsent sein, ich will Wertschätzung zeigen, dann ist die allererste Beziehung, die ich managen muss, die zu mir selber. Und das ist was, warum mich Achtsamkeit extrem fasziniert, weil es ein ganz ausschlaggebender Trainingsfaktor ist für emotionale Intelligenz. Warum? Weil du über diese Achtsamkeitsübung, über das Innehalten nochmal eine ganz andere Selbsterkenntnis hast. Stell dir das folgendermaßen vor, wenn du Stressmanagement machst, dann ist das so, als würdest du untersuchen beim Autofahren, wo verbrenne ich eigentlich den meisten Sprit? Also bei welcher Geschwindigkeit, bei welchem Fahrverhalten, wie kann ich das anpassen? Achtsamkeit ist nochmal eine andere Ebene. Du stellst das Auto aus und du machst Inspektionen. Auch den Bordcomputer. Du lädst ein neues Update hoch. Dafür muss das System aber einmal runterfahren. Ansonsten kannst du nicht updaten. Die meisten kennen das vom PC. Wenn ich den immer laufen lasse, der muss einmal neu starten, sonst wird das Update nicht verarbeitet. Und in dieser Selbsterkenntnis, die ich als Führungskraft brauche, guck mal, wenn du in einem Meeting sitzt und du hast jemanden, der dir auf den Keks geht. Wie wichtig ist es, dass du verstehst, welchen Knopf der gerade bei dir drückt? oder du stehst vor einem Vorgesetzten oder vor der Mitarbeiterbelegschaft in einer Betriebsversammlung zum Beispiel und musst selber unter Druck jetzt auch noch Sachen verkaufen, wo du selber noch nicht ganz genau weißt, wo es hingeht oder nicht 100% glücklich über dem Weg bist. Da zu verstehen, wie du dich selber einfangen und managen kannst, wie du einen festen Stand für dich findest, das ist das, wo ich merke, das ist schwer, ohne wirklich mal innezuhalten.

Joel Kaczmarek: Kannst du nochmal vielleicht einmal so ein Stück weit zusammenfassen, dass die Leute das mal einmal sauber für sich begriffen haben? Was bringt es mir, wenn ich mich auf Achtsamkeit also einlasse und quasi mich dem ernsthaft auch in einer Trainingsform hingebe?

Marina Löwe: Okay, ich beziehe es mal auf die Führungskräfte. Da hat das für mich drei Ebenen. Das erste ist, du baust für dich eine stärkere Selbstführung aus. Dazu gehören Impulskontrolle, emotionale Intelligenz und so weiter. Das zweite ist, Du baust die Führung deines Teams aus, der Leute, die um dich rum sind, indem du präsenter bist, indem du besser antizipieren kannst, was dein Gegenüber gerade braucht, dich besser reinversetzen kannst, Konflikte besser managen. Und das Dritte ist, du baust deine Führungsfähigkeit für das Unternehmen aus. Je höher du bist, desto mehr bist du im Fokus. Das heißt, deine Haltung, dein Umgang mit den Mitarbeitern strahlt aufs gesamte Unternehmen aus. Und das sind die drei Ebenen. Für das Unternehmen und die Zusammenarbeit grundsätzlich hast du eben Effekte wie deutlich kürzere Meetings. Die Produktivität ist höher, weil die Leute, die achtsam sind, sich schneller bremsen in Meetings und weniger einfach nur Luft füllen, sondern sich wirklich überlegen, macht das gerade Sinn, was ich hier sage oder nicht. Neben den kürzeren Meetings deutlich weniger Konflikte und besseres Stressmanagement tatsächlich auch.

Stefan Lammers: Also was ich ja auch gerade erlebe in den Unternehmen ist ja zweierlei. Wenn wir auf die Startup-Szene gucken, auf die Gründerszene gucken, dann haben wir per se schon eine extrem hohe Taktung und eine extrem hohe Geschwindigkeit. Und Geschwindigkeit und Geschwindigkeit steckt im Fokus. Wenn ich mir anschaue, die alten Unternehmen, die eigentlich von ihrer Taktung, die die in den Unternehmen haben, früher langsam gewesen sind, kriegen die von außen gerade den Druck und fangen an, auch ihre eigenen mentalen Modelle drauf aufzubauen, die heißen Geschwindigkeit, Geschwindigkeit, Geschwindigkeit. Gleichzeitig wird von mir erwartet, dass ich ein Hyperbewusstsein habe und eigentlich permanent die Umwelt wahrnehme. Das heißt also, sowohl dieses Thema Hyperbewusstsein als auch dieses stelle Agieren führt immer mehr weg von mir selbst. Und es ist die Frage, ob ich damit eben tatsächlich für diese dritte Dimension, die ja für die Führungskräfte extrem wichtig ist, nämlich sachkundige Entscheidungen zu finden, überhaupt noch diese Fähigkeit habe, weil ich mir einfach gar nicht mehr die Zeit genommen habe, diese Dinge für mich auch einzuwerten. und was hat das mit mir als Person in der Führung und auch für die Zukunft fürs Unternehmen zu tun, sondern ich bin eigentlich eher nur noch eine Entscheidungsmaschine in einer extremen Geschwindigkeit und verliere dadurch den Kontakt ein Stück weit zu mir selbst und vielleicht auch zu dem, was jetzt erforderlich ist für Mitarbeiter oder so. Auch das erlebe ich des Öfteren in Workshops. dass ich dann feststelle, dass die Führungskräfte das Gefühl haben, sie haben ja für alles gesorgt, sie haben Regeln aufgestellt, sie haben Abläufe festgelegt. Und innerhalb der Workshops entsteht dann auf einmal dieser Raum, wieder über sich nachzudenken und Dinge herauszubringen. Und da entsteht auch so eine Achtsamkeit für das, was in der Organisation los ist. Und in diesem Moment wird dann festgestellt, ups, wir haben uns ganz weit voneinander entfernt, das ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Und das, was ich geglaubt habe, wo wir stehen, das ist ja gar nicht die Realität. Und deswegen sind solche Momente einfach extrem wichtig. Und das erlebe ich auch. Marina und ich machen ja viele Workshops in unserem Leben in großen Gruppen und auch Top Leadership Teams und so weiter. Und in diesem Zusammenhang merke ich dann, wie transformativ das oft für so ein Team ist, wenn Marina die Achtsamkeitsübungen mit einführt und wir mit dem gesamten Team dann in diesen Momenten arbeiten. Was erstmal eben tatsächlich, wie du es eben ja schon mal gesagt hast, vielleicht auch ein bisschen komisch für die ist, das erstmal zu machen. und dann merke ich aber auf einmal, wie auf einmal ein anderer Geist da ist und wie auf einmal Dinge, die vorher eher unbewusst eine Rolle gespielt haben, tatsächlich auch benannt werden können und sie dann eben auch so eine transformative Kraft kriegen. eine Bedeutung und damit auch tatsächlich auf einmal der Startschuss gesetzt wird, dass die Teams wirklich an sich arbeiten und auf ein anderes Level kommen, auch in der Zusammenarbeit, weil Unaussprechbares oder Unbewusstes auf einmal besprechbar gemacht wird und dazu trägt Achtsamkeit ganz maßgeblich bei.

Joel Kaczmarek: Eine schöne Brücke zu meiner nächsten Frage. Warum ist denn Achtsamkeit gerade so ein Trend? Also ihr habt ja beide füreinander anscheinend separat festgestellt, dass das sehr viele Leute gerade beschäftigt. Mag manchmal auch der Jahreszeit geschuldet sein. Am Anfang des Jahres lässt man irgendwie das letzte Jahr nochmal Revue passieren, beziehungsweise nimmt man sich vor, was für dieses Jahr auf der Agenda stehen soll. Warum ist Achtsamkeit so ein Trend?

Marina Löwe: Weil wenn du die Vornehmen für Anfang des Jahres nimmst, dann kann ich dir sagen, okay, in meinem Fitnessstudio zum Beispiel sind die Kurse gerade brechend voll, das hält sich aber ungefähr einen Monat oder zwei und dann ist es vorbei. Und Achtsamkeit ist kein Kurzzeit-Event. Das ist auch nichts, was du mal eben ein, zwei, drei Mal machst und dann ist es gut gewesen. Sondern deshalb habe ich gesagt, es ist Haltung und Praxis. Und das ist ähnlich wie beim Joggen. Du läufst ja auch nicht ständig einen Marathon, in dem du nur mal ein bis zwei Mal joggen warst. Warum beschäftigt das gerade so viele? Ich glaube, in dem Moment, wo wir mal zur Ruhe kommen, und das ist vielleicht der Start des neuen Jahres, zwischen den Feiertagen sind viele mal zur Ruhe gekommen, fragst du dich, auf welchem Weg bin ich eigentlich gerade unterwegs? Und ist das der Weg, den ich weitergehen will? Und in dem Moment, wo solche Fragen hochkommen oder in dem Moment, wo du eine Grenze erreichst und das erlebe ich von den Führungskräften im Coaching, die mir sagen, so wie das auf der letzten Ebene funktioniert hat, so klappt das hier nicht mehr. Ich habe die Zeit nicht mehr und ich habe andere Anforderungen. Ich muss meine Vorgehensweise und meine Einstellung hier ganz klar verändern.

Stefan Lammers: Und ich möchte es auch nochmal erweitern, also um die Komponente weg vom Jahresanfang. Es gibt ja für mich noch zwei zusätzliche Dimensionen. Das ist einmal, dass sich ja große Unternehmen, die sich sehr damit beschäftigt haben, wie Google, Microsoft und so weiter, dadurch ja auch ein Leistungsversprechen haben. Also es geht auch um die Leistungsfähigkeit, die langfristige Leistungsfähigkeit von guten Mitarbeitern und auch um die Produktivität von guten Mitarbeitern. Und ich glaube, das wissen wir alle, dass diese Unternehmen in diesen Bereichen nicht so ausgefeilte Programme entwickeln würden, wenn das nicht auch eine messbare Wirkung nach innen hätte. Und die persönliche Komponente eben für einen selbst. auch nochmal, sich klar zu werden, inwieweit bin ich jetzt gerade eigentlich in einem permanenten Rennen, wo ich einfach nur nach außen schiele, was von mir erwartet wird und das in Einklang bringe auch wieder mit mir selbst, ob das zueinander passt. Wenn ich da bei mir selber gucke, als Beispiel, dann blicke ich zurück an die Zeit, als ich mich selbstständig gemacht hatte. Ich war in einer Top-Position in sehr jungen Jahren. Da war ich mir schon klar in irgendeiner Form, dass ich das nicht weitermachen will. Und ich bin dann eine Woche ins Kloster gegangen und habe Meditationen und Qigong dort gemacht. Und in dieser Zeit ist für mich die Klarheit immer weiter gewachsen, dass ich eine andere Karriere machen möchte. Und habe dann mich entschlossen, mich irgendwann selbstständig zu machen. Das hätte ich aber, glaube ich, diese Kraft hätte ich alleine nicht aufgebracht. wenn ich das in diesem täglichen Business-Flow gehabt habe, sondern für mich waren die Weichenstellungen im Leben immer dann, wenn ich entweder Selbsterfahrungsseminare oder Ähnliches gemacht habe, also wenn ich diese Zeit hatte, auch zu mir zu kommen. Und das sind nicht nur Entscheidungen gewesen, wie sich das jetzt vielleicht anhört, nachdem, dass ich dann eben immer zu neuen Ufern aufgebrochen bin, sondern es sind auch durchaus diese Entscheidungen in diesen Momenten, wo ich die Zeit hatte, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, mich für das, was ich gerade tue, nochmal bewusst neu zu entscheiden und zu sagen, ich bin jetzt gerettet, gerade da und das möchte ich so weitermachen. Und auch das gibt mir wieder viel mehr Kraft und Selbstsicherheit in diesem Moment, wenn ich eben mir diese Auszeit genommen habe, wieder bewusst für mich zu entscheiden. Also ich glaube, es gibt ganz unterschiedliche Ebenen da auch nochmal. Es gibt dieses Tagtägliche. Wie kann ich diese wichtigen Rituale in mein tagtägliches Leben einbauen? Aber was gibt es auch möglicherweise für Weichenstell-Situationen im Leben, wo ich vielleicht nochmal tatsächlich auch eine längere Auszeit brauche, die dann zusätzlich zu den Ritualen noch da sein sollte?

Joel Kaczmarek: Ich erinnere mich, ich habe mal ein Interview mit Hermann Scherer gehört. Ich finde, man kann manche Sachen, die er sagt, mal ein bisschen abstrahieren. Ich finde jetzt nicht alles toll, was er sagt, aber er hat Ähnliches berichtet, dass er irgendwie sogar in so ein Schweigekloster gegangen ist. Und dann hat man ihm, glaube ich, irgendwie so sinngemäß einen Satz gesagt, so ja, lass doch deine Gedanken wie auf Schienen fahren und so. Und er sagte, das kann ich nicht. Ich bin ein Hauptbahnhof. Hier fahren die Züge ein und aus und parallel und so. Also beschäftigt offensichtlich viele Leute. und Und ich höre auch immer öfter solche Themen wie Langeweile, dass man sich auch mal langweilen soll, dass man mal aus dem Zugfenster gucken soll, dann verarbeitet das Gehirn Sachen ganz anders. Trotzdem nochmal ganz kurz eine abschließende Frage zum Thema Aktualität gerade. Befördert unsere Gesellschaft oder irgendwie das, wie wir arbeiten, sozusagen eine Situation herauf, Achtsamkeit ganz spezifisch nochmal irgendwie anders triggert als vielleicht zum Beispiel bei unseren Eltern oder Großeltern? Weil ich weiß nicht, wie es euch so geht. Ich habe immer so das Gefühl, mit meinem Papa in der Firma damals, da war das irgendwie noch alles anders, so ein bisschen entspannter. Da gab es noch Fax, da gab es Telefon, da gab es kein Mail, da gab es kein SMS. Macht das das nochmal umso mehr notwendig? oder ist das so ein bisschen so die Arroganz der eigenen Generation, dass man immer denkt, man selbst hat es am härtesten und es ist eigentlich gar nicht so.

Marina Löwe: Da kannst du mit unterschiedlichen Perspektiven drauf gucken, weil du ja auch schon Schriften vor tausenden Jahren findest oder auch vor ein paar Jahrhunderten, wo es um diese unfassbare Beschleunigung geht und dass das Ziel ist, den Geist mal zur Ruhe zu bringen. Also es scheint was zu sein, was uns grundsätzlich immanent ist, unabhängig von der Zeit. Aber du hast auch andere Wo du sagen kannst, ja, die Informationsflut, die hat definitiv zugenommen. Also bis du früher die Nachrichten auf dem Tisch hattest über die Zeitung und in welcher Frequenz du die heute digital abrufen kannst, das ist ein Riesenunterschied. Du musst mehr filtern und du musst mehr verarbeiten. Ich glaube aber, dass ein Punkt im Kern gleich geblieben ist. Wenn du mal guckst, wie lange dein Papa gearbeitet hat in seinem Arbeitsleben, wie viel Zeit er bei der Arbeit verbracht hat, Dann haben, glaube ich, viele das auch ein Stück weit für selbstständig genommen. Und das erlebe ich bei Männern noch ein bisschen stärker. Ja, das ist eine Rolle, die habe ich da und das habe ich ein Leben lang eingenommen. Und die einzige Grenze, die dir dann irgendwann gesetzt wird, kommt eventuell noch von deinem Körper. Und auch da habe ich erstaunlich viele erlebt. Führungskräfte kennengelernt, die entweder den Hörsturz oder den Augeninfarkt oder irgendwelche Herzthemen brauchten, um zu merken, so wie ich hier unterwegs bin, funktioniert das nicht. Und ich freue mich über jeden, den ich gerade im Coaching erlebe, der mir sagt, Marina, das war wirklich eine neue Erfahrung, weil du hast recht, ich mache mir sonst immer Gedanken darüber, wie ich möglichst unverwundbar dastehe und denke, man hat mich hier teuer hingesetzt, ich muss einen besonders guten Job machen. Das bedeutet aber gar nicht, dass ich unbedingt viel mache, sondern es bedeutet, dass ich die richtigen Sachen mache. Und zu den richtigen Sachen gehört teilweise auch Fehler eingestehen gegenüber meiner Mannschaft, weil ich damit merke, dass mit dieser Fehlerkultur, die wir jetzt haben, durch dieses Öffnen, durch dieses Innehalten, wir ganz andere Ergebnisse haben als früher. Wir erkennen Fehler viel früher, wir beheben sie schneller und anstatt den Schuldigen zu suchen, verbessern wir unsere Prozesse. Und da hast du auch den Umschlag wieder zum agilen Arbeiten und warum das Thema zusätzlich aufkommt. Mit dem alten Mindset ist agiles Arbeiten wahnsinnig schwierig. Es braucht eine Fehlerkultur und eine Haltung, mehr und schneller auf sich gucken zu können und da besser mit umgehen zu können.

Joel Kaczmarek: Okay, also ich lerne schon mal diese transaktionale Führung, von der Stefan ja in der Vergangenheit in unserem Podcast auch schon öfters gesprochen hat. Das funktioniert nicht mehr. Also das reine Söldnertum, Zeit gegen Geld tauschen oder Leistung gegen Geld. Das heißt, intrinsische Motivation muss da sein plus sich bewusst sein. Was ist denn ein Augeninfarkt mal als kleine Randnotiz?

Marina Löwe: Das war für mich auch neu, aber das bedeutet, und das ist ein Stresssymptom, ein kleines Loch quasi hinten bekommst in der Rückwand des Auges und da dringt Flüssigkeit ein, sodass du nicht mehr fokussieren kannst mit dem Auge und bist auf einem Auge blind. Ist das dauerhaft? Ja, der Kollege hatte das so neun Monate, auch Geschäftsführer, wo ich merke, das ist ein sehr, sehr hartnäckiger Prozess manchmal, gerade bei Leistungsträgern zu sehen, dein Körper sagt dir gerade Stopp. Also ja, du bist eine Leistungsmaschine, aber auch Leistungsmaschinen müssen gewartet werden und Augeninfarkt war mir auch neu, aber auch das ist ein Stresssymptom.

Joel Kaczmarek: Aber sollte man mal betonen, da spricht ja kein Mensch drüber, also ich habe ja ganz viel mit Gründern zu tun. Ich hatte neulich einen, der in einem Konzern arbeitet, in der Digitalsparte, hochgradig erfolgreich und er sagte auch zu mir, er hat auf einmal so Tunnelblick bekommen. Der ist auf einem Event gewesen mit seinem Team und auf einmal konnte er nur noch die Peripherie gar nicht mehr scharf sehen, sondern wirklich nur noch, auch wie du beschrieben hast, durch so ein Loch und war dann nach ein paar Stunden wohl wieder weg, als er mal wieder zur Ruhe kam, geatmet hat und so. Aber das höre ich öfters. Ich hatte Gründerinnen, die mir gesagt haben, ihr Zahnfleisch ist zurückgegangen, Haarausfall, Stresspegel hat der Arzt bei ihr an Hormonen sozusagen gemessen, der so hoch war wie irgendwie bei Müttern, die ihre Babys von der Front weg tragen. Also da redet immer keiner drüber.

Marina Löwe: Aber sei ja mal an der Stelle erwähnt, Ja wenig, aber da hast du so eine ganz enge Taktung mit Achtsamkeit. Warum boomt das noch? Es hat eine große wissenschaftliche Relevanz. Wenn du zum Beispiel guckst, eine Grippeimpfung bei einer Gruppe, die Achtsamkeitsübungen macht, einer, die keine macht, die mit den Achtsamkeitsübungen hat deutlich mehr Antikörper gebildet und bei Herzinfarktpatienten macht man sogar ein Coaching darüber, wie sie ihren Ärger und ihre Wut besser managen und sieht, dass die weniger Rückfallquoten hat. Und damit bist du wieder ganz oben in der Führungsetage. Je mehr du unter Druck stehst, desto dringender kannst du davon profitieren, wenn du weißt, wie du mit diesem Druck positiv umgehen kannst. Denn am Ende ist ja die Intention bei allen die gleiche. Du möchtest abends gerne nach Hause gehen und sagen, ich habe was bewegt oder ich habe was geschafft und ich habe was Gutes bewegt und geschafft. Und dafür ist Achtsamkeit für mich was, wo ich glaube, für die meisten ist das ein guter Weg, um da einen gesunden Zugang zu finden zu seiner Hochleistung.

Joel Kaczmarek: Gut, dann lasst uns mal in Medias Res gehen. Wie passt Achtsamkeit zu Leadership? Wie sieht das aus? Oder vielleicht kann man es auch anders sagen. Wie führe ich achtsam und rege meine Mitarbeiter zu Achtsamkeit an?

Marina Löwe: Okay, der erste Punkt ist wirklich, fang bei dir selber an. Auch wenn das oft wiederholt ist, aber um die Selbstführung kommst du nicht drum herum. Das Innehalten und für sich sitzen, und das ist ein guter Test. Das kann man auch, wenn man den Podcast hört, hinterher mal kurz ausprobieren. Kannst du eine Minute lang einfach nur sitzen und sein? Und es gibt viele Menschen, die das nicht können. In einem Raum, der leer war und man 15 Minuten warten musste, da war nichts außer ein Elektroschocker, hat ein Mann der Studienteilnehmer sich bis zu 119 Mal elektrogeschockt. Warum? Weil wir dieses Stillsitzen kaum noch aushalten können, weil dann natürlich auch viel hochkommt. Kannst du stillsitzen? Kannst du aussitzen? Kannst du beobachten, was du denkst und was diese Gedanken mit dir machen, was die für ein Verhalten auslösen? Das ist Selbstführung. Und wenn du dich selber führen kannst, wirst du auch merken, dass du einen anderen Umgang mit deinen Mitarbeitern hast, weil bestimmte Reaktionen oder Meinungen, die du über deine Mitarbeiter hast, die stellst du dann vielleicht auch eher in Frage und begegnest deinen Mitarbeitern offener und präsenter. Und dann ist es in kleinen Schritten vorleben. Ich sage gar nicht, meditiert jetzt alle gemeinsam am Anfang des Meetings für 10 Minuten. In vielen Firmen ist das Usus, dass die in einem Meeting eine Minute erstmal ankommen. Verabschiede dich von dem Thema, aus dem du gerade rausgekommen bist, hol mal tief Luft, überleg dir, wozu du jetzt hier bist, was das neue Thema ist und dann fangen wir erst an. Und das kannst du noch kleiner runterbrechen. Such dir Kleinigkeiten, wo du sagst, esse ich überhaupt achtsam oder mache ich beim Essen noch E-Mails? Wenn ich im Gespräch bin, bin ich nur bei demjenigen oder habe ich 20 andere Themen? Kleine Schritte.

Joel Kaczmarek: Aber das ist ja bei ganz vielen Leuten, ich will nicht sagen intrinsisch angelegt, aber vielleicht angelernt. Wie kriegt man sowas denn bei sich selbst raus? Also wenn du sagst, Führen und Achtsamkeit fängt bei dir selbst an. Ich sehe die ja alle. Also ich bin ja in ganz vielen Büros durch meinen Job unterwegs. Ich habe ja ganz viele Leute da und da gibt es genug, die sich ihren Essensteller vor die Tastatur stellen. Ich habe sogar schon Tastaturen gesehen, wo der Essensteller integriert war. No kidding, da stehst du dann so links oder dran. Also wie kriegt man das denn bei sich selbst erstmal raus? Wie kriege ich denn überhaupt ein Bewusstsein dafür und diese Konstanz rein? Hast du da irgendwie Routinen, mit denen du arbeitest? Sollte man das vielleicht in Lernpartnerschaften machen? Wie kommt man zu so einem Punkt?

Marina Löwe: Am einfachsten ist tatsächlich, wenn du dir neue Gewohnheiten schaffst und dann braucht es eine Weile, bis die festsitzen. Also den Tagesstart zum Beispiel. So wie du morgens die Routine hast, Zähne zu putzen oder deinen Kaffee zu trinken oder was auch immer deine Routine ist, zu sagen, bevor ich loslaufe und irgendeine E-Mail lese oder das Telefon in die Hand nehme, setze ich mich mal eine Minute hin und konzentriere mich auf den Atem. Das Einfachste ist eine Zen-Übung, ist, dass du zum Beispiel die Atemzüge zählst. Und guck mal, was das macht. Wenn du nach der einen Minute merkst, ich bin runtergefahren, dann machst du vielleicht am nächsten Tag mal zwei oder dann drei. Und spätestens mittendrin, wenn du merkst, ich beiß mich an einem Thema fest oder ich reg mich gerade auf oder ich komme nicht weiter. Auch da, manchmal reicht eine Minute, sich rauszuziehen. Und das Einfachste ist, sich am Anfang zu committen.

Joel Kaczmarek: Stefan, wie siehst du denn das? Wir haben ja auch mal über Teamformen geredet in einem unserer vergangenen Podcasts. Ich erinnere mich, wir hatten solche schönen Begriffe wie Pseudoteam versus Hochleistungsteam. Du hast ja beide Welten schon gesehen. Vielleicht kannst du ja mal einen Praxisblick beschreiben, wo vielleicht sogar ein Pseudoteam zum Hochleistungsteam wurde und wo Achtsamkeit quasi in diesem Prozess mit aufgenommen wurde. Was siehst du da an der Front?

Stefan Lammers: Also ich sehe das an der Front, dass die Hürde erstmal hoch ist, so wie du das ja anfangs auch beschrieben hast. Also ich weiß noch meine ersten Achtsamkeitsübungen, die ich eingebaut habe, genau in dieses Thema Hochleistungsteams. Da gibt es so Geschichten wie mit Rosinen arbeiten, die mal anders betrachten, zu schmecken, zu fühlen und so weiter und zu beschreiben. Dass das schon mit sehr viel Skepsis aufgenommen wird, weil viele Leute in den Top-Führungsetagen natürlich erstmal von der völligen Ratio geprägt sind. Das, was Marina vorhin gesagt hat, der MBA-Titel, der einem dann auf diesen Erfolg programmiert und ähnliches. Dann gibt es aber eben die anderen Ebenen. Das habe ich ja eben auch schon mal gesagt, so wenn ich mit Marina in Teams arbeite oder selber auch alleine mit den Teams arbeite, dass dann irgendwann so ein Vertrauensrahmen da ist, wo man feststellt, okay, es gibt auch noch andere Dinge. Und wenn dieses Vertrauen da ist, dann kann man auf einmal auch über diese persönlichen Bedürfnisse sprechen. Und einer unserer Grundsätze ist ja dabei, dass wir immer sagen, Hochleistungsteams bestehen. eben aus guten Individuen. Es geht nicht darum, eben diese Pseudovir-Geschichte zu machen. Und ein gutes Individuum heißt also auch, für mich bewusst wahrzunehmen, was sind gerade Themen, die mich zurückhalten, die mein Leistungspotenzial einschränken oder die dazu führen, dass ich nicht langfristig leistungsfähig bin oder ähnliches. Und den Mut dann auch zu haben, also diesen Raum zu öffnen, dass die Leute darüber sprechen können. Und darüber gibt es dann eben auch ganz individuell, ganz unterschiedlich Dinge, die für die einzelnen Teilnehmer dann Bedeutung haben. Und wenn jeder gut für sich sorgt, dann kann daraus auch eben das entsprechende Potenzial entstehen. Und aus meiner Sicht ist es eben genau nicht so, Wie es manchmal so beschrieben wird, dass alle das Gleiche tun und dass es so dieses eine Geheimrezept für alle gibt, wie es funktioniert. Ich glaube, da muss jeder seinen individuellen Weg auch ein Stück weit entwickeln. Aber die Frage ist eben das Allererste und das machen Marina und ich beispielsweise schon viele Jahre. Ich weiß noch, wie wir mal mit einer großen Truppe, ich glaube 35 Leute, Qigong am Luganer See gemacht haben. Und ich weiß, was da hinterher für eine Energie auf einmal bei dieser Gruppe gewesen ist, wie die das gemeinsam gemacht haben. Und das war schon irgendwie sehr beeindruckend, was da auf einmal freigesetzt wird. Und wenn wir dann auch sehen, dass dann beispielsweise solche Effekte, wenn man sich gemeinsam zum Marathon verabredet oder sowas, wo man so gemeinsame Ziele hat, um was hinzuarbeiten. Und das kann man eben auch gemeinsam mit Achtsamkeit machen. Und auch daraus kann sich wieder eine Stärke, eine Kraft und eine Energie entwickeln. Und das ist eben sehr beeindruckend dann zu sehen, wenn Teams sich das tatsächlich trauen und auch durchführen.

Marina Löwe: Und Joelle, du hast ja gefragt bei achtsamer Führung, wie kann man da starten? Wir begleiten Unternehmen da auf unterschiedlichen Ebenen. Das eine ist in der Beratung zu gucken, wie kann man Achtsamkeit verankern im Unternehmen? Wo kann das auch Teil der Strategie sein? Und wozu soll es das sein? Wo knüpft es an? Das andere ist, dass wir in Teamworkshops ganz konkret erste Schritte davon erfahrbar machen, weil das, merke ich, ist der größte Schlüssel. Wenn du in einer Teamarbeit gemerkt hast, wie dich das zu anderen Lösungen bringt, wie dich das produktiver macht, effektiver und den Druck rausnimmt, gerade wenn du unter Zeitdruck bist, dann hast du eine ganz andere Motivation, dich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und der dritte Punkt ist natürlich auch im Einzelcoaching zu sagen, du als Führungskraft, wie kannst du dich managen und was ist deine beste Vorgehensweise, was ist deine Gewohnheit, die zu dir passt? Da bin ich genau bei Stefan. Es gibt eine Menge Ansätze, aber das ist für mich keine Pauschallösung, sondern du musst jeder für sich gucken, was ist mein niedrigschwelliger Eintritt, wo ich sage, das passt für mich.

Joel Kaczmarek: Hilft es, wenn man einen Chief Meditation Officer oder sowas bei sich hat? Also eine Person, die verantwortlich ist, dass das Team da immer wieder daran erinnert wird?

Marina Löwe: Es liegt immer daran, was die Person für ein Standing hat oder wie die eingebunden ist. Aber diese Erinnerungen sehen wir auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Also die Rewe zum Beispiel, die haben Erinnerungen auch auf ihren Rechnern. Achtung, das sind ein bis zwei Minuten, jetzt müsst ihr euch Einmal entspannen oder atmen. Das heißt, es gibt Unternehmen, die kurze Erinnerungen wirklich auf dem Rechner aufpoppen lassen. Dann hast du Leute, die zu festen Zeiten einladen. Auch da, es ist für mich echt eine Frage der Unternehmenskultur. Wie weit bist du weg von Achtsamkeit? Wie nah bist du dran? Wie ist der Umgang miteinander? Ich merke, dass das häufig Hand in Hand geht. Also uns sprechen viele Unternehmen an, wo Leute sagen, bei uns im Team wünsche ich mir einen anderen Umgang. Ich wünsche mir einen vertrauensvolleren Umgang, einen wertschätzenden Umgang und in dem Moment hast du wahnsinnig große Effekte, in dem Moment, wo du das miteinander kombinierst, Achtsamkeit und Teamentwicklung. Du hast dann eine Mischung aus inhaltlichen Themen, du hast messbare Ergebnisse und du hast eine Praxis, die die Leute für sich auch weiter praktizieren können und dann wird es handhabbar.

Joel Kaczmarek: Ist das rein so ein Thema von Üben? Also ist das sozusagen, je öfter ich das tue, je repetitiver ich das mache, dass ich dann meine Fähigkeiten einfach auch ganz anders ausbilden?

Stefan Lammers: Ja, das ist so. Und da gibt es auch einige Studien zu, zu diesem Thema, wie tatsächlich regelmäßige Meditation auch Gehirnstrukturen verändern im positiven Sinne. Und insofern ist das tatsächlich etwas, ist vor allen Dingen auch im Bereich des Gesundheitsmanagements überprüft. Das heißt also auch, wie erhole ich mich nach schweren Krankheiten? Wie gehe ich mit schweren Krankheiten um? Da ein wesentlicher Einfluss auf Heilungserfolg das Thema Meditation auch hat. Also da gibt es unterschiedlichste Studien, die da wirklich eindrucksvoll belegen, wie viel Kraft da letztendlich drin steckt.

Joel Kaczmarek: Trotzdem, ich hänge ja noch so ein bisschen daran, brauche ich nicht irgendwie so ein Stück weit Verbindlichkeit? Also muss ich das nicht irgendwo in irgendeiner Routine, in einem Prozess, in einer Struktur etablieren, dass das auch wirklich immer wiederholt passiert? Also ich sehe jetzt irgendwie ganz viele Leute vor mir, die gerade diesen Podcast hören, die sagen, oh toll, das führe ich mal auch irgendwie bei uns ein. Dann macht man das zwei Wochen und vergisst es wieder. Also gibt es da nicht schon irgendwo noch Mittel und Wege, da Verbindlichkeit und irgendwie sozusagen Wiederholung einzubringen?

Marina Löwe: Ja, und ich meine, da hilft uns die Digitalisierung ja auch ein Stück weiter. Das ist ja nicht nur Fluch, sondern ist auf der anderen Seite auch Segen. Und ich habe durchaus auch Führungskräfte, die das für sich handhabbar finden, mit Apps zu arbeiten. Da kommen immer mehr auf den Markt. Also egal, ob du Balloon nimmst oder Seven Mind oder Headspace, das ist eben englischsprachig, Bamboo und so weiter. Die sind häufig ausgerichtet auf zwei oder drei Minuten Sessions, die funktionieren. Finde ich persönlich relativ kurz, aber eben fehlt auch diese zehn Minuten, wo du eine Anleitung nochmal bekommst, weil es für viele am Anfang, je nachdem, wo du stehst, schwierig ist, einfach nur still zu sitzen. Und da hast du noch ein Stück weit eine Erklärung, was passiert jetzt eigentlich in den zehn Minuten, je mehr du dich auf deinen Atem konzentrierst? und wie kannst du dir das vorstellen? Ich habe einen Geschäftsführer, der hat gesagt, Marina, am Anfang hieß es immer, lass deine Gedanken vorbeiziehen. Da konnte ich gar nichts mit anfangen. Was soll das heißen? Und ich bin aber sitzen geblieben und habe das fortgesetzt jeden Tag. Und jetzt verstehe ich das. Ich kann die Gedanken ein bisschen mehr auf Distanz ziehen. Ich glaube, du hast das gerade gesagt, der Klosterbesucher sagte, ich kann die Gedanken nicht auf Schienen setzen. Bei mir ist das ein ganzer Bahnhof. Das lässt sich trainieren und das ist genau das, was Übung ausmacht. Du kannst besser trainieren. Ein Stück weit eine gesunde Distanz dazu annehmen und bewusst überlegen, will ich da jetzt drauf aufspringen oder das ziehen lassen.

Stefan Lammers: Also ich möchte auf diese Unterschiedlichkeit auch nochmal ganz kurz eingehen, auf die Unterschiedlichkeit der einzelnen Personen. Ich glaube, dass man das von verschiedensten Bereichen aus betrachten muss. Also das eine ist, dass es sicher gut ist, gerade auch im betrieblichen Umfeld, dass es eben wieder diesen Rahmen dafür gibt. Und ich glaube auch, dass es diese Erinnerungen durchaus gut und hilfreich sein können. Auf der anderen Seite ist das ein hoch individuelles Thema. Und das habe ich an verschiedenen Stellen festgestellt. Das habe ich festgestellt an einem unserer Berater, der Buddhist ist und regelmäßig meditiert. Und wir beschäftigen uns viel mit dem Thema Einsatz von Virtual Reality, bei uns auch in Coachings. Und er hat jetzt mal von mir dann eine Virtual Reality Brille bekommen und auch mit dem Thema Meditation. Und in dem Zusammenhang hat er gesagt, das bringt mir überhaupt nichts, das hilft mir überhaupt nichts weiter. Also ein Mensch, der total erfahren ist in der Meditation, hat sozusagen mit den Meditationstools aus Virtual Reality nichts anfangen können. Auf der anderen Seite gibt es da sicherlich Leute, die mit den Apps was anfangen können. Andere brauchen ganz was anderes. Ich zum Beispiel selber kann relativ schwierig was mit Ruhemeditationen anfangen, obwohl ich die ja auch viel gemacht habe. Ich bin viel mehr bei beispielsweise Qigong oder Gehmeditation oder was auch immer. Also das, glaube ich, ist einfach auch eine Typenfrage. Was ist für mich hilfreich in den jeweiligen, für meinen Typus passend? Und da gibt es ja auch eben ganz unterschiedliche Angebote. Und eine Meditation heißt nicht zwangsläufig, dass ich nur still alleine vor meinem Schreibtisch sitze und jetzt die Gedanken vorbeiziehen lasse. Da gibt es ja ganz unterschiedliche Derivate. Und da will ich einfach auch ermutigen, einfach auszuprobieren, um zu gucken, was ist für einen selber da das Richtige.

Joel Kaczmarek: Ja, ich meine, vielleicht ist das ja ein Beitrag, den wir unseren Hörern heute leisten können, dass wir sie auch mal dafür sensibilisieren, was Meditation eigentlich heißt. Ich habe nämlich auch mal beigebracht bekommen, dass das eigentlich bedeutet, seinen Geist auf eine Sache zu fokussieren. Weil die meisten haben ja so dieses Bild, man sitzt im Schneidersitz da, eine Kerze brennt, man macht so um und muss dann so ein Buddhist sein. Wenn man es dann in der Realität macht, tut einem von diesem Holzbänkchen schon der Arsch irgendwie nach zwei Minuten weh. Aber ich habe es in der Tat auch für mich gemerkt, dass man manchmal sagen kann, man konzentriert sich einfach auf eine Sache. Atem ist da wahrscheinlich noch so das Dankbarste. Und lustig, dass du das sagst, mit den Bildern vorbeiziehen, by the way, Marina. Ich hatte das auch, beim Yoga haben sie mir das beigebracht. Und Yoga ist by the way auch Meditation in Bewegung, auf eine Sache konzentrieren. Dass sie dann auch meinte, ja, stellt euch vor, ihr liegt auf einer Wiese und eure Gedanken ziehen vorbei wie Wolken. Das funktioniert erschreckenderweise wirklich, muss man zugeben. Und ich bin echt so, man hört es ja an meinem Redetempo, also ich bin dann hier so der japanische Hauptbahnhof für Gedanken. Von daher, das würde mich ja freuen, wenn wir Leuten die Hemmschwelle nehmen, da sozusagen sich Gedanken zu machen. Aber was ich mir vorstellen könnte, ist, dass der eine oder andere jetzt sagt, liebe Marina, aber mal ehrlich, das kann doch irgendwie nicht das Rätselskern sein, dass ich zehn Minuten mir nur nehme oder nur eine Minute. Das ist doch viel zu kurz. Das hat doch gar keinen Impact. Das ist doch bedeutungslos. Das ist doch genauso dieses immer kleingetackte Aufmerksamkeitsspannen und so dieses Kleinhacken so. Das bringt doch gar nichts. Was antwortest du solchen Menschen?

Marina Löwe: Probier es aus. Ich kann dir 20.000 Studien dazu vorlegen und es gibt geradezu Mind-Based Stress Reduction. Das ist eine Methode, die auch von den Krankenkassen in Deutschland sogar gefördert wird, weil sie eben wissenschaftlich so gut unterbaut wird. Die Grundlage ist das Gleiche bei der Achtsamkeit. Nimm dir fokussiert Zeit, genau wie du sagst, dich auf eine Sache zu konzentrieren und das in Ruhe. Und es ist eine Trainingssache. Und je nachdem, wo du stehst, wenn du dir die Executives vorstellst, auch Stefan hat es ja gerade gesagt, die eine Führungskraft, mit der er gesprochen hat, 120 mal 30 Sekunden Taktung, ansonsten bist du im Meeting. Vielleicht ist eine Minute einfach nur den Atem zählen schon eine echte Herausforderung. Und davon kenne ich Menschen, die finden eine Minute schon eine Challenge. Und wenn du es, sagen wir mal, über sieben Tage machst, wirst du hoffentlich merken, dass du nicht jeden Tag gleich kämpfst, sondern an der einen oder anderen Stelle Tage hast, wo es dir leichter fällt oder schwerer. Und diese Programme sind häufig über acht Wochen zum Beispiel ausgerichtet. Und acht Wochen mal zehn Minuten ist für dein Gehirn extrem gutes Training, genau wie beim Sport. Womit sollst du anfangen? Direkt mit 10 Kilometer Lauf? Nee, fang doch da an, wo deine Kondition gerade ist und wo deine Motivation ausreicht, um das zu machen. Und beim Meditieren ist ein ganz wichtiger Tipp bei der Achtsamkeit von dem John Kabat-Zinn, der auch bei dem globalen Google-Programm mit involviert war. Wenn du merkst, dass die Herausforderung zu groß ist und du einen ganz großen Widerstand entwickelst gegen dieses Stillsitzen, dann ist das der Punkt, um aufzuhören. Dann mach ein andermal weiter. Dann lass es kleindosig und bau das schrittweise langsam auf. Und ja, die zehn Minuten kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, weil ich habe eben auch Zeiten, wo es in Anführungsstrichen nur die zehn Minuten waren. Den Unterschied merken sogar deine Kollegen und auch deine Familie. Weil das wenigstens einmal am Tag das System runterfahren oder nicht, das macht den Unterschied. Weniger die Anzahl der Minuten.

Joel Kaczmarek: Ja, ich erinnere mich mal, ich habe mal vor einem Sales Call Meditation gemacht, so eine Minute oder fünf, hier mit so Yoga-Nitra-CDs und so, habe mir mal jemand empfohlen, das funktioniert wirklich. Also, das war der beste Sales Call, den ich, glaube ich, je hatte, so im Flow, um hier Stefans Sportmetapher wieder aufzugreifen, war ich noch nie, ja. Also, mehr Beispiele als wir heute kann man ja gar nicht geben. Wie gut das klappt. Ja, ist wirklich so. Das stimmt schon mit runterfahren und sich nochmal einnorden. So, abschließende Frage.

Marina Löwe: Und nicht allzeit und immer. Das ist mir nochmal wichtig, weil wir mit Stefan auch darüber gesprochen haben. Manchmal brauchst du nur hohe Energie. Dann geht es darum, wie du dich hochpushen kannst und wie du dich in diesen energiereichen Modus reinkriegst. Aber es gibt eben auch Momente, wo du so viel Energie hast oder so viel Druck, dass du die Leute überrennen würdest, wenn du so rausgehen würdest. Und das sind die Momente, wo du den Gegenpol brauchst. Also Achtsamkeit ist ein guter Schlüssel, aber eben auch nicht für jedes Schloss.

Joel Kaczmarek: Meine letzte Frage, die mich noch beschäftigt wäre, du hast ja viel über agile Führung zuletzt gesagt, Stefan, oder unseren Podcast geteilt. Gibt es bei agiler Führung einen gesonderten Bedarf für Achtsamkeit und wie verträgt sich das damit?

Stefan Lammers: Ich glaube, dass in der agilen Welt Achtsamkeit nochmal eine ganz andere Bedeutung bekommt, weil es nicht darum geht, dass ich als Führungskraft eine reine Erfüllungsgehilfe bin, sondern dass ich ein hohes Rollenbewusstsein brauche und auch ein hohes Bewusstsein für die anderen Mitarbeiter. Wenn ich also im Servant Leadership unterwegs bin, dienendes Leadership, muss ich ja erstmal wahrnehmen, was denn überhaupt der Need bei den anderen Protagonisten ist. Ist Kollegen, wie auch immer. Und um da eben zielgerichtet dann auch die Unterstützung anbieten zu können. Also ich glaube, das Thema Achtsamkeit spielt eine ganz, ganz große Rolle, um da für sich selbst auch die richtigen Entscheidungen treffen zu können.

Marina Löwe: Achtsame Agilität, da haben wir viel drüber gesprochen, denn was du als Führungskraft brauchst, ist eine wahnsinnig hohe emotionale Intelligenz und eine sehr gute Selbstwahrnehmung, weil du bei Agilität dich eben auf wenig verlassen kannst. Du hast eine theoretische Struktur, aber alles, das ganze Projekt, auch dein Team und die Prozesse, ist permanent im Flow und du musst dich ständig auf was Neues einstellen. Und da als Achtsamkeit merken wir genau das Pendant, was immer mehr Leute für sich merken, dass sie es brauchen, weil es ansonsten einfach so viel im Wandel ist, dass du irgendwo Stabilität brauchst und die hast du dann nur noch in dir selbst.

Joel Kaczmarek: Bevor Stefan uns jetzt abschließend noch ein gutes Bild gibt rund um das Thema, kannst du nochmal sagen, warum dieses Thema Empathie so wichtig ist bei Achtsamkeit? Und vielleicht gibt es ja auch den ein oder anderen Tipp, wie man Empathie trainieren kann.

Marina Löwe: Da muss ich kurz klug scheißern auf das Wort Empathie, weil Empathie hat seine absoluten Fallstricke. Wenn du dich zu sehr in eine Person reinversetzt, dann wirst du Schwierigkeiten haben, eine klare Entscheidung zu treffen fürs Business, weil du empathisch mitfühlen kannst, wie derjenige sich fühlen wird, wenn du ihn entlässt. Das heißt, es hat nicht nur seine positiven Seiten. Und Compassion, oder wie du das übersetzen kannst, auch Mitgefühl, das hat nochmal eine andere Komponente. Ich brauche schon die Fähigkeit, mich in andere hineinzuversetzen, aber ich will mich nicht mit in die Grube reinlegen, um zu sagen, oh, deine Grube ist aber wirklich tief und dunkel. Sondern ich will sagen, oh, du bist da in eine Grube reingefallen, lass uns gucken, wie du wieder rauskommst. Und das ist was, was du als Führungskraft brauchst. Diese Haltung zur Dienstleistung in der Führung. Ich glaube, dass das immer wichtiger wird. Je mehr du deine Mitarbeiter in die Lage versetzt, einen guten Job zu machen, desto besser bist du als Führungskraft. Und dafür brauchst du eine hohe emotionale Intelligenz, weil du über die altgedienten Strukturen ja nicht mehr führst, sondern über die soziale Bindung im Grunde genommen. Gerade wenn du keine festen Teams und Hierarchien mehr hast in der agilen Welt, bist du nicht mehr der Abteilungsleiter, sondern du bist für dieses Projekt derjenige, der es führt. Wie kriegst du die Leute dazu, dir zu folgen?

Joel Kaczmarek: Und wie trainiere ich das oder lerne das?

Marina Löwe: Die emotionale Intelligenz?

Joel Kaczmarek: Wie komme ich sozusagen zum Mitgefühl, dass ich mitkriege, da ist jemand in der Grube und reiche ihm die Hand?

Marina Löwe: Tatsächlich über bessere Selbstwahrnehmung im ersten Fall. Also wirklich das Sitzen, dich beobachten. Was habe ich für Gedankengänge? Was löst der andere bei mir aus? Was sind meine wunden Punkte? Wo sind meine Unsicherheiten? Und je besser du dich kennst, desto besser kannst du dich in den anderen reinversetzen, ohne dich komplett mit ihm zu verstricken. Und dafür ist dieses Achtsamkeitstraining. Du kannst sehen, dass die emotionale Intelligenz deutlich steigt, auch nach nur acht Wochen von diesen zehn Minuten. Und das sind zehn sehr wertvoll investierte Minuten, wenn du überlegst, was du ansonsten für Zeit verballerst, für Konflikte oder unproduktive Meetings.

Joel Kaczmarek: So Stefan, abschließend, du hast doch immer gute Bilder. Was für ein Bild beschäftigt dich noch rund ums Thema Achtsamkeit?

Stefan Lammers: Naja, als Führungskraft kann ich mich immer fragen, was ich sein will. Die dumme Gans oder der schlaue Fuchs? Und es gibt da einen alten Versuchsaufbau und der geht folgendermaßen. Da wird Futter hingelegt, zwei Flöcke eingeschlagen und zwischen den zwei Flöcken wird ein Netz gespannt. Die dumme Gans, die macht einfach immer das Gleiche, was sie schon immer gemacht hat. Die versucht auf dem direkten Wege zum Futter zu kommen. Die macht das so lange, bis sie in dem Netz stirbt. Sie kann nicht das Netz durchbeißen, sie kommt nicht näher an das Futter ran, aber sie hat immer nur diesen direkten Weg auf das Futter. Dann tauscht man das Futter gegen die Gans aus, die gerade gestorben ist und dann kommt der schlaue Fuchs und den lässt man in diesen Versuchsaufbau. und der schlaue Fuchs, der geht erstmal an dieses Netz und versucht auch direkt zur Gans zu kommen und stellt fest, dass das nicht klappt. Und dann hält der schlaue Fuchs inne, läuft nochmal zurück, guckt sich die ganze Situation von außen an und stellt fest, dass er eigentlich nur um den Flock drum laufen muss, um an die Gans zu kommen. Und das erinnert mich so ein bisschen auch an das Thema Achtsamkeit. Wie schaue ich mir eigentlich das ganze Bild an? Wie nehme ich mir die Zeit, das nochmal für mich einzuwerten und zu überlegen, was bedeutet das eigentlich für mich? Also Führungskräfte, die von vornherein ablehnen, ich möchte keine Achtsamkeit machen und das ist was für vielleicht Schwächlinge oder was auch immer, das brauche ich alles nicht. Die sollten sich einfach mal fragen, was sie sein wollen. Dumme Gans. Oder schlauer Fuchs?

Joel Kaczmarek: Hervorragend. Dann hoffe ich, dass wir heute viele schlaue Füchse produziert haben, dass vielleicht der ein oder andere auch mal zurücktritt und das Bild im Großen und Ganzen betrachtet. Ich danke dir ganz herzlich, Marina, dass du unsere Gästin heute warst und bestimmt machen wir da nochmal eine Nachfassaktion. Also ich habe so das Gefühl, in dem Thema schlummert noch mehr drin. Vielleicht wollen uns ja auch der ein oder andere Nutzer hier gerne mal eine Nachricht schreiben, was ihn noch so beschäftigt. Auf jeden Fall vielen, vielen herzlichen Dank, dass du dabei warst und dir natürlich auch wie immer lieben Dank, Stefan.

Marina Löwe: Danke euch. Ciao. Ciao. Hey! Hey! Hey!

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