Mythbusting: 7 Mythen zu Börsengängen in Deutschland

27. Oktober 2021, mit Joel Kaczmarek

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Intro: Digital Kompakt. Heute aus dem Bereich Börse. Mit deinem Moderator Joel Kaczmarek und den Experten der Deutschen Börse. Los geht's.

Joel Kaczmarek: Hallo Leute, mein Name ist Joel Kaczmarek. Ich bin der Geschäftsführer von Digital Kompakt und heute haben wir wieder ein spannendes Börsenthema vor der Brust. Wir sprechen nämlich über Mythbusting. Das heißt, wir werden mal einige der typischen grassierenden Mythen, die sich so um einen Börsengang ranken, auseinandernehmen, diskutieren, thematisieren. Weil, wenn man sich mit dem Thema tiefer beschäftigt, merkt man, ich kriege das auch mal gespiegelt von unserem Partner der lieben Börse auf der anderen Seite, dass es doch relativ viele Mythen gibt, die dort grassieren. Ganz, ganz verschiedene Dinge von, wie ist es mit den Bewertungen, wie viel Sinn macht das hier an der Börse mit Tech-Unternehmen und, und, und. Und diese Mythen einmal aufzulösen, haben wir uns heute vorgenommen. Wenn ich sage wir, dann sind das neben mir noch zwei weitere spannende Gäste. Und zwar einmal der liebe Christian von Dreising. Der ist Head of Equity Capital Markets bei Haug & Aufhäuser. Sowie Bernd Wagner, der ist gleichermaßen CFO und COO bei der S&P. Cherry AG. Also wer hier heiße Mäuse und Tastaturen hat, kommt an Cherry nicht vorbei. Und wer sich mit der Börse beschäftigt, kommt auch an den Kollegen von Haug und Aufhäuser kaum vorbei. That being said, starten wir eine spannende Folge. Und ihr Lieben, schön, dass ihr beide da seid. Herzlich willkommen. Christian, fangen wir mit dir an. Ich habe dich ja jetzt nur ganz kurz vorgestellt. Was genau macht man als Head of Equity Capital Partners bei Haug und Aufhäuser? Und die Betonung immer auf kurz.

Christian von Dreising: Ja, vielen Dank erstmal, dass ich hier heute dabei sein kann. Ich freue mich auf den Podcast und dass wir einige Mythen mal auseinandernehmen. Ich bin jetzt seit 20 Jahren in der Beratung tätig, wo wir Eigentümer, Gründer und Startup-Unternehmer bei Börsengängen im Vorfeld beraten. Einmal checken, ob das Unternehmen börsenreif ist. Man sagt so dazu, die Braut hübsch machen. Und dann gehen wir voll in die Vorbereitung eines Börsengangs und dann natürlich auch in die Vermarktung, in die heiße Phase und platzieren dann die Aktien bei Investoren. Seit sieben Jahren bin ich bei Hauk & Aufhäuser verantwortlich für das Kapitalmarktgeschäft, kurz Equity Capital Markets. Und das Besondere an Hauk & Aufhäuser ist, dass wir mit unseren 50 Professionals einen besonderen Fokus haben auf KMU, also Small und Mid Cap Unternehmen.

Joel Kaczmarek: Gut, Bernd, dein Part der Reise. Was genau macht denn eigentlich die Cherry AG? Und dann hangeln wir uns mal weiter zu unserem ersten Mythos.

Bernd Wagner: Ja, hallo. Vielen Dank, dass ich auch dabei sein darf. Die Cherry AG ist seit 29. Juni ein börsennotiertes Unternehmen mit der Hilfe von Hauk und Aufhäuser an die Börse gegangen. Was machen wir genau? Wir haben im Wesentlichen vier Geschäftsbereiche. Das ist zum einen die Herstellung von Mikroschaltern für Gaming-Keyboards und zukünftig auch für Office-Levels. Wir machen als zweites sogenannte Gaming-Peripheriegeräte. Das sind typischerweise Tastaturen, Keyboards, Mäuse, Kopfhörer. Im dritten Geschäftsfeld machen wir Peripheriegeräte für Office, Industry und Point-of-Sales-Geräte, also Kartenlesegeräte für Kreditkarten und Security-Produkte für Banken und Affiliate. Das vierte Segment sind Healthcare-Terminals und Tastaturen. Und da sind wir einer von zwei Anbietern in diesem Segment und damit also eine relativ starke USP. Wir sind international vertreten. Wir haben Standorte und Produktionen in München, Auerbach in Deutschland. Oberpfalz, in Wien, UK, in Paris, Chicago, Hongkong, Taipei und in Zhuhai, das ist in der Nähe von Macau, also China. Wir haben circa 570 Mitarbeiter, werden dieses Jahr circa 170 Millionen Euro Umsatz generieren und sind sehr ertragsstark, sehr stark wachsend, sowohl organisch als auch anorganisch und im Kern unseres Geschäftes steht das Thema Innovation und Qualitätsführerschaft. Wo kommt Cherry her? Es wurde 1953 in den USA gegründet von Walter Cherry. Er hat das dann an seinen Sohn übergeben, den Peter Cherry. Und auf der Suche nach einem deutschen Standort ist 1973 sein Sohn in Pegnitz, nördlich von Nürnberg, bei einem Hubschraubereinsatz der US Army tödlich ums Leben gekommen. Damit war klar, dass der Standort für den Vater in Deutschland hier in der Nähe von Pegnitz respektive Auerbach ist. Das Unternehmen wurde dann 2008 an die ZF Kompetenz von Cherry. Und 2016 wurde dann dieser Teil, der heute jetzt börsennotiert ist mit den vier Geschäftsbereichen, die ich gerade erwähnt habe, an das Private Equity House Genui verkauft und der Automotive Teil blieb bei ZF. 2020. dann wurde nochmal ein großer Teil an Argant Partners, ebenfalls ein Private Equity House in New York verkauft und dann im Juni 2021 an die Börse gebracht.

Joel Kaczmarek: Gut, also war ja extrem viel bei. Also alleine, dass ihr Gaming-Zubehör macht. Auch wenn ich Consolero bin, fühle ich mich ja da schon bei euch zu Hause. Wusste ich gar nicht, dass ihr da so eine emotionale Geschichte hinterhabt mit dem Firmenstandort. Also echt ganz spannend. Lass uns doch mal straight eintauchen. Also meine Freunde von der Deutschen Börse, die den Podcast hier ja auch wirtschaftlich unterstützen, die haben mir so ein paar typische Mythen, die ihnen immer begegnen, mitgegeben. Und da die Kollegen natürlich auch international denken, sind die teilweise auf Englisch formuliert. Der erste, den ich so mit an die Hand bekommen habe, war, Valuations in the US are always higher and aftermarket performance is through the roof. Also gibt es in den USA höhere Bewertungen und wie sieht eigentlich der ganze Aftermarket aus? Und deswegen wäre so meine erste Frage an euch beide vielleicht so ein Stück weit auch mal zu klären, warum denn eigentlich ein Börsengang in Deutschland und nicht im Ausland?

Christian von Dreising: Also natürlich ist im Vorfeld eines Börsengangs zu prüfen, welcher Börsenplatz überhaupt Sinn macht für das Unternehmen. Und da werden wir auf einige Faktoren mal eingehen. Bewertungsseitig kann ich dazu sagen, dass es in der Tat so ist, dass es teilweise in Amerika höhere Bewertungen gibt bei Unternehmen als in Deutschland. Aber das ist nicht der alleinige Faktor, warum man überhaupt an die Börse gehen sollte in den USA, sondern man muss auch andere Faktoren berücksichtigen, wie zum Beispiel Standort. Wo ist das Unternehmen verwurzelt? Wo hat es ihre Mitarbeiter? Die Mitarbeiter sollen sich ja auch mit dem Unternehmen identifizieren und dann spricht halt einiges auch für den deutschen Klassenplatz. muss man sich natürlich auch angucken, wo börsennotierte Wettbewerber notieren, an welchen Handelsplätzen. Und bei Cherry war es der Fall in der Tat, dass mit Logitech und Corsair zwei amerikanische Unternehmen in Amerika notiert waren. Da gab es halt schon ein Argument dafür, darüber nachzudenken, warum es vielleicht Sinn machen würde, nach Amerika zu gehen. Bei uns war es so, dass wir gesagt haben, Cherry hat eine gewisse Größe vom Unternehmen mit einer Markttapitalisierung von rund 850 Millionen Euro mit einer globalen Präsenz. werden wir es auch hinbekommen, genügend Interesse und Aufmerksamkeit von US-Investoren zu generieren. Das heißt, während des Börsengangs haben wir natürlich mit sehr, sehr vielen US-Investoren gesprochen, die auch bereit waren, in ein Unternehmen zu investieren, was an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert. Und deswegen war es für uns auch ein Argument zu sagen, Frankfurt passt auf jeden Fall auch für Cherry.

Bernd Wagner: Für uns war eigentlich die Frage, hat sich gar nicht gestellt, ob wir nach USA oder in Deutschland an die Börse gehen. Das war von vornherein klar. Erstens ist natürlich Cherry ein Unternehmen mit langer Tradition und Wurzeln in Deutschland, auch wenn es ursprünglich mal in USA gegründet wurde. Wir sind ein kleiner Hidden Champion und haben eine gewisse globale Marktführerschaft. Aufgrund auch unserer Standorte, glaube ich, ist das klar geworden. Für uns waren die Führungen, Vier Beweggründe, die wir hatten für den Standort Deutschland, war einmal die Bekenntnis zum Finanzplatz Deutschland. Zweitens die Verbundenheit mit den Mitarbeitern und unserem Traditionsstandort in Auerbach. Wir haben globale Kunden, die genau dieses Thema Made in Germany schätzen. Und der vierte Punkt ist natürlich auch, und das ist jetzt mit Corona deutlich weiter hervorgekommen, Die Möglichkeiten der globalen Vernetzung. heutzutage machen es gar nicht mehr nötig, an einem ganz gewissen Börsenplatz zu sein, um eine internationale Präsenz zu bekommen. Bei einem Börsengang an einer US-Börse ist natürlich auch ein deutlich höheres Haftungsrisiko für die Vorstände, als wenn man in Europa an einen Börsenplatz geht.

Joel Kaczmarek: Ja, guter Punkt, weil ich war gerade im Begriff nochmal nachzufragen, wenn da die Bewertungen eigentlich höher sind in den USA, wie macht man das jemandem schmackhaft, der natürlich auf Bewertungen hin optimiert? und dann finde ich eigentlich ganz plausibel, was ihr gerade gesagt habt, dass das natürlich so ein Stück weit auch eine Mischkalkulation ist, dass man irgendwie gucken muss, wie es man verhaftet, welche Nachfrage kann man wo erzeugen? und der Haftungspunkt ist ja vielleicht auch noch eigentlich ganz unwichtiger. Gut, machen wir mal weiter mit zwei weiteren Mythen. Das erste ist, Companies that are listed at the FSE, also in Frankfurt, have only German investors. Und das zweite ist, to attract US or UK investors, I need to be listed in the USA. Wenn ihr beide das so nochmal Revue passieren lasst, was wir auch gerade schon gesagt haben und eure Historie, die ihr bisher hattet, was ist denn an diesen beiden Mythen dran, dass man in Frankfurt nur Deutsche anzieht und um UK oder US Investoren anziehen zu müssen, eigentlich in die USA muss?

Bernd Wagner: Bei so einem Börsengang hat man ja verschiedene Vermarktungsphasen. Typischerweise natürlich englische Begriffe, Early Look, Pilot Fishing, Book Building. Und in diesen Phasen haben wir ca. 200 Investoren aus Europa und Nordamerika durch Corona bedingt virtuell getroffen. In Europa waren es Investoren aus ca. 14 Ländern und wir konnten am Schluss bei der Allokation von den Angebotsaktien, die überhaupt platziert worden sind, 130 Investoren berücksichtigen auf den ganzen Gesprächsplan. heraus, wir hatten ja einen Global Book Runner und zwei Joint Book Runners, haben wir im Grunde das Gefühl gehabt, dass die Vermarktung und Platzierung der Aktien einfach global läuft. Wir hatten viele, viele internationale Gespräche, insbesondere auch Nordamerika. Das hat uns den Eindruck vermittelt, dass es sowieso global platziert wird. Investoren akzeptieren mittlerweile auch durch Corona bedingt, dass die Investorengespräche auch ausschließlich über Videokonferenzen ablaufen. Wir haben Werte müssen oder konnten es einfach auch nicht. Jetzt im Nachgang post IPO treffen wir einige Investoren persönlich, die auch das Werk natürlich mal sehen wollen und auch die verschiedenen Standorte. Wir haben es geschafft, auch in dieser Phase diese ganze Präsenz digital aufzubauen und auch das Vertrauen zu gewinnen und die persönliche Beziehung aufzubauen. Jetzt post IPO, wo man schon wieder entsprechende Präsenz Meetings hat. Zuletzt jetzt in Stockholm trifft man dann Investoren und dann kann man das auf dem Fundament aufsetzen, was in der Phase geschaffen worden ist. Vielleicht aktueller Stand, wir haben auch, obwohl wir nur in Deutschland platziert sind, zusammen mit den Aktien unseres Hauptanteilseigeners sind circa 40 bis 50 Prozent in den Händen von US-amerikanischen Investoren.

Christian von Dreising: Ja, als ich die Mythen vorher einmal zugestickt bekommen habe, habe ich mir natürlich auch mal Gedanken gemacht und habe mal ein paar Daten zusammengetragen. Ich habe mal jetzt unsere letzten sieben Börsengänge genommen, wo wir natürlich vorwiegend Small- und Mid-Cap-Unternehmen, also KMU-Unternehmen an die Börse bringen. Und selbst dort sprechen wir mit weit über tausend Investoren bei einem Börsengang oder bei einer Kapitalerhöhung. Und diese Investoren kommen zumeist aus Europa und Nordamerika. Allein im Durchschnitt wären bei unseren Börsengängen ca. 30% der Angebotsaktien United Kingdom, also vorwiegend natürlich London, platziert. Befolgt dann von 35% der Allokationen geht in die DAF-Region. Also von 35% sind rund 15% nur Deutschland. Das heißt, das widerlegt eigentlich ganz gut, dass die meisten Aktien nur nach Deutschland gehen, dass es damit widerlegt. Auch die Allokation von Angebotsaktien nach Amerika hat deutlich zugenommen in den letzten drei Jahren. Insgesamt rund 15 Prozent werden bei unserem Börsengang nach Nordamerika, USA und Kanada platziert. Und der Rest an andere europäische Länder, wie Regionen Skandinavien, Benelux, Spanien, Portugal und auch Italien. Das ist relativ diversifiziert. Wir sprechen in der heißen Phase dann mit rund 150 Prozent. bis 200 Investoren bei dem Börsengang einsteigen wollen und die kommen rund aus 14 Ländern allein aus Europa. Nicht nur die globale oder regionale Reichweite ist auch interessant, da gehen natürlich auch andere Faktoren rein. Man guckt sich bei der Allokation. Was ist der Investmenthorizont dieses Investors? Ist der kurzfristig oder langfristig orientiert? Was war sein Engagement während der Vermarktungsphase bei einem Börsengang? Hat er sich wirklich aktiv involviert? Hat er frühzeitig ein Commitment schon abgegeben, dass er Aktien zeichnen möchte? Das sind halt wesentliche Punkte, die man auch bei einer Allokation neben einer regionalen Verteilung auch berücksichtigen muss. Bei der Frankfurter Wertpapierbörse ist es auch so, dass sie sehr international aufgestellt ist und ausgerichtet. Die Handelsplattform CETRA kennt sicherlich jeder von uns. Da ist es so, dass an dieses Handelssystem insgesamt 83 ausländische Handelspartner im Gegensatz zu 72 deutschen Handelspartner angeschlossen sind. Das gesamte Handelsvolumen auf CETRA kommt zu rund 70 Prozent aus dem Ausland. Das zeigt sehr schön, dass die Frankfurter Wertpapierbörse sehr international aufgestellt ist und nicht einen typischen deutschen Fokus hat.

Joel Kaczmarek: Gut, also ich meine, ich staune. Jeder zweite Anleger quasi bei Cherry oder fast jeder zweite aus den USA. Und wenn man sich Xetra anguckt, fundig, denkt man ja gar nicht, dass knapp ein Drittel quasi nur deutsch angebundene Investoren sind. Also auch auf die Gefahr, dass das hier ein bisschen wie eine Werbeveranstaltung klingt, dass wir jetzt sozusagen sehr pro Deutschland reden. Aber ich glaube, so einfach in harten Fakten merkt man, da tut sich einiges. Vierter Mythos. Das heißt, es gibt ja oft so dieses vermeintliche Missverständnis, dass man nur als namhaftes Unternehmen und Marktführer einen Platz an der Börse einnehmen kann. Was ist denn eure Einschätzung dazu? Das heißt, was habt ihr da für eine Eigenbeobachtung gemacht? Gerade ihr, Christian, habt ja auch über die Jahre einige begleitet. Was ist da dran?

Christian von Dreising: Ja, nicht so viel, ehrlich gesagt. Ich habe mir auch mal wieder ein paar Daten angeschaut. Allein im Zeitraum von Januar bis Juli 2021, über ein Drittel aller Börsengänge, da hatten die Gesellschaften eine Marktkapitalisierung unter einer Milliarde Euro. Vom Unicorn spricht man ja immer von einer Milliarde Euro Bewertung. Das heißt, rund ein Drittel waren deutlich unter der einer Milliarde. Allein bei den Tech-Companies zum Beispiel waren rund 60 Prozent, hatten eine Bewertung unter einer Milliarde Euro. Deswegen denke ich, hat jedes Unternehmen wirklich auch einen Platz verdient an der Börse. Ja, und es hängt nicht unbedingt von der Bewertung ab. Ich habe in der Vergangenheit eine Vielzahl von sehr erfolgreichen Börsengängen beobachtet, die bei einer Bewertung so zwischen 150 und 250 waren. Millionen lagen. Und das Emissionsvolumen aus Kapitalerhöhung und aus Umplatzierung von Bestandsaktien lag so zwischen 50 und 80 Millionen Euro. Also ein deutliches Stück drunter unter einem Unicorn. Und das waren trotzdem alle sehr erfolgreiche Börsengänge. Da sehe ich so ein Stück weit auch die Banken in der Pflicht, den Eigentümern und dem Management ganz klar zu sagen bei der Prüfung der IPO-Reife, ob ein Börsengang realistisch ist. Vielleicht ist der noch nicht in diesem Jahr oder in den nächsten sechs bis zwölf Monaten realistisch, aber vielleicht in zwei, drei Jahren. Dann kann man einen Zeitplan erarbeiten, wie man das Unternehmen am besten an die Börse bringt. Da spielen noch ganz andere Faktoren neben der Bewertung mit rein. Wir gucken uns mal an, was ist das Alleinstellungsmerkmal? Gibt es irgendeine Technologie oder Preisführerschaft? Wir hatten das Thema Qualitätsführerschaft bei Cherry. Gibt es irgendwelche aktuellen Markt-Industriedynamiken, die dem Unternehmen helfen werden, in der Zukunft stark zu wachsen? Wir gucken insgesamt sehr fokussiert auf das Thema Wachstum, nicht nur bei Umsatz. sondern natürlich, wie entwickelt sich das Unternehmen zum Beispiel bei Kundenzahlen. Für uns sind auch Umsatz- und EBITDA-Zahlen auch nicht immer das einzige, worauf wir achten bei Finanzinformationen, sondern auch auf die KPIs. Sind das Unternehmen, die sich mit herausragenden KPIs in der Zukunft durchsetzen können? Das ist für uns halt auch ausschlaggebend, um zu sagen, das Unternehmen ist börsenreif. Das kann wirklich ein Erfolg sein.

Bernd Wagner: Ich kann das genauso unterstützen. Cherry hat ja aktuell so circa 800 bis 850 Millionen Marktkapitalisierung. Geht man allerdings davon aus, was die Analysten als Target-Werte für unseren Aktienkurs geben, dann liegen wir auch natürlich über einer Milliarde. Aber das sind eben Zielwerte. wesentlich wichtiger war, dass wir während des Börsengangs zu keiner Zeit das Gefühl hatten, dass Investoren deswegen abgesprungen wären oder nicht investiert haben oder kein Interesse hatten, weil eventuell die Marktkapitalisierung unter einer Milliarde war. Also das war in keinem Fall der Punkt. Jetzt hat Jerry eine relativ große Markenbekanntheitsgrad oder einen sehr hohen Markenbekanntheitsgrad. Das war zunächst mal sehr hilfreich. Sehr viel wichtiger ist für die Investoren gewesen, dass eine entsprechend starke Wachstumsstory plausibel und nachhaltig rübergebracht werden kann. Ein hohes zweistelliges Umsatzwachstum, aber auch eine sehr hohe Ertragsstärke, sehr wichtig auch für einige Investoren. Cash Conversion Rate, Return on Capital Employed war sehr wichtig. Das waren eher die Argumente, ob sie reingehen in der Kombinatorik, wie der Christian schon gesagt hat. Pass auf, die Kombination von vielen verschiedenen Parametern, aber nicht ein einzelner. Also ich muss nicht über eine Milliarde sein, sondern ich muss das Potenzial haben, darüber zu kommen. Die Zielwerte, wenn man annimmt, sind wir deutlich über eine Milliarde bewertet. und viel wichtiger ist es momentan, dass wir mit der Kombinatorik, mit dem Free-Float, den wir jetzt generiert haben, auch aufgrund der letzten Platzierung eben eventuell in den SDAX aufsteigen können. Wir sind ja im Prime-Standard bisher notiert und haben die Möglichkeit, aufgrund des erhöhten Free-Floats jetzt eventuell im Dezember in den SDAX aufzusteigen. Diese Kombination, das macht einen ganzen Reiz auch für Investoren aus. Damit steigt die Sichtbarkeit und dann natürlich auch die Marktbewertung noch mal. Wir selbst hatten ein Emissionsvolumen von ca. 420 Millionen, hatten eine signifikante Übernachfrage, konnten also auch nicht alle Investoren bedienen, waren in der glücklichen Situation, dass wir nur sogenannte Long-Investoren bedienen konnten, was vielleicht dann auch zu Diskussionen im Nachgang führte, weil die Liquidität der Aktie als nächstes erhöht werden muss. Und wenn nur Long ist, dann habe ich eben nur Nachfrage, wenig Traffic zunächst auf dem Börsenpaket.

Joel Kaczmarek: Gut, also wir haben schon mal darüber geredet, wie es sich quasi um die Investorenreichweite verhält. Jetzt, ob ich ein Unicorn sein muss, um das machen zu können. Ein weiterer Mythos ist, und der geht in eine ein bisschen ähnliche Richtung, mit einer leicht anderen Nuance. Scale as well as tech-ducks companies have inferior performance in comparison to large, stable companies like those in the ducks. Das heißt, wir müssen mal zuspitzen. Denkt ihr beide, dass KMUs mit den großen, namhaften Unternehmen eigentlich mithalten können? Bernd, wie ist denn da deine Erfahrung und Einschätzung?

Bernd Wagner: Ich würde mal sagen, ganz locker. Die Thematik ist ja, dass wir heute schon entsprechende Global Presence haben und auch den Anspruch erheben, global vertreten zu sein. Versuchen das auch gegenüber unseren Stakeholdern und Lieferanten auch so zu präsentieren. Die Größe allein ist nicht entscheidend, zumindest nicht am Anfang. Beim Börsengang ist das Wachstumspotenzial, also die Möglichkeiten, die man hat. aufgrund dieser Plattform eröffnet hat, durch den Börsengang ermöglichen und ausnutzen kann. Das wesentliche Merkmal, was die Investoren suchen, dass sie aufgrund dieser Ausgangssituation mit dem Kapital, was sie auch dem Unternehmen ja zur Verfügung stellen, das im Grunde dann auszubauen. Wichtig ist aus meiner Erfahrung heraus in den Gesprächen, in vielen, vielen Gesprächen, die wir jetzt geführt haben, vor und nach dem IPO, die Investoren suchenden ganz klares Alleinstellungsmerkmal, das Differenzierungsmerkmal zu den Wettbewerbern, die eigenen Wettbewerbsstärken klar herauszuarbeiten, das Wachstumspotenzial, was sie auch natürlich suchen, ist eine hohe Profitabilität oder auch zukünftiges noch Wachstumssteigerungspotenzial in der Profitabilität. Alle Punkte, die ich jetzt erwähnt habe, kann Cherry letztendlich nutzen. Wir haben sehr viele Wachstumsmöglichkeiten und das hat die Investoren eben überzeugt, in die Cherry-Aktie zu investieren, auch dem Unternehmen sehr viel Kapital zur Verfügung zu stellen. Wir haben circa 140 Millionen Wachstumskapital bekommen und das werden wir einsetzen für entsprechendes organisches und anorganisches Wachstum.

Joel Kaczmarek: Christian, ich könnte mir vorstellen, dass du bei dieser Frage, was haben Scale und Tech-Dax-Companies quasi so im Köcher im Vergleich zu DAX-Unternehmen, auch nochmal eine ganz gute Einordnung geben kannst, was denn eigentlich quasi die Ambition der unterschiedlichen Typen ist. Vielleicht können wir uns ja diesen Mythos auch nochmal aus der Richtung nähern.

Christian von Dreising: Man muss da schon ein bisschen unterscheiden, große Unternehmen, wie die angesprochen werden oder wie da die Vermarktung läuft im Gegensatz zu KMU-Unternehmen oder Wachstumsunternehmen. Bei Größeren Unternehmen, die entweder am DAX oder MDAX sind, geht es eher darum, die sogenannten Value-Investoren erwarten eine Dividendenrendite bei diesen Unternehmen, weil das halt gesättigte Unternehmen sind mit einer guten Financial Performance. Bei den KMU-Unternehmen oder vielmehr den Wachstumsunternehmen hat die Dividendenpolitik oder Strategie weniger Relevanz. Hier fühlen sich eher die Investoren angesprochen. Das heißt, wir gehen auch bei unserer Vermarktungsstrategie und bei unserer Investorenansprache sehr, sehr fokussiert auf diese Growth-Investoren zu. Denn die Growth-Investoren erwarten halt keine Dividende, wollen halt von dem überdurchschnittlichen Wachstum des Emittenten profitieren. In Aktien investieren, wo sie genau wissen, dass der Aktienkurs positiv entwickeln wird über die Zeit. Es gibt halt verschiedene Indizes in Deutschland, die halt vorwiegend ausgemacht werden von Wachstumsunternehmen, wie zum Beispiel der TechDAX und der Scale Index. Wenn man sich mal die Aktienkursentwicklung der verschiedenen Indizes anschaut, zum Beispiel MDAX gegen TechDAX und ScaleDAX, dann haben die Börsenindizes der Wachstumsunternehmen deutlich besser performt als die großen Indizes. Bei der Corona-Krise sind natürlich alle Indizes eingebrochen. Indizes für Wachstumsunternehmen haben sich deutlich schneller erholt als die großen Indizes.

Joel Kaczmarek: Ja, eine Stoßrichtung, die, glaube ich, auch nochmal vielleicht mehr auf diesen Tech-Aspekt eingeht, weil viele Menschen, die mir zuhören oder uns hier zuhören, sind ja auch aus dem Tech-Umfeld, ist so der sechste Mythos. Frankfurt Stock Exchange does not participate in the listing of tech companies. Das heißt, macht es denn eigentlich Sinn für ein Tech-Unternehmen, sich in Frankfurt listen zu lassen, Christian?

Christian von Dreising: Rund ein Drittel aller Emittenten einer Frankfurter Wertpapierbörse sind Tech-Companies. Es gibt auch spezielle Indizes für Tech-Unternehmen, also den TechDAX, den DAX Information Technology Index. Das heißt, wir haben hier eine breite Basis, wo Investoren sich bestimmte Titel anschauen können, direkt investieren können oder halt bestimmte Indizes kaufen können. Was auch interessant ist, seit kurzem gibt es ja jetzt 40 Unternehmen im großen DAX. Da sind nicht nur noch etablierte Industrieunternehmen drin, sondern da sind auch Newcomer, Unternehmen, die noch nicht so lange an der Börse sind. Ich denke da an Delivery Hero, HelloFresh und Zalando.

Joel Kaczmarek: Gut, stimmt natürlich, haben wir einige Erfolgsgeschichten quasi auch aus jüngerer Vergangenheit. Bernd, jetzt so mein siebter Mythos, den haben wir jetzt gar nicht so auf Englisch formuliert, weil wir den auch, glaube ich, immer so mitschwimmen haben. trotzdem. Die Prozesslänge, der Prozessaufwand, der sich mit so einem Börsengang verbindet, das heißt Normalerweise hört man ja gerne mal so im Markt, okay, der Börsengang und die Vorbereitung, es ist ein CA-Prozess, es dauert mindestens sechs bis neun Monate, teilweise sogar noch länger und das Management hat das überhaupt die Kapazitäten frei, neben dem operativen Geschäft so etwas zu tun. Was antwortest du jemandem, der mit so einem Mythos auf dich zukommt und dich fragt nach deinen Erfahrungen?

Bernd Wagner: Hängt ganz vom Unternehmen ab, muss man sagen. Der Börsengang von Cherry war der schnellste in den letzten zehn Jahren an der deutschen Börse. Das heißt, es ist uns gelungen, in einer Rekordzeit von gerade mal vier Monaten zur Börse notiert zu kommen. Das geht nur, indem gewisse Parameter vorher erfüllt waren. Das liegt natürlich auch daran, dass wir Private Equity Owner hatten, die natürlich sehr stark auf das Reporting Wert legen und viele Daten und viele Business Plans natürlich schon entwickelt haben, dass wir das alles griffbereit haben. Während der Phase ist die Arbeitsbelastung bei so einem Börsengang extrem hoch, signifikant hoch. Wir hatten zum Teil Sessions bis nachts um 1, 2 Uhr und da liegen dann schon auch bei den Shareholdern und aber insbesondere auch Geschäftsführern und Mitarbeitern zum Teil die Nerven blank. Und es wird Wochenende gearbeitet, nachts gearbeitet. Wenn da nicht ein gewisser definiertes Enddatum wäre, würden wahrscheinlich einige auch hinschmeißen in so einer Phase. Wir konnten aber logischerweise das operative Geschäft in der Zeit nicht liegen lassen, nicht schleifen lassen. Die erste Notiz war bei uns, die Entscheidung war im Februar. Die erste Notiz war geplant für Ende Juni. Wir wollten natürlich auch mit den guten Zahlen auf jeden Fall aufweisen für Q1. Das sind die letzten, die dann in den Prospekt eingearbeitet werden. Wir wollten mit den Q1-Zahlen eben auch noch zeigen, dass eben das Wachstum nachhaltig ist und dass das nicht eben nur bedingt war aufgrund zum Beispiel einer Corona-Pandemie. Jetzt hatten wir auch das Glück, natürlich muss man sagen, dass einige unserer Eigentümer schon Erfahrung hatten, auch wie man so ein IPO-Team zusammenstellt. Das hat uns natürlich extrem geholfen mit einem professionellen Team. Das fängt bei den Investmentbanken an, das geht weiter über die entsprechenden Anwälte, Steuerberater etc. dass man da auch wirklich Profis gegenüber sitzen hat. Denn meistens macht es ein CFO einmal, wenn er Glück hat, zweimal, maximal dreimal im Leben. Dann hat er schon die Erfahrung. Ich selbst war auch Vorstand fünf Jahre lang von 2000 bis 2005 eines börsennotierten Unternehmens, bin aber Post-IPO dazugekommen. In der Phase des IPOs war ich nicht dabei. Ich kann also aus der Erfahrung nur schöpfen, was ich damals danach bekommen habe. Der Spruch Post-IPO ist Pre-IPO, den kann ich jetzt allerdings auch bestätigen. Das geht also nach dem Börsengang weiter. Das ist nur ein anderes, nicht mehr ganz so hektisch, aber die Investoren, die natürlich investiert haben, haben einen unheimlichen Drang, noch das Geschäftsmodell besser zu verstehen, gerade in der jetzigen Phase, wo doch vieles auch in Asien passiert, noch mehr Informationen zu bekommen vom Unternehmen, ob sie auch aufs richtige Pferd sozusagen oder die richtige Aktie gesetzt haben. spannende Zeit. Die Nerven lagen manchmal blank. Es gab schon auch heftige Gespräche unter allen Beteiligten, circa 40 verschiedene Berater. Da gibt es dann schon hitzige Diskussionen. Aber am Schluss muss man sagen, wenn das Ziel erreicht ist, hat es Spaß gemacht. Nicht Spaß macht es wahrscheinlich, wenn der Börsengang kurz vorher dann abgesagt wird, das Geld dafür aufgebracht worden ist, weil man die Börsenreife dann doch unterschätzt hat. Die Erfahrung war gut, ich möchte sie nicht missen, aber es war auch harte Zeit.

Joel Kaczmarek: Christian, du machst das ja regelmäßig. Wie ist so deine Perspektive auf den Faktor Prozesslänge und Umfang und Komplexität?

Christian von Dreising: Das stimmt zwar, ich mache das regelmäßig. Jeder Börsengang ist aber sehr individuell und es gibt schon diese Daumenregel, dass ein Börsengang, Vorbereitung, Vermarktung und Platzierung der Aktien so sechs bis neun Monate dauert. In manchen Fällen vielleicht einen Tick länger. Hier hatten wir wirklich einen Marathon. vom Kick-Off-Meeting bis zur Börsennotiz hat es bei Cherry gerade mal vier Monate gedauert. aber man muss wirklich sagen, dass Cherry und auch der Haupteigentümer ein sehr gutes Team zusammengestellt hat, immer im Blick hatten, im Juni wollen wir an die Börse gehen. Natürlich rappelt es dann auch mal, aber letztendlich, wenn jeder ein klares Ziel vor Augen hat, ist das darstellbar. Es ist sicherlich auch wirklich eine sehr große Belastung für das Management, weil neben der IPO-Vorbereitung und Vermarktung und mit den ganzen Investorengesprächen, da gab es ja rund 200 Investorengespräche, musste sich das Management ja auch noch um das operative Geschäft kümmern. Das Q1 darf dann ja nicht irgendwo vernachlässigt aussehen, weil sich das Management nur um den Börsengang gekümmert hat. Also hier ist die Belastung enorm, lässt sich abfedern durch ein sehr gutes Projektmanagement-Team. Was den Prozess deutlich komplexer noch gemacht hat, zunächst einmal musste die GmbH in eine Aktiengesellschaft umformiert werden. Dann wurde diese operative Gesellschaft in die AG über einen Reverse Merger eingebracht. Das ist auch nochmal ein Prozess von vier Wochen, den man berücksichtigen muss. Dann gab es noch Akquisitionen, deswegen gab es ein Erfordernis für Proforma-Zahlen im Wertpapierprozess. Da musste das Management zusammen mit den Wirtschaftsprüfern da wirklich eine Glanzleistung hinlegen. Und die Gesellschaft hatte ursprünglich HGB-Zahlen und dann gab es noch eine Umstellung auf IFRS-Finanzinformation. Also da gab es einige Hürden, die dann in den vier Monaten genommen werden mussten. Aber es sind auch die kleinen Dinge, an die man bei so einem Projekt denken muss. Allein die Zeitverschiebung, weil der Hauptaktionär ja in New York sitzt, das heißt alle wichtigen Anweisungen, Gremienbeschlüsse und so weiter mussten halt auch so taktiert werden, zusammen mit dem gesamten Zeitplan, wann was bei Börse eingereicht wird, bei der BaFin eingereicht wird, dass halt auch der Hauptaktionär zustimmen kann bei den ganzen Vorbereitungen. Das musste auch mit eingeplant werden. Es soll jetzt hier niemanden abschrecken. Ich halte weiterhin daran fest, dass eine Daumenregel von sechs bis neun Monaten für eine IPO-Vorbereitung absolut realistisch ist. Man sollte hier keine Horrorszenarien bilden, dass das länger dauert und deutlich anstrengender ist. Aber man muss halt ein gutes Projektteam haben. Wenn das beauftragt und mandatiert ist, dann kriegt man einen Börsengang sehr, sehr gut hin in sechs bis neun Monaten.

Joel Kaczmarek: Schön. Jetzt haben wir sieben Mythen durchdekliniert und ich hätte noch so zwei, drei kurze Schlussbemerkungen, die ich mit euch gerne nochmal abschließend besprechen möchte. Vielleicht das erste Mal, um auch so immer die nötige kritische Stimme mit drin zu haben. Wir haben ja sieben Mythen besprochen, also was Leute denken, wie es sei, an der Frankfurter Börse gelistet zu werden, Börsengang zu machen und wie man sich dabei irrt. Christian, gibt es umgekehrt Dinge, wo du sagst, was viele Leute zum Beispiel auch übersehen? Also es geht ja nicht nur so darum, dass man Mythen mal auseinander nimmt. Ich habe falsche Erwartungen an etwas, sondern vielleicht fehlen mir sogar manchmal auch die richtigen. Gibt es da so ein paar Classics, die dir auch untergekommen sind?

Christian von Dreising: Also für mich gibt es eher gute Gründe, um an die Börse zu gehen, als Gründe dagegen. Jedes Wachstumsunternehmen, wenn es in eine neue Phase kommt der Unternehmensentwicklung, Wachstumskapital braucht, um die Strategie umzusetzen. Und die Börse ist natürlich perfekt dafür geeignet, Wachstumskapital aufzunehmen, um seine Strategie zu realisieren. Das Management, was ja oft sehr groß an dem Unternehmen beteiligt ist, dass sie ihre eigene unternehmerische Vision und Strategie umsetzen können mit so einem Börsengang, weil sie halt Wachstumskapital einsammeln. Wenn man mal auch an der Börse ist, ist es natürlich deutlich einfacher, auch zukünftig weiteres Kapital aufzunehmen. Nicht nur Eigenkapital, sondern es geht auch darum, es ist deutlich einfacher für börsennotierte Gesellschaften, Anleihen zu imitieren, um Fremdkapital aufzunehmen. Ich würde mir persönlich wünschen, man sich nicht abschrecken lässt von diesen falschen Mythen, sondern dass man positiv so einen Börsengang denkt. Im Vergleich zu England, USA und Frankreich hinken wir auch hinterher. Also wenn man Emissionsvolumen in Relation zum Bruttosozialprodukt nimmt von den Ländern oder zum gesamten Finanzierungsvolumen in den Ländern, da sieht man, dass Deutschland mit dem IPO-Emissionsvolumen im Vergleich zu den anderen Ländern sehr hinterherhängt. Und da würde ich mir halt wünschen, dass Deutschland aufschließt.

Joel Kaczmarek: Bernd, hast du in der Angelegenheit noch so eine Art Ratschlag von einem CFO zum anderen?

Bernd Wagner: Lessons learned. daraus ist, da sind wir eigentlich ganz gut aufgestellt gewesen, dass man einfach einen soliden Business- und Wachstumsplan haben muss. Das ist jetzt bei uns durch Private Equity automatisch der Fall. Wir haben sehr, sehr gutes und starkes Controlling. Das dient aber auch dazu. Eben gerade auch nach der Börse. Man will ja auch nicht die Ernüchterung haben, dass man an die Börse gegangen ist, hat eine wunderbare Story erzählt und das erste Quartal wäre eine Gewinnwarnung oder sowas. Ein solider Business- und Wachstumsplan, der auch nach dem IPO insbesondere erfüllt werden kann, ist, glaube ich, sehr, sehr wichtig. Will man an die Börse gehen und insbesondere in den Prime Standard, sollte man IFRS schon lange vorher eingeführt haben. Wir haben IFRS nicht während der Phase eingeführt, sondern wir haben das Gott sei Dank in 2018 schon eingeführt. Wir haben nur gewisse Regelungen wie IFRS 2 und IFRS 9, also hier Share-based Payment, Share-based Embedded Derivatives und so weiter. Das sind plötzlich Themen, die werden bei PE nicht hochgehandelt, werden aber dann plötzlich sehr aktuell. Gerade börsennotierte Unternehmen sind natürlich Wirtschaftsprüfer auch deutlich kritischer in der Auslegung Regelungswerkes. Was ganz wichtig ist, ist ein internes, starkes Team zusammenzustellen, um die Datenräume zu befüllen, Businesspläne fertigzustellen, insbesondere besonders externe Team, Capital Markets Anwälte, Investmentbanken, Standardbanken. Wir haben mit den Banken zum Teil bis nachts 23 Uhr verhandelt, aber erst um 9 Uhr angesetzt, also 21 Uhr. Steuerberater, Vergütungsberater, Investor Relations Agentur, Presseagenturen, das alles. Das ist natürlich ein riesen Koordinationsaufwand. Da braucht man ein sehr, sehr gutes Team. Muss sich da auch wirklich jemanden an Bord holen, der das Team zusammenstellt. Wir hatten das Glück, hatte ich ja vorhin schon erwähnt, dass wir da jemanden hatten, der da erfahren war. Vor allem das interne Team auf die Arbeitsbelastung vorbereiten. Eventuell auch Incentives geben, dass das interne Team die Lust daran nicht verliert, weil das ist schon sehr aufwendig. Das Wichtigste eigentlich, trotz aller Strapazen, dann einfach den Spaß an der Arbeit da nicht verlieren. Das Ziel ist da gesetzt und das, glaube ich, ist das Wichtigste, dass alle trotzdem nachher noch happy sind und viel Spaß an dem Prozess gehabt haben und dann zwei Jahre später oder ein halbes Jahr später sagen, Gott sei Dank haben wir das mitgemacht oder durften das mitmachen.

Joel Kaczmarek: Schön. Letzte Frage an euch beide. Gibt es so eine Erfolgsstory, die euch besonders in Erinnerung geblieben ist? Also Bernd, du kannst ja mal aus deiner erzählen und Christian, du hast, glaube ich, ganz viele ja auch begleitet von der Seitenlinie aus.

Bernd Wagner: Ja, für mich war es jetzt wirklich sehr schön zu sehen, Wolf und ich, wir arbeiten jetzt seit rund vier Jahren zusammen, eine sehr klare Vision für Cherry aufgebaut. Das ist zum Teil manchmal auch schwieriger, mit Private Equities da zusammenzuarbeiten. Wir haben jetzt einfach den Erfolg gesehen, durch den Börsengang ca. 140 Millionen Kapital in die Firma bekommen haben, was es uns jetzt ermöglicht, diese Wachstumsstrategie organisch wie anorganisch viel schneller schneller umzusetzen, als wir das vorher hätten können vielleicht. Und ich freue mich auch insbesondere, dass wir das gesehen haben, dass wir die Investoren, die wir alle gewinnen konnten in dem Prozess, erstens mal kennenzulernen, zweitens auch viele überzeugen konnten in die Cherry-Aktie, aber natürlich auch in das gesamte Management. Und da rede ich jetzt nicht über den Vorstand, sondern wirklich auch über das Second-Line-Management, dass wir auch in dem Zuge präsentiert haben, zu überzeugen, dass das die richtige Firma ist, in die man investieren sollte.

Christian von Dreising: Ich denke, jeder Börsengang ist ganz individuell und hat seine eigene Erfolgsstory. Sicherlich der kleinste gemeinsame Nenner ist, wenn auf dem Börsenparkett dann die Glocke geläutet wird und der erste Preis ausgerufen wird. Das ist sicherlich Gänsehaut pur, weil dann jeder Beteiligte aus diesem Projektteam weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt und dass das Ziel gemeinsam erreicht wurde. Was mir natürlich in guter Erinnerung bleibt, ist der Börsengang von Exasol. Das war im Mai 2020. Das war während des Lockdowns in der Corona-Pandemie bei dem Go-No-Go-Call. Das ist so der Abstimmungs-Call, ob man entscheidet, man geht jetzt raus mit dem Börsengang oder nicht. Da gab es halt lange Diskussionen mit den Eigentümern und mit dem Management, soll man das wagen? Das Risiko war natürlich groß, dass die Leute nicht am Arbeitsplatz sind oder nicht Entscheidungen treffen können während der Corona-Pandemie, weil das alles noch nicht sich richtig eingelebt hatte. Wir hatten dann einfach auf die Investoren vertraut. Wir haben auch auf das Management und auf Exasols Geschäftsmodell vertraut. dass das eine tolle Equity-Story ist, sind dann rausgegangen und konnten das dann halt platzieren. Einerseits mutig, aber andererseits waren wir dann natürlich auch sehr dankbar bei unseren Investoren, dass die dann halt auch gesagt haben, Mensch, tolles Unternehmen, gebe hier meine Aktienorder auf von zu Hause. Ja, weil es wurde ja alles digital geführt. Die meisten Leute waren nicht im Büro und haben dann halt von zu Hause ihre Orders bei uns reingelegt. Und das war sicherlich eine besondere Situation. Das möchte ich aber nicht unbedingt nochmal haben. Ich finde es schon schöner, die Investoren mit dem Management einmal auch persönlich zusammenzubringen.

Joel Kaczmarek: Hast du mal nachgezählt eigentlich, wie viele von diesen Gänsehaut-Momenten du hattest? Also wie viele Glocken hast du Leuten hören?

Christian von Dreising: Ich weiß nicht. Ich glaube nicht. Also in den letzten drei Jahren habe ich jetzt über neun Börsengänge gemacht und insgesamt wahrscheinlich so um die 15 Börsengänge.

Joel Kaczmarek: Ach, ist ja schon sportlich. Gut, ihr beiden. Es hat sehr viel Spaß gemacht und vielen lieben Dank an euch, dass ihr eure Erfahrung eingebracht habt, auf das ein paar der Mythen, die wir heute zum Basten, also zum Platzen gebracht haben, andere Leute nicht mehr heimsuchen. Und ja, mal schauen. Vielleicht schreiben uns ja noch ein paar Leute, was ihnen noch unterkommt. Das ist ja auch immer gedacht als Forum. Von daher Vielen, vielen Dank euch und ich drücke euch natürlich weiter die Daumen für mehr Gänsehautmomente und eine weiterhin gute Wachstumsstory für Cherry. Also lieben Dank euch.

Outro: Danke. Danke fürs Zuhören beim Digital Kompakt Podcast. Du merkst, hier ziehst du massig Wissen für dich und dein Unternehmen heraus. Wenn du mit uns noch erfolgreicher werden möchtest, abonniere uns auf den gängigen Podcast Plattformen und hey, je größer wir werden, desto mehr Menschen können wir helfen. Also erzähl doch auch deinen Kolleginnen und Kollegen von uns. Bis zum nächsten Mal.

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