Listing Location: Wo sollte ich an die Börse gehen?
11. Juni 2024, mit Joel Kaczmarek
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Joel Kaczmarek: Hallo Leute, mein Name ist Joel Kaczmarek. Ich bin der Geschäftsführer von digital kompakt und wie ihr wisst, ist mir immer wichtig, dass ich euch da draußen Unternehmertum in allen Phasen nahebringe, bis hin zur allergrößten, nämlich vielleicht bei dem einen oder anderen von euch, der Börsengang. Und deswegen habe ich ja regelmäßig auch KollegInnen von der Deutschen Börse mit am Start, die mir so ein Stück weit Aufklärung bieten. So und heute nehmen wir uns mal ein ganz cooles Thema, nämlich das Thema Listing Location, weil da gibt es ja ganz viele Mythen, wir machen also Mythbusting heute. Sollte ich eher in den USA an die Börse gehen, in Europa oder vielleicht ganz woanders und ich glaube, das beschäftigt den einen oder auch die andere von euch und daher werden wir das mal auseinandernehmen und analysieren. Ihr werdet also genau verstehen, was ist denn eigentlich so eine Listing-Location, was gibt es dabei zu beachten, wenn ich die auswähle? und vor allem, was sind denn so die wesentlichsten Unterschiede zwischen USA, Europa? Und dann vielleicht auch nochmal so eine kleine Vorschau, was wir denn noch so tun sollten, um in Europa noch attraktiver zu werden, als wir es ohnehin schon sind. So, und mit wem spreche ich darüber? Das ist zum einen die liebe Caro. Caro von Linsingen. Die ist Head of Community Management bei der Deutschen Börse. Und zum anderen der gute Jochen Hennig. Jochen ist nämlich Partner bei Lilja & Co. Das ist ein unabhängiger Kapitalmarktberater. Und die beiden leben dieses Thema quasi und können da richtig viel zu sagen. Und darauf bin ich schon sehr gespannt. Von daher, that being said, ihr beiden, moin moin. Guten Morgen.
Jochen Hennig: Hallo.
Joel Kaczmarek: Ja, fangen wir vielleicht mal mit einem ganz kurzen Satz zu euch jeweils an. Das gehört sich ja so. Vielleicht kann Caro ja mal mit einem kurzen Satz erzählen, was sie macht. Und dann sagt Jochen uns, was eigentlich so sein Job ist.
Caro von Linsingen: Ich bin Caroline von Linsing, schon ganz lange bei der Deutschen Börse. Angefangen hier sogar in Berlin im Bereich Kapitalmarktregulierung. Im Anschluss dann sieben Jahre in London und dort verantworte ich für die gesamten kontinentaleuropäischen Banken, Hedgefonds, Hochfrequenzhändler, die alle an unserer Aktienhandelsplattform Xetra und Börse Frankfurt anbieten. angeschlossen sind und jetzt seit einem Jahr verantwortlich für den sogenannten Börsenplatz. Das ist wahrscheinlich der Ort, den die meisten Menschen auch mit der Deutschen Börse verbinden, weil sie ihn aus den Nachrichten jeden Abend kennen. Eigentlich macht er nur einen ganz kleinen Teil von der Deutschen Börse aus, ist aber trotzdem extrem visibel. Das liegt daran, dass wir da neben unserer Retail-Handelsplattform der Börse Frankfurt dort auch zahlreiche Paketmedien haben, die dort ansässig sind, ARD, ZDF, NTV, nur mal um einige zu nennen. Und das bringt natürlich große Aufmerksamkeit mit sich. Wir haben da über 100 Live-Schalten pro Tag und wir nutzen diese Visibilität für unsere deutschen Börsengänge, für die IPOs, aber natürlich auch für die Emittenten der deutschen Börse, um die in Szene zu setzen. Cool.
Joel Kaczmarek: So Jochen, was machst du?
Jochen Hennig: Auch ich freue mich hier zu sein. Herzlichen Dank für die Einladung. Lilja & Co. ist ein führender, unabhängiger Kapitalmarktberater. Wir helfen Unternehmen, sich auf Börsengänge vorzubereiten. Wir arbeiten da viel für Eigentümer, Gründer, geführte Unternehmen, arbeiten aber auch viel für Private Equity und Venture Capital. Unternehmen, also Finanzinvestoren, die häufiger ein Unternehmen an die Börse bringen und helfen dort über den gesamten Prozess mit der Vorbereitung des Unternehmens auf den Börsengang sowie dann in der Transaktion, Koordination der Transaktion, geben eine unabhängige Meinung zu allen Themen, die so den Börsengang betreffen.
Joel Kaczmarek: Sehr gut. Dann lasst uns doch mal straight rein starten. Also Listing Location, man kann es sich ja so ein bisschen vorstellen. Vielleicht ist es in der modernen Zeit ja sogar fast komisch, dass man einen Ort braucht, um an die Börse zu gehen, weil ansonsten ist ja eigentlich alles dezentral und digital. Aber vielleicht könnt ihr uns ja mal so an die Hand nehmen. Was ist denn eigentlich eine Listing Location und warum ist die Auswahl der Richtigen denn eigentlich total wichtig?
Caro von Linsingen: Also klar, Listing-Location ist wahnsinnig wichtig. Ich glaube, der Blick richtet sich da auch in erster Linie einfach immer mal in die USA. Das klingt natürlich ganz besonders reizvoll, weil man da sagen kann, man ist an die NYSE oder man ist an die NASDAQ gegangen und hat dort gelistet. Ich glaube aber, was ganz wichtig ist für die Unternehmen, die einen Börsengang vorbereiten, ist, dass sie sich genau überlegen, was sind denn eigentlich die Vorteile und die Nachteile eines jeweiligen Listing-Standorts. Und was da, glaube ich, vor allen Dingen instinktiv oder intuitiv der Vorteil in den USA ist, dass man dort natürlich immer sagt, die USA haben einen enorm liquiden Kapitalmarkt. Das stimmt auch, das ist nicht von der Hand zu weisen. Das liegt auch daran, dass die Amerikaner deutlich weniger Börsen und Listingplätze haben, als wir das hier in Europa haben. Der Handel in Europa ist deutlich fragmentierter. Also in Amerika gibt es drei große Börsen, in Europa sind es gleich 35 unterschiedliche Börsen, an denen man sich listen lassen kann. Und ein zweiter Punkt ist, glaube ich, auch einfach die Recherche und die Analysten. Da gibt es deutlich mehr in Amerika. Und je präziser natürlich eine Analyse, umso besser natürlich auch die Möglichkeit, eine möglichst hohe Bewertung zu bekommen. Und das ist natürlich etwas, wo man sich überlegen muss, spricht das nicht dafür, in Amerika an die Börse zu gehen? Ich glaube aber ganz entscheidend für ein Unternehmen ist auch immer, abgesehen von dem Blick nach Amerika, dass man sich überlegt, wo ist denn eigentlich mein Schlüsselmarkt und wo sind meine Kunden? Bekomme ich die Visibilität, die ich auch hier in Deutschland oder in Europa erreichen würde? Gerade wenn das ein kleineres Unternehmen ist. und man muss sich natürlich auch überlegen aus US-Perspektive eines Analysten, Europa ist stark fragmentiert, Europa ist extrem kompliziert. und welchen Vorteil hätte jetzt ein amerikanischer Analyst, vielleicht ein kleineres Unternehmen, ein deutsches Unternehmen, was in Amerika an die Börse gehen will, spezifisch so zu analysieren und dort eben auch, sagen wir mal, das Geschäft zu verstehen, dass er dann konkrete Prognosen abgeben kann für dieses Unternehmen. Das heißt, Dieses Argument, es gibt eben mehr Analysten, die eben berichten, greift nur teilweise. Ich glaube, das ist etwas, was man mit in Betracht ziehen muss. Und dann ein ganz wichtiger anderer Aspekt sind natürlich die Kosten. Da gibt es auf der einen Seite, wenn wir jetzt nur mal auf der Makroebene bleiben, muss man sich natürlich überlegen, wenn man in Amerika listet, dann ist das nicht nur eine Briefkastenfirma, sondern da muss man dann natürlich auch ein Büro aufbauen. Man muss ein entsprechendes Staff haben, die möglichst gut qualifiziert sein muss. Man muss sich auf Dienstleister im Zweifelsfall verlassen. Man braucht Steuerberater, Wirtschaftsprüfer. Das bringt natürlich alles enorme Kosten mit sich. Und wenn wir jetzt mal auf die Listinggebühren zu sprechen kommen, dann ist es in Amerika insbesondere so, dass gerade für kleine Unternehmen die Listingfees und auch die Maintenancefees einfach eines Vielfachen dessen sind, was man hier in Europa bezahlt.
Joel Kaczmarek: Jochen, ich sehe schon, Caro ist schon gleich heiß gelaufen. Die hat hier schon gleich argumentiert, welcher Standort was hat. Vielleicht machen wir nochmal einen ganz kurzen Schritt zurück und machen mal so eine ganz, sag ich mal, Basic-Betrachtung. Was ist denn eigentlich so bei der Auswahl des richtigen Börsenplatzes wichtig für die Entscheidung? Denn das Ziel ist ja, einen Heimmarkt für eine Aktie zu finden. Vielleicht kannst du uns ja nochmal so ganz kurz einen Schritt zurück an die Hand nehmen.
Jochen Hennig: Mach ich sehr gerne. Also für uns ist eben, wie du schon gesagt hast, außer der Listing Location, das Ziel ist es ja wirklich, eine Heimat für die Aktie zu kreieren. Und was heißt das? Eigentlich wirklich eine Kapitalbasis zu schaffen, die es mir ermöglicht, auch in Zukunft wieder Kapital aufzunehmen, die mir eine Visibilität gibt, die es auch vielleicht ermöglicht, und dazu kann Caro bestimmt später noch was sagen, in den relevanten Index aufgenommen zu werden und darüber auch eine gewisse Reichweite und Visibilität zu erhalten. Also das ist schon extrem wichtig. Und worauf achten wir dann? Also wir haben diese Fragestellung sehr, sehr häufig mit Unternehmen, die uns fragen, soll ich in die eine Richtung oder in die andere Richtung gehen? Europa oder USA oder innerhalb von Europa, vielleicht eher Frankfurt oder London. Und was wir da gerne machen, ist eigentlich, wir schauen so, ich sage es mal, Art wie einen Entscheidungsraster in zwei Dimensionen an. Wir schauen uns viele unternehmensspezifische Faktoren an, aber dann auch viele Transaktionen oder marktspezifische Faktoren. Für uns gehört dazu vor allem zu den unternehmensspezifischen Faktoren, Wirklich die Historie des Unternehmens. Wo ist das Headquarter? Wo sitzt das Management? Wo ist der Schwerpunkt des Geschäfts? Jetzt nicht nur aktuell, sondern auch strategisch. Wo sehe ich wirklich die Zukunft des Unternehmens? Das sind im Endeffekt viele wichtige unternehmensspezifische Faktoren. Neben so technischen Faktoren wie jetzt zum Beispiel Reporting Currency oder Steuerlieferungen. Also das ist so die eine Dimension, die hier sehr, sehr wichtig ist. Das zweite, und darauf hat der Caro schon kurz hingedeutet, das ist natürlich die Frage, die Liquidität des Marktes, wo habe ich die relevanten Vergleichsunternehmen, wo sitzen Analysten, die die Aktie dann auch verfolgen und auch unterstützen, bis hin zu dann diesen Fragestellungen in Kosten und da kommen wir dann ja wahrscheinlich nochmal ein bisschen genauer dazu. Aber am Ende des Tages ist es für uns wirklich eine Gesamtschau und deswegen ist diese Entscheidung auch so wichtig, weil man eben mit dieser Entscheidung nicht nur im IPO, sondern dann eben auch langfristig leben muss.
Joel Kaczmarek: Okay, also wenn ich nochmal ganz kurz zusammenfasse. Ich sage mal, die Zielstellung, die sich damit verbindet, ist natürlich das Thema Kapitalzugang und da dann auch Investorenbasis. Also das unterscheidet sich ja je nach Ort auch ein Stück weit. Dann die Sichtbarkeit. Das Thema Index, wo wir gleich nochmal drüber sprechen könnten und ja wahrscheinlich auch, ich sag mal, so ein Rahmen, also regulativer Natur, dass ich eigentlich weiß, was ist denn so das Spielfeld. Das klang jetzt bei dir auch schon so durch Steuer, also wahrscheinlich muss ich auch dann Reporting-Pflichten anders haben, je nachdem, wo ich an den Start gehe, oder?
Jochen Hennig: Definitiv, das ist eine. Und gerade bei der Entscheidung, ist man in den USA oder ist man in Europa, ist das natürlich ein signifikanter Faktor. Gerade in den USA gibt es spezifische Regeln regulatorisch, also Stichwort Sabins Oxley zum Beispiel. Dort gibt es sehr hohe Anforderungen auch an das Unternehmen. Und das ist natürlich mit einem Faktor, der manchmal auch Unternehmen ein bisschen abschreckt, in die USA zu gehen.
Joel Kaczmarek: Und kannst du nochmal zusammenfassen, was sind denn eigentlich so Faktoren, die sich auf die Vorbereitung auch auswirken? Also was hat da einen Einfluss drauf? Ich habe jetzt schon gelernt, so Regulierung ist ein Thema, Rechnungslegungsstandards. Was sind denn so die weiteren Faktoren? Also wir haben ja hier zum Beispiel auch schon viel über Prospecting geredet. Ich tippe mal, das wird sich auch je nach Standort unterscheiden. Vielleicht hast du ja so die kleine Einmaleinsübersicht der Faktoren, die sich auf die Standortwahl im ersten Schritt bei der Vorbereitung auswirken.
Jochen Hennig: Am Ende ist es natürlich erstmal die Frage, wenn ich mich für eine gewisse Listing Location entscheide, ist das ein gewisses regulatorisches Regime, das ist ein gewisser Regulator. Wenn ich in Europa oder jetzt spezifisch in Deutschland an die Börse gehe, dann habe ich mit der BaFin zu tun, dann habe ich natürlich einen deutschen Wertpapierprospekt. Alle Anforderungen, die hier relevant sind, wenn ich in die USA gehe, dann habe ich es mit der SEC zu tun und dann sind das natürlich ganz andere Anforderungen. Wenn ich in die USA gehe, dann hängt das natürlich immer ein bisschen von der Art ab, wie ich dort hingehe. Also es gibt dort unterschiedliche Möglichkeiten. Ich kann als europäisches Unternehmen als ein Foreign Private Issuer gehen. Da habe ich gewisse Ausnahmeregeln, Übergangsfristen, was zum Beispiel das Thema Sabins Oxley angeht. Oder ich habe eben die Möglichkeit, wirklich als ein Domestic Issuer zu gehen. Dann bin ich aber wirklich ein amerikanisches Unternehmen und muss mich auch wie ein amerikanisches Unternehmen verhalten. Das heißt, ich brauche das Headquarter dort, ich muss auch quasi nach US GAAP reporten, ich muss auch Sabins Oxley compliant sein, gleich von Anfang an. Also das hat dann signifikante Herausforderungen auf die Vorbereitung. Allein diese Frage, um Sabins Oxley compliant zu sein, das ist ein Thema, was manchmal eine Vorlaufzeit von mindestens zwölf Monaten hat. Auch für ein europäisches Unternehmen, was dann wirklich als Domestic Issuer in die USA gehen möchte und auf US GAAP umstellen muss, das hat natürlich eine sehr, sehr lange Vorlaufzeit.
Joel Kaczmarek: Und Caro, jetzt hat ja Jochen eben schon von dem Thema Index geredet. Kannst du uns da mal ein Stück weit an die Hand nehmen, was es damit auf sich hat und wie der sich auf Reichweite und Sichtbarkeit auswirkt?
Caro von Linsingen: Ja gut, also die Indizes, die wir anbieten, insbesondere natürlich die ganze DAX-Index-Familie, haben natürlich eine enorm hohe Visibilität. Sie sind immer sozusagen Referenz und Benchmark für den deutschen Kapitalmarkt. Eines der Argumente, das wir eben immer anbringen, ist, dass die Unternehmen, die hier in Europa und gerade auch in Deutschland eine gewisse Größe erreicht haben, kommen natürlich bei uns in Deutschland sehr viel schneller in einen Auswahlindex, der jetzt der MDAX sein kann oder der DAX-Index sein kann, als das in Amerika der Fall ist. Die Marktkapitalisierung der US-amerikanischen Unternehmen ist oftmals ein Vielfaches von dem, was man hier sieht. Und damit einher geht natürlich auch eine geringere Visibilität und das wirkt sich dann auch wieder auf die Liquidität einer Aktie aus, weil einfach weniger Handel darin stattfindet. und das ist ja sozusagen auch der Grund, warum man sich einen Listingort aussucht, weil genau wie bei den Immobilien, wo man immer sagt Lage, Lage, Lage, so ist es eben mit der Liquidität im Handel, da ist die Liquidität wirklich entscheidend und eben auch die Visibilität. und wenn ich die Möglichkeit habe, in einen deutschen Ausfallindex zu kommen und damit insbesondere dann eben auch die Möglichkeit habe, dass ich durch ETFs, die Indizes abbilden, deutlich höhere Handelsvolumina generieren kann, dann ist das natürlich immer ein großes Kriterium, was dafürspricht, eben die deutsche Börse als Listingstandort zu wählen.
Jochen Hennig: Vielleicht nur kurz eine Ergänzung dazu, weil das ist natürlich auch, ich möchte jetzt nicht zu technisch werden, aber gerade bei dieser Fragestellung, wie gehe ich in die USA, wenn ich als deutsches Unternehmen dort listen wollen würde, dann ist das natürlich auch mit einem Faktor. Weil wenn ich diesen, ich sage es mal, etwas einfacheren Weg eines Foreign Private Issuers gehe, dann bin ich eben exakt von dieser Index Inclusion ausgeschlossen. Also das heißt, ich werde dann dort auch nicht in den Index kommen, sondern das verlangt dann, dass ich wirklich als Investor, domestic issuer dorthin gehe mit all den Konsequenzen, die wir auch gerade schon besprochen haben.
Caro von Linsingen: Also sprich, der juristische Sitz und das operative Headquarter müssen immer dort sein, wo man auch in den Index gehen möchte. Das muss man sich halt überlegen.
Joel Kaczmarek: Okay, und jetzt mal Jochen, Frage an dich, weil Caro ist ja bestimmt ein bisschen biased und fair enough, weil wir auch alle Patrioten sind. Wir haben ja jetzt gerade über das Thema Index, Reichweite, Sichtbarkeit geredet. In der Startup-Szene gibt es immer so ein schönes Saying, lieber ein kleiner Teil einer Melone als ein großer an einer Erbse. Also ich will jetzt auf die Marktreichweite hinaus, merkst ja, ne? Wenn ich mich nicht täusche, ist Europa so zweitgrößter Wirtschaftsstandort der Welt oder wahrscheinlich mit China, USA, Indien so auf jeden Fall den Top 5. Aber USA hat natürlich so immer dieses Verlockende, dass sie sehr groß sind, dass man da wie viele Investoren hat. Wie reizvoll ist denn dieser Faktor Größe, wenn du das mal abwägst gegen die ganzen Kosten und Aufwände, die man dahat?
Jochen Hennig: Ich glaube, man muss sich das wirklich sehr genau überlegen. Und wenn wir diese Entscheidung begleiten, dann ist das immer eine extrem individuelle Entscheidung. Also das heißt, man kann das nicht vom Vorhinein sagen. Das muss man wirklich unternehmensspezifisch anschauen. Ich glaube, manche Unternehmen unterschätzen eben, wie tief dann wirklich der amerikanische Kapitalmarkt ist und dass man eben dort eine wirklich signifikante Größe braucht, um auch diese Visibilität zu haben. Und was wir einfach oft auch manchmal beobachtet haben, ist, dass dann Unternehmen natürlich schon entscheiden, wenn sie in die USA gehen und dort einfach zu klein sind, nicht wirklich diese Liquidität bei Investoren generieren, dass sie dort einfach ein bisschen untergehen oder so zwischen die Stühle geraten. Das muss man einfach ganz klar so sagen. Und ich glaube, da ist es vielleicht nicht zwangsläufig so, dass man sagt, lieber ist man dort, wo einfach, ich sage es mal, mehr Transaktionen im Tech-Bereich oder so passieren, sondern dass man dann da lieber vielleicht für den Heimmarkt optiert.
Caro von Linsingen: Wenn ich da vielleicht nochmal ergänzen darf, wir schauen uns das natürlich sehr genau immer an, die gesamten Börsengehandelt-Volumina aller unserer Peers. Also es ist natürlich schon so, dass der US-Aktienmarkt einer der größten weltweit ist. Wenn wir uns da mal die Handelsvolumina anschauen, dann sind es im Durchschnitt pro Tag 288 Milliarden Euro. die dort gehandelt werden im Vergleich zu nur 65, also nur in Anführungsstrichen Milliarden Euro, die in Europa gehandelt werden. Das ist also mehr als das Vierfache dessen, was in Amerika passiert, als hier in Europa. Wenn man jetzt aber dann den Rückschluss darauf zieht, sozusagen hier gäbe es keine Liquidität, dann hängt das ein bisschen. Weil wenn wir uns die Verteilung der Liquidität in den US-amerikanischen Aktien einfach mal ein bisschen genauer anschauen, dann ist es so, dass Amerika sich insbesondere auch durch die sogenannten Mega-Cap-Unternehmen auszeichnet. Und das sind Unternehmen, die eine Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden aufweisen. Und diese Mega-Cap-Unternehmen haben aber auch einen überdurchschnittlichen Anteil an den US-amerikanischen Handelsvolumina. In Summe gibt es 79 von diesen Megacap-Unternehmen. Es gibt ungefähr 2.900 Unternehmen, die insgesamt in Amerika gelistet sind. 79 davon sind Megacap und haben eine Market Cap von über 100 Milliarden, machen also quasi nur 3% aus von den US-gelisteten Unternehmen. Allerdings entfallen über 50% der Handelsumsätze auf diese 3%. Das bedeutet, man hat eine totale Verzerrung hin zu diesen riesigen Unternehmen. In Europa sieht das ganz anders aus. Da ist es so, dass unsere Unternehmen nicht ganz so groß sind und dass die vor allen Dingen diversifizierter sind. Also wo man in Amerika einen großen Fokus auf Tech hat, ist es einfach so, dass wir hier in Europa einen breiteren Querschnitt haben durch die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren. Und das wirkt sich dann natürlich für die Unternehmen, die jetzt da nicht reinfallen würden, wirkt sich das positiv aus, weil sie damit eben mehr Visibilität in Deutschland und in Europa halten.
Joel Kaczmarek: Okay, interessant. Also auch aufpassen, dass man nicht Äpfel mit Birnen vergleicht. Verstanden. Und jetzt hast du ja eben gesagt, Caro, dass es in den USA drei Börsen geht und in Europa 35. Wenn ihr jetzt, sage ich mal, um den Börsengang von einem Unternehmen buhlt, ist dann auch oft das Thema, ob die irgendwo anders innerhalb von Europa an den Start gehen oder ist da Frankfurt einfach auch per se schon in der Pole Position?
Caro von Linsingen: Ja, ich würde denken, das ist immer noch so ein bisschen so eine nationale Entscheidung. Also für deutsche Unternehmen muss man sagen und für deutsche Aktien sind wir global der Referenzmarkt. Das ist unangefochten. Wir handeln ungefähr sechs Milliarden Euro pro Tag. Da kann keine andere Börse weltweit mithalten. Und insofern sind wir, sagen wir mal, für all das, was jetzt deutschsprachig ist, sind wir eh die Nummer eins, glaube ich, die als Börse angelaufen wird. Wir können jetzt sehen mit TUI, die ja auch gerade London den Rücken zugehört haben, dass es natürlich sein kann, dass eben bestimmte Umstände wie Brexit sich dann eben auch positiv auf uns auswirken können und hoffen eben, dass uns das Aufschwung gibt.
Joel Kaczmarek: Ja, das habe ich mir damals bei Brexit auch gedacht, dass man da in Frankfurt gejubelt haben muss. Und Jochen, du hast ja eben schon so eine Dualität aufgemacht. Wenn wir jetzt nochmal den Faktor der Auswahl vertiefen. Du hast gesagt, es gibt zum einen unternehmensspezifische Faktoren und zum anderen marktspezifische. Und das hätte ich gerne noch ein Stück weit verdichtet. Also du hast ja schon gesagt, so Historie des Unternehmens, Standort, sowas spielt eine Rolle. Aber vielleicht kompletierst du nochmal ein Stück weit. Was ist denn noch so unternehmensspezifisch? ein Faktor, den ich mir anschaue, wenn ich einen Börsenplatz auswähle?
Jochen Hennig: Also wie ich schon gesagt hatte, ich glaube so der wichtigste Faktor ist eigentlich der Schwerpunkt des Geschäfts. Und Wie gesagt, nicht nur aktuell, sondern auch strategisch und going forward. Das schlägt sich natürlich dann auch oft wieder in, im Endeffekt, wo sitzt das Management? Wo baue ich dann sukzessive auch die relevanten Unternehmensstrukturen auf? Das ist wahrscheinlich mit, würde ich jetzt mal sagen, unter diesen unternehmensspezifischen Faktoren der wichtigste Komplex. Alle anderen Themen sind natürlich auch irgendwo technisch, also Reporting Currency und Rechnungslegungsstandard und auch steuerliche Situationen. Das kann man, glaube ich, über die Zeit dann auch dementsprechend hinziehen. Aber ich würde mal sagen, dieser strategische Faktor, das ist wahrscheinlich das Wichtigste. Und das geht einher, wie ich schon gesagt hatte, mit so, wo sitzt das Management, wo ist dann der Schwerpunkt des Geschäfts, was dann auch einen Faktor hat. Wenn ich einen Management-Typ habe, was in den USA sitzt oder andersrum, was vielleicht in Europa sitzt, aber ich gehe in den USA an die Börse, dann hat das ganz praktische Konsequenzen. Eine Kernaufgabe von dem Vorstand, vor allem von dem Finanzvorstand, ist auch, für Investoren da zu sein, Investor-Relation-Arbeit zu machen. Und wenn ich jetzt als europäisches Unternehmen in den USA liste, dann muss ich auch für amerikanische Investoren permanent verfügbar sein. Und das macht es dann allein praktisch auch manchmal ein bisschen schwer.
Joel Kaczmarek: Und die andere Seite, die marktspezifische, wenn wir die auch noch kompletieren und dann nochmal in Vergleich setzen?
Jochen Hennig: Ja, ich glaube, da ist natürlich der Punkt, was wir schon diskutiert hatten, eigentlich die Liquidität oder die Tiefe der Investorenbasis. Das ist schon mit der wichtigste Punkt zusammen mit, wo habe ich eben eigentlich die relevanten Research-Analysten und ich sage es mal so ein bisschen die Community sitzen. Da ist es ja aber auch so, dass ich sage, auch in dem europäischen Börsengang habe ich ja die Möglichkeit, wirklich signifikant auf die amerikanische Investorenbasis zuzugreifen. Auch in dem europäischen IPO habe ich ja im Endeffekt ein Angebot an amerikanische Investoren. Das ist das sogenannte 144A Offering. Das adressiert dann vor allem professionelle Investoren, also Qualified Institutional Buyers. Aber ich habe eigentlich auch die Möglichkeit, einen Großteil der amerikanischen Investorenbasis abzugreifen.
Joel Kaczmarek: Ich habe mal so ganz naiv gefragt, wenn ich jetzt beides ineinander stelle, also unternehmensspezifisch, marktspezifisch, sind beide Faktoren gleich wichtig oder gibt es einen Faktor, der nicht ganz relevanter ist?
Jochen Hennig: Ich würde schon sagen, die Entwicklung des Unternehmens ist was natürlich langfristiger eigentlich im Vordergrund steht. Eben wie gesagt, das Unternehmen muss langfristig mit dieser Entscheidung leben. und wenn ich auch kurzfristig denke, ja ich habe jetzt vielleicht bessere Vergleichsunternehmen in den USA, Das ist ein Faktor, den sehen wir eigentlich nicht mehr so. Also früher gab es immer die Idee, ich kann irgendwie so ein bisschen, ich sage es mal, Valuation-Arbitrage betreiben, indem ich irgendwo in die USA gehe, weil da habe ich bessere Peer-Companies oder so. Da merken wir einfach, Investoren denken da inzwischen global und da kommt es wirklich auf die individuelle Unternehmensgeschichte und Equity-Story an, wenn die gut ist. dann kriege ich auch fundamental amerikanische Investoren, die mir in einem europäischen Börsengang investieren. Vielleicht ein konkretes Beispiel. Wir haben einen der größten Software-IPOs in Europa mitbegleitet. 40% der Nachfrage kam direkt aus den USA. Eine weitere 40% der Nachfrage war zwar von UK-Investoren, aber das waren zum großen Teil auch im Endeffekt der europäische Arm von amerikanischen Investoren, sodass wir wahrscheinlich in der Gesamtschau über 50% der Nachfrage aus den USA hatten.
Joel Kaczmarek: Und sag mal Caro, du hast ja eingangs auch gesagt, dass ein Börsengang in den USA signifikant teurer ist. Warum ist das eigentlich so? Weil ich meine, an und für sich möchte man ja meinen, wenn man so einen großen zusammenhängenden Markt mit so viel Liquidität hat und so wenige Börsen über diesen ganzen Markt, also viel weniger Zerstückelung, dass man ja eigentlich auch so Netzwerkeffekte heben können müsste und so weiter und so fort. Also was macht denn eigentlich so ein US-Börsengang so viel teurer als jetzt irgendwie einen deutschen?
Caro von Linsingen: Jochen, die Akteure, die Banken, kennst du da glaube ich besser, was da gechargt wird in Europa im Verhältnis zu Amerika? Ich glaube, da liegt so ein bisschen der Schlüssel zu dem Ganzen und dann kann ich aber gerne gleich auch nochmal sozusagen aus Sicht der Börse dazu kommentieren.
Jochen Hennig: Ja, gerne. Also ich glaube, es sind vor allem zwei große Blöcke, die wirklich die Kosten im amerikanischen IPO deutlich höher werden lassen als in Europa. Das ist zum einen die Fees für die Banken. Das ist in der Tat so. Das wird gerechnet ja immer als ein Prozent des Transaktionsvolumens. Und hier sehen wir einfach, dass die Bankenfees in den USA einfach deutlich höher sind. Das ist historisch bedingt. In Europa gab es mehr internationale Banken, die dann irgendwie den Markt, ich sage es mal, erobern wollten, auch sich ein bisschen Preisdruck gemacht haben. In den USA sind die Bankenfees einfach deutlich höher im Verhältnis zu Europa. Das ist Punkt eins. Und Punkt zwei ist Kosten für Berater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer, aber vor allem auch für Versicherungen. Ein wichtiger Faktor ist hier auch die sogenannte DNO-Versicherung, also Versicherung für das Management im Rahmen eines Börsengangs. Und das ist ein Punkt, der einfach deutlich teurer ist in den USA als in Europa.
Joel Kaczmarek: Wolltest du noch was zu sagen, Caro? Weil du meintest, du wolltest eben noch so die Börsenperspektive zu geben.
Caro von Linsingen: Ach ja, ich habe so ein bisschen überlegt und was gesagt. Wir haben natürlich auch ein klares Bias und ich könnte jetzt sagen, wir haben die niedrigsten Listinggebühren in ganz Europa. Wir liegen, ich würde mal sagen, rund immer bei 100.000 Euro. Bei einer Euronext, auch bei einer Market Cap von drei Milliarden für ein Unternehmen kann das dann auch gut eine Million werden. In Amerika, wie gesagt, ein Vielfaches. Aber das Argument ist wahrscheinlich jetzt sehr stark eingefärbt.
Jochen Hennig: Ich glaube, auch die großen Treiber sind wirklich die Banken fees und eigentlich so diese ganzen regulatorischen Kosten. Das ist wirklich auch im Verhältnis zu den Kosten des Listings ist das wirklich der Löwenanteil, würde ich sagen.
Joel Kaczmarek: Habe ich auch gerade so gedacht. Okay, wenn ich jetzt mal im Kopf für mich zusammenfasse. Also es ist ja ein bisschen wie in so einer Ehe, darum prüfe, wer sich ewig bindet, dass ich mir natürlich gut überlegen muss, wo ich lege. Also was ich jetzt schon mal mitgenommen habe ist, hat der Caro gesagt, Management Commitment, also ich brauche halt wirklich vor Ort ein Team mit allen Kosten, ich brauche irgendwie die Investor Relations vor Ort, die ganze Umstellung, also ich habe die IPO Kosten per se. nochmal, ich habe wahrscheinlich auch höhere Offenlegungspflichten in den USA als hier. und ich erinnere mich auch noch so, in unserem letzten Podcast haben wir auch über Börsengangversicherung geredet, also im letzten Börsenpodcast, weiß ich noch über die Posi-Versicherung und da hat mir das Team auch erzählt, dass man diese Posi-Versicherung in den USA teilweise gar nicht kriegt, weil die Wahrscheinlichkeit in den USA verklagt zu werden, ich glaube fünfmal so hoch ist oder siebenmal so hoch wie in Deutschland. Habe ich noch Sachen vergessen? Also gibt es noch so weitere Risiko- und Kostenfaktoren, die ich im Blick haben sollte, wenn ich in den USA bin?
Jochen Hennig: Nee, das sind im Endeffekt die Faktoren. und vielleicht nur der einzige Punkt, was ich vorhin schon gesagt hatte, einfach diese Sabins-Oxley, das ist ein wichtiger Faktor, das treibt aber auch die Verantwortung. Das ist ja das Management-Team, was dann hier zeigen muss, dass es für die Qualität der Reporting-Prozesse und der Zahlen verantwortlich ist und damit ist natürlich die Hürde auch verklagt zu werden höher. Insgesamt muss man natürlich sagen, dass die USA einfach deutlich klar gefreudiger ist als in Europa und das ist mit auch ein Punkt, der diese Kosten einfach treibt.
Joel Kaczmarek: Gut, jetzt haben wir uns ja heute auf die Fahne geschrieben, dass wir Mythbusting machen, also dass wir einige Mythen mal auf die Probe stellen. Da denken sich ja einige rund um USA versus Europa. Vielleicht fangen wir da mal basic an. Was sind denn so die Hauptunterschiede, wenn wir die nochmal angucken, zwischen einem US- und einem europäischen IPO?
Jochen Hennig: Ja, vielleicht fange ich da mal an. Der IPO-Prozess per se ist relativ vergleichbar. Wir haben ja im Endeffekt ein breites öffentliches Angebot, wir haben im Endeffekt ein Wertpapierprospekt, wir haben ein Management, was Roadshow-Meetings macht. Das ist zwischen einem amerikanischen Prozess und einem europäischen Prozess sehr vergleichbar. Was wirklich Unterschiede sind, die sind dann im Detail. Also im amerikanischen Prozess haben wir eben zum Beispiel kein IPO Research, also das heißt quasi Research Reports, mit denen die Analysten im IPO die Aktie vermarkten. Das ist ja im europäischen Prozess so etwas wie ein Key Multiplier, sage ich mal. Das haben wir im amerikanischen Prozess nicht. Dann ist auch zum Beispiel ein Faktor im amerikanischen Prozess, die Preisfindung ist einfach, ich sage es mal, ein bisschen flexibler. Dort geht man in das Bookbuilding, setzt die Preisspanne. Man ist auch öfter bereit, die Preisspanne mal hochzuziehen, mal runterzuziehen, anzupassen. Das passiert in Europa weniger, weil wir ja eben eigentlich so vor der Preisspanne, bevor die Preisspanne gesetzt wird, diesen Preisfindungsmechanismus haben über den Research und das Feedback der Investoren. Also das sind, ich sage es mal so, zwei große Unterschiede. Was wir strukturell noch sehen, ist schon ein Unterschied in der gesamten Angebotsstruktur. Also im Verhältnis sind die amerikanischen IPOs ein bisschen kleiner, was den Free Float angeht. Und es ist auch eher so, dass wir größere Kapitalerhöhungen, also Primary Komponenten in dem IPO sehen und weniger diese Abverkäufe. Also das heißt, der amerikanische IPO, der wird oft betrachtet, wie so ein bisschen Introduction to the Market, sage ich jetzt mal. Wirklich das Unternehmen public bekommen und dann über die Zeit verkaufen. Wenn Unternehmen, also Aktionäre verkaufen möchten, dann verkaufen sie über die Zeit eigentlich. Während wir eben doch in der Tendenz in europäischen IPOs häufiger auch so eine Secondary-Komponente sehen. Das ist also auch ein struktureller Unterschied. Und vielleicht letzter Punkt, und das ist dann auch, ich sage es mal so ein bisschen Konsequenz dessen. Wir sehen in den amerikanischen IPOs öfter am ersten Tag so etwas wie so eine relativ, hohe Performance, was man dort auch immer so ein bisschen Share-Price-Pop nennt am ersten Tag. Der kommt aber auch daher, weil es eben in den USA auch von den Investoren wirklich erwartet wird, dass am ersten Tag wir dort eine gute Performance sehen. Während in Europa die IPOs, ich sag's mal, ein bisschen näher vielleicht am fairen Wert des Unternehmens gepreist sind.
Joel Kaczmarek: Und wie ist so die langfristige Komponente? Weil meine Hypothese wäre ja ein Stück weit, dass diese ganze Aftermarket-Performance, also wenn man mal so ein Jahr lang in die Zukunft guckt, in Europa einen Ticken höher ist. Oder schätze ich das falsch ein?
Caro von Linsingen: Genau das ist eben auch das, was wir uns immer als Deutsche Börse anschauen. Und vor allen Dingen hier auch. Ziel deines Podcasts sind natürlich neben den US-amerikanischen IPOs, sich auch insbesondere die IPOs oder Börsengänge dort anzuziehen, die eben deutsche oder europäische Unternehmen sind. Und ich glaube, was halt wichtig wird, was Jochen auch gerade sagte, es gibt Unternehmen, sozusagen zwei Perspektiven auf Börsengänge. Das eine ist, ich nehme den IPO als Exit. Und dann ist natürlich die Bewertung, die ich an einem Listing-Standort bekomme, ganz entscheidend. Und das zweite, der Punkt, den du gerade angesprochen hast, wenn ich mir das jetzt aber langfristig anschaue und den IPO nicht sozusagen als finalen Punkt in einer Kette sehe, sondern überhaupt erst als Beginn einer Reise, einer Equity-Story, dann ist eben diese sogenannte Post-IPO-Performance ganz entscheidend. Und da ist es so, wenn wir jetzt einfach mal so ein paar Beispiele nennen, neben deutscher Unternehmen, die in Amerika gelistet haben, dann ist es so, dass die Post-IPO-Performance mit Ausnahme von Biontech bei keinem deutschen Unternehmen funktioniert hat, das in Amerika gelistet hat. Also zum Beispiel CureVac, wenn wir die uns anschauen, das ist ein biopharmazeutisches Unternehmen aus Tübingen. Vier Jahre nach ihrem Listigen an der Nasdaq haben die ein Minus von 95 Prozent. Lilja ist auch ein anderes Growth-Unternehmen, ein bayerischer Flugtaxi-Hersteller, der auch in Amerika an die Börse gegangen ist. 2021 war das. Die haben angefangen mit 10 Dollar pro Aktie zu traden. Die stehen heute bei 1,24 Dollar. MyTheresa kennt wahrscheinlich auch jeder, sind auch 21 in Amerika gelistet. Die haben Minus von 86 Prozent. Und wenn wir jetzt den allerletzten nehmen, Birkenstock, die Börse. mit großer Spannung an der NYSE an die Börse gegangen sind, dann hat man dort eben auch gesehen, dass die Aktie am ersten Handelstag mit einem Minus von 13% gestartet ist und bisher auch nicht sich oberhalb von einem Ausgabepreis von 46 Dollar wirklich bewegen oder halten konnte. Ich glaube, das ist eine sehr weite Bandbreite an deutschen Unternehmen, die wir zeigen, die ihr Glück in Amerika versucht haben und die sich halt die Finger verbrannt haben. Und die Frage wäre natürlich, wie wäre es, eine Birkenstock hier in Deutschland zu haben? Auch eventuell in einem unserer Auswahlindizes, wo sie eben nicht, sage ich jetzt mal, mit irgendwie Crocs sich vergleichen müssen oder Nike, sondern einfach neben Adidas und Puma bestehen und dadurch eine ganz andere Visibilität erhalten würden.
Joel Kaczmarek: Na gut, weil der erste Mythos, den ich jetzt mit euch schon mal besprochen hätte, wäre natürlich, sind US-IPOs denn eigentlich wirklich erfolgreicher als europäische? Und bisher lerne ich jetzt daraus, die IPO-Size ist eigentlich tendenziell geringer, der Free-Float ist niedriger, die Aftermarket-Performance ist eigentlich schlechter, so wie du es gerade skizziert hast. Haben wir damit die Frage schon so ein bisschen beantwortet, Caro? Ist es wirklich ein Mythos, dass US-IPOs erfolgreicher sind?
Caro von Linsingen: Ja, also ich glaube jetzt aus unserer Perspektive ja. Und das bezieht sich natürlich auf ausländische Unternehmen, die in Amerika an die Börse gehen. Das bezieht sich jetzt nicht auf amerikanische Unternehmen, die dort an die Börse gehen. Und ich glaube, es hat auch wirklich damit zu tun, dass es, was wir auch eingangs besprochen haben, einfach deutlich schwieriger ist für Analysten dort auch, zu bewerten, wie ist denn das Geschäftsfeld in Amerika? Ich meine, auch Jochen hat es vorhin angesprochen mit den verschiedenen Reporting Standards, die es gibt. Ja, wir bilanzieren hier anders, wir reporten hier anders, es sind Sprachbarrieren da. Also ist es deutlich komplexer, eigentlich die Equity-Story von einem Unternehmen, also gerade von kleineren Unternehmen aus Amerika, einzuwerten, als das hier der Fall ist. Weil einfach die Analysten auch, die in Europa über ihre eigenen Unternehmen berichten, natürlich das Marktumfeld deutlich besser kennen und damit auch einfach deutlich besser interpretieren und analysieren können.
Joel Kaczmarek: So und der zweite, finde ich, sehr merkliche Mythos, der ja irgendwie immer so ein Stück weit grassiert ist, Jochen, vielleicht ist es so dein Home-Turf, dass man ja immer so der Meinung ist, dass sich US-Investoren besser mit bestimmten Geschäftsmodellen auskennen, also gerade so im Tech-Bereich, weil dann denkt man so an Silicon Valley, SaaS-Modelle und und und. Was ist da dran?
Jochen Hennig: Zunächst muss man einfach mal sagen, reines Faktum, wenn wir jetzt wirklich den Tech-Bereich anschauen, dann ist es natürlich Fakt, dass es in den USA einfach deutlich mehr IPOs im Tech-Bereich, sage ich jetzt mal, gegeben hat als in Europa. Das ist so. Wir haben da mal ein sehr großes Sample angeschaut über die letzten zehn Jahre von IPOs über 100 Millionen und da gibt es weit über 300 IPOs von Tech-Unternehmen in den USA, weiterer Tech-Sektor, die fast ein Drittel der IPOs in den USA ausmachen. Nichtsdestotrotz gab es auch im selben Zeitraum in Europa weit über 100 Tech-IPOs, was auch fast ein Viertel der IPOs sind, die wir in Europa gesehen haben. Also rein quantitativ, ja, man sieht mehr Tech-IPOs in den USA. Das liegt aber auch daran, dass es insgesamt einfach mehr IPOs in den USA gibt. Und ja, der Tech-Sektor ist etwas wichtiger in den USA, als es in Europa ist. Wir sehen aber auch, wie ich schon gesagt hatte, sehr erfolgreiche Tech-IPOs in Europa. Und ich glaube, wir müssen da wirklich in den Einzelfall reinschauen. Wir haben ja hier auch tolle Tech-Unternehmen gesehen, die public gegangen sind und die auch wirklich nach dem IPO, also ein Jahr später, hier super Performance hatten von 50, 60, teilweise 100 Prozent Aftermarket-Performance. Also ich glaube, das ist etwas zu kurz gegriffen zu sagen, ja, nur in den USA kennen sich Investoren mit Tech-IPOs aus. Und wie ich auch vorhin schon gesagt hatte, wir haben auch viele IPOs in Europa gesehen, wo auch wirklich die amerikanischen Tech-Investoren sich signifikant engagiert haben und auch die IPOs unterstützt haben. Am Ende des Tages hängt es wirklich am individuellen Geschäftsmodell und an der individuellen Equity-Story.
Joel Kaczmarek: Ich meine mal blöde Nachfrage dazu. Du hattest ja vorhin auch erzählt, dass es eigentlich auch die Möglichkeit gibt, als US-Investor auch in Europa zu investieren über diese 144a Offerings. Ist es für mein Unternehmen schlecht, wenn ich ein Technologieunternehmen bin und auf dem Wege versuche, US-Unternehmen ranzuziehen oder ist das eigentlich ein total valider Weg, der mittlerweile immer mehr gegangen wird?
Jochen Hennig: Das ist ein total valider Weg und wie ich schon gesagt hatte, bei manchen von diesen Tech-IPOs, die wir begleitet haben, da hatten wir auch dezidierte Management-Roadshows wirklich im Silicon Valley mit großen Tech-Investoren, die da vollkommen bereit sind, auch in europäische Unternehmen zu investieren und die sich anzuschauen. keinerlei Ausschlusskriterium und das ist ein absoluter Standardweg, sage ich jetzt mal, so auch absolut nichts Außergewöhnliches so zu gehen. Es ist natürlich so, wir kommen auf die Tiefe des Kapitalmarkts zurück, ich grenze damit vielleicht aus kleinere regionale amerikanische Investoren, die vielleicht nur in amerikanische Aktien investieren können oder ich grenze vielleicht Investoren aus, die irgendwie einen Index abbilden oder so, die würde ich dann natürlich verlieren, aber ich würde jetzt mal grob einschätzen von der relevanten Nachfrage kann ich auch hier 75 bis 80 Prozent der relevanten Investoren über so ein 144-Jahr-Offering eigentlich im IPO beteiligen.
Caro von Linsingen: Also zum einen, gerade wenn wir uns den DAX anschauen, dann haben wir da 55 bis 56 Prozent ausländische Investoren. Ich glaube, das zeigt ganz deutlich, dass ein Listing in Deutschland, das auch beflügeln kann und wir durchaus international sind, was sozusagen institutionelle und auch Retail-Anleger angeht. Ich glaube, ein weiterer Punkt, der spannend sein wird, zu sehen, wir haben natürlich ganz tolle deutsche Startups, die auch alle Unicorn-Status haben in Deutschland. Wenn wir uns jetzt mal anschauen, auch gerade im Tech-Bereich, eine DeepL oder Personio oder Zipod, Celonis oder wie sie alle heißen, da haben wir wirklich ganz, ganz, ganz tolle Unternehmen, auf die wir enorm stolz sein können. Aber was bedeutet das jetzt, wenn die in Amerika an die Börse gehen würden? Wir hatten ja vorhin auch über die Verteilung der Liquidität gesprochen. Diese Unternehmen würden natürlich dann in totaler Konkurrenz oder in direkter Konkurrenz zu einer Apple, zu einer Amazon, zu einer Microsoft, Alphabet und so weiter stehen. Und die Frage ist, können die gegen diese Megacaps, können sie in Amerika bestehen, ja oder nein? Und was für ein Alleinstellungsmerkmal hätten sie, wenn sie hier in Europa an die Börse gehen?
Joel Kaczmarek: Jetzt haben wir natürlich eine Frage, die sich zum Schluss anbietet. Was sind denn so unsere Hausaufgaben, die wir vielleicht noch machen sollten? Also was müssen wir tun, damit wir mehr IPOs in Europa sehen und damit vielleicht auch gar nicht so dieses Gefühl entsteht, dass man irgendwie in die USA gehen muss?
Caro von Linsingen: Ja, also ich glaube, reflexartig liegt natürlich immer die Empfehlung irgendwie da zur deutschen Politik und gegebenenfalls auch auf die europäischen Behörden irgendwie zu zeigen und darauf zu hoffen, dass da irgendwie bessere Rahmenbedingungen kommen. Aber man muss natürlich auch ganz ehrlich sagen, mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz in Deutschland und auch mit dem EU-Listing-Act auf europäischer Ebene gehen wir ja schon genau Schritte in die richtige Richtung. Was aber natürlich auch wahr ist, am Beispiel der Kapitalmarktunion sieht man, dass das also einen sehr langen Zeitraum braucht, bis es denn dann richtig fruchtet. Und ich glaube insofern, wenn wir uns überlegen, was bedeutet das für uns, was bedeutet es vielleicht hier auch für die deutsche Börse oder hier ansässige Stakeholder des deutschen Kapitalmarkts, ist, dass wir vielleicht nicht immer so pessimistisch sein dürfen, und wir dürfen uns nicht immer so wahnsinnig kleinreden. Fakt ist, wenn wir uns den DAX heute anschauen mit seinen über 18.000 oder knapp 19.000 Punkten, bei denen er steht, dass wir Year-to-Date ein Plus haben von 12 Prozent. Wenn wir uns das über ein Jahr anschauen, sind es sogar 18 Prozent. Und das zeigt doch, was für ein Potenzial unsere Wirtschaft hat und auch welche Problemlösungsfähigkeiten wir besitzen. Und genau das, was du ja hier auch mit diesem Podcast machst, ich glaube, wir müssen einfach eine positive Denkensweise, müssen wir weiter vorantreiben, wir müssen über die Themen sprechen und wir brauchen irgendwie mehr Tatkraft, was das Mobilisieren von Kapital angeht und auch so dieses Risikoerverse, das müssen wir vielleicht mal einfach ein bisschen zu sein. und müssen uns überlegen, wo gibt es denn Möglichkeiten. Und da ist eben eine Sache, gerade wenn wir uns jetzt hier private Investoren anschauen. Also da gibt es jetzt den letzten Bericht der Bundesbank. Demnach beträgt das Geldvermögen privater Haushalte in Q4 2023 7.716 Milliarden Euro. Und davon liegen 42 Prozent völlig unproduktiv auf Sparkonten und sind Einlagen. Und das ist natürlich irgendwie ganz entscheidendes Kapital, was natürlich auch irgendwie für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands und auch Europas eingesetzt werden könnte, eben über direkte Beteiligung von Privatinvestoren am Kapitalmarkt. Und das wäre also ein Punkt, den wir deutlich heben könnten. Dann, wenn wir mal wegkommen von dem Privaten und uns die sogenannte Buy-Side anschauen, sehen wir halt auch, dass die US-Amerikaner und besonders in Europa unsere Nordics oder nordischen Peers Da ist es so, dass die komplett im Gegensatz zu den deutschen Versicherern, Pensionsfonds und Vermögenswalter, die geltenden Anlagegrenzen ausnutzen. Und das bedeutet, dass es auch dort wieder deutlich mehr Spielraum gibt für Investitionen in Deutschland, für Investitionen in Europa, was Digitalisierung angeht, was Klimaneutralität angeht, was die Energiewende angeht. Aber was auch, sage ich mal, die ganzen demografischen Herausforderungen, die uns hier in Europa erwarten, angeht. Und das fehlt einfach. Und um da mal so ein bisschen genauer zu werden oder hier einfach auch mal den Zuhörerinnen ein Gefühl zu geben. Also der Anteil, sagen wir mal, von US-Pensionsfonds, die sind zu 10 Prozent an den deutschen Startups beteiligt. Die deutschen Pensionsfonds sind wiederum nur mit einem Prozent beteiligt. an unseren deutschen Startups beteiligt. Und gerade bei den Unternehmen, die wir vorhin aufgezählt haben, die hier Unicorn-Charakter haben, Persona hatten wir schon genannt, Flix, Celone, Scalable, bedeutet das natürlich, dass wir da nur einen marginalen Anteil haben an unseren Unternehmen, die irgendwie die nächste Generation der DAX-Unternehmen sein könnten. Und ich glaube, da brauchen wir sozusagen mehr Impetus, dass wir an uns selbst glauben und da eben auch investieren. Und vielleicht nochmal der allerletzte Punkt, gerade das Thema private Altersvorsorge, privater Vermögensaufbau. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass jeder Einzelne von uns sich mit Finanzbildung auseinandersetzt, ökonomische Bildung, dass wir wirklich anfangen, mehr privaten Vermögensaufbau zu machen und dass wir eben auch eine bessere Teilhabe haben an dem wirtschaftlichen Erfolg, der Deutschland und Europa ausmacht.
Jochen Hennig: Würde ich total unterstützen. Es ist vor allem das Thema Aktienkultur. Wir kommen immer wieder zu dem Thema zurück, Aktienkultur. Und wenn wir gerade auch in Europa andere Länder anschauen, die eben schon teilweise früher auf so eine Art Kapitaldeckungsverfahren gewechselt sind, also einige skandinavische Länder oder auch in der Schweiz, wo das deutlich ausgeprägter ist, da sehen wir auch eine deutlich breitere, ausdiversifizierte Investorenlandschaft, lokale, die dann aber auch heimische IPOs teilweise deutlich stärker unterstützen. Also wenn wir IPOs in der Schweiz begleiten oder in Skandinavien begleiten, die nationalen Investoren, die stellen einen signifikanten Teil der Nachfrage und das tut einfach diesen IPOs dann auch gut. Also es ist am Schluss wirklich auch eine Frage der Aktienkultur und wie weit hier auch die nationale Investorenlandschaft noch etwas befeuert.
Joel Kaczmarek: Gut, ihr beiden, dann bin ich ja ganz positiv gestimmt, dass wir doch so viele Punkte auf der Haben-Seite haben. Also gerade in den derzeitigen Zeiten fühlt es sich ja oft so an, als wenn der Wirtschaftsstandort Deutschland signifikant am Abstürzen ist. Also man kann, glaube ich, immer über die Firmen reden, die hier sitzen, ob wir da gut aufgestellt sind, aber zumindest die Börsen scheinen ja schon mal gut aufgestellt zu sein. Und vielen, vielen Dank, dass ihr uns das so verständlich und auch irgendwie eingängig mit Beispielen erklärt habt. Hat mir viel Spaß gemacht und Finger sind gedrückt für mehr Börsengänge in Europa.
Caro von Linsingen: Tausend Dank. Danke, dass wir mit dabei sein durften. Es hat echt Spaß gemacht.
Jochen Hennig: Wunderbar. Herzlichen Dank an dich.
Diese Episode dreht sich schwerpunktmäßig um Börsengänge: Unsicher auf dem Börsenparkett? Nicht mit uns! Gemeinsam mit unterschiedlichen Expert:innen der Deutschen Börse spricht Joel regelmäßig über alles rund um die Themen Börse, Börsengang und späte Finanzierungsphase (pre IPO).