
Raul Krauthausen: Wie barrierefrei ist unsere Mobilität wirklich?
22. März 2022, mit Joel Kaczmarek, Anja Hendel
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Intro: Digital Kompakt. Heute aus dem Bereich Mobility. Mit deinen Moderatoren Joel Kaczmarek und Anja Hendel. Los geht's!
Joel Kaczmarek: Hallo Leute, mein Name ist Joel Kaczmarek. Ich bin der Geschäftsführer von Digital Kompakt und heute habe ich wieder die liebe Anja Hendel von Diconium an meiner Seite. und wir reden ja immer fleißig über Mobilitätsthemen, weil Diconium, Mobility-Firma, auch sehr starker Software-Eintrieb, also Anja ist da ein wandelndes Lexikon. und heute wollen wir darüber reden, wie barrierefrei ist eigentlich Mobilität. Und da haben wir uns einen sehr charmanten und einen Gast aus, den ich sehr mag, weil ich ihn auch schon sehr lange kenne, und zwar den guten Raul Krauthaus. Raul ist geboren im schönen Lima. Ich durfte feststellen, er ist sogar drei Jahre älter als ich. Also wer jetzt im Netz mal rauskriegt, man ist nicht geboren, man weiß auch, wie alt Raul ist. Er wohnt in Berlin-Kreuzberg und setzt sich schon seit 20 Jahren für soziale Projekte ein. Er kämpft gegen institutionelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. Also, es wird super viele spannende Themen heute geben, weil ich weiß zum Beispiel, dass Raul auch ausgebildeter Telefonseelsorger ist, er ist Technik-Nerd. und was ihr vielleicht, liebe Hörerinnen und Hörer, auch wissen sollt, wenn ihr ihn noch nie gesehen oder erlebt habt, er hat eine Krankheit, die nennt sich Osteogenesis Imperfecta, also umgangssprachlich Blasknochen. Und ich glaube, wir werden heute extrem unseren Horizont erweitern, um mal zu erleben, wie barrierefreie Mobilität eigentlich wirklich ist. So, und that being said, ist ja der Anfang, wenn ich mit Anja rede, eigentlich immer auf Anjas Seite. Das fängt nämlich immer an mit so kleinen Fragen. Also, Anja, herzlich willkommen und leg mal los.
Anja Hendel: Ja, hallo zusammen. Ich freue mich sehr auf das Gespräch heute. Raul, ich starte mit einem kleinen Fragenhagel zum Warmwerden, mit schnellen Fragen. Ich bin gespannt auf deine Antworten. In der Stadt wohnen oder auf dem Land?
Raul Krauthausen: In der Stadt.
Anja Hendel: Zug oder Flugzeug? Zug. Teilen oder besitzen?
Raul Krauthausen: Teilen.
Anja Hendel: Ticket am Schalter oder über eine App kaufen?
Raul Krauthausen: Über eine App.
Anja Hendel: Videokonferenz oder Reisen?
Raul Krauthausen: Videokonferenz oder Reisen.
Anja Hendel: Taxi oder öffentliche Verkehrsmittel?
Raul Krauthausen: Das hängt ein bisschen von der Situation ab, aber wahrscheinlich öffentliche Verkehrsmittel.
Joel Kaczmarek: Und ich meine, da haben wir ja auch schon ein bisschen Reizthemen quasi gesetzt. und ich möchte mal ganz kurz
Raul Krauthausen: Ja, jedes einzelne, jedes einzelne. Wenn wir einmal durchreiten, dann sind wir nach drei Stunden im Alles-Gesagt-Podcast.
Anja Hendel: Das glaube ich. Nur drei Stunden, die machen doch immer länger.
Raul Krauthausen: Ja, stimmt.
Joel Kaczmarek: Kannst du mich mal am Anfang gleich an die Hand nehmen? Ich muss dir zu meiner Schande gestehen, ich weiß manchmal nicht, wie man sich in dem Bereich auch richtig äußert. Weil mir wurde mal gesagt, behindert darf man nicht mehr sagen. Man sagt irgendwie Handicap. Hilfe mal, wie sagst du das? Wie ist dir das wichtig?
Raul Krauthausen: Nee, genau umgekehrt. Also Handicap darf man nicht mehr sagen. Behindert als alleinige Beschreibung ist auch schwierig. Man sagt ja auch wahrscheinlich nicht Platzkopf zu dir oder Weißer. Deswegen wäre es wahrscheinlich ein Mensch mit ohne Haare. Und bei mir wäre es vielleicht ein Mensch mit Behinderung. Oder einfach Raul.
Joel Kaczmarek: Ist sowieso mal am besten. Gut, okay, verstanden. Und wenn du sagst, jedes der Themen war für dich schon ein Reizthema, erzähl mal, was verbindet sich da für eine Geschichte mit?
Raul Krauthausen: Wir haben angefangen mit Stadt oder Land. Also Stadt oder Land, das ist natürlich jetzt bei mir. Natürlich, ich bin in Berlin aufgewachsen. Das heißt, ich kenne die Option Land gar nicht. Aber ich kenne viele Menschen mit Behinderung, die froh sind, dass sie aus dem Land in die Stadt gezogen sind, weil einfach die Behinderung, Versorgung insgesamt für behinderte Menschen in Großstädten oder in Städten besser ist, was Ärztinnen angeht, was Versorgung mit Hilfsmitteln angeht, aber auch Mobilität. Mobilität ist wirklich, wo wir über barrierefreie Mobilität auf dem Land noch viel weiter hinten anstehen als Mobilität auf dem Land. Keine Ahnung, die ganzen Konzepte, die da entwickelt werden bzw. auch diese Notwendigkeiten, die dann oft Menschen auf dem Land haben, nämlich das eigene Auto zu besitzen, ist für viele Menschen mit Behinderung entweder unbezahlbar, aufgrund der Behinderung nicht möglich oder aber auch nicht gewollt. Also ich bin jemand, der in der Stadt lebt und kein Auto will, auch aus Umweltgründen. Die Leute denken immer, ich will das nicht, weil ich im Rollstuhl sitze. Nee, aber ich bin auch zu faul, einen Führerschein zu machen. Ich habe keinen Bock, Geld zu bezahlen für ein Auto, das nicht jeden Tag fährt. Und ich kann mir auch kein Auto leihen, weil das muss ja angepasst werden auf meine Behinderung. Und dann ist es sowieso, bin ich der Schlüssel zum Auto. Niemand anderes könnte dieses Auto fahren. Das ist irgendwie auch eine ziemliche Ressourcenverschwendung.
Anja Hendel: Du hast einen guten Stichpunkt gerade gemacht mit dem Thema auf dem Land. Ich denke, das kann man total weit fassen. Was ich auch beobachte, ist, dass viele auch ältere Menschen gerne vom Land in die Stadt ziehen, wenn sie können, weil alle Punkte da auch oft zutreffen. Schlechte Versorgungslage, oft ist dann vielleicht auch ein Partner gestorben, dann ist man nicht so sicher mit dem Auto oder hat vielleicht auch keins. Je weiter man von der Stadt aufs Land geht, umso weniger inklusiv wird Immobilität dann einfach, weil das Land viel zu wenig mitgedacht wird und eben auch sich nicht mit dem öffentlichen Nahverkehr, wie wir ihn kennen, so einfach, realisieren lässt. Große Diskussion mit Katja gehabt. mal dazu.
Raul Krauthausen: Genau, wo du gerade Katja sagst. Ich war mit der mal in der Sendung 13 Fragen von der ZDF Mediathek und da ging es auch um das Thema autofreie Städte. Und dann wurde die ganze Zeit von der Autolobby argumentiert, naja, es gibt ja die Krankenschwester auf dem Land, die nachts um vier in die Großstadt muss zum Arbeiten. Und diese Metapher, diese Person, die wird immer benutzt, warum wir ein Auto brauchen. Aber es wird nie diese Persona benutzt, um zu überlegen, wie können wir eigentlich den öffentlichen Personennahverkehr so gestalten, dass sie auch nachts um vier zur Arbeit kommt. Genauso ist es auch beim Thema Behinderung. Nein, Menschen mit Behinderung sind oft auf Autos angewiesen, weil es keine barrierefreien Taxis gibt für spontane Mobilität, weil der ÖPNV nicht barrierefrei ist oder der Aufzug kaputt. Und je weiter ich in kleineren Städten oder Gemeinden oder auf dem Land lebe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Orte nicht barrierefrei sind oder diese Mobilitätskonzepte. Und das ist wirklich ein Problem. Ich als Mensch im Rollstuhl in Berlin leben, die größte Stadt Deutschlands, habe nichts von MyTaxi oder FreeNow. Ich habe nichts von Carsharing, Taxibuchen allgemein, weil all diese Fahrzeuge nicht barrierefrei sind für Menschen wie mich.
Joel Kaczmarek: Ich sag mal so, in Vorbereitung auf unseren Podcast habe ich hier gelesen, seit dem 1. Januar 2022 müssen alle Haltestellen in Deutschland barrierefrei sein. Was ist denn das? Ich dachte gar nicht. Ich meine, Anja hat gerade ein Kind gekriegt, die kann ja nicht mal mit ihrem Kinderwagen ordentlich einsteigen, habe ich von ihr gehört. Woran liegt denn das, mal ganz naiv gefragt, dass das in Berlin nicht
Raul Krauthausen: Ja, wir können davon ausgehen, es wird dann 2030 soweit sein, dass in Berlin jede U-Bahn-Station, jede S-Bahn-Station einen Aufzug hat. Was mich traurig stimmt, ist, dass die dann am Ende auch noch erwarten, dass man Danke sagt. Dabei sind wir einfach hart überfällig. Diese Konzepte gibt es schon seit Jahrzehnten. Auch die Forderungen gibt es seit Jahrzehnten. Dass sie die Linie 2022 sogar nicht einhalten, ist schon der Skandal in sich. Aber es wird auch gar nicht sanktioniert. Ich kann es super easy in Gesetze schreiben, aber Wenn nicht sanktioniert wird, ist es halt auch egal.
Joel Kaczmarek: Warum passiert von sich aus nichts? Ich meine, der BVG macht ja immer hier, weil wir dich lieben. Also dich lieben sie anscheinend nicht, wenn sie sich nicht die Mühe geben, dir auch die Möglichkeit zu geben, ihre Fahrzeuge zu nutzen. Ich finde das hart asozial. Woran liegt das? Ist das ein Geldthema?
Raul Krauthausen: Wenn man die fragen würde, würden die sagen Geld. Die BVG ist ja auch, wenn ich das richtig verstehe, ist es doch eine Public-Private. Das heißt, das ist ja auch ein Unternehmen, das zum Teil der öffentlichen Hand gehört und kann dann die BVG auch schon zu Recht sagen, ja, aber das muss dann halt auch bezahlt werden vom Senat. Und Berlin ist ja nicht bekannt für viel Geld. Man muss der Faires halber aber auch sagen, dass die BVG nicht das Problem in Deutschland ist. Also es gibt wesentlich kaputtere Verkehrsanbieter in Deutschland. Inklusive der Deutschen Bahn. Also so ehrlich muss man auch sein. Es kann nicht sein, dass die BVG besser performt, was die Wartung und Reparatur von Aufzügen angeht. Dass sie besser performt, was die Barrierefreiheit von Bahnhöfen angeht, als die S-Bahn. Darf einfach nicht sein. Und dass der Regionalexpress in vielen, auch Brandenburger Regionen im Übrigen, keinen barrierefreien Ausstieg hat. Nicht nur eine Frage der Waggons, sondern eben auch der Züge, der Bahnstationen.
Anja Hendel: Was ich da echt sehe, ist, dass eigentlich eines der Hauptkonzepte für Mobilität jetzt und auch in Zukunft sind sogenannte Mobilitätsketten. Also gar nicht so diese End-to-End-Mobilität, sondern wirklich, ich steige um, ich nehme immer das beste Verkehrsmittel, was sich gerade bietet. Aber was Umsteigen auch bedeutet für den Stress, das ist ja schon für Menschen ohne Behinderung ein Thema. Wenn du eingeschränkt bist, behindert bist, ist es natürlich nochmal ein ganz anderes Thema, oder? Wie denkst du darüber und wie würde für dich eine gute Mobilität aussehen, die inklusiv gedacht wird?
Raul Krauthausen: Also im Prinzip genauso, wie du sagst. Also dass die vernetzte Mobilität, also das Wechseln von Verkehrsmitteln und Systemen von A nach B, auch behinderte Menschen mitgedacht werden. In dem Fall würde ich jetzt mal als Prio 1 sagen, barrierefrei meint, also Menschen mit Mobilitätseinschränkungen. Es gibt auch Barrierefreiheiten für Gehörlose, für sehbehinderte Menschen, die auch super wichtig ist, die man aber wahrscheinlich in der Akutsituation schneller überwinden kann, wenn man jemanden um Hilfe fragt. Einen Elektrorollstuhl kriegt man nicht mal eben getragen. Apps sind relativ leicht barrierefrei zu gestalten für sehbehinderte Menschen. Bei Hörbehinderung müssten wir in Anführungsstrichen nur dafür sorgen, dass die Ansagen textlich gemacht werden. Das ist technisch relativ trivial. Im Vergleich zu, ich baue einen Aufzug überall hin. Wenn wir jetzt aber diese Mobilität für Menschen mit einem Rollstuhl oder mit Gehbehinderung bedenken, dann ist es so, dass ganz oft zum Beispiel sich die Fahrzeit eines behinderten Menschen verdoppelt, wenn ein Aufzug kaputt ist. Was mache ich denn dann? Dann muss ich zurückfahren oder eine Station weiterfahren, hoffen, dass da der Aufzug geht und wenn er dann da geht, wieder zum Fuß fahren. Und dann bist du locker bei doppelt so viel Fahrzeit. Wenn diese Information, ob zum Beispiel ein Aufzug funktioniert oder nicht, in diesen ganzen Mobilitäts-Apps nicht berücksichtigt wird, bei der Vernetzung von A nach B, habe ich halt die Arschkarte gezogen. Und das ist aber das, was letztendlich nichtbehinderte Menschen nicht auf dem Schirm haben. Die sagen dann, ja, dann nimmst du halt die nächste Bahn. Aber ich kann halt nicht den nächsten Aufzug nehmen, der ist kaputt. Das potenziert sich quasi dann. Und dann gibt es Projekte, also auch unter anderem eins von uns, das nennt sich Broken Lifts, wo wir in Echtzeit anzeigen, welche Aufzüge der U-Bahn und S-Bahn in Berlin gerade außer Betrieb sind. Und diese Informationen, die sollen auch jetzt Einzug erhalten in die Routennavigationsplanung. Kann komplex werden, aber ist eigentlich eine einfache Geschichte. Und das Interessante ist, dass die vom Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg uns gesagt haben, dass ein Aufzug im Prinzip auch ein Verkehrsmittel ist. Der einzige Unterschied ist, dass der Aufzug keine Abfahrtszeiten hat. Das ist aber interessant so zu denken und die hatten jetzt praktisch darüber nachgedacht, ob sie einfach das Verkehrsmittel Aufzug in ihr System einbauen, um die Software dann auch letztendlich in die Lage zu versetzen, das mit zu berücksichtigen.
Anja Hendel: Aber das ist im Endeffekt nur für Berlin. dann, diese Broken Lifts? Oder ist das schon eine deutschlandweite Alternative?
Raul Krauthausen: Also das Projekt gibt es momentan vor allem für Berlin. Wir arbeiten gerade an anderen Städten, je nachdem, wo die Daten halt vorliegen. Was die meisten Leute nicht wissen, ist, dass die Aufzüge, die wir in Deutschland haben, fast alle inzwischen digitalisiert wurden. Bisher landeten diese Infos halt einfach nur in der 3S-Zentrale, wo dann irgendwie Techniker losgeschickt wurden. Und jetzt denkt man halt eben auch darüber nach, ob man diese Daten nicht auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen kann. Und da arbeiten wir aber auch an einem Projekt mit Google zusammen, die ja auch diesen Global Public Transport Standard entwickelt haben. Und da letztendlich auch die Echtzeitinformation von Aufzügen mit einzubauen, weil wir glauben, wenn Plattformen wie Google und so weiter diese Daten anbieten, abbilden können, dann die anderen Anbieter vielleicht auch bereitwilliger sind, diese Daten überhaupt aufzubereiten, die sie haben.
Joel Kaczmarek: Weißt du, ich habe hier Leute sitzen, die kommen mir an mit, wir machen jetzt KI und Predictive Maintenance und kriegen es nicht mal hin, Daten, die sie vorliegen haben, Menschen, die sie dringend brauchen, zur Verfügung zu stellen. Wie ich so mit dir rede, denke ich, manchmal sollte man mal die CEOs von den Unternehmen in den Rollstuhl setzen, mal mit Klettverschluss hier die Beine festbinden und dann sollen sie mal ihre eigene Verkennung Verkehrsmittel nehmen, weil ich habe hier in Vorbereitung, da sind wir bei unserer zweiten Fragenhagelfrage, Zug oder Flugzeug, habe ich gelesen, dass die Lufthansa lange die einzige Fluggesellschaft war, die es Menschen mit Behinderung auf Interkontinentalflügen ermöglicht hat, auf Toilette zu gehen. Sonst war die Empfehlung, ja tragen Sie doch eine Windel.
Raul Krauthausen: Ja, also es ist Alles noch viel schlimmer. Letztes Jahr ist eine US-amerikanische Aktivistin gestorben bei der Landung oder beim Ausstieg, der Rollstuhl nicht da war. Und die Airline ihr dann einen anderen Rollstuhl, der natürlich überhaupt nicht auf sie angepasst war, zur Verfügung gestellt hatte, macht eine Menge Ärger. Und das hat ihren Körper so geschädigt, dass sie daran starb. Das ist auch der Grund, warum ich nicht gerne fliege, jenseits von Greta Thunberg und Co. Ich fliege nicht gerne, weil ich Angst um meinen Rollstuhl habe. Und es ist wirklich so, dass jedes dritte Mal irgendwas mit meinem Rollstuhl ist. Rad abgebrochen, ein Platten, irgendein Teil fehlt oder der Rollstuhl ist nicht da. Und wenn du dann aus dem Flugzeug aussteigst, musst du den, wenn du Pech hast, beim Sperrgepack abholen. Aber komm mal ohne Rollstuhl zum Sperrgepack. Das sind so erniedrigende Situationen, dass es sich für mich auch gar nicht lohnen würde, wenn ich EasyJet, Speedyboarding oder so buchen würde. Ich habe von diesen ganzen Angeboten überhaupt nichts. Entweder ich steige als Letzter ein oder als Erster, aber nicht mit den anderen. Wenn ich als Erster einsteige, was oft der Fall ist, ist es garantiert so, dass ich als Letzter aussteige. Das heißt, ich habe gar keine Zeit gewinnt. Die steigen deswegen als Letzte aus, weil dann das Flugzeug leer ist und die dann genug Zeit hatten, um den Rollstuhl aus dem Kofferraum nach oben zu bringen. Es gibt Konzepte schon auch seit Jahrzehnten, wie man Rollstühle auch an Bord ermöglichen könnte. Irgendwie mit dem Trolley da durch die Gänge fahren. Und das ist ja alles technisch nicht unmöglich. Im Zug geht es ja auch. Dass dann immer aus irgendwelchen komischen Sicherheitsaspekten gesagt wird, ja, es könnte ja was passieren. Aber auch da könnte man Standards entwickeln. Im Auto werden die Rollis ja auch festgemacht. Und ehrlich gesagt, wenn ein Flugzeug abstürzt, sind wir eh alle tot. Also es macht auch irgendwie diese Sicherheitsaspekte manchmal ein bisschen. Mensch mit Behinderung erst recht zu Außenseitern. Warum sollte einem Behinderten mehr passieren, als einem nichtbehinderten Fluggast? Fliegen im Rollstuhl ist wirklich der Horror. Und es ist egal, welche Airline, es gibt keine guten Airlines. Das wissen halt auch die wenigsten. Wenn ich mit dem Flugzeug fliege, ist das Personal, das dafür verantwortlich ist, dass ich ins Flugzeug komme, nicht die Airline. sondern das sind dann irgendwelche Dienstleister, die am Flughafen arbeiten. Wahrscheinlich alles prekäre Jobs auch. Da ist es egal, ob ich Lufthansa, Iberia oder Etihad fliege. Der Service ist immer gleich scheiße. Und es gibt einen Trick, den ich gelernt habe. Wenn du gelandet bist mit dem Flugzeug und dein Rollstuhl ist nicht da, weiger dich aus dem Flugzeug rausgetragen zu werden. Weil sobald du nämlich aus dem Flugzeug rausgetragen wirst, kann das Flugzeug weiterfliegen. Wenn du aber nicht weigerst, rausgetragen zu werden, wenn dein Rollstuhl nicht da ist, dann kostet es jede Minute die Airline Geld. Und das ist der einzige Weg, wie Airlines auch die Flughäften unter Druck setzen können, dass sie mal ihren Service geschissen bekommen. Und deswegen niemals aussteigen, wenn der Rollstuhl nicht da ist.
Anja Hendel: Das ist echt ein Armutszeugnis. Also über die Punkte, über die wir sprechen, das ist eigentlich unglaublich. Wir haben 2022. Erst jetzt müssen Haltestellen barrierefrei sein und sind es nicht, weil sie es nicht hinbekommen.
Joel Kaczmarek: Wie ist es im Zug?
Anja Hendel: Normale Mobilität, genau.
Joel Kaczmarek: Wie ist es bei Bahn?
Raul Krauthausen: Da kann ich auch Horrorgeschichten erzählen, aber die Bahn funktioniert in der Regel ein bisschen besser. Also wenn wir jetzt die Deutsche Bahn nehmen, ich rede jetzt mal nicht von FlixTrain, die sind wirklich am Mist. Also da kann es passieren, dass du ein Ticket buchst bei FlixTrain und dann eine Stunde vorher dir gesagt wird, ah nee, es gibt auch keinen Rollstuhlplatz an Bord. Aber hier hast du dein Geld zurück. Dann denkst du auch so, ja, es geht mir ja nicht ums Geld, sondern ich wollte ja irgendwo hin, ihr Penner. Sorry, dass ich so vulgär werde, aber mich regt das dann teilweise umso mehr auf, wenn ihr sagt, dass ihr entsetzt seid und wir eigentlich 2022 haben und so weiter. Und wie diese Issues seit Jahrzehnten thematisieren und es offensichtlich nicht bei Mainstream-Medien oder so ankommt, weil es einfach nie wichtig genug ist. Und wenn ihr es dann mal erfahrt, dann seid ihr geschockt. Und das ist sowas, was behinderte Menschen ihr Leben lang erleben. Sie sind immer so, ach krass, wusste ich nicht, oh wie schlimm. Und nachher, wenn wir den Podcast aufhören, dann geht jeder seines Weges weiter. Ich in meinen Problemen und ihr in euren Problemen. Aber es ändert halt wenig. Und das ist sehr, sehr frustrierend. Also wenn ich mit der Deutschen Bahn fahre, muss ich im Vorfeld bei einer früher kostenpflichtigen Hotline anrufen, dass ich von A nach B möchte. Und da muss ich mich auch an bestimmte Zeitfenster richten. Also wenn ich nach 22 Uhr in Göttingen ankommen sollte, kann mir der Ausstieg nicht gewährleistet werden, weil das Personal um 22 Uhr Feierabend macht. Das heißt, ich bin dann wirklich ohne Witz um 22.01 Uhr in Göttingen angekommen. Und dann haben die einen riesigen Terz gemacht, dass ich nach 22 Uhr angekommen sei. Und dann denke ich so, Alter Eine verfickte Minute. Darüber diskutiere ich nicht. Und ich stelle mich jetzt hier so lange in die Tür, bis ihr mich hier rausgeholt habt. Und wenn ihr den Typen aus dem Bett holen müsst, es darf nicht sein, dass behinderte Menschen, die genauso Ticketgeld zahlen. im Übrigen, ich habe eine Bahncard 100, aber ich habe nichts davon, spontan zu geisen, weil ich muss es immer mindestens 24 Stunden vorher anmelden. Und auch nur dann, wenn die gerade Bock haben, gefühlt.
Anja Hendel: Aber du hast gerade einen guten Punkt angesprochen. Ich meine, jeder geht zu seinen Wegs und ich höre ja einige Leute diesen Podcast. Was kann denn getan werden?
Raul Krauthausen: Also beim Thema Deutsche Bahn wüsste ich drei, vier Quick Wins, was man machen könnte, die Mobilität für behinderte Menschen erstmal komfortabler zu gestalten. Jeder Sitzplatz inzwischen im ICE hat die Möglichkeit des Self-Check-Ins, dass du da nicht mehr kontrolliert wirst. Kannst du am Rolliplatz ausgerechnet an dem nicht machen. Unbegründet warum. Ich könnte bei der Deutschen Bahn hinterlegen, ich habe ja einen Account, um meine Tickets zu buchen oder einen Sitzplatz zu reservieren, zu hinterlegen, dass ich eine Mobilitätseinschränkung habe und Hilfe brauche, würde mir beim Reservierungsprozess einfach ein Klick ausreichen, zu sagen, und ich brauche eine Einstiegshilfe, bitte organisiert das. Aber stattdessen muss ich also mir diese Zeiten merken, die Zugnummer merken und dann eine Hotline anrufen und dann beten, dass das funktioniert. Sonst kann ich den ganzen Prozess nämlich rückwärts wieder studieren. Also einfach Services nicht mit zu überlegen und mitzudenken und dann auch mal davon auszugehen, dass Rollstuhlfahrende Menschen auch vielleicht mal erste Klasse fahren wollen. Aber stattdessen ist der Rolliplatz in der zweiten Klasse direkt neben dem Kinderabteil, der in der Regel immer vollgestellt ist mit Kinderwägen. Und jetzt mit den neuen Anschaffungen der ICE 3 Neo, wo die Deutsche Bahn 40 Stück bei Siemens bestellt hat, sind es sogar zwei Rolliplätze weniger. Wo man denkt, was für ein Planet lebt hier eigentlich, dass wir in einer alternden Gesellschaft, wo immer mehr Menschen Mobilitätseinschränkungen haben, davon ausgeht, dass es weniger Menschen im Rollstuhl gibt. Das Interessante ist, wenn dann die Leute mit uns sprechen und wir das kritisieren, dass sie dann sagen, keine Ahnung, Siemens bietet diese Fahrzeuge nicht an. Und dann reden wir mit Siemens und dann sagen die, nee, wieso, wir können die ja bauen, hat uns nur jemand gefragt. Die reden auch nicht miteinander. Und das liegt daran, dass Menschen mit Behinderung in den Planungsprozess nicht einbezogen werden. Behinderte Menschen können immer erst dann am Ende mitreden, wenn alles schon gekauft und entschieden wurde. Und dann sind alle entsetzt, wenn sie sagen, nee, das ist ein Scheißprodukt. Aber wenn man von Anfang an sagen würde, okay Leute, was braucht ihr? Wie können wir das gestalten? Habt ihr Ideen, wie man das machen könnte? Dann ist es auch in der Anschaffung günstiger. Das kostet nämlich Siemens nicht mehr oder weniger Geld, zwei Rolliplätze mehr oder weniger einzubauen. Das ist einfach nur eine Designfrage. Und Design muss der Zug eh.
Joel Kaczmarek: Also ich habe mir schon vorgenommen, ich werde mal meinen Freund Daniel Kraus von Flixbus eine Sprachnachricht schicken und sagen, redest du mit den Leuten direkt, mit den Unternehmen?
Raul Krauthausen: Ja klar. Und dann sagen die immer, also gerade Flixbus und FlixTrain, die kommen damit durch, dass sie Fahrzeuge fahren, die alt sind. Also gerade bei FlixTrain kaufen die ja die alten Waggons, die mal zugelassen waren. Nein, die neue an, verkaufen den als neu. Und die sind nicht barrierefrei. Und dass das Verkehrsministerium die damit durchgehen lässt, ist ein Problem. Warum muss die Deutsche Bahn eigentlich mehr Barrierefreiheit einhalten, weil sie Züge neu anschaffen, aber FlixTrain nicht? Wieso dürfen wir den Altbestand so lange weiter benutzen, bis er auseinanderfällt, aber bei der barrierefreien Mobilität wird es nicht mitgedacht? Wie kann es sein, dass wir den Busverkehr liberalisiert haben, da vergessen wurde, sehr lange vergessen wurde, dass die Busse barrierefrei sein sollen? Das liegt unter anderem auch daran, weil natürlich dann Flixbus und Co. Subdienstleister wiederum beauftragen, die dann auch vielleicht diese Fahrzeuge gar nicht haben. Und dass überhaupt die noch produziert werden ohne Rampe oder Rollstuhlplatz, ist auch schon ein Teil des Problems. Ich habe wirklich keinen Bock mehr mit FlixTrain und FlixBus darüber zu diskutieren, was können wir denn machen, sondern nur noch darüber zu sprechen, bis wann kriegt ihr das hin. Weil dieses, was können wir denn machen, das haben wir euch schon tausendmal gesagt. Also ich habe jetzt richtig Bock darauf, die FlixTrain-Website durchzugehen und das Thema Barrierefreiheit durchzudiskutieren. Dann steht da drin Dein Rollstuhl darf nicht breiter sein als, nur wenn du selber laufen kannst. Solche Sachen stehen da drin. Und du musst irgendwie 72 Stunden vorher buchen. Da denke ich, fuck you. Niemand muss 72 Stunden vorher buchen. Damit ich eine Stunde vorher gesagt bekomme, ja, nee, geht doch nicht so. Ja, Arschloch. Sorry, wenn ich so vulgär werde, aber ich bin wirklich wütend.
Joel Kaczmarek: Ich mag Schimpfworte, aber ich glaube, bei Flix ist ja so das Thema, dass die halt, ich glaube, der Kern von der Geschäftsmodell ist kurzfristiges Beplanen von Ressourcen. Aber verstehe ich, dass es aus Nutzer-Sicht ein Riesenscheiß ist.
Raul Krauthausen: Aber ich meine, die Ressourcen müssten nur barrierefrei sein, dann kannst du es auch kurzfristig machen.
Joel Kaczmarek: Aber wie bewegst du dich denn eigentlich durch die Stadt, mal doof gefragt? Also du hast jetzt eben schon ein bisschen was erzählt von irgendwie S-Bahn und mit Fahrstühlen, aber wirst du gefahren? Was machst du, wenn du eigentlich mal schnell wohin musst? Auto, hast du gesagt, hast du nicht? Wie bewegst du dich denn eigentlich generell von A nach B?
Raul Krauthausen: Das hängt ein bisschen davon ab, wo ich hin muss. Also meistens fahre ich mit U-Bahn, S-Bahn, Bus. Selten mit der Straßenbahn, weil ich im Westen wohne. So zwei U-Bahn-Stationen fahre ich auch locker mal mit meinem E-Rolli zu Fuß, weil es dann, wenn ich den Aufzugzeit mit einberechne und so, manchmal schneller ist, zu Fuß zu gehen oder zu Rad zu fahren. Wenn die Sonne schreit, geht es auch. Mein Rollstuhl fährt 12 Stundenkilometer, ein bisschen langsamer als diese E-Roller, aber schneller als ein Fußgänger.
Joel Kaczmarek: Mal eine Frage dazwischen. Musst du dann auf dem Radfahrweg fahren? Brauchst du dann ein Nummernschild? Weil E-Roller war ja ein riesen Regulationsthema hier in Deutschland.
Raul Krauthausen: Ja, aber auch nur, weil die ständig irgendwo rumstehen. Rollis stehen ja in der Regel nicht irgendwo rum.
Joel Kaczmarek: Ja, wegen auf dem Bürgersteig fahren haben die sich ja mal in die Hose gelegt.
Raul Krauthausen: Ja, also ich muss nicht auf dem Radweg fahren. Ich darf auf dem Radweg fahren. Ich sollte nicht auf der Straße fahren. Dafür ist er vielleicht ein bisschen zu langsam. Aber da hat sich auch noch niemand beschwert, ehrlich gesagt. Wenn ich dann längere Strecken zurücklege, dann nehme ich eben den ÖPNV. Wenn ich richtig lange Strecken zurücklege in der Stadt, dann versuche ich irgendwie ein barrierefreies Taxi zu finden. Das nächste Problem ist, wir haben in Berlin 8000 Taxis, aber wenn wir Glück haben, nur 15 davon sind rollstuhlgerecht. Das heißt, ich muss drei Wochen vorher buchen. Und wenn ich in der Hotline anrufe, lachen die mich entweder in einem Callcenter aus und sagen, ja, nee, haben wir nicht. Oder die sagen, ja, müssen Sie drei Wochen vorher buchen. Oder die sagen, wissen wir gar nicht, welches Fahrzeug eine Rampe hat. Dann denkst du, okay, ist auch eigentlich nur ein Datenthema. Zumindest diese 15, die ihr habt, solltet ihr wissen, dass ihr sie habt. Eine App bringt mir auch nichts, weil ich kann zwar angeben, dass ich ein Kleintier transportieren möchte oder einen Kindersitz brauche oder einen Mercedes fahren will. Aber ich kann nicht sagen, ich brauche ein rollstuhlgerechtes Fahrzeug. Dass das geht, sehen wir aber in anderen Ländern. Toronto war ich mit meinen Kolleginnen, die auch eine Behinderung haben teilweise. Und wir konnten nachts um vier für vier RollifahrerInnen vier barrierefreie Ubers bestellen innerhalb von zehn Minuten. Dass Uber hier kein Angebot hat in Deutschland für barrierefreie Fahrzeuge, ist auch unter anderem der Grund, dass es gesetzlich nicht reguliert ist. Hier können die Leute machen, was sie wollen. Von Clever Shuttle, Moja bis hin zum Uber. Das ist alles nicht reguliert. Und all diese Anbieter sind nicht barrierefrei. Es gibt wenige Anbieter, die das sind. Zum Beispiel der Bergkönig oder Yoki. Aber die fahren eben dann auch oft nur so kleine Stadtgebiete und haben auch nur zwei, drei Autos. das dann natürlich auch schnell ausgebucht ist. Und das ist ein riesiges Problem und könnte man ganz ehrlich, glaube ich, relativ niedrigschwellig auch lösen, indem man zum Beispiel sagt, ein Taxi hält im Durchschnitt vier Jahre. Das heißt, wir könnten auch vor 2030 alle Taxis in Berlin barrierefrei kriegen, wenn wir mit der Zulassung arbeiten würden und sagen würden, okay, du kannst ein Taxi haben, aber dann muss es halt barrierefrei sein. Oder jedes zweite oder jedes vierte. Es wäre schon besser als 15 von 8.000.
Anja Hendel: Und in Kanada wurde das reguliert?
Raul Krauthausen: Genau, also in den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada gibt es so strenge Antidiskriminierungsgesetze, die im Zweifel verklagt werden könnten, wenn sie nicht barrierefrei sind.
Anja Hendel: Da merkt man auch ein bisschen die wenige Sensibilisierung, die Deutschland hat in dem Bereich.
Raul Krauthausen: Genau.
Joel Kaczmarek: Am Ende des Tages lerne ich so ein bisschen raus, der Faktor Geld, oder? Eigentlich kannst du nur da ansetzen, wo es schmerzt und du musst irgendwie ein bisschen zu zwingen.
Raul Krauthausen: Ja, und den Faktor Geld lasse ich auch nur bedingt gelten inzwischen. Brandschutz kostet auch Geld. Ja. Wenn wir den freiwillig machen würden, dann würde auch niemand Brandschutzregeln einhalten. Wenn es Gesetze gibt und die für alle gelten, für Flickstrain wie für die Deutsche Bahn, dann entsteht natürlich auch ein Markt und eine Industrie. Und dann überlegt man natürlich auch, okay, was sind denn effiziente Lösungen? Man sieht eine Menge. Also es gibt auch positive Beispiele. Ich bin in Berlin ja schon immer gewesen und ich erinnere mich noch, dass ich, als ich früher als Kind zur Schule wollte oder musste, kein Bus rollstuhlgerecht war. Und dann irgendwann hat man in den 90er Jahren damit angefangen, die Busse nach und nach auszutauschen. Aber nicht, weil sie rollstuhlgerecht werden sollten, sondern weil die Umweltauflagen der Innenstadt so streng wurden, dass diese alten Doppeldecker-Dreistufenbusse einfach nicht mehr erlaubt waren. Und da hat man halt neue Busse gekauft. Und diese neuen Busse hatten zufällig Hebelbühnen und Rampen. Das haben dann natürlich Menschen mit Behinderung mitbekommen und sind dann an der Bushaltestelle gestanden und wollten mitfahren. Dann haben die BusfahrerInnen sich am Anfang geweigert. Dann gesagt, ja nee, dafür bin ich nicht ausgebildet oder ich darf nicht aufstehen von meinem Sitzplatz, dann verlasse ich damit meinen Arbeitsplatz oder ich habe es im Rücken oder keine Ahnung was. Dann gab es diese hydraulischen Hebebühnen, die auch immer kaputt waren. Und wenn so eine hydraulische Hebebühne kaputt ist oder kaputt geht, während sie gerade ausgefahren ist, dann geht der ganze Bus nicht. Und das passierte früher wirklich oft. Und dann haben die halt irgendwann angefangen, die Arbeitsplatzbeschreibungen der BusfahrerInnen zu ändern und zu sagen, es ist nicht mehr dein Sitzplatz, dein Arbeitsplatz, sondern das ganze Fahrzeug. Wir tauschen die hydraulischen Hebebühnen durch Klapprampen, weil die gehen seltener kaputt ab. Du musst halt aufstehen. Und wenn du es im Rücken hast, dann hast du hier eine Stange, mit der du es rausziehen kannst. Oder du fragst einen anderen Fahrgast. Das heißt, irgendwann waren so viele Menschen mit Behinderungen an Bushaltestellen, dass dann die BusfahrerInnen wahrscheinlich durch die Begegnung realisiert haben, es kostet mich mehr Arbeit, mich zu weigern, als es zu machen. Davon profitiere ich im Moment sehr. Was nicht heißt, dass es nicht auch Scheißmomente gibt, aber ich würde sagen, 90 Prozent der Fahranfragen, die ich mit dem Bus habe, funktionieren.
Joel Kaczmarek: Aber es ist komisch, da merkt man ja auch mal die fehlende Empathie, die man hat, wenn man nicht betroffener ist, weil ich sehe das immer am Bus, wie dann immer? der Busfahrer muss vorne die Tür blockieren, dann schnauft der immer seinen Bauch so nach hinten raus, die Stange in die Hand, knallt das Ding um, dann fährt er rein, dann keucht er sich einen ab, zerrt das Ding wieder hoch, schnauft wieder nach vorne. Die Fahrgäste gucken so ein bisschen genervt. Ich hätte gedacht, ach, kann man Man kann es nicht technisch lösen, eine Rampe rausfahren. Dir wird ja auch das Gefühl gegeben, für dich muss jetzt gerade der ganze Bus warten. Also fair enough, dass das so ist, aber dass man das nicht so macht. Und dann lerne ich jetzt aber, nein, die Technik, denke ich, die man immer hat, ist viel beschissener, weil das irgendwie viel fehleranfälliger ist.
Raul Krauthausen: Ja, der ganze Preis Genau. Und es geht viel schneller, wenn der Busfahrer das selber ausklappt oder ein Fahrgast oder jemand, der mit der Person mit Behinderung unterwegs ist. Ich empfinde das gar nicht so sehr, wegen mir müssen die Leute warten und ich erlebe es auch nicht so, dass alle genervt sind, sondern es gibt schon auch oft häufig die Reaktion, ach wie cool, dass das geht. Ich saß neulich in einem Berlkönig hinten drin und dann stiegen auch drei andere nicht benette Fahrgäste in diesem Berlkönig ein. Und die haben gar nicht mitbekommen, dass ich schon drin saß. Und irgendwann stieg ich aus und dann drehten die sich um und sahen, wie der Busfahrer die Rampe ausgab und meinten, oh, das ist ja fantastisch. Die Menschen sind gar nicht so böse, wie sie glauben. Und BusfahrerInnen sind auch nicht immer nur genervt, sondern sie empfinden es dann vielleicht auch als Teil ihres Berufs oder Abwechslung. Nicht immer, aber hängt auch ein bisschen von der Linie ab. Also wenn du die M41 fahren musst, dann hast du wahrscheinlich eher die Arschkarte gezogen, als wenn du die 100er-Linie fährst.
Joel Kaczmarek: Ja, oder M19, M29, den Kuhabendlaken, wo gefühlt alles gedrängt ist. Das ist immer die Horror-Idee, die ich erlebe. Aber sag mal, glaubst du, mir fiel ja auf, dass du auch BusfahrerInnen sagst und so. Also du bist ja offensichtlich auch Diversity sensibilisiert. Fängt das auch bei Sprache an? Weil ich erinnere mich, ich hatte von Nova Meier-Henrich mal den Tant Schagler, heißt der, glaube ich, empfohlen. bekommen, habe mit dem telefoniert, das ist so ein Comedian, der irgendwie auch im Rollstuhl sitzt, aber er war nicht im Rollstuhl geboren, sondern er hat eine Krankheit entwickelt und wurde dann zum Rollstuhlfahrer und ich weiß, der macht immer so brettharte Witze, der kam dann immer an mit, ja, wenn ich getrunken habe und drei Promille, darf ich dann eigentlich noch Rollstuhl fahren oder müsste ich den Schlüssel liegen lassen? Das ist eine Fußgängerzone, darf ich mich da eigentlich durchbewegen? Und dann realisierst du so, wir diskutieren immer, ob das Fußgängerinnenzone heißen sollte, aber wir reden eigentlich nicht darüber, dass es Leute gibt, die sich durch diese Zone bewegen, die nicht zu Fuß laufen. Weißt du, was ich meine? Also ist das ein Thema?
Raul Krauthausen: Ja. Ja klar, Sprache ist ein Thema bei Fußgänger, FußgängerInnen. Das wäre mir jetzt echt egal. Ich sage ja auch, ich gehe da hin. Schlimmer finde ich, wenn, keine Ahnung, ich im Zug sitze und dann muss der Zug irgendwie wegen mir eine Minute länger warten, weil die Hebebühne besorgt werden muss und dann die Ansage kommt, ja, die Abfahrt verzögert sich um wenige Minuten, wir haben hier noch einen Rollstuhl. Da hat niemand zu interessieren, dass der Zug wegen mir halten muss, sondern der Zug muss wegen euch halten, weil ihr euren Service nicht hinbekommt. Außerdem bin ich nicht der Rollstuhl, sondern es ist in der Regel eine Person, die einen Rollstuhl fährt, da immer, wo will der Rollstuhl denn raus? Keine Ahnung, ich habe ihn nicht gefragt, aber ich will irgendwo raus. Dass man dann natürlich auch entsprechend stigmatisiert und nicht ernst genommen wird. Gäbe es Menschen mit Behinderung im Betrieb, bei der BVG, bei der Deutschen Bahn, in der Planung, in der Ausbildung der FahrerInnen, wäre das wahrscheinlich auch was ganz anderes.
Joel Kaczmarek: Sag mal, jetzt ist es so, wir reden jetzt ganz viel über Missstände und meckern und Dinge ankreiden kann ja jeder, aber du machst ja auch ganz viel. Also Sozialhelden hast du schon mal angesprochen, Wheelmap. Erzähl doch mal ein bisschen, was du für Aktivitäten startest, um Dinge zu verändern, weil vielleicht hören jetzt ja auch Menschen zu, die sich fragen, was kann man dagegen tun?
Raul Krauthausen: Ja, also wir haben halt vor 10, 12 Jahren die Online-Plattform Willmap gegründet. Das ist die Online-Karte für rollstuhlgerechte Orte. So eine Art Google Maps für Menschen im Rollstuhl, wo man in Echtzeit herausfinden kann, welches Café, welches Restaurant ist in der Nähe. Seit neuestem auch, welche Aufzüge des ÖPNV sind gerade außer Betrieb. In Berlin-Brandenburg zumindest. Und all das zusammen soll eigentlich Menschen mit Behinderungen in die Lage versetzen, im Vorfeld herauszufinden, ist der Ort gut. wo ich hin will, überhaupt zugänglich. Weil da kann ich mir sonst auch den Weg nämlich sparen. Das Problem an der Sache ist, dass wir dadurch noch keinen einzigen Ort zugänglicher gemacht haben. Wir weisen im Prinzip nur auf die Missstände hin. Wir haben einen Online-Shop, wo wir Rollstuhlrampen verkaufen, womit wir kleine Cafés, Shops mit ein, zwei Stufen am Eingang theoretisch zugänglicher machen könnten, solange der Gesetzgeber, die Gesetzgeberin nicht von selber auf die Idee kommt, Betriebe und Unternehmen zu verpflichten. Und so eine Rampe kostet so 200 und 300 Euro, je nach Länge. Wenn sich ein Café, ein Restaurant diese Rampe nicht leisten kann, ganz ehrlich, dann hat sie auch grundsätzlich ein betriebswirtschaftliches Problem. Ich sage das so hart, weil wenn wir über Rampen reden, ist es ganz oft so, dass wir davon ausgehen, dass die Person mit Behinderung die Rampe mitbringen sollte. Das siehst du alleine daran, dass ein Café bei einer Krankenkasse oder beim Sozialamt nicht beantragen kann, dass es eine Rampe braucht. Die Rampe hängt ja immer an der Person, die es braucht, aber nicht an der Location, die nicht barrierefrei ist. Sobald ein Produkt von der Krankenkasse bezahlt werden kann, kosten diese Dinge auch das Zehnfache. Macht natürlich den Markt auch kaputt. Wir haben gesagt, okay, dann lassen wir doch Rampen verkaufen, die erschwinglich sind, ohne dass die Krankenkasse da irgendwie mit involviert wird. Und dann quasi gleich in Cafés und Restaurantbesitzer ranzugehen, zu sensibilisieren, sich eine zu kaufen. Das funktioniert ganz okay, ist aber auch nur eine Brückentechnologie bis zu dem Zeitpunkt, wo wir auch den Altbestand von Gebäuden, zumindest was öffentliche Orte angeht, wie Restaurants, Cafés, Geschäfte verpflichten, barrierefrei zu werden.
Joel Kaczmarek: Das war gar nicht reguliert eigentlich in Deutschland?
Raul Krauthausen: Wir regulieren ja sonst mal alles. Ja, es gibt sogar absurde Geschichten in Berlin, dass es Restaurants gibt mit einer reutengerechten Toilette im Keller ohne Aufzug. Wo man dann auch denkt, ja okay, wer das überhaupt zugelassen hat? Das ist dann das nächste Problem, dass sobald etwas zugelassen wurde, ist dann derjenige, der den Laden betreibt oder der den Laden gebaut hat, nicht mehr in der Haftung. Das heißt, wir haben auch ein Zulassungsproblem. Ein Kontrollproblem. Also wenn wir das Ganze mal so ernst nehmen würden wie Brandschutz, wo wir dann locker mal den BER-Flughafen um zwei Jahre später eröffnen können, weil der Brandschutz nicht eingehalten wurde. Wenn wir das machen würden mit dem Bezug Barrierefreiheit, dann wären wir natürlich noch einen ganzen Schritt weiter.
Joel Kaczmarek: Mal eine flapsige Frage als Unternehmer. Sind Menschen mit Behinderung eigentlich eine attraktive Zielgruppe, sonst so einen Service mal zu starten? Also wenn du hingehen würdest und sagst, ich mache jetzt hier irgendwie mal einen Taxi-Shuttle-Service in Großstädten, die auf Menschen mit Behinderung ausgerichtet sind, steckt da eigentlich sonst auch Geschäftspotenzial drin?
Raul Krauthausen: Wir sagen im Durchschnitt, dass 10% der Gesellschaft eine Behinderung hat. Tendenz steigend. Behinderte Menschen sind die schnellste wachsende Minderheit der Welt. Weil wir als Gesellschaften immer älter werden und auch weil die medizinische Versorgung von erkrankten oder behinderten Menschen besser wird. Das heißt, sie leben länger. Ich gehöre zu einer der ersten Generationen, die meine Eltern überleben werden. Als Mensch mit Behinderung. Davor, schlimmerweise, sind sie im Zweiten Weltkrieg alle getötet worden. Oder aber die medizinische Versorgung war nicht entsprechend gut, dass man mit Behinderung alt werden konnte. Das heißt, hier passiert schon gerade auch etwas, wo eine Menge Menschen mit Behinderung auch sichtbarer werden, auch in den Medien, durch Social Media und so weiter und so fort, dass es sicherlich früher oder später ein Geschäftsmodell wird. Und es ist ja auch so, dass an behinderten Menschen unglaublich viel Geld verdient wird. Wir bräuchten halb so viele Apotheken, wir bräuchten halb so viele Betriebe. medizinische Produkte, wenn es Menschen mit Behinderung nicht gerne. Und da verdienen sich ja auch eine Menge Menschen eine Menge Geld mit. Meistens nicht behinderte Menschen im Übrigen. Das heißt, behinderte Menschen immer nur als Kostenfaktor zu sehen, ist insofern eben auch problematisch. Und wahrscheinlich wird es dann ein Geschäftsmodell, wenn ich nicht ständig Sonderlösungen bauen müsste. Weil die Praxis nicht barrierefrei sind, gibt es extra Fahrdienste für Behinderte. Die sind in sich wahrscheinlich nicht gewinnorientiert. beziehungsweise sind sie schon, aber machen keine Gewinne oder wenn, dann sehr wenige. Wenn wir aber die Ressourcen bündeln würden und sagen würden, okay, ab sofort ist einfach jedes zweite oder jedes Fahrzeug barrierefrei von Anfang an, dann kostet es ja auch erstmal nicht mehr, amortisiert sich dann vielleicht nach ein paar Jahren. Wenn dann die Deutsche Bahn insgesamt mehr Platz hätte für Kinderwägen und Rollstuhlfahrende, dann profitieren alle davon. Wir diese ganzen Lösungen nicht immer nur als Sonderfahrdienste betrachten würden, sondern als inklusive Mobilität. Wir nehmen mal die BVG, ja? Die neue U-Bahn kann ich ohne Stufen einsteigen. Es hat niemand mehr Aufwand, wenn ich stufenlos alleine selbstbestimmt ein- und aussteigen kann. Den Aufzug kann ich selber bedienen. Das kostet erstmal kein Geld. Aber den Aufzug und die U-Bahn benutzen zu 90% nichtbehinderte Menschen. Das heißt, es geht gar nicht um die Minderheit, die irgendwo mitmachen will. Es geht vor allem auch um die Mehrheit, der ein stufenloser Einstieg auch das Leben erleichtert. Es gibt Untersuchungen, die sagen, dass die Drogeriemarktkette DM, sie hat vor Jahren mal ihre Filialen modernisiert, basiert auf einer Untersuchung, wo sie herausgefunden haben, dass jede Stufe am Eingang und jede nicht automatisch öffnende Tür oder Drehkreuz 10% weniger Kunden bedeuten kann. Gucken wir uns mal DM-Filialen an, die sind super breit, die Türen gehen automatisch auf, es ist super hell, es gibt viel Platz und die Drehkreuze sind weg. Jetzt sagen die Leute, ja, dann wird ja aber auch mehr geklaut. Und dann sagen die, ja, aber es wird auch mehr gekauft. Und Diebstahl wird immer auf den Preis aufgerechnet. Und es ist günstiger, wenn mehr gekauft wird, als wenn weniger gekauft wird und trotzdem geklaut. Spannend.
Joel Kaczmarek: Am meisten tut mir nur leid, dass du wahrscheinlich dieses Gespräch vier, fünf Mal die Woche führst und seit zehn Jahren, 20 Jahren, weiß ich nicht, wie lange du zugucken musst und sich nicht viel ändert. Wie bewahrst du dich eigentlich vor Depressionen?
Raul Krauthausen: Ach, das geht. Da gibt es schon noch genug andere Themen, die mich begeistern und mir Freude bereiten. Ich rede ja auch gerne, ihr merkt ja, ich bin ja auch leidenschaftlich und habe vielleicht jetzt auch schon Wordings gefunden, die ich nicht zum ersten Mal sage. fällt halt auf, dass ich für mich auch gedanklich weiterkomme, je öfter ich darüber rede. Also zum Beispiel bestimmte Dinge nicht mehr zu diskutieren. Die Kostenfrage. Früher habe ich das immer diskutiert. Ja, stimmt, teuer und so. Aber ganz ehrlich, wenn ich ein Gebäude baue, ich diskutieren würde, ob ich eine Frauentoilette einbaue, die mehr Platz braucht als ein Pissoir und es auch Kosten sein können am Ende, dann mache ich mich ja zum Arschloch. Bei der Rollstuhltoilette diskutieren wir das aber noch. Und dann ist meine Frage, warum waren wir nicht alle Toiletten eigentlich rollstuhlgerecht? Dann haben wir die Debatte halt auch gar nicht. Und wir alle freuen uns, wenn wir nicht in irgendwelchen Telefonzellen kacken müssen. Wenn da ein bisschen mehr Platz ist. Und Männer haben auch ein Recht darauf, ihr Kind zu wickeln. Und nicht nur Frauen. Also Wickeltische auch auf Männertoiletten anzubieten. Da kommen wir gesellschaftlich auch weiter. Und ohne einmal über Kosten gesprochen zu haben. Und es macht auch Sinn. Brandschutz ist auch teuer. Denkmalschutz ist auch teuer. Und trotzdem leisten wir uns den Scheiß.
Joel Kaczmarek: Gut, also mir hat es heute viel Spaß gemacht. Also ich weiß nicht, wie es Anja geht. Ich glaube, ein bisschen hatten wir beide auch Angst, oder?
Anja Hendel: Auf jeden Fall Respekt. Das ist ein Thema, wo man halt in seiner Realität weniger halt Wirkungspunkte hat, wie bei anderen Mobilitätsthemen. Und dann natürlich öffnet es einem die Augen. Aber wie immer, man lernt dann am allermeisten.
Raul Krauthausen: Also ich würde vielleicht, du hattest mich ja vorhin noch gefragt, was ich so den Leuten mitgeben will, die diesen Podcast hören. Je nachdem, in was für Unternehmen ihr sitzt und arbeitet oder wie euch das Thema betrifft, bezieht Menschen mit Behinderung von Anfang an ein und nicht erst am Ende zum Gutfinden eurer Ideen, wenn alles schon entschieden und bezahlt wurde. Und erwartet dann zumindest keinen Applaus. Bezahlt Menschen mit Behinderung für ihr Wissen, weil was nichts kostet, ist nichts wert. Das ist eine ganz wichtige, doofe Erfahrung, die ich gemacht habe. Aber sobald ich Geld genommen habe für meine Beratung, schicken ja auch nicht mehr ihre PraktikantInnen, die Kunden, sondern eben die Geschäftsführung. Das ist eine ganz doofe Lehre, die ich auch überhaupt nicht mag, weil ich den Kapitalismus auch kritisch sehe. Wenn das der Weg ist, dann müssen wir es wohl leider so geben. Denn nur weil du einen behinderten Menschen gefragt hast, heißt das nicht, dass er Experte ist. Suche dir ExpertInnen, die mit Behinderung leben und nicht irgendjemanden, den du auf der Straße gefischt hast. Machen wir bei Brandschutz ja auch nicht. Aber wir alle haben eine Meinung zum Brandschutz-Thema. Überlegt euch, wenn ihr mit Daten handelt oder arbeitet, Wo sind hier behinderte Menschen mitgedacht? Das ist wirklich ein Problem, weil als wir in Berlin Car2Go-Einführungen hatten, das waren alles Zweisitze, erinnert ihr euch? Die Personen, die aber von sowas wirklich profitieren würden, wären Familien, die meistens drei oder vier Sitze bräuchten. Und wenn man sich fragt, woher kommt das eigentlich, dann liegt das daran, dass von der kompletten Entwicklung dieser Produkte wahrscheinlich nur Männer beteiligt waren oder Kinderlose. Dann irgendwann hat man das wahrscheinlich erkannt und jetzt gibt es irgendwie auch Viersitzer und Fünfsitzer und Kindersitzer und keine Ahnung was, aber das brauchte seine Zeit. Und das hätte man alles vermeiden können, wenn man von Anfang an eben diese Menschen mit einbezogen hätte. Überlegt euch, habe ich Leute in meiner eigenen Belegschaft mit Behinderung? Dann frage ich die zuerst. Was würde euch gefallen, was unser Produkt könnte? Welche Daten habe ich über die Fahrzeuge? Wenn ihr barrierefreie Fahrzeuge habt, sorgt dafür, dass sie auch bei den Schnittstellen ankommen, die diese Daten verarbeiten und verbreiten und an die NutzerInnen bringen. Also wenn ich auf FreeNow sehen könnte, dass ich ein rollstuhlrechtes Taxi buchen kann, dann würde ich es auch buchen. Aber die bei FreeNow sagen, wir wissen gar nicht, welche Fahrzeuge mit Rampel gerade aufgeflottet sind. Weil die Daten nicht gesendet werden. Obwohl es die Fahrzeuge gibt, gibt es hier eine Kommunikationsstörung. Also ein barrierefreies Auto zu haben, heißt noch nicht, dass der Kunde davon erfahren hat. Diese letzte Meile zu gehen und mitzudenken, ist wirklich entscheidend. Gerade wenn wir wenige Produkte haben.
Anja Hendel: Wir neigen immer dazu, zu überschätzen, was man in einem Jahr hinbekommt und zu unterschätzen, was man in zehn Jahren hinbekommen kann. Was denkst du denn, wie barrierefreie Mobilität in fünf Jahren aussieht?
Raul Krauthausen: Also ich hoffe, dass wir in fünf Jahren in Berlin zumindest nicht mehr so oft die Frage stellen müssen, hat die Station einen Aufzug? Seit wenn ich mich mit Freunden treffe, wir gemeinsam die gleiche Strecke gehen können und nicht grau eine halbe Stunde vorher los muss. Davon gehe ich aus, das ist auch erreichbar. Ich würde mich sehr wenn ich auf MyTaxi oder Freenow ein barrierefreies Taxi buchen könnte. Auch das sollte in fünf Jahren machbar sein. Und dass das geht und dass da teilweise auch Wille existiert, sehen wir ja zum Beispiel an der Einführung des Berlkönigs, der von Stunde 1 im Übrigen barrierefreie Fahrzeuge hatte. weil sie zur BVG gehören und weil die BVG halt auch das wichtig findet. Vielleicht auch aus ethischen Gründen wichtig findet und nicht nur, weil sie es müssen. Und es gibt ein Angebot, das haben wir noch gar nicht thematisiert in der Stadt, das nennt sich Bärlmobil, der frühere Sonderfahrdienst. Ein extra Angebot, das Berlin geschaffen hat für Menschen mit Behinderungen, die nicht Taxi fahren können, weil sie nicht barrierefrei sind, oder aber die irgendwo hin müssen, wo die U-Bahn-Station nicht barrierefrei ist, gibt es den sogenannten Sonderfahrdienst. Den musste ich auch drei, vier Tage vorher buchen und und hatte dann so ein Zeitfenster von plus minus einer Stunde, wo er mich abgeholt hat. Der wurde neu ausgeschrieben und diese Ausschreibung haben wir mit begleitet und haben dann letztendlich dafür gesorgt, dass dieses Angebot jetzt auch eine App hat, dass ich dann auch mobil buchen kann, dass ich spontan buchen kann, die Fahrzeuge vielleicht ein bisschen moderner sind und dass der Betreiber inzwischen der gleiche ist, der auch den Weltkönig betreibt. Also wir werden und da natürlich auch ganz viele Ressourcen, Bindungen und auch Synergien entstehen können, die vorher nicht mitgedacht wurden. Und dieses Angebot ist wirklich, ich würde sagen, um den Faktor 1000 besser als das, was es vorher gab.
Anja Hendel: Die letzte Frage, die ich hätte, wäre, ob Sie mir den folgenden Satz vervollständigen könntest, nämlich Mobilität bedeutet für mich
Raul Krauthausen: Also kitschig wäre es jetzt zu sagen Freiheit, aber Mobilität bedeutet für mich auch Selbstbestimmung und Teilhabe, Menschen zu begegnen, die ich mag. Wenn die Mobilität nicht gewährleistet ist, bleibe ich halt zu Hause und treffe keine Menschen.
Joel Kaczmarek: Hey, Raul, danke für deine Horizontarbeitung hier. Sehr bereichernd.
Raul Krauthausen: Sehr gerne.
Outro: Danke fürs Zuhören beim Digital Kompakt Podcast. Du merkst, hier ziehst du massig Wissen für dich und dein Unternehmen heraus. Wenn du mit uns noch erfolgreicher werden möchtest, abonniere uns auf den gängigen Podcast Plattformen. Und hey, je größer wir werden, desto mehr Menschen können wir helfen. Also erzähl doch auch deinen Kolleginnen und Kollegen von uns. Bis zum nächsten Mal.