Die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE)

24. Juni 2018, mit Joel Kaczmarek

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Joel Kaczmarek: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen Legal- und Text-Podcast von digitalkompakt. Mein Name ist Jörg Kaczmarek und heute geht es um die SE. Wer jetzt denkt, das ist irgendwie so eine Art Funkkürzel für Schweden oder hat irgendwie was mit dem Supermarkt zu tun, weit gefehlt. Das ist eine Rechtsform, wenn man so möchte, und eine, die auf europäischer Ebene Anwendung findet. Wenn ich es richtig mitgeschnitten habe, ich habe immer Société Européenne gesagt, aber ich musste lernen, dass das eigentlich eher Lateinisch ist, was auch mehr Sinn macht. Das ist ja so ein bisschen globaler. Frankreich wäre jetzt schon wieder ein bisschen in eine Richtung. Also Société. Und wie ist der zweite Teil dann?

Martin Schaper: Europäer.

Joel Kaczmarek: Europäer. Da liest du fast 50 Prozent richtig. So reden die Kinder, die zweite Fremdsprache Französisch hatten. Man hat gerade schon gemerkt, ich sitze nicht alleine hier, was glaube ich nicht überrascht, weil jetzt mein SE-Wissen, was so Corporate Governance Strukturen und Co. angeht, überschaubar ist, sondern ich bin in kompetenter Begleitung. Stell dich doch mal bitte ganz kurz vor.

Martin Schaper: Ja, hallo. Mein Name ist Martin Schaper. Ich bin Rechtsanwalt hier bei Schnittger Möllmann Partners für den Bereich M&A, aber eben auch für den Bereich Aktien- und SE-Recht zuständig. Und ich freue mich heute hier zu sein.

Joel Kaczmarek: Ich mache ja anfangs immer gerne zwei kurze Disclaimer, nämlich einerseits, dass wir hier natürlich keine Rechtsberatung machen, was bei der Fülle dieses Themas aber auch gar nicht so überraschend sein dürfte. Also Ich glaube, da braucht man viele Anwaltsstunden, um eine SE in der Tiefe zu verstehen. Und dass wir wirtschaftlich auch zusammenarbeiten, was uns aber nicht davon abhalten soll, hypertollen Content zu machen. So, that being said, was genau ist so eine SE? Wenn du das abends deinen Unternehmerfreunden, die irgendwie erfolgreiche Unternehmer sind, erklärst, wie beschreibst du dann eine SE?

Martin Schaper: Eine SE, wie der Name schon sagt, ist eine europäische Aktiengesellschaft. Also sie ist eine europäische Rechtsform, was daran deutlich wird, dass das rechtliche Grundgerüst der Rechtsform durch die europäische SE-Verordnung vorgegeben ist. Es ist aber auch eine Aktiengesellschaft und das wird daran deutlich, dass all diejenigen Bereiche, die nicht durch die SE-Verordnung geregelt sind, durch mitgliedstaatliche, aktienrechtliche Vorschriften ausgeführt sind. Das sind zum einen spezielle SE-Gesetze, die in den Mitgliedstaaten erlassen werden, aber es ist auch das ganz allgemeine Aktienrecht, was ebenso für die nationalen Aktiengesellschaften Anwendung findet. Also bottom line. Eine auf die SE findet neben dem europäischen Recht auch zu einem Großteil nationales Aktienrecht Anwendung. Und zwar das Aktienrecht desjenigen Staates, in dem sich der Sitz der SE befindet. Was auch dazu führt, was ganz bemerkenswert ist, dass wenn der Sitz der SE verlegt wird, zum Beispiel von Deutschland nach Frankreich, dass sich damit auch das subsidiär zur SE-Verordnung anwendbare nationale Recht ändert.

Joel Kaczmarek: Okay, also ich deute das jetzt mal in meinem dummen Deutsch und du korrigierst mich, wenn ich mich irre, so, dass das eine Art EU-Kompromiss ist, also eine Rechtsform, die europaweit Anwendung findet. Gewisse Faktoren sind europaweit gleichgeschaltet, also in der Regelung und manche Faktoren variieren. Also ein bisschen so, Bayern München spielt in der Champions League, manche Regelauslegung würde jetzt irgendwie die UEFA machen und manche Regelauslegung irgendwie die DFL, also die deutsche Fußballliga. Das heißt, jeder Mitgliedsstaat oder der Staat, in dem ich mich befinde, das Aktienrecht dort hat sozusagen nochmal einen Impact darauf, wie ich mit so einer SE arbeiten muss.

Martin Schaper: Absolut, genau.

Joel Kaczmarek: Okay. Magst du mal ein bisschen was zu Zahlen sagen? Also ich habe mitgeschnitten, 2004 ist irgendwie die SE ins Leben gerufen worden. Wahrscheinlich hast du da nur so eine Handvoll Firmen. Wie viele gibt es jetzt? Vielleicht hast du auch ein paar prominente Beispiele, die wir dann im Laufe des Gesprächs immer mal wieder antickern können.

Martin Schaper: Vollkommen richtig. Seit 2004 kann man die SE wählen oder gründen, besser gesagt. Am Anfang, aller Anfang ist schwer, gab es nur sehr wenig SE-Gründungen. Den wirklichen Startschuss haben damals eigentlich die Allianz SE und die Strabag SE mit sehr prominenten SE-Gründungen gemacht. Und in der Folgezeit sind die Gründungszahlen dann rasant gestiegen. Also mittlerweile ist man europaweit bei über 3000 SE-Gründungen, wobei man dazu sagen muss, Einige dieser SEs auch operativ nicht tätig sind. Einige dieser SEs sind dann sogenannte Vorrats-SEs, die mit wenigen Arbeitnehmern oder gar keinen Arbeitnehmern. In Deutschland sind über 500 SE gegründet worden bis heute. Damit ist, was die operativen SE in Europa angeht, Deutschland der absolute Spitzenreiter. Und auch da kann man in den letzten Jahren eigentlich eine Entwicklung sehen bei den Unternehmen, die sich für die SE entscheiden. Während das Mitte der 2000er noch die großen Corporates waren, die hin und wieder zur SE gegriffen haben, ist in der Folgezeit sind auch Mittelständler zunehmend dazu übergegangen, die Rechtsform der SE zu wählen. Aber eben auch Growth Companies und schnell wachsende Startups oder E-Commerce-Unternehmen. Prominente Beispiele sind da sicherlich Zalando SE, Rocket Internet SE, HelloFresh SE oder auch Windeln.de.

Joel Kaczmarek: Ja, ich kriege immer die Pressemitteilung von denen. Xing, stimmt, habe ich sogar auch mal gelesen, auf meinen Rechnungen steht irgendwie SE. Genau. Wenn ich da im Premium-Mail-Shop hier als Patriot zahle. Zalando Rocket in der Tat. Ich kriege da jetzt auch immer E-Mails von Lichtblick. Da habe ich auch gestaunt. Man muss nicht börsennotiert sein, um eine SE zu sein, schließe ich daraus.

Martin Schaper: Vollkommen richtig. Es ist, wie du schon richtig gesagt hast, eine börsenfähige Rechtsform. Also man kann mit der SE an die Börse. Es ist aber keine Voraussetzung und es haben sich auch zahlreiche nicht indexgelistete Unternehmen für die SE entschieden. Aber sie ist ebenso in allen großen Indizes DAX, MDAX, SDAX durch mehrere Unternehmen vertreten.

Joel Kaczmarek: Gut, also wenn wir jetzt mal noch ein paar Namen droppen, also wir hatten jetzt Zalando, Rocket, HelloFresh, Xing, DeliveryHero, Windeln.de, also unter den Startups, da werden wir bestimmt nochmal welche aufgreifen. und so Axel Springer, BASF, ProSieben, Sat.1, Puma, Sixt, Allianz sind so ein paar größere Börsennotierte, die da noch mit reinfallen. Und ich sage mal von den Ländern her, also Deutschland Platz 1, witzigerweise habe ich gelernt, Tschechien ist irgendwie das zweitgrößte und habe mich schon von dir belehren lassen, dass das teilweise mit diesen Vorratsgesellschaften zu tun hat. Rocket war ja früher immer ein größer Fan, wenn die gegründet haben, hatten die immer so Vorrats GmbHs und die sind dann so Blitz und Kristall oder irgendwie so ähnlich, also alle so gleich genannt, die sie dann umbenannt haben. Ist Tschechien so ein bisschen das Delaware irgendwie von Europa, dass man da so viele Vorratsgesellschaften hat?

Martin Schaper: Ja, das vermutet man. Genau weiß man nicht, was der Hintergrund hinter den zahlreichen nicht operativ tätigen SE in Tschechien ist. Ich muss aber auch dazu sagen, in der Praxis ist mir noch keine Vorrats-SE aus Tschechien untergekommen. Insofern glaube ich, ist der praktische Nutzen dieser Vorrats-SE doch eher überschaubar.

Joel Kaczmarek: Gut, so jetzt hört da jemand zu und fragt sich, gut, das ist irgendwie europäisch anwendbar, das könnte schon mal ein erster Grund sein, die zu benutzen, dass die vielleicht auf Europaebene gut anwendbar ist. Aber was sind denn ansonsten so die Gründe, warum man eigentlich eine SE als Gesellschaftsform wählt?

Martin Schaper: Ja, gute Frage. Also das eine Thema oder den einen Punkt hatten wir schon gestreift, das ist eine börsenfähige Rechtsform. Insofern für Unternehmen, die an die Börse streben, ist die SE immer eine Rechtsform, die bei der Wahl der richtigen Rechtsform sicherlich berücksichtigt werden sollte. Dann, auch das hattest du schon angedeutet, das europäische Image der SE ist ein Grund, warum sich Unternehmen für die SE entscheiden, um eben ihre internationale Ausrichtung, ihre europäische Ausrichtung auch nach außen hin deutlich zu machen. Ein weiterer Grund sind die Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf Corporate Governance.

Joel Kaczmarek: Was ist denn das eigentlich? Für Leute, die das nicht kennen, dieser Begriff Corporate Governance, vielleicht kannst du mal einen Satz erklären.

Martin Schaper: Also Corporate Governance bedeutet bei einem Unternehmen die Leitungsstruktur, die Organisationsverfassung, wie das Unternehmen aufgebaut ist. Und da bietet die SE, anders als die deutsche Aktiengesellschaft, eine Option, nämlich man kann zwischen der sogenannten dualistischen Organisationsverfassung und der monistischen Struktur wählen. Die dualistische Struktur ist eigentlich weitgehend parallel zur deutschen AG. Das heißt, neben der Hauptversammlung gibt es einen Aufsichtsrat. Die Aufsichtsratsmitglieder werden von der Hauptversammlung bestellt, gewählt. Und die Aufsichtsratsmitglieder bestellen wiederum die Vorstandsmitglieder und überwachen auch die Tätigkeit des Vorstands. Man nennt es dualistisch, weil eben Kontrollfunktion und Leitungsfunktion auf zwei Organe, neben Aufsichtsrat und Vorstand, aufgeteilt sind. Der Unterschied zur monistischen Struktur besteht darin, dass eben in der monistischen Struktur diese Leitungs- und Kontrollfunktionen in einem Organ vereint ist, nämlich in dem Verwaltungsrat. Warum entscheidet man sich dann für die monistische Struktur? Es ist zum einen für Investoren, die mit der deutschen dualistischen Struktur nicht vertraut sind, also zum Beispiel US-Investoren, die eben mit dem dualistischen immunistischen System besser vertraut sind, kann es ein Grund sein, dass sie sich dafür einsetzen, dass auch ihre Company in Deutschland nach dem ihm bekannten Aufbau aufgebaut ist. Es kann aber auch Gründe haben, dass man sagt, man möchte keine Trennung zwischen den Organen haben. Und man kann eben bei der monistischen Struktur auch noch eine zweite Ebene einführen, nämlich die sogenannten geschäftsführenden Direktoren, die dann auf die Weisungen und Vorgaben des Verwaltungsrats hin die täglichen Geschäfte der SE ausführen.

Joel Kaczmarek: Okay, also fassen wir nochmal ganz kurz zusammen. Tolles Image, börsenfähig und diese Corporate Governance Struktur. Wie ist so die Verteilung? Also kann man so grob irgendwie einen Schnitt sagen, wie viele sind irgendwie eher deutsch-dualistisch, wie viele sind eher amerikanisch-monistisch?

Martin Schaper: Also die Verteilung ist etwa zwei Drittel der SE sind dualistisch strukturiert, ein Drittel der SE ist monistisch strukturiert.

Joel Kaczmarek: Die ganzen Internetguys, die wir jetzt schon mal so erwähnt hatten, Rocket, HelloFresh und Co., sind die alle auch eher dualistisch oder auch mal ein paar monistisch dabei?

Martin Schaper: Also ich kann jetzt nicht für alle sprechen, aber überwiegend sind auch die dualistisch strukturiert.

Joel Kaczmarek: Was ist denn so mit dem ganzen Thema, dass Mobilität irgendwie ein Thema ist? Wenn du auch gesagt hast, man kann die umziehen nach Frankreich und dann hat man auf einmal französisches Recht, was Anwendung findet in Teilen, also neben diesem europäischen Recht. Ist das auch ein Grund, der irgendwie immer zur Wahl von so einer SE sozusagen verführt? oder ist das gar nicht so relevant, wie man vielleicht denken mag?

Martin Schaper: Ja, gerade früher in der Anfangszeit der SE war die grenzüberschreitende Mobilität einer der wesentlichen Gründe für die SE. Denn man konnte nationale deutsche Rechtsformen nur sehr begrenzt den Sitz über die Grenze verlegen. Die SE hingegen bietet diese Möglichkeit, auch bietet dafür einen rechtssicheren Rahmen. Es gibt ein ganzes Regime in der SE-Verordnung, das sich damit beschäftigt. wie der Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann. Eben mit der Folge, wie schon besprochen, dass sich damit auch das anwendbare Recht ändert. Jetzt hat sich in den letzten Jahren durch die Rechtsprechung des EuGH hier einiges getan und auch mitgliedstaatliche nationale Rechtsformen können in gewissem Umfang ihren Sitz über die Grenze verlegen, können auch einen Formwechsel über die Grenze machen. Also da hat sich einiges getan. Bei der SE ist aber in dem Zusammenhang weiterhin der Vorteil, dass es eben durch die SE-Verordnung einen europaweit einheitlichen Rechtsrahmen gibt, den es so für die nationalen Rechtsformen zum Beispiel bei einem grenzüberschreitenden Formwechsel so nicht gibt. Insofern ist das auch noch ein Vorteil.

Joel Kaczmarek: Gut, also bin ich schon mal mit so einer SE gleich internationalisierungsfähiger, lerne ich eigentlich daraus.

Martin Schaper: Ja, genau. Und das zeigt sich auch zum Beispiel daran, wenn man zum Beispiel Joint Ventures hat, die Joint Venture Partner aus verschiedenen Mitgliedstaaten haben, auch dann kann die SE hier eine gute Wahl sein, wenn man sich nicht auf eine nationale Rechtsform der Jurisdiktion einigen möchte, aus dem einer der Joint Venture Partner kommt, sondern man findet eine, ich sage mal in Anführungsstrichen, neutrale europäische Rechtsform, die die Grundlage für dieses Joint Venture wird.

Joel Kaczmarek: Wie ist das eigentlich sonst mit Mitbestimmungsrechten? Das ist ja bei AGs auch immer nochmal so ein Thema, also zum Beispiel wie die Mitarbeiter teilweise auch in den Aufsichtsräten vertreten sind. Ist die SE da gleichgeschaltet oder gibt es da auch nochmal Besonderheiten?

Martin Schaper: Genau, das ist auch ein weiterer Grund, der häufig für die SE spricht und zwar, du hast es angesprochen, die flexible Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts. Das ist im deutschen Recht keine Besonderheit jetzt des Aktienrechts, sondern gilt auch zum Beispiel für die GmbH, dass ab Überschreiten bestimmter Arbeitnehmerschwellenwerte eine gewisse Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder Arbeitnehmervertreter sein müssen. Und bei der SE besteht die Besonderheit, dass die Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter in erster Linie durch die Verhandlungslösung erreicht wird. Nämlich Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertreter setzen sich im Rahmen des Gründungsprozesses zusammen und verhandeln darüber, wie die Mitbestimmung in der SE ausgestaltet sein soll. Sowohl im Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat, je nachdem für welches System man sich eben entschieden hat, aber auch im SE-Betriebsrat.

Joel Kaczmarek: Okay, also da kann ich im Prinzip aushandeln, wie die Quote ist. Bei den anderen ist es so, wenn ich irgendwie die 500 knacke oder die 2000 Mitarbeiter, dann ist das eigentlich per Gesetz vorgegeben.

Martin Schaper: Genau, also das Mitbestimmungsrecht in Deutschland ist da strikt. Also sobald eine der Schwellen überstritten ist, also 500 Arbeitnehmer oder 2000 Arbeitnehmer, ist der Aufsichtsrat entsprechend den neuen Vorgaben anzupassen und man hat da keine Flexibilität. Und die SE ermöglicht eben diese Flexibilität, die im Wege der Verhandlungslösung zwischen den beiden Seiten erreicht wird.

Joel Kaczmarek: Jetzt muss ich mal so ein bisschen ketzerisch fragen, auch wenn ich ja Unternehmerfan bin. Muss man da fürchten, dass das irgendwie so ein Instrument ist, mit dem man jetzt als Unternehmer quasi so den Arbeitnehmereinfluss ein bisschen kleiner halten kann. oder ist das irgendwie übersteigert?

Martin Schaper: Also ich glaube, das ist übersteigert, denn wie schon gesagt, die Maxime in der SE-Verordnung ist die Verhandlungslösung. Also beide Seiten setzen sich zusammen und verhandeln, das dauert manchmal auch mehrere Wochen oder gar Monate, über die Mitbestimmung, die dann in der SE gelten soll. Diese Mitbestimmung, wenn sie dann einmal vereinbart ist, man spricht dann vom Einfrieren der Mitbestimmung, bleibt dann auch bestehen. Sie ändert sich dann aber wiederum, wenn bei der SE strukturelle Änderungen vorgenommen werden. Zum Beispiel, wenn eine Verschmelzung stattfindet, auch dann kann die Mitbestimmung wieder angepasst werden. Außerdem muss man bei dem Ganzen berücksichtigen, dass es, ich hatte es ja schon erwähnt, die Rechtsprechung des EuGH ermöglicht, auch Rechtsformen aus anderen Mitgliedstaaten zu wählen und in Deutschland zu nutzen, bei denen eine Mitbestimmung komplett fremd ist. Insofern zeigt auch das wieder das europäische Gepräge der SE eben als europäische, supranationale Rechtsform, die dort einen Kompromiss auf europäischer Ebene findet.

Joel Kaczmarek: Okay, also ich durfte ja auch so im Austausch mit dir schon lernen, wenn ich jetzt irgendwie auf sowas das eher anlegen würde, dann hätte jetzt eine Limited oder meinetwegen irgendwelche deutsch-niederländischen Konstrukte ganz andere Chancen, als wenn ich jetzt eine SE gründe. Also da geht es mehr um den internationalen Charakter, als jetzt um den Faktor schneide ich mit gut. Wie gehe ich denn jetzt vor, wenn ich so ein Modul gründe? Ist das irgendwie im Prinzip dasselbe Handelsregister, 50.000 Euro Cash in the Bank, ein kompetenter Anwalt wie du und ein Notar und dann geht das los. oder wie muss ich mir das vorstellen?

Martin Schaper: Die Gründung der SE ist ein klein wenig komplexer, ist aber mittlerweile, die SE gibt es ja mittlerweile auch seit über 13 Jahren, wird sie gewählt. Es ist nicht mehr so kompliziert und aufwendig, wie es in den ersten Jahren war. Die Besonderheit insoweit ist, dass es einen Numerus Clausus der Gründungsvarianten gibt. Also die SE-Verordnung schreibt insgesamt vier Gründungsvarianten vor. Das ist einmal die grenzüberschreitende SE-Verschmelzung, der Formwechsel. Dann gibt es noch Holding-SE und Tochter-SE-Gründungen, die aber in der Praxis so gut wie nicht vorkommen. und eine sogenannte Sekundärgründung, bei der aber bereits eine SE bestehen muss, die dann eine Tochter-SE gründet.

Joel Kaczmarek: Das müssen wir jetzt alles auseinandernehmen, da kriegt man einen Knoten im Kopf.

Martin Schaper: Also praktisch relevant, und das sollte man sich merken, ist die SE-Gründung durch Formwechsel oder durch grenzüberschreitende Verschmelzung. Es gibt bei beiden Gründungsvarianten eine Reihe von Vorgaben, die bei beiden Gründungsvarianten eben einzuhalten sind. Das ist zum einen, du hattest eben schon die 50.000 Euro erwähnt bei der Gründung einer Aktiengesellschaft. Bei der SE sind das 120.000 Euro, die dort an Mindestkapital aufgebracht werden müssen. Stellt aber in aller Regel auch kein Problem dar, da eben die SE auch keine Rechtsform für kleine oder Kleinstunternehmen ist, sondern eben ab Mittelstandsgröße. Für alle SE-Grundungsvarianten ist auch gemein, da kommt wieder das europäische Element zum Vorschein, dass man ein Mehrstaatlichkeitserfordernis braucht. Das ist eben bei der grenzüberschreitenden SE-Verschmelzung schon dadurch gegeben, dass man Rechtsformen aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten miteinander verschmilzt. Bei dem Formwechsel ist das Mehrstaatlichkeitserfordernis dadurch zu erfüllen, dass man eine Tochtergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat seit mehr als zwei Jahren haben muss.

Joel Kaczmarek: Okay, also damit ich das mal ganz kurz richtig verstehe. Wenn ich jetzt meine UG hinter Digital Kompakt in eine SE umwandeln möchte, ja, ich denke jetzt mal groß, dann müsste ich also ernst hingehen, die UG in eine GmbH wandeln, die GmbH in eine AG wandeln und dann kann ich die AG in eine SE wandeln. Das wäre der Formwandel. Und wenn ich jetzt die grenzüberschreitende Verschmelzung machen wollen würde, müsste ich zur GmbH werden und anschließend zum Beispiel mit einer Limited oder mit irgendwie einem französischen oder spanischen Unternehmensverbund mich zusammentun.

Martin Schaper: Fast richtig. Das ist nämlich ein wichtiger Aspekt. Die Gründungsvarianten lassen auch nur bestimmte Rechtsformen zur SE-Gründung zu. Das ist grundsätzlich bei den praktisch relevanten Gründungsvarianten die Aktiengesellschaft. Das heißt, sowohl beim Formwechsel als auch bei der SE-Verschmelzung bräuchtest du eine Aktiengesellschaft, eine deutsche Aktiengesellschaft. Bei der SE-Verschmelzung käme dann noch das Pendant einer Aktiengesellschaft in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat hinzu, die eben miteinander verschmolzen werden. Um bei deinem Beispiel zu bleiben, beim Fondswechsel müsste man dann eben noch sicherstellen, dass seit über zwei Jahren in einem anderen Mitgliedsstaat eine Tochtergesellschaft besteht.

Joel Kaczmarek: Ah, okay. Also ich kann nicht einfach sagen, ich mache mich zur AG, wandle dann um und mache irgendwie noch einen kleinen Ableger in Monte Carlo auf oder so, sondern da muss sozusagen schon Geschäft sein.

Martin Schaper: Genau. Also die Anforderungen an die Tochtergesellschaft, die im Ausland besteht, sind jetzt nicht besonders hoch. Es ist jetzt nicht erforderlich, dass da in erheblichem Umfang operative Tätigkeiten entfaltet werden müssen.

Joel Kaczmarek: Gut, dann habe ich das ja also grob verstanden. Also Formwechsel als eine Geschichte, grenzüberschreitende Verschmelzung als die andere, Holding SE und Tochter SE, wo ich bei den letzten beiden mal vermute, wenn du sie nicht erwähnt hast, dass das hier den Rahmen etwas sprengen würde und die Zumutbarkeit an die Legal Lion. Wie lange dauert es denn ungefähr, um so eine SE zu gründen? Und vielleicht, auch wenn du das immer hast als Anwälte, kannst du auch mal was zu den Kosten sagen, die man so grob rechnen sollte?

Martin Schaper: Ja, beides, sowohl Dauer als auch Kosten, hängt, wie so häufig, von einer Reihe von Parametern ab. Also natürlich spielt die Größe des Unternehmens, die Anzahl der Arbeitnehmer, die Komplexität des Vertragswerks spielt eine entscheidende Rolle. Was auf der Zeitschiene auch von großer Bedeutung ist, ist die Frage, welche Ausgangsrechtsform besteht. Ist der Ausgangspunkt eine GmbH, muss man ja zunächst, wir hatten darüber gesprochen, zunächst den Weg in die AG wählen und dann von der AG in die SE. Nun ist der AG-Formwechsel auch weitgehend standardisierter Prozess. Komplizierter wird es dann, wenn man die Gesellschaftervereinbarung und auch den Gesellschaftsvertrag bzw. dann die Satzung an die neuen Vorgaben des Aktienrechts anpassen muss. Das ist insbesondere wichtig. bei komplizierten und häufig über Jahre gewachsene Gesellschaftervereinbarungen gar nicht so leicht, die ohne Friktion an die Vorgaben des Aktienrechts anzupassen. Also das kann schon mal etwas mehr Aufwand bedeuten. Die eigentliche SE-Gründung, wenn man dann das Stadium der AG erreicht hat und dann den zweiten Schritt von der AG in die SE macht, Der hängt dann wiederum auf der Zeitschiene maßgeblich davon ab, wie lange das besagte Arbeitnehmer-Beteiligungsverfahren dauert. Dieses Verfahren kann bis zu sechs Monaten dauern. Man muss dann noch etwa zehn Wochen einrechnen für die Konstituierung des sogenannten besonderen Verhandlungsgremiums, also das Gremium, in dem sich die Arbeitnehmer zusammenschließen, um dann mit der Leitung des Unternehmens über die Arbeitnehmermitbestimmung zu verhandeln.

Joel Kaczmarek: Wenn ich so die Shareholder Agreements, die ich so gesehen habe, so 120 Seiten plus mir vorstelle, die jetzt in Aktienrecht irgendwie zu überführen, das stelle ich mir nicht ganz so trivial vor. Also schneide ich mit, das ist schon irgendwie, den AG-Schritt musst du eh machen, wenn du in die Börse willst. Da kriegt man aber, glaube ich, mal ein Gefühl für, dass das schon ein komplexes Verfahren ist, dass man deswegen auch gut überlegt, dass man das so unternimmt.

Martin Schaper: Genau. Also bei vielen Unternehmen beobachten wir auch, dass sie sich in einem gar nicht so späten Stadium für die SE entscheiden. Denn eins ist auch klar, umso überschaubarer das Unternehmen noch ist, desto schlanker ist auch der Prozess. Und man kann diesen Prozess auch auf verschiedene Art und Weise beschleunigen. Zum Beispiel kann man den AG-Formwechsel parallel zu der SE-Gründung anschieben, dass dadurch jetzt nicht Zeit verloren geht, sondern man taktet die beiden Prozesse so ab, dass kurz nach dem AG-Formwechsel dann auch der nächste Schritt in die SE zeitnah erfolgt, sodass die AG tatsächlich nur ein Zwischenstadium ist auf dem Weg in die SE.

Joel Kaczmarek: Hervorragend. Ich glaube, so als grober Überblick, wir können und wollen, glaube ich, auch ein Stück weit jetzt nicht hier in die Hardcore-Details gehen. Das war, glaube ich, schon sehr juristisch. Wir wollen ja Unternehmer so ein bisschen educaten, ohne dass das jetzt in ein Jurastudium mündet. War das, glaube ich, ein sehr schöner und sehr vielfältiger Überblick. Und ich danke dir ganz, ganz herzlich, dass du mich mit auf diese Reise genommen hast und dir so viel Zeit genommen hast.

Martin Schaper: Sehr gerne, hat mich sehr gefreut.

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