Diversity: "Was darf man eigentlich noch sagen?" 🙊
14. Juni 2022, mit Joel Kaczmarek, Lunia Hara
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Intro: Digital Kompakt. Heute aus dem Bereich Führung. Mit deinem Moderator Joel Kaczmarek. Los geht's.
Joel Kaczmarek: Hallo Leute, mein Name ist Joel Kaczmarek. Ich bin der Geschäftsführer von Digital Kompakt und heute wollen wir über ein sehr wichtiges und ich finde auch ein sehr zeitaktuelles Thema reden. Wir sprechen nämlich über Diversity und ein inklusives Miteinander in der Unternehmenskultur. Das heißt, wir wollen darüber reden, wie man eigentlich miteinander arbeiten kann und dabei auf die Gefühle von uns allen Rücksicht nehmen. Es ist ja manchmal gar nicht so einfach, weil heutzutage sind ja viele Sachen sehr komplex und vielfältig geworden. Und ich habe mir zwei tolle Damen mit an die Seite geholt, mit denen ich heute darüber rede und habe gesagt, ich stelle mich auch gerne an den Pranger, dass ich mal meine eigene Blödheit sozusagen mit zur Schau stelle, wie ich manchmal unsicher durch die Welt gehe. Und wie ich vielleicht Leuten auch mal auf die Füße trete, ohne das zu merken. Aber ich habe immer dabei den Wunsch und das Interesse, anderen Menschen mit Offenheit und Verständnis zu begegnen. Deswegen sind wir heute hier, dass wir uns mal ein Stück weit darüber unterhalten, warum das eigentlich genauso wichtig ist, wie man das im Alltag machen kann, ohne dass es so eine krampfige Nummer wird, sondern für alle trotzdem angenehm. Von daher werde ich, glaube ich, aus der heutigen Folge extrem viel lernen. Und ihr Lieben da draußen, die das heute anhören, bitte, in diesem Podcast geht es auch um Trigger, also Auslöser schwieriger Gefühle, Erinnerungen oder Flashbacks. Der Podcast enthält natürlich viele Inhalte rund um das Thema Diskriminierung vor allem und deswegen, bei manchen Menschen können diese Themen ja negative Reaktionen auslösen, daher bitte sei wachsam, wenn das bei dir der Fall ist und sei hiermit vorgewarnt, das wollten wir dir gerne noch zukommen lassen. So, wenn ich sage, zwei sehr kompetente Damen, dann ist zum einen an meiner Seite die liebe Lunia Hara. Lunia ist Director Project Management bei meinen Freunden von Diconium. Die kennt ihr ja, diese VW-Tochter, die ganz spannende Sachen machen. Wo sie sicherlich auch gleich erzählt, was ihre Rolle dort genau ist. Vor allem ist Lunia aber auch Expertin für empathische Führung und eine LinkedIn-Top-Voice. Also ich kann euch nur empfehlen, ihr Profil auf LinkedIn auch mal zu stalken und zu abonnieren, weil das lohnt sich in jedem Fall. So, und dann habe ich Lunja gefragt, hey, wen können wir denn zum Thema Diversity, Inklusion, wertige Unternehmenskultur, faires Miteinander denn mal mit an Bord nehmen? Und dann hat sie gesagt, da gibt es eigentlich nur eine Person, die muss dabei sein. Das ist die liebe Ellen Wagner. So, und Ellen ist Beraterin für Diversity, Equity und Inklusion, hat mit Cross-Cultural Bridges eine spannende Institution geschaffen, wo sie sich genau diesem Thema widmet. Und sie hat eine super spannende Geschichte auch dahingehend, dass sie in den USA sitzt. Das heißt, wir werden, glaube ich, auch ganz viel Know-how von ihr mitnehmen können aus einem Markt, der wahrscheinlich schon ein ganzes Stück weiter ist, als wir es hier noch in Deutschland sind. Und darum freue ich mich heute total. Und ich habe noch nie so viel Druck, so eine Anmoderation hier richtig und voll korrekt zu machen. Ladies, ich hoffe, das ist geglückt.
Ellen Wagner: Ja, absolut. Danke, Joel. Danke für die Vorstellung und alles gut. Danke auch für die Einladung.
Joel Kaczmarek: Lunja, komm, fangen wir mal mit dir an. Sag doch mal ganz kurz ein, zwei Sätze zu dir. Was steuerst du, machst du, leistest du alles bei Diconium? und wofür stehst du sonst im Netz, wenn man dich, wie gesagt, auf LinkedIn abonniert? Was ihr mit Ellen, by the way, genauso machen sollt. Ellen Wagner, leicht zu merken, LinkedIn, place to be.
Lunia Hara: Wie schon eingangs gesagt, bin Director Project Management bei Diconium, leite dort ein diverses Projektmanagement-Team, bestehend aus Projektmanagern, Scrum-Mastern und Product-Ownern. Ich nenne das eher so strategisches Projektmanagement und unterstütze die Teams, die auf diesem Projekt arbeiten. arbeiten bei übergreifenden Prozess- oder Strukturthemen. Parallel bin ich Expertin für empathische Führung, schreibe dazu Artikel auf LinkedIn oder halte Vorträge, nehme Panel-Diskussion teil. Ist mein Anliegen, tatsächlich Führungskräfte nochmal berücksichtigen, praxisnah beizubringen, die Wichtigkeit von Empathie in der Führungsarbeit, aber nicht nur die Theorie, sondern bei mir kriegt man halt wirklich auch praxistaugliche Tipps, wie man das halt auch im Alltag umsetzen kann in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern.
Joel Kaczmarek: Sehr gut. Und Lunja hat mir schon vorher gesagt, als schwarze Person bist du sozusagen, aus betroffenen Sicht hast du einen gewissen Erfahrungsschatz, aber bist nicht die Expertin. und das ist die liebe Ellen. Ellen, nimm uns nochmal ein bisschen mit hinter deine Kulissen, was sich bei dir so tut, wofür du stehst, was du machst.
Ellen Wagner: Ja, sehr gerne. Ich bin Ellen Wagner. Meine Pronomen sind sie, ihr. Und ich habe mich jetzt gerade aus dem wunderschönen Princeton dazu geschaltet. Princeton liegt in New Jersey an der US-amerikanischen Ostküste. Hier lebe ich seit drei Jahren jetzt genau. Ich glaube, auf den Tag sogar haben wir heute Jubiläum. Da sind wir angekommen. Ich bin wegen meiner Frau hierher gekommen. und bin mitgezogen. Die hat sich hier auf einen Job beworben. Jetzt leben wir hier, unsere kleine Familie mit Kind und ich habe mein eigenes Unternehmen gegründet, begleite von hier aus Unternehmen nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch hier in den USA dabei, inklusivere Unternehmensstrukturen zu schaffen. Und das können Workshops sein, die einen Einstieg darstellen zu den Themen Diversity, Equity und Inclusion oder eben ein Deep Dive, wo es ein bisschen tiefer geht und Du hattest ja anfangs gesagt, Diversity, Equity und Inclusion. Also Diversity bedeutet Vielfalt. So wie wir Menschen oder Mitarbeitende in den Organisationen sind mit all unseren vielfältigen Hintergründen, Fähigkeiten, Kompetenzen, Identitätsmerkmalen. Equity, da gibt es im Englischen noch Equality, da wird häufig in den gleichen Topf geschmissen. Das bedeutet so viel wie Gleichberechtigung. Aber Equity bedeutet halt nicht, dass alle das Gleiche kriegen, weil nicht alle Menschen immer das Gleiche brauchen, sondern das, was sie halt brauchen, damit es irgendwie Sinn macht, damit es fair ist. Und der letzte Begriff, die Inklusion, wird auch häufig hier im US-amerikanischen Kontext mit Belonging gleichgesetzt. Das ist halt der Teil, wo ich mich dazugehörig fühlen kann. Also das Gegenteil von Belonging oder Inkludiertsein ist halt Othering. Wieder so ein englischer Begriff von dem Anderen. Das heißt, da geht es um das Wir-Wer. Versus them, also wir gegen die anderen. Passiert ganz häufig in unserer Sprache, dass wir Menschen exkludieren. Große Themenbereiche, die wir da abdecken bei Cross-Cultural Bridges. Wir haben hier ein Team, hier ist noch eine Kollegin in den USA und drei weitere KollegInnen sind in Deutschland. Da haben wir sehr viel Spaß bei der Arbeit, die ziemlich hart ist, aber auf jeden Fall sehr wirkungsvoll ist.
Joel Kaczmarek: Ja, ich meine, wenn man dir zuhört, merkt man ja auch schon ganz viel, dass du sagst, meine Personalpronomen sind sie und ihr, du sagst MitarbeiterInnen, also du erklärst Begriffe, da merkt man mal, was heutzutage alles schon dazugehört. Lunja hatte einen schönen Vorschlag, als wir überlegt haben, wie wir diese Reihe hier beginnen, weil ich werde mit Lunja jetzt öfters und regelmäßig über Empathie, über Vielfältigkeit und solche Themen bei uns im Podcast reden. Das habe ich auch gerade zum Beispiel gelernt. Das kann jetzt der geneigte Hörer und die Hörer natürlich nicht verstehen, wenn man seinen Händen so wackelt. Sei das, wie hast du gesagt, das Blindenzeichen für
Ellen Wagner: Einen gehörlosen Applaus.
Joel Kaczmarek: Danke. So, und Lunias Vorschlag war aber, einen meiner ersten Posts, den ich auf LinkedIn gemacht habe zu dem Thema, was so ein bisschen unsere Reihe anmoderiert hat, mal aufzunehmen und ein Stück weit zu dekonstruieren. Als Baseline. Mir war wichtig zu sagen, es gibt viele Dinge, die uns unterscheiden und viele Dinge, die uns zusammenbringen. Oft ist es nicht mehr so einfach, was jetzt irgendwie noch gesellschaftlich akzeptiert ist zu sagen und was nicht und womit man Leuten irgendwie die Gefühle verletzt. Und dass da eine Verunsicherung herrscht, dass das manchmal nerven kann, dass ich es immer für wichtig halte. Das war so mein grober Tenor. Aber liebe Lunja, jetzt ist es an dir. Dekonstruier mich mal und erzähle, was du so für Strömungen rausgehört hast. Und Ellen ist dann unser Profi zur Einordnung hier.
Lunia Hara: Danke für deine Offenheit, Joel. Wenn ich auch offen sein darf, deine Ansprache, weil ich fühlte mich in dem Moment, als ich diesen Post gesehen habe, wir haben ja nicht drüber gesprochen, getriggert und dachte so Oh mein Gott. Das ist jetzt die Einleitung in unseren gemeinsamen Podcast. Plattitüden vom Stammtisch teilweise, die halt, kenne ich aber auch, viele Leute beschäftigen. Ein super Anlass, um die Ellen einzuladen, dass wir doch mal einfach mal diese paar Zitate mal gemeinsam anschauen. Was habe ich gespürt und was sagt sie eigentlich nochmal als Profi? Ich fange mal an. Ich bin ja eher jemand, der immer für den Dialog ist und immer den Dialog sucht. Wir können diese Probleme nur gemeinsam lösen und wir müssen immer wieder darüber sprechen, auch wenn es manchmal halt auch für mich nervig ist. Ellen, also ich gehe mal davon aus, dass dir dieses Thema oder diese Frage vielleicht auch in deinen Diversity-Trainings immer wieder begegnet. Was antwortest du denn Leuten?
Ellen Wagner: Das höre ich relativ häufig. Das geht dann so ein bisschen in die Richtung einer Verteidigung. Gerade wenn man vielleicht gerade aufgeklärt hat und sagt, ich glaube, das, was du gerade gesagt hast, das ist ein bisschen kritisch. Dann kommt so ein, ja, also was soll man denn jetzt noch sagen wollen? Um das erstmal so abzuschütteln. Und ich kann das sehr, sehr gut verstehen. Die Welt verändert sich, die Welt wird internationaler, die Welt wird globaler. Und jetzt arbeiten wir mit Menschen zusammen, mit denen wir vielleicht vorher nicht zusammengearbeitet haben. Und Menschen haben über Social Media die Möglichkeit, Dinge zu äußern, die sie vielleicht vorher nicht geäußert haben. Und wenn man sehr, sage ich jetzt mal, privilegiert ist und Privilegien zu haben, bedeutet so viel wie, dass man vielleicht weniger Hürden oder Hindernisse im Leben erlebt. Das Leben ist anstrengend für alle Menschen auf eine gewisse Art und Weise, aber für einige Menschen ist das Leben noch ein bisschen anstrengender, weil sie ausgegrenzt werden aufgrund von struktureller Diskriminierung. Für diese Menschen gibt es bestimmte Dinge, die verletzend sind. Und wenn man sehr privilegiert ist, wie zum Beispiel meine Eltern, die sind weiß. Wir hatten ja eingangs gesagt, ich bin schwarz. Ich bin adoptiert und habe weiße Eltern und kenne das so aus erster Hand, dass meine Eltern wirklich nur die besten Absichten haben. Sie lieben mich, das sind meine Eltern, ich liebe sie, sie sind wunderbar. Aber aus ihrer guten Absicht heraus sagen sie manchmal Dinge, die mich verletzen. Das ist dann erstmal für meinen Vater total unverständlich. Sowas wie, ich habe meinem Vater gesagt, Papa, es nervt mich total, wenn ich zehnmal in der Woche in Köln gefragt werde, wo komme ich denn her? Ah, wo kommen sie denn her? Und dann sage ich, ja, hier aus Köln. Und dann kommt wieder, ja, nee, wo kommen sie denn wirklich her? Und dieser zweite Teil der Frage, der ist so das Problem. Und dann sage ich, hey, die Frage, kann man sich die nicht sparen? Dann kommt dann vielleicht als Reaktion, was darf man denn jetzt noch sagen? Und da sagte mein Vater, ja, aber wenn ich im Urlaub bin, werde ich doch auch gefragt, wo ich herkomme. Da sag ich so, ja, Papa, aber da bist du ja auch im Urlaub, da bist du ja nicht zu Hause. Und jedes Mal, wenn ich gefragt werde, wo komme ich denn wirklich her? Und ich sage dann ja, ich bin in Wuppertal geboren und sie sind immer noch nicht zufrieden und sagen, nee, wo kommen denn deine Eltern her? Dann ist das so, als würde man mir so einen Spiegel vorhalten, der sagt, also so Ellen, wie du aussiehst, siehst du so aus, als würdest du hier nicht hingehören. Und das tut mir weh. Und nicht nur, weil ich das einmal höre, das wäre ja gar kein Problem. sondern weil ich das jeden Tag höre. Wenn ich beim Rewe einkaufen gehe, wenn ich irgendwo hingehe und in der Kassenschlange stehe, dann kommt einfach so aus heiterem Himmel diese Frage. Deswegen können Menschen, die sehr privilegiert sind, und in Deutschland sind das Menschen im Kontext von Rassismus, die weiß sind, die können das ja gar nicht nachvollziehen. Die können ja gar nicht nachvollziehen, wie häufig ich diese Frage bekomme. Und dann ist erst mal das Unverständnis da. Ja, was darf ich denn jetzt noch sagen? Jetzt bin ich aber überfordert. Das Bild, das ich gerne anbringe, ist das von Mückenstichen. Wenn man so einen Mückenstich mal abbekommt, juckt der und nervt, aber das ist okay. Aber wenn ich immer wieder auf die gleiche Stelle gestochen werde, dann tut es irgendwann weh und dann schränkt es tatsächlich meine Lebensqualität ein. Weil ich dann nicht wie hier im Podcast sitzen kann und mich konzentrieren kann, sondern jetzt muss ich mich schon wieder kratzen, oder? Oder jetzt habe ich es aufgekratzt, jetzt muss ich Salbe holen. Ich muss mich dann darum kümmern. Und es gibt Menschen, und jetzt kommt der nächste Fachbegriff, die stehen an einer Intersektion, an einer Kreuzung, wo ihnen nicht nur Rassismus entgegengeschlagen wird. Und von der anderen Seite kommt vielleicht Sexismus auf einen zu. Ich bin eine Frau, also erlebe ich Diskriminierung aufgrund meines Geschlechts, wo mir vielleicht Kompetenzen nicht zugeschrieben werden oder oder. Und von der anderen Seite, weil ich mit einer Frau verheiratet bin, kommt mir vielleicht noch Querfeindlichkeit entgegen. Und manchmal alles zur gleichen Zeit. Vorurteile, die Stereotype, die Menschen haben im Kopf über bestimmte Menschengruppen, die sich halt über die Jahrhunderte so verfestigt haben, die verletzen mich. Ja, und meine Frau und ich und wir. Du bist mit einer Frau verheiratet? Ja, echt? Wer ist denn bei euch der Mann in der Beziehung? Oder, ja, wir haben aber auch ein schwules Pärchen in unserer Nachbarschaft, aber die sind ganz nett. Und das ist so dieser Unterton dieses, aber die sind ganz nett. Was bedeutet das denn, dass schwule Menschen normalerweise nicht nett sind? Und das sind Mikroaggressionen, so ganz subtile Sprüche. Wo man erstmal denkt, das tut mir jetzt gerade nicht gut, ich habe so einen Knoten im Bauch oder im Hals, aber ich kriege es gerade nicht auf den Punkt. Ich weiß gar nicht, was es ist. Und die Menschen, die solche Sätze sagen, haben nur die besten Absichten, aber verletzen Menschen damit. Die kriegen das auch meistens überhaupt gar nicht mit, was sie da gesagt haben, weil es ja so üblich ist. Weil das macht man ja so, das sagt man ja so. Und das ist halt schwierig, das so ein bisschen auseinanderzuklamüsern. Das heißt, je privilegierter man ist, je weniger man an Diskriminierung miterlebt, desto weniger ist das aus dem Sichtbereich, desto weniger kann man nachvollziehen, dass das wehtun kann.
Joel Kaczmarek: Und ich meine, der zweite Punkt, der hier aufkommt, ist ja auch der der Absicht. Also ich weiß, ich habe mit meinem Freund Sebastian Krumbiegel, der ist mal derjenige, der mich am stärksten aufgeprügelt hat und dafür sehr sensibilisiert hat, mal diese Unterscheidung zu machen, was ist die Intention und was ist die Wirkung, das mal beides voneinander zu separieren. Im schlimmsten Fall gibt es ja vielleicht noch nicht mal Intentionen. Manchmal ist man auch einfach mal, dass man was gedankenlos daher sagt, kommt ja auch durchaus vor. Wie gehst du dann damit um? Also wenn eigentlich ein Gegenüber etwas nicht böse meint, aber vielleicht aus Sozialisation heraus oder einfach aus Unkenntnis der Schule, in denen du läufst, was sagt, was dir wehtut?
Ellen Wagner: Ja, es hängt immer so von der Tagesform ab. Wenn du jetzt was sagen würdest, dann würde ich mir die Mühe machen und dich jetzt aufklären, weil ich ja jetzt hier als Expertin sitze und nicht als die Ellen, die jetzt irgendwie gerade im Supermarkt steht. Da wäge ich immer ab, habe ich jetzt die Energie, Menschen aufzuklären? oder vielleicht wollen die das auch gar nicht, vielleicht will ich das heute auch gar nicht. Aber nehmen wir mal an, ich kläre die Menschen auch, dann würde ich sowas sagen wie, hey, das, was da jetzt gerade passiert ist, das hat mich ziemlich verletzt. Deswegen würde ich mir wünschen, dass du das in Zukunft nicht mehr tust. Und wenn die Leute bereit sind, ein vernünftiges Gespräch mit mir zu führen und auch zuzuhören, dann würde ich ihnen vielleicht gerade noch erklären, warum das jetzt gerade blöd war. Du hattest wahrscheinlich nur die beste Absicht und wolltest nur Smalltalk halten, aber stell dir vor, du fährst rückwärts aus deiner Garage raus, fährst mir über den Fuß und ich springe da auf den Beinen rum und sage, au, au, au, das tut voll weh. Dann machst du ja auch nicht das Fenster runter und sagst, das war aber ohne Absicht und fährst weiter. Wenn das aber mit Wörtern geschieht, dass wir Menschen verletzen, sind wir normalerweise nicht so bereit zu sagen, oh, das tut mir leid. Ungeachtet dessen, was ich damit gemeint habe. Weil es kann sein, dass ich keine schlechte Absicht hatte. Aber deswegen würde ich den Menschen raten, entschuldigt euch und hört zu.
Joel Kaczmarek: Hast du da eine Erklärung für Ellen, warum das so ist? Warum man bei kognitiven Dingen dann anders gepolt ist als bei physischen?
Ellen Wagner: Wahrscheinlich, weil man den Schmerz nicht so nachvollziehen kann. Also wenn du ein Leben lang in einer Welt aufwächst, also weiße Menschen im Kontext Deutschland zum Beispiel. Du siehst dich in den Kinderbüchern, du siehst dich im Fernsehen, du siehst dich in der Hauptrolle. Baby und Tima sind weiß, meine Tochter liebt das, aber meine Tochter ist schwarz. Wenn du immer normal bist, dann fällt dir das ja nicht auf, wenn du ausgegrenzt wirst. Oder wenn du dann mal ausgegrenzt wirst, dann ist das richtig, richtig schlimm. Aber als schwarze Person, ich habe mich nicht in Kinderbüchern gesehen. Ich habe mich noch nicht mal im Fernsehen gesehen. Ich habe mich in keiner Geschichte gesehen. Und wenn ich mich mal irgendwo in einer Geschichte gesehen habe, da gibt es so Stereotypen, die sind immer wiederkehrend. Und das macht halt ganz, ganz viel mit mir. Deswegen bin ich da halt auch viel empfindlicher, weil ich das viel häufiger erfahre. Und wenn du eine andere Perspektive hast, Nämlich, dass du normal bist, du bist die Norm. Ich google schöne Frau als weiße Person und ich finde ganz viele weiße Frauen. Dann musst du dir ja darüber keine Gedanken machen. Und dann ist das ganz schwer nachzuvollziehen, dass sowas wehtun kann. Vor allem, es war ja ohne Absicht.
Joel Kaczmarek: Jetzt fällt mir auch wieder das Beispiel an, was diese Alice Hayes in ihrem Buch hatte, dass sie meinte, ja, du bist vielleicht auch mal eine Minderheit, wenn du im Urlaub bist und jemand fragt dich, wo du herkommst. Aber du bist das immer in der Rolle der herrschenden Klasse. Das war auch so. der Faktor, den ich ganz interessant fand, dass man sich sagt, also wenn ich jetzt, glaube ich, durch Sri Lanka gestiefelt bin in meinem Urlaub oder so, dann gucken die dich eher so wertschätzend an und sind ganz begeistert und freuen sich. Da kann ich schon verstehen, was die meint. Und jetzt wollen wir es mal übertragen auf den Arbeitskontext. Also wir können uns ja jetzt mal so sukzessive erste Learnings ableiten. Also erst, was wir gesagt haben, ist, sich mal zu fragen, in welcher Situation ist man selber und im Verhältnis dazu die andere Person. Das Zweite ist die Intention und das Dritte ist den Schmerz des Gegenübers, der vielleicht nicht optisch sichtbar ist. Wie gehst du hin, wenn du eine Firma trainierst, solche Dinge in der Mitarbeitendenschaft zu reduzieren, dafür aber auch Bewusstsein zu schaffen? Was sind so typische Übungen, dass einem das im Arbeitskontext nicht passiert?
Ellen Wagner: Ganz häufig wollen die Unternehmen einen Quick-Fix haben. Die sagen, Ellen, komm mal rein, mach mal einen Unconscious-Bias-Workshop und danach sind wir alle fine. Dann können wir weitermachen. Aber das ist halt nicht so einfach. Also wenn wir sozialisiert werden und bestimmte Stereotype und Bilder in unseren Köpfen haben, dann werden wir die mit einem Training leider nicht wieder umprogrammieren können in unserem Hirn, sondern das braucht Zeit. Jede Veränderung braucht Zeit. Auch wenn ein Unternehmen gekauft wird von einem anderen Unternehmen, dann wird so eine Transition auch Jahre dauern, ehe alle Mitarbeitenden miteinander arbeiten, sich verstehen und es wieder eine neue Sprache gibt oder eine neue Kultur. Und genau so ist es auch, wenn eine inklusive Unternehmenskultur geschaffen werden soll. Das braucht Zeit. Ich würde immer raten, mit den Mitarbeitenden selbst zu beginnen. Da gibt es die Möglichkeit, erstmal ins Gespräch zu gehen und erstmal aufzuklären, was versteht ihr überhaupt unter Diversity? Bevor ich jetzt überhaupt reingehe und sage, was das ist, aber Was ist euch denn im Arbeitskontext wichtig? Was ist dir denn als Person wichtig? Was findest du gut? Was findest du weniger gut? Dann brauchen wir Education. Wir brauchen ganz viel Weiterbildung, damit wir eine Sprache erlernen. Was ist denn Rassismus? Was heißt denn Sexismus? Was heißt denn LGBTQI? Und was verbirgt sich hinter all diesen Begriffen, dass es also sehr viel Weiterbildung gibt? Dass vielleicht Menschen eingeladen werden zur Panel-Diskussion, damit man diese Perspektiven hört. Ich weiß jetzt gar nicht, wo ich aufhören soll, aber es gibt halt ganz, ganz viele Dinge, die man mit externer Hilfe machen kann. Und es gibt viele Dinge, die man intern machen kann, wie zum Beispiel Mitarbeitenden Interessengruppen gründen. In Englisch heißt das ERGs, Employee Resource Groups, wo Menschen zusammenkommen, die ein bestimmtes Interesse verfolgen. Die sogenannten Pride Mitarbeitenden Gruppen. Und die Menschen können zusammenkommen, sich gegenseitig empowern und austauschen. Also es gibt einen riesen Blumenstrauß an Dingen, die man tun kann. Wenn ich in Unternehmen gehe, machen wir im Grunde genommen erstmal eine Auftragsklärung und gucken, was könnt ihr überhaupt, wo wollt ihr überhaupt hin, weil es gibt keine One-Size-Fits-All, es gibt keine Einheitslösung für dieses Thema, da jede Organisation komplett verschieden ist und die jedes Mal komplett anders angefasst werden muss.
Joel Kaczmarek: Was machst du denn für eine Perspektive aus, was man gewinnen kann? Also was sagst du denn, warum es zum Beispiel wertvoll ist, sich damit auseinanderzusetzen? Also meistens geht es ja so, Cost Center, Profit Center. Ich gebe Geld aus, ich nehme Geld ein. Und wie bringst du Unternehmen nahe, vielleicht die jetzt auch zuhören, dass man die auch mal ein bisschen wachrüttelt, warum es wertvoll ist, sowas zu tun? Was ist ein Problem?
Ellen Wagner: Also wenn die Frage gestellt wird, dann brauchen sie auf jeden Fall meine Hilfe, weil dann haben sie überhaupt noch nicht verstanden, warum diese Arbeit wichtig ist. Aber ich kann ja vielleicht ein Beispiel bringen. Und zwar mache ich auch Coachings mit IndividualkundInnen, sehr viele schwarze Frauen dabei, die in Tech-Berufen sind, wo sie vielleicht auch die einzige Frau sind und dann sind sie auch noch schwarz. Und da ist der O-Ton immer, und das ist das Erschreckende, ich will doch einfach nur meine Arbeit machen. Ich möchte doch einfach nur hier sitzen und arbeiten. Wenn dann aber die Leute andauernd kommen, und vielleicht kennst du das auch, Lunja, und es gab irgendwas rund um Rassismus und die Leute gehen zu dir, weil du die einzige schwarze Person bist, dann kannst du dich halt nicht um deine Arbeit kümmern. Dann bist du immer betroffen von Rassismus, läufst immer der Gefahr aus, Mikroaggressionen abzubekommen. Ob das die Frage nach der Herkunft ist, ob das, hey Ellen, wir haben hier neue Unternehmensleitlinien, möchtest du nicht zum Thema Diversity sprechen? Dann werde ich also ab Zum Token, die Quotenschwarze, die jetzt was sagen kann. Und das sind ganz, ganz viele Mikroaggressionen, die nicht nur auf zwischenmenschlicher Ebene sind, sondern auch struktureller Ebene. Da gibt es halt Zahlen. Wenn ich mich bewerbe als Frau, da gibt es den Gender Pay Gap und dann gibt es dann nochmal einen Gap. Ich verdiene als schwarze Frau weniger als weiße. Und so weiter und so fort. Das sind natürlich Kosten, die ein Unternehmen zu zahlen hat. Also die Mitarbeitenden verbraten da unglaublich viel Energie, copen zu müssen, also jetzt damit umgehen zu müssen. Wenn ich einen Antirassismus-Workshop halte, dann ist der so anstrengend, obwohl ich jetzt die Expertin bin, dass ich danach einen Tag erstmal frei brauche, damit ich runterkommen kann. Weil diese Fragen, die ich da gestellt bekomme, auch in diesem Setting, das ist anstrengend. Also wie geht es denn den Mitarbeitenden, die nicht ExpertInnen sind, ausgewiesene und das jeden Tag erleben? Das sind Kosten, die Unternehmen tragen. Wenn die Menschen sich auf ihre Arbeit konzentrieren können, haben die ja eine ganz andere Performance. Das ist so das Interne und das Externe. Natürlich, wenn es eine Belegschaft ist, die diverse Hintergründe hat, dann kann man natürlich die KundInnenwünsche auch viel besser bedienen und hat da natürlich dann nochmal Profit hinten raus, weil man weiß, welche Produkte oder Dienstleistungen die richtigen sind.
Lunia Hara: Was mir halt häufig begegnet, wenn die Unternehmenskultur oder die Belegschaft unter sich einigermaßen okay ist und nett, dass ja oft gesagt wird, wir haben das Problem nicht. Es sind meistens immer andere. Und Ellen hat ja so schön gesagt, hey, sprecht mit den Leuten, was sie eigentlich darunter verstehen. Aber da würde ich nochmal ausweiten, sprecht auch mit. mit den Minderheitengruppen, wie sie das sehen. Weil ich hatte da auch schon etliche Diskussionen. Gibt es hier bei uns Diskriminierung oder Probleme oder nicht? Die Kollegen aus Minderheitengruppen, die haben gesagt, ja, gibt es. Und da waren die anderen aber total perplex. Wie geht doch gar nicht, kann ich mir gar nicht vorstellen, etc. Aber das sind natürlich genau diese Mikroaggressionen oder die Kleinigkeiten, die andere nicht sehen. Und vielleicht ein anderes Beispiel. Ich habe mich mal mit einem männlichen Kollegen ausgetauscht zum Thema Führung und habe ihm halt gesagt, naja, dass ich halt nochmal die weiblichen Mitarbeiter in meinem Team ja auch nochmal anders fördere und auch anders auf sie eingehe. Und der war dann überrascht. Warum machst du da was anders? Ich sage, naja, Frauen haben einfach Führung. andere Probleme. Und deswegen habe ich da halt auch nochmal zusätzlich andere Themen, die ich mit denen bespreche, um sie zu unterstützen. Und für ihn war das komplett neu, dass er in seiner Arbeit, obwohl er auch Frauen hat, irgendwas anders machen müsste. Aus der privilegierten Sicht erkennt man ja die Probleme der anderen gar nicht an, weil man einfach von sich aus geht und sagt, alles ist in Ordnung. Also werden sich ja alle in der Belegschaft genauso fühlen wie ich. Deswegen ist es da für mich, diesen Hinweis, sprecht mit den Leuten ganz, ganz wichtig. Und zwar halt mit den Betroffenen.
Joel Kaczmarek: Ellen, sag mal so von der Front. Jetzt haben wir über Mikroaggressionen geredet. Wie viel Makroaggressionen gibt es denn eigentlich auch bei dem ganzen Thema? Weil es gibt ja so viele Vorurteile auch. Ich kann mir vorstellen, Menschen hören jetzt zu und sagen, ja okay, bei Mikroaggressionen muss ich da wirklich tätig werden. Wie ist denn aber die Bandbreite? Also wie schnell wechselt das auch in Makro? oder wie viel ist sowieso schon da, was viel heftiger ist als das, was du jetzt beschrieben hast?
Ellen Wagner: Ja, da müsste man vielleicht noch eine Triggerwarnung hier anbringen für schwarze Menschen, die das jetzt hören. Weil als du das jetzt gerade erzählt hast, lief mir schon ein kalter Schauer den Rücken runter. Auch wenn das mein Job ist, diese Fakten vielleicht auch weiterzugeben und zu erzählen. Aber alleine, dass du das jetzt so sagst, da wird mir ganz anders. Denn ich lebe hier in den USA. Ich habe das in Deutschland auch erlebt. erlebt, dass jede einzelne Interaktion mit der Polizei und ein Kumpel von mir ist Polizist und er ist weiß und alles gut, ich mag den Job, aber die war negativ. Also die Einschränkung, die ich als schwarze Frau erlebe, nicht nur in Deutschland, auch hier in den USA, die ist immens, immens und das ist nicht nur das Gesundheitssystem, dass ich halt auch Angst habe, zu Ärzten zu gehen. Hier in den USA haben schwarze Menschen eher Angst, zu Ärztinnen zu gehen, weil sie wissen, es kann sein, dass ich jetzt fehldiagnostiziert werde. Und da ging jetzt so ein Bild viral. Ich glaube, es war ein westafrikanischer Arzt, der eine Zeichnung gemacht hat von einem Bauch, so ein Querschnitt, wo ein schwarzes Baby halt gesehen wurde. Und das ist das erste Mal, dass so ein Bild gesehen wurde. Weil wenn man sich Medizinbücher anschaut, wenn man sich alles Mögliche anschaut, sind immer weiße Menschen abgebildet. Das heißt, wie soll man denn Hautkrankheiten bei schwarzen Menschen überhaupt diagnostizieren? Ich weiß es gar nicht, wo ich ein Anfang und ein Ende finden soll bei dem Thema. Die strukturelle Diskriminierung, die überall ist, die ist einfach da. Die ist in unseren Schulen, in unseren Gesundheitssystemen, Bildungssystemen, Universitäten, an Arbeitsplätzen und überall, wo wir uns hinbewegen.
Joel Kaczmarek: Was es ja auch komplex macht, ist ja die Vielschichtigkeit. Weißt du, was ich meine? Also diese Komplexität. Du sagst so Gender Pay Gap, dann guckst du eine Ebene tiefer, dann meinst du schon, man muss irgendwie unterscheiden. Dann guckst du noch eine Ebene tiefer, dann merkst du, oh, vielleicht fühlen auch irgendwie Charaktereigenschaften eine Rolle. Dann kommt nochmal Religion rein, dann kommt Geschlecht rein, Sexualität rein und, und, und. Die Welt ist auch einfach unglaublich kompliziert geworden.
Ellen Wagner: Ja, dann stell dir mal vor, wie kompliziert die Welt ist, wenn du eine schwarze, queere Frau bist und in der Arbeitswelt Fuß fassen möchtest. Das ist einfach kompliziert. Aus dem, was du jetzt gerade gesagt hast, habe ich so verschiedene Sachen rausgehört. Also zum einen so dieses Quote, ist das überhaupt, würde das einen Sinn machen vielleicht? Wenn man eine Quote macht, wie müsste man so eine Quote ansetzen? Also Charaktereigenschaften würde ich vielleicht vorneweg mal komplett rausnehmen. Und ich gucke jetzt mal nur auf die harten Fakten. Was sagen so Studien, was sagen so die Zahlen? Und wenn wir Männer und Frauen vergleichen, hattest du ja gerade schon gesagt, da gibt es einen Gap. Und ich hatte auch eingangs gesagt, wenn dann die Frau auch noch schwarz ist, dann gibt es weiter einen Gap. Und dann kann man noch weiter gucken. Ist die Frau denn alleinerziehend und hat Kinder vielleicht oder hat die keine Kinder? und so weiter und so fort? Das sind ja zig Dinge, die uns ausmachen als Menschen, bevor jetzt überhaupt der Charakter da zum Zug kommt. Und das ist das, was ich eingangs gesagt hatte. Es gibt Equity und Equality und viele verwechseln das. Also Equality bedeutet, wir kriegen alle das Gleiche. Eine Familie bekommt einen Erwachsenenrad, also alle bekommen das gleiche Fahrrad. Ein Kind mit kurzen Beinen kann da vielleicht gar nicht dran. Ein Kind hat vielleicht eine Behinderung und kann die Beine vielleicht gar nicht nutzen. Wie sollen denn alle dann happy werden mit so einem Fahrrad? Und der Vater sagt vielleicht, ich will überhaupt gar nicht Fahrrad fahren und brauche dieses Fahrrad überhaupt gar nicht. Und dann steht das da rum. Das heißt, Equity würde bedeuten, dass alle Leute das bekommen, was sie brauchen. Ein Fahrrad, mit dem sie sich fortbewegen können. Vielleicht ein Fahrrad, um Sport zu machen und ein Fahrrad, um in die Stadt zu fahren und einzukaufen. Da brauche ich ein Fahrradkörbchen. Und so weiter. Und so ist es halt auch mit den Intersektionen. Das müssen wir sehen. Ja, und das ist anstrengend. Aber wie gesagt, wenn wir dahinter kommen und es schaffen, diese Unterscheidungen zu sehen, alle profitieren nachher davon. Aber natürlich muss man im ersten Schritt erstmal diese Arbeit tun.
Joel Kaczmarek: Was ist denn eigentlich das Ziel? Geht es dann darum, dass alle das Gleiche haben könnten, wenn sie es wollten?
Ellen Wagner: Richtig, dass die Menschen eigentlich Access haben, sage ich jetzt schon. Dass wir alle die gleichen Chancen auf Ressourcen haben. Wenn Menschen sich aufregen und sagen, das ist ein Behindertenparkplatz, warum kriege ich den nicht? Ich möchte auch vorm Gebäude direkt parken, damit ich nicht so weit laufen muss. Das ist halt Kokolores. Das ist keine Sonderbehandlung, sondern das ist ausgleichende Gerechtigkeit. Dass wenn wir uns alle auf eine Startlinie stellen, dann stehen Menschen, die zum Beispiel einen Rollstuhl nutzen, nicht auf der gleichen Linie wie ich als nichtbehinderte Person, sondern weiter hinten, weil sie unter Umständen einen Aufzug nutzen, um ins Gebäude zu kommen etc. etc. Und das verwechseln die Leute, die sagen, das ist eine Sonderbehandlung. Es ist keine Sonderbehandlung, sondern es schafft einfach nur, damit alle Menschen diesen Zugang haben. Aber Lunja, du wolltest was sagen.
Lunia Hara: Lernen, also gerade in der Führungsarbeit, heißt auch den Raum aufmachen. Das heißt, ich muss man in manchen Stellen als Führungskraft auch auf die Leute zugehen. Nur weil mir niemand mitteilt, dass er vielleicht Probleme oder sich diskriminiert fühlt, heißt ja nicht, dass ich dieses Problem in meinem Team oder in meinem Unternehmen nicht habe. In vielen Fällen trauen sich die Leute das nicht oder haben ja Angst, dass sie dann letztendlich nachher als querulant dastehen. Da ermutige ich eigentlich immer Führungskräfte zu sagen, sprecht eure Leute darauf an, macht den Raum auf, weil so signalisiere ich, hey, wir tolerieren das hier bei uns nicht und falls mal was aufkommt, kannst du offen auf mich zukommen und wir können darüber sprechen.
Ellen Wagner: Und das höre ich nämlich relativ häufig. Geschäftsführende sagen dann, wir haben hier kein Problem mit Rassismus oder Sexismus. Nö, beschwert sich ja keiner. Wenn ich mich als Frau einmal beschwere und sage, der Kollege hat einen sexistischen Kommentar gemacht und ich kriege dann als Antwort, naja, aber der Rock, den sie tragen, der ist aber auch relativ kurz, du. Dann werde ich nie wieder meinen Mund aufmachen. Und ganz häufig ist es halt so, dass ich als schwarze Person im Unternehmenskontext sage, hey, mein Kollege benutzt andauernd das N-Wort und mich triggert das jedes Mal. Ich möchte das nicht. Dann kann es sein, dass deine Führungskraft sagt, ja, stell dich doch nicht so an. So schlimm ist das doch nicht. Die hat das doch gar nicht so gemeint. Sei doch nicht so empfindlich. Und wenn da keine Empathie ist, dass das etwas ist, was belastend ist für die Mitarbeitenden, dann halten die den Mund. Und dann werden die das nie wieder ansprechen. Und deswegen wird dann halt davon ausgegangen, hier haben wir so kein Problem oder wir haben ja keine Menschen von der LGBTQ-Community und so weiter. Und wenn ich solche Sätze höre, dann ist aber Alarm, weil dann stimmt was nicht.
Joel Kaczmarek: Wo ist denn die Schwelle? Wann ist etwas so, dass du sagst, das ist eine Mikroaggression oder vielleicht auch sogar eine etwas größere schon, die, ich will ja nicht sagen geahndet gehört, aber die thematisiert gehört? Und wann kann man sagen, da muss sich vielleicht auch der Betroffene mal ein bisschen, was du gerade gesagt hast, reißt sich mal zusammen? Also wie unterscheidest du das?
Ellen Wagner: Ja, das ist eine schwierige Frage. Es gibt ja in Deutschland das AGG und da ist ja festgelegt, dass es bestimmte Dimensionen gibt, wie das Geschlecht, die Herkunft etc., aufgrund dessen man nicht diskriminiert werden kann. In den USA ist es ein bisschen schärfer. Wenn du hier Leute fragst, wie alt bist du denn, ist das schon eine Diskriminierung. Da müssen wir mal ein bisschen differenzieren zwischen USA und Deutschland. Ich glaube, in Deutschland ist das eine Frage, die relativ legitim ist, aber es gibt Menschen, die fühlen sich da angegriffen und es gibt Menschen, die fühlen sich nicht angegriffen. Mit der Nachfrage, woher kommst du denn wirklich, fühlen sich viele Menschen aus, meinetwegen dem Ausland oder schwarzen Menschen oder wie auch immer, nicht angegriffen. Für die ist das okay. Und andere wiederum fühlen sich angegriffen. Und da eine Balance zu finden, ist, glaube ich, schwierig. Mein Tipp wäre da, eine Unternehmenskultur zu schaffen oder eine Gesprächskultur, wo man die Dinge ansprechen kann, wo ich als Mitarbeiterin in der Lage bin, zu sagen, wenn mir etwas nicht gut tut.
Joel Kaczmarek: Ich habe von diesen Elevator-Rules gehört, dass es in den USA zum Beispiel verboten ist, in einen Fahrstuhl als Mann einzusteigen, wenn alleine eine Frau drinsteht. Sondern du musst dann den Nächsten nehmen oder wenn du schon drin bist als Mann und eine Frau steigst hinzu, dann hast du auszusteigen. Also definitiv belegt von bekannten Firmen, dass das so ist. Das hört sich immer sehr extrem an für deutsche Ohren, finde ich. Also so wie ich sozialisiert bin, klingt das sehr krass. Blüht uns das auch und ist dadurch irgendwas besser? Also hat man dadurch eine Umgebung geschaffen, die man vielleicht als Deutscher komisch findet, aber die am Ende des Tages für alle sich besser anfühlt?
Ellen Wagner: Diese Elevator Rule kannte ich gar nicht. Ich kann es mir irgendwie vorstellen, dass es so ist, weil als ich das erste Mal das Beispiel gehört hatte, dass man nicht nach dem Alter fragt, da habe ich gedacht, puh. Und das merkt man hier auch im Business-Kontext, dass der Smalltalk, je nachdem, wo man lebt, ein bisschen anders ist. Also das heißt, Eine Kollegin von mir, die wohnt eher so in den Südstaaten und da würde man zum Beispiel nicht über Politik reden. Das geht ja in deutschen Büros schon. Das jetzt zu bewerten, ist das gut oder nicht? Grundsätzlich finde ich es gut, dass es hier in den USA sehr klare Regeln gibt, was Diskriminierung angeht, weil die Leute vorsichtiger sind. Macht jetzt aber nicht diese strukturelle Diskriminierung weniger. Das sieht man alleine daran, wie viele von den CEOs der Fortune 500 Unternehmen sind denn schwarz. Ja, von 500. Was glaubt ihr denn? Es sind vier und darunter ist keine Frau. Und das sagt halt einiges. Das heißt, nur weil es diese Regeln gibt und diese Policies, heißt das noch lange nicht, dass alle Probleme hier weg sind. Also der Rassismus ist hier viel krasser, viel offener, hat ein ganz anderes Ausmaß als im Vergleich zu Deutschland. Du hast gefragt, blüht sowas Deutschland auch? Also ich glaube, dass Stimmen einfach lauter werden, dass eine Alice Hasters plötzlich bekannt ist. Das waren Menschen vorher, die Menschen of Color waren vielleicht nicht. Die Stimme wurde nicht so deutlich gehört und da wird sich noch einiges in Deutschland ändern. Und ich würde es persönlich begrüßen. Die Folgen von struktureller Diskriminierung sind immens. Und da entgeht Organisationen unglaublich viel Performance und unglaublich viel Potenzial. dass sie es auch nach Deutschland kämen in dieser Intensität. Aber natürlich ist das immer eine Frage, was bringt das dann? Da glaube ich, sind die USA in der Ausführung auch noch nicht angekommen, aber sie sind sicherlich ein Stück weiter als Deutschland.
Joel Kaczmarek: Hast du eigentlich ein gutes Mittel, wenn man diese Debatten führt? Warum darf ich das denn nicht mehr sagen? Das habe ich doch immer so gesagt. Ich habe den Eindruck, viele Leute hängen da dran. Wie gehst du damit um?
Ellen Wagner: Ja, es geht ja um Privilegien, die gar nicht sichtbar sind. Das heißt, wenn man sehr privilegiert ist, das hatte ich auch eingangs gesagt, dann ist ja die Welt für mich normal. Dann mache ich ja auch die Regeln und dann lege ich ja fest, was gut und was böse ist. Und wenn mir dann jemand daherkommt, vor allem auch noch so eine schwarze, queere Frau wie die Ellen eine ist und dann die Lebensrealität durcheinanderbringt, dann möchte ich das ja erstmal nicht wahrhaben und ich möchte das auch nicht hören. Und aufgrund der Machtdynamik will ich das auch nicht von dieser Person hören. Deswegen wäre es besser, Joel, wenn du das sagst. Ja, weil du dann zum Beispiel bei weißen Männern viel weiter kommst und glaubwürdiger bist als ich zum Beispiel. Warum ist das so schwierig? oder was würde ich den Menschen sagen? Ich würde ganz bestimmt nicht sagen, ah, du hast da jetzt gerade was gesagt, das ist total uncool und mach das nicht nochmal, weil die Leute sofort zumachen, sondern mein Ansatz, den verfolge ich auch in den Workshop, ist es erstmal eine Vertrauensbasis aufzubauen und mit den Menschen irgendwie klarzukommen. Und das mache ich natürlich nicht mit allen Menschen da draußen, aber wenn ich jetzt mit Menschen arbeite, dann versuche ich sie erstmal kennenzulernen. Dann versuche ich erstmal zu schauen, wann hattest du denn einmal eine Situation, in der du in einer Schublade gelandet bist, in der du eigentlich nicht sein wolltest. Und wie hat sich das angefühlt? Das heißt, ich versuche eine eigene Betroffenheit herzustellen, das kann man im Grunde genommen bei jeder Person schaffen, um dann mal zu fragen, und wie ist denn das? Findest du das nicht auch uncool? Ist doch auch blöd, oder? Und dann kann man irgendwann den Bogen schlagen. Aber das ist halt echt Arbeit, dahin zu kommen. Und in so kurzen Wortgefechten, wo mich Menschen anpampen, dann lasse ich das auch einfach mal sein, weil ich glaube, jetzt ist nicht der Moment, das zu tun. Oder ich würde dich anrufen und sagen, hey Joel, du kennst den doch auch. Sprich du doch mal mit der Person. Und plötzlich kann sich auf wunderbare Art und Weise da was ganz anderes ergeben.
Lunia Hara: Also ich finde es immer wieder unreflektiert, weil Sprache sich ja eigentlich an sich ja immer ständig entwickelt. Wir sprechen ja nicht mehr wie vor 100 Jahren. Auch die deutsche Sprache, die entwickelt sich ja ständig weiter. Es kommen ständig neue Wörter dazu und andere Wörter kommen in Vergessenheit. Da fragt ja keiner nach. Aber bei bestimmten Wörtern halten die Leute fest, als wäre es irgendwie wirklich unser Kulturgut. Ich habe da wirklich kein Verständnis für. Vermeide aber auch zu lange Diskussionen. Also wenn jemand wirklich merke, ist uneinsichtig, dann sage ich, okay, weißt du, musst es nicht verstehen, aber dann erwarte ich, dass du es respektierst. Wenn jemand sagt, hey, bitte habe Respekt vor meinen Gefühlen, vor meinen Emotionen. Ja, das ist ja schon allein auf der Zwischenmenschlichen. Ich möchte ja niemandem absichtlich wehtun, wenn es etwas ist, was ich halt wirklich unterlassen kann, ohne Ich werde ja eigentlich gar nicht eingeschränkt. Es wird ein Wort, das easy durch ein anderes ersetzt werden kann. Und mein Leben geht genauso wie vorher weiter. Also da fehlt mir tatsächlich jegliches Verständnis für so ein Verhalten. Und an den Stellen vermute ich halt entweder wirklich minder bemittelt oder halt wirklich Absicht in andere Richtungen. Weil anders kann ich es mir sonst nicht erklären.
Joel Kaczmarek: Ein Thema, was mich mit dir dann nochmal interessieren würde, Ellen, wäre diesen Post, den ich da hatte, den Luna so ein bisschen dekonstruiert hat, da hatte sie mir drei Punkte aufgemacht. Den ersten hat sie ja angesprochen, so dieses, ich weiß nicht mehr, ich bin verunsichert. Der dritte Punkt war, die Offenheit ist wichtig und der zweite in der Mitte war noch so ein bisschen dieser Nervfaktor, den ich gesagt habe. Ich finde das alles anstrengend. Also man ertappt sich ja manchmal dabei, wenn man versucht, inkludierend sich zu verhalten, ist es mit einem gewissen Aufwand verbunden. Also in meinem Fall war es zum Beispiel so, ich spreche immer Werbung für unseren Podcast ein. Dann muss ich auf einmal tunlichst aufpassen, dass ich sage, ja, unser Kunde XYZ, der ist interessant für alle Partner, Kunden und irgendwie Mitarbeiter. Und dann muss ich ja sagen, ah nee, warte mal, PartnerInnen, KundInnen und irgendwie MitarbeiterInnen. Und dadurch wird alles so sperrig. Also das Leben wird manchmal, ich finde dieses Innen macht es ganz gut deutlich, das Leben wird halt ein bisschen komplizierter. Fühlt sich's für mich zumindest an, für dich vielleicht nicht mehr. Erzähl mal, wie reagierst du, wenn Leute sich damit konfrontieren? Weil ich krieg das oft mit, dass Leute sich daran stören. Ich mag Gendern, aber bei Audio find ich's anstrengend, aber you know.
Ellen Wagner: Naja, also als ich Kind war und irgendwann mal Spiegelei gelernt hab, das Wort, wusste ich, ich sag nicht Spiegelei, sondern ich sag Spiegelei. Ja, also wir können das, wir haben die Kapazitäten in unserem Kopf. Das ist so das eine und da bin ich auch eher so wie Lunja, ich habe dann irgendwann kein Verständnis mehr. Also wenn ich erzähle, Menschen werden exkludiert und ausgeschlossen, wer will denn, dass ich Leute nicht mit anspreche? Ich habe eine Belegschaft vor mir, ich habe eine Rede und ich sage, sehr geehrte Damen und Herren, und es gibt dort Transmenschen oder non-binäre Menschen, die also weder sich dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet fühlen, die spreche ich dann nicht an und da habe ich dann ein Problem mit, das verstehe ich nicht. Das ist erstmal etwas, wo ich sage, das verstehe ich nicht. Und mittlerweile spreche ich so, das ist für mich mühelos.
Lunia Hara: Das ist halt wirklich mangelnde Empathie, weil ich halt dann an der Stelle immer von mir einfach ausgehe. So meine eigene Unbequemlichkeit ist wichtiger, dass ich mich wohlfühle, gut fühle, als das, was mein Gegenüber letztendlich dabei empfindet, wenn ich ein bestimmtes Wort ausspreche oder mich gendere.
Joel Kaczmarek: Wie ist denn, sehr geehrte Damen und Herren, mit queerem Einbezug richtig?
Ellen Wagner: Hallo alle.
Joel Kaczmarek: Echt?
Ellen Wagner: Hallo Mitarbeitenden. Also es gibt ja zig Möglichkeiten, da muss man sich einmal hinsetzen und dann kann man die Kommunikation für E-Mails etc. umstellen. Aber warum müssen wir das überhaupt sagen, Damen und Herren? Wir können doch auch andere Sachen sagen, liebe Mitglieder oder liebe Mitarbeitende. Und das MitarbeiterInnen, das ist auch nicht so wahnsinnig schwierig, wenn man sich da einmal drauf eingestellt hat. Aber es ist ja nun mal Fakt. Ich habe selber in meinem Team eine Person, die ist trans. Warum würde ich das denn tun, weiterhin darauf zu bestehen, wenn die Person mir einmal sagt, hey Ellen, ich finde es uncool, wenn du mich misgenderst. Oder wenn du diese Ansprache so machst, dann ändere ich das doch. Das ist ja nicht viel Aufwand.
Joel Kaczmarek: Ich kann mir manchmal vorstellen, ich ertappe mich da selber auch bei, ich will mich da gar nicht ausnehmen, dass es aber mittlerweile so viele Dinge gibt, auf die man achten soll. Also wir haben jetzt irgendwie schon mal über Hautfarbe geredet, über Sexualität, dann hast du vielleicht noch irgendwas Religiöses, das du dann irgendwie einplanen musst, dass deine Workshops, wenn hier irgendwie Fastenmonat ist und man nach Mekka wenden muss. dass du da dies und das berücksichtigst. Ich sage jetzt nicht, dass man das nicht machen sollte, aber ich sage, dass ich schon verstehen kann, dass es auch so mit einer Überforderung sich verbinden kann, wenn man auf sehr, sehr viele Dinge auf einmal Rücksicht nehmen muss, wo man es vielleicht früher nicht war. Hast du da Tipps, wie man das irgendwie abbauen kann, wie man da in so einen Modus kommt, dass das irgendwie in die DNA übergeht?
Ellen Wagner: Ja, machen. diesen Discomfort einfach mal ertragen und machen. Menschen wie ich erleben so viel Mist da draußen durch Ausschluss und Diskriminierung, das ist ein Bruchteil, den privilegierte Menschen anbringen müssen am Tag. Und meine Frau zum Beispiel, die ist weiß und die flucht ganz schön oft und sagt, boah, ist ganz schön anstrengend, diese Rolle, die ich da übernehme. Aber die setzt sich aktiv ein, weil sie weiß, wenn sie zum Beispiel zur Arbeit fahren würde, mit Öffentlichen zum Beispiel, das gibt es jetzt hier nicht, ja, aber in Deutschland zum Beispiel, dann muss sie nicht in Deckung gehen, dass sie gleich einen auf den Deckel bekommt, weil ihre Sexualität sieht man ihr erst mal nicht an. Sie kann sich mühelos durch diese Welt navigieren. Sie ist nicht behindert, sie hat Zugang, kann ihre Karriere nachgehen. Und da gibt es ganz, ganz, ganz, ganz, ganz viele Menschen, die können das nicht, aufgrund unterschiedlichster Gründe. Und dieses Leben ist ganz schön bescheiden manchmal durch diese Einschränkungen. Und deswegen kann ich nur sagen, reißt euch zusammen, das kriegt ihr schon hin.
Joel Kaczmarek: Ja, ich glaube, das war es dran. Finde ich kein schlechtes Statement so. Der Vergleich zwischen den beiden Leitwelten ist, ich glaube, sehr asymmetrisch.
Lunia Hara: Und ich glaube, man muss sich halt auch entscheiden, was möchte ich? Also möchte ich die Person sein, die andere ausschließt, die andere verletzt, obwohl ich Teil der Lösung sein könnte? Also gendergerechte Sprache, ja, ist etwas, was ich selber ja auch lernen musste. Schriftlich stehe ich zwischen drei und zwei, würde ich sagen. Aber wenn es um mündlich geht, da bin ich vielleicht noch eine vier. weil das einfach ein Lernprozess ist. Aber ich habe den Willen, da immer besser zu werden. Und irgendwann bin ich vielleicht auch einer zwei. Aber sich auch zuzugestehen, zu sagen, okay, ich bin auf dem Weg des Lernens und ich mache noch Fehler, aber ich bemühe mich. Ja, und selber zu merken, dass es halt immer besser wird. Und diese Entscheidung muss man einfach machen, weil in dem Moment, wo du sagst, das nervt mich, das ist kompliziert, hast du entweder schon kapituliert oder du hast dich sowieso schon dagegen entschieden und nimmst dafür in Kauf, dass andere Leute sich ausgeschlossen fühlen. Natürlich ist alles komplizierter und der Mensch an sich sind kompliziert, unabhängig von Hautfarbe, wo er herkommt. Und ich muss nicht alles wissen. Ich kriege regelmäßig neue Mitarbeiter, unterschiedlichste Herkünfte etc. Und ich werde viel damit beschäftigt. Klar, wo es geht, versuche ich natürlich mich selber auch problematisch. proaktiv weiterzubilden und zu lernen. Aber das Einfachste, was man machen kann, ist halt wirklich zu fragen, was brauchst du? Wie kann ich dich bestmöglich unterstützen? Und was muss ich wissen, um dich besser unterstützen zu können? Das heißt, ich muss gar nicht die Antwort wissen vorher, sondern in den meisten Fällen wissen die anderen sowieso besser als ich, was sie brauchen. Und da ist wichtig, wirklich Fragen, Fragen, Fragen und lieber einmal mehr als zu wenig fragen.
Ellen Wagner: Genau, und zu den Fragen möchte ich noch einen Hinweis geben, selber in Vorleistung gehen. Wenn es jetzt darum geht, das ist wahrscheinlich eine Person, die irgendwie Rassismus erfährt, kannst du ja fragen, wie positionierst du dich? Und du kannst aber sagen, ich bin weiß, wie positionierst du dich? Oder ich komme aus Köln, wo kommst du her? Damit setzt man schon mal so ein bisschen den Ton. Ich bin übrigens auch gewillt, jetzt was zu sagen. Oder wenn du auch mit Menschen mit Behinderung sprichst, es gibt den People First, also es gibt zwei Ansätze. Man sagt Menschen mit Behinderung oder behinderte Menschen. Da gibt es auch wieder unterschiedliche Meinungen. Beides ist eher okay, als zu sagen, du Behinderter bist. Wäre zu sagen, ich habe jetzt keine Behinderung, wie würdest du dich denn bezeichnen? Oder was ist dann ein korrekter Begriff? Aber dass man sich erst mal selber Gedanken macht. Weil ich habe keinen Bock, auf der Arbeit immer gefragt zu werden. Hör mal, Ellen, ich habe da gestern gehört, da hat so jemand irgendwas gesagt. Ist das jetzt okay oder nicht? Also ich bin nicht deine go-to schwarze Person. Also ja, ich bin Expertin, aber bezahl mich dann dafür, dann kannst du zu mir kommen. Sondern mach dir selber erst mal Gedanken, wo du stehst. Geh vielleicht mal in Vorleistung, so machst du es wahrscheinlich. Wahrscheinlich auch bei Vorgesetzten, wenn du ein Problem hast, dann gehst du da nicht hin und sagst, nun ja, was mache ich denn jetzt? Sondern sagst, ich würde es so lösen, was denkst du denn? Kommt ganz anders rüber, als wenn ich da einfach hingehe und sage, mach du jetzt mal die Arbeit. Du hast ja das Problem, also eigentlich habe ich das Problem, aber ich tue jetzt mal so, als wäre es deins, sag du doch mal. Deswegen immer erst in Vorleistung gehen und dann die Frage stellen.
Joel Kaczmarek: Finde ich gut. Und kannst du, Ellen, nochmal einmal für Menschen, die jetzt zuhören, die sagen, was bringt denn das, weil ich jetzt Bürgerinnensteig sage, das macht doch keinen Unterschied, Mitarbeitende, MitarbeiterInnen. Du hast ja gerade vorhin gesagt, Sprache, Bilder, Content, den man konsumiert, steuert Wahrnehmung. Kannst du das nochmal sagen, warum das so ist und dass es wirklich so ist?
Ellen Wagner: Also meine Tochter zum Beispiel, vielleicht gebe ich da einfach ein Beispiel. Meine Tochter ist schwarz und ist in Köln in eine Kita gegangen und kam einmal weinend nach Hause nach Karneval und hat gesagt, ich möchte nicht mehr diese Haut haben und ich möchte nicht mehr diese grausen Haare haben. Sie konnte keine Elsa sein von der Eiskönigin, weil dort gab es halt keine schwarze Prinzessin. Eine schwarze Prinzessin gibt es erst seit, weiß ich nicht, Moana ist aber auch nicht schwarz, sondern Asian Pacific. Jetzt gibt es Encanto, wo ich mit Pipi in den Augen vorm Fernseher sitze und denke, meine Tochter tanzt die ganze Zeit und ist happy und sagt, guck mal hier, die sieht so aus wie ich, ich bin Dolores. Sprache schafft so viel. Sprache schafft Selbstwert. Sprache schafft Wert. Tauche ich in der Sprache auf, wenn die Menschen der LGBTQ-Community, die nicht vorkommen in einer Sprache, halt immer exkludiert werden, dann wäre es so, als wären sie nicht existent. Und das verletzt Menschen.
Lunia Hara: Ich habe gerne mal so eine Statistik gesehen, wie viele Mädchen schwarzer Hautfarbe im Alter zwischen drei und acht schon mal geweint haben. Bei meiner Tochter war es auch. Und ich glaube, das ist vielen Menschen gar nicht bewusst.
Ellen Wagner: Dazu empfehle ich das Video The Doll Test. Kann man googeln. Schwarze WissenschaftlerInnen hier in den USA haben das gemacht. Und da gibt es auch aktuelle Versionen, wo Kindergartenkindern Puppen gezeigt werden. Eine schwarze und eine weiße. Und dann fragen sie, welche ist die gute, welche ist die schlechte Puppe, welche ist die schöne, welche die hässliche. Und Kinder, egal welche Hautfarbe sie selber haben, stimmen alle ein. Die weiße ist die gute, die schöne, die schwarze ist die böse und die schlechte. Auch wieder eine Triggerwarnung muss ich da aussprechen, weil da bleibt es den Eltern wirklich im Hals zu stecken, wie diese Kinder quasi auf ein Abbild ihrer selbst tippen und sagen, das ist die böse und die hässliche Puppe. Das heißt, die Frage, wann fängt das an? Das fängt an, sobald Kinder halt sehen können oder sprechen können, wann Sprache eine Realität schafft.
Joel Kaczmarek: Eine letzte Frage habe ich noch an dich, Ellen. In diesem Buch von der Alice Hayes, das gab es einen Part, den ich nicht richtig verstanden habe und den ich auch wirklich als einziges nicht teilen konnte und das war dieses Thema der kulturellen Aneignung. Also da war so sinngemäß die Aussage, jede Kultur hat ihre eigenen Elemente und andere haben die nicht zu übernehmen, wo man wieder nochmal in diesem Klassendenken ist. Ich habe jetzt gerade vor kurzem so ein Beispiel am Rande mitbekommen. Bei dieser Fridays for Future Bewegung war es wohl so, dass es da irgendwie eine große Kundgebung geben sollte. Dann haben sie eine Musikerin eingeladen, das war eine Weiße mit Rasterhaaren und dann haben sie gesagt, tut uns leid, wir müssen dich wieder ausladen, weil du wegen kultureller Aneignung sich Leute vor den Kopf gestoßen fühlen können. Wenn du dir die Haare abrasierst, könntest du kommen, wenn nicht, dann nicht, weil das ist nicht Teil deiner Kultur und das stößt Leute vor den Kopf. Ich bin Mensch, ich betrachte Kultur als etwas, was geteilt wird, als etwas, das wächst und das auch irgendwie mich zusammenbringt mit anderen Menschen. Und deswegen tue ich mich damit sehr, sehr schwer. Wie sieht ein Profi sowas?
Ellen Wagner: Ja, es ist auch unglaublich schwer. Selbst ich tue mich schwer mit kultureller Aneignung. Ich bin ja schwarz, habe weiße Eltern, also bin ja deutsch, dann dürfte ich ja auch nicht. Das ist schwierig. In dem Fall der Musikerin, die hatte halt Dreadlocks und das Ding mit Haardiskriminierung, könnt ihr auch mal googeln, das ist riesig. Das heißt, hier in den USA werden schwarze Menschen wegen ihrer Haare angefeindet. Es gibt Länder, wo die Leute noch nicht mal ihren natürlichen Haarlook haben, sondern die glätten sich die Haare, weil das dem Schönheitsideal näher kommt. Das heißt, die strukturelle Diskriminierung aufgrund von Haaren, das ist ein reelles Problem. Selbst ich wurde in Köln angefeindet, als ich mit Afro ins Kino ging. So nach dem Motto, ich kann ja nicht sehen, was soll das? Oder wie häufig wird schwarzen Personen in die Haare gefasst? Ungefragt.
Das heißt, die strukturelle Benachteiligung ist riesig. Das ist so das eine. Wenn weiße Menschen daherkommen und sich diese Dinge aneignen, nicht benachteiligt werden, sondern im Gegenteil vielleicht noch Applaus bekommen, oder irgendwelche Kostüme tragen oder sich irgendwelche Fashion Brands, irgendwelche Muster klauen und dann profitieren, dann profitieren sie auf Kosten der Menschen, die marginalisiert sind und wahrscheinlich ein Leben lang keine Anerkennung dafür bekommen haben. Und das ist das Kritische an der Geschichte. It's a fine line. Es ist unglaublich schwierig, eine Balance zu finden. Aber da würde ich auch vielleicht wieder den Tipp geben, ähnlich wie, was mache ich denn jetzt? Was soll ich denn noch sagen? Sich da mehr in Perspektiven reinlesen, Bücher lesen, Leuten auf Social Media folgen, die Indigenous People sind. Gibt es ganz, ganz viele hier in den USA, Kanada, auch in Deutschland. Vielleicht Romania und Sintiza folgen, bestimmten Personengruppen folgen. Dann weiß man, was ist okay und was ist nicht okay. Und wenn es jetzt um das Thema Karneval geht, da ist ja auch kulturelle Aneignung das I-Wort. Warum muss man denn diese Kostüme nehmen? Es gibt so viele Dinge, wie man sich kleiden kann. Als Tiere, vielleicht Berufe etc. Das muss ja nicht das sein. Und da sind wir wahrscheinlich auch wieder bei dieser Frage des Verzichts. Was kostet dich das denn, darauf zu verzichten und dann was anderes zu nehmen? Aber das Ding ist vielleicht auch grundsätzlich, vielleicht geht es gar nicht immer darum, alles zu verstehen zu müssen, denn du wirst als weiße Person niemals verstehen, wie sich schwarze Menschen fühlen, sondern vielleicht das einfach mal hinzunehmen, dass es da Dinge gibt, die wir nicht begreifen werden, aber wenn wir wissen, dass es Menschen verletzt, dass wir einfach darauf verzichten.
Joel Kaczmarek: Also ein besseres Schlusswort hätte ich ja heute gar nicht hinter dieser ganzen Reise von Eindrücken und Erfahrung und Wissenszuwachs gar nicht finden können. Liebe Ellen, es war mir ein Fest. Liebe Lunja, dir sowieso auch. Ich freue mich auf weitere Folgen und ich hoffe, es hat euch auch beiden Spaß gemacht. Ja, auf jeden Fall. Danke. Ja, danke. Danke euch. Ich fürchte, wahrscheinlich muss man das immer und immer und immer wieder erzählen, oder? Ist das nicht manchmal auch so ein bisschen der Schmerz deines Lebens, dass es nie aufhört?
Ellen Wagner: Ja, ich werde ja in der Regel dafür bezahlt. Also insofern ist das in Ordnung. Das ist meine Vision. Privat mache ich das nicht.
Joel Kaczmarek: Sehr gut, ihr Lieben. Dann bleibt gesund und alles Gute. Tschüss.
Lunia Hara: Tschüss.
Ellen Wagner: Dir auch. Alles Gute. Danke fürs Zuhören beim Digital Kompakt Podcast.
Outro: Du merkst, hier ziehst du massig Wissen für dich und dein Unternehmen heraus. Wenn du mit uns noch erfolgreicher werden möchtest, abonniere uns auf den gängigen Podcast Plattformen. Und hey, je größer wir werden, desto mehr Menschen können wir helfen. Also erzähl doch auch deinen Kolleginnen und Kollegen von uns. Bis zum nächsten Mal.
Diese Episode dreht sich schwerpunktmäßig um Diversity: Lasst uns Organisationen neu, offen und tolerant denken! Nachdem wir anfangs die Organisationsentwicklerin Marina Löwe und Ratepay-Gründerin Miriam Wohlfarth wiederholt vor dem Mirko hatten, um dich für Diversity zu sensibilisieren, diskutiert Joel mittlerweile regelmäßig mit Lunia Hara (Diconium) zu Themen rund um Leadership und Diversity. Dabei geht es den beiden explizit nicht um Mann oder Frau, sondern um die Schaffung von Empathie füreinander sowie ein ganzheitliches Bild und Verständnis für verschiedene Rollen und Perspektiven.